Arzt und Recht - OUP 11/2013
Altersversorgung – Stolperfallen umgehen
Vorliegend habe das Finanzamt bei Bearbeitung der Steuererklärungen seine Ermittlungspflichten verletzt. Sowohl der Umstand, dass Ärzte sich in vielen – wenngleich nicht in allen – Fällen von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreien lassen, als auch die – allerdings nur durch Vornahme einer Rechenoperation erkennbare – betragsmäßige Übereinstimmung der Summe der in den Zeilen 61 und 65 eingetragenen Beträge mit dem in Zeile 63 eingetragenen Betrag hätten Anlass zu einer entsprechenden Nachfrage geben müssen. Die zahlreichen anderweitigen Rückfragen des Sachbearbeiters zu der – durchaus umfangreichen – Steuererklärung 2007 zeigten, dass der Bearbeiter die ihm vorgegebene Intensivprüfung vorgenommen habe und ihm im Rahmen dieser Intensivprüfung zahlreiche andere Unstimmigkeiten aufgefallen seien.
Jedoch hätten auch der Arzt und seine Ehefrau ihre Mitwirkungspflichten verletzt:
Gemäß § 150 Abs. 2 Satz 1 AO seien Angaben in Steuererklärungen wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Daran fehlte es, da der Arzt seine tatsächlich nur einmal geleisteten Beiträge zum Versorgungswerk doppelt in den Steuererklärungen angegeben hatte. Die in der doppelten Eintragung derselben Aufwendungen liegende Pflichtverletzung entfalle ersichtlich auch nicht deshalb, weil den Steuererklärungen die Jahreskontoausweise des Versorgungswerks beigefügt waren.
Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass die Verletzung der Ermittlungspflichten auf Seiten des Finanzamtes jedenfalls nicht schwerer wiegt als die Verletzung der Steuererklärungspflichten des Arztes und seiner Ehefrau, sodass die Grundsätze von Treu und Glauben der Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht entgegenstehen:
Maßgebend hierfür sei zum einen, dass allein der Arzt und seine Ehefrau – jedenfalls auf einer abstrakten Ebene – über die volle Kenntnis des Sachverhalts verfügten. Sie wussten sowohl, dass der Antragsteller ausschließlich Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk, nicht aber Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung leistete, und dass die Eintragungen in den Lohnsteuerbescheinigungen sich auf die Beiträge zum Versorgungswerk bezogen. Ferner wussten sie, dass die in den Jahreskontoausweisen des Versorgungswerks bescheinigten Beträge mit den aus den Lohnsteuerbescheinigungen ersichtlichen Beträgen identisch sein mussten, weil der Antragsteller keine über die Pflichtbeiträge hinausgehenden Einzahlungen geleistet hatte.
Der beim Finanzamt zuständige Bearbeiter der Steuererklärung hatte von diesen Umständen des Sachverhalts hingegen keine positive Kenntnis. Ihm sei nur anzulasten, dass er sich Kenntnis hätte verschaffen können, wenn er den aufgezeigten Ermittlungsansätzen nachgegangen wäre. Hinzu komme, dass die betragsmäßige Übereinstimmung der Eintragungen in den Zeilen 61 und 65 einerseits und in der Zeile 63 andererseits vom Sachbearbeiter nur durch Addition zweier vierstelliger Zahlen erkannt werden können, was nicht jedem auf den ersten Blick möglich sei.
Zwar habe der Sachbearbeiter für das Jahr 2007 einen Prüfhinweis zu Zeile 63 der Steuererklärung zu bearbeiten gehabt. Der Text des Prüfhinweises sei aber nicht auf die Vermeidung einer doppelten Berücksichtigung von Beiträgen an das Versorgungswerk gerichtet gewesen, sondern habe in Zusammenhang mit Beiträgen zu Zusatzversorgungseinrichtungen des öffentlichen Dienstes gestanden und sei daher für die Steuererklärung der Antragsteller nicht einschlägig gewesen. Zudem seien gerade die Eintragungen der Antragsteller für das Jahr 2007 durchaus plausibel, weil in Zeile 63 des Erklärungsvordrucks ausdrücklich auch „Beiträge zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen“ zu erfassen waren und sowohl für die Eintragungen in den Zeilen 61 und 65 (Lohnsteuerbescheinigung) als auch für die Eintragung in Zeile 63 (Jahreskontoausweis) entsprechende Belege vorlagen.
Die Antragsteller haben im Verlaufe des Verfahrens mehrfach vorgetragen, sie hätten auf die unklaren Jahreskontoausweise des Versorgungswerks ebenso vertrauen dürfen wie das Finanzamt. Wenn danach aber beide Seiten gleichermaßen in die Irre geleitet worden sind und jedenfalls keine überwiegende Pflichtverletzung des Finanzamtes erkennbar sei, liege kein Ausnahmefall vor, in dem trotz Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO die Anwendung dieser Vorschrift nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausgeschlossen ist.
Fazit
Diese Urteile zeigen, dass es mit dem einmaligen Antrag einer Ärztin/eines Arztes auf Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nicht getan ist. Vielmehr muss bei jedem Tätigkeitswechsel (Arbeitgeberwechsel, Ortswechsel) geprüft werden, ob ein neuer Antrag erforderlich ist. Im Zweifel sollte der Antrag rechtzeitig innerhalb der ersten 3 Monate der neuen Tätigkeit gestellt werden, damit er auf den Beginn der neuen Tätigkeit zurückwirken kann.
Um an die Versorgungsbeiträge anknüpfende unnötige Auseinandersetzungen mit dem Finanzamt und gegebenenfalls nicht unerhebliche Steuernachzahlungen zu vermeiden, sollte darauf geachtet werden, dass bei der Steuererklärung gegenüber dem Finanzamt korrekt zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen zur Altersvorsorge bzw. zu den Beiträgen für die berufsständische Versorgungseinrichtung differenziert wird, sodass weder beim Arbeitgeber, noch beim Arbeitnehmer der volle Beitrag angegeben wird.
Da sich die Entscheidungen konsequent aus den gesetzlichen Vorgaben begründen (lassen), stellen sie sachdienliche Hinweise dar, die befolgt werden sollten. Dies gilt insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass bei Verstößen Geldbußen beispielsweise wegen Verstößen gegen Meldepflichten (unter anderem gemäß § 320 SGB VI) oder leichtfertiger Steuerkürzung (§ 378 Abs. 1 Satz 1 AO) drohen – von den Belastungen durch Doppel- oder Nachzahlungen ganz zu schweigen.