Übersichtsarbeiten - OUP 11/2017

Arthroskopische anatomische Gelenkrekonstruktion mit autologer Spanplastik
Arthroscopic anatomic glenoid reconstruction using autologous iliac crest bone graft

Elisabeth Böhm1, Marvin Minkus1, Philipp Moroder1, Markus Scheibel1

Zusammenfassung: Die arthroskopische anatomische Gelenkrekonstruktion mittels autologer Beckenkammplastik stellt eine verlässliche Behandlungsmethode bei der anteroinferioren Schulterinstabilität mit knöchernem
Glenoidranddefekt dar. Neben potenziellen kosmetischen Vorteilen besteht hier insbesondere die Möglichkeit des
Integritäterhalts der Subscapularissehne mit Vermeidung

einer sekundären Verfettung und Atrophie. Es wurden sehr gute klinische und radiologische Ergebnisse mit einem überschaubaren Komplikationsspektrum beobachtet, wobei sich computertomografisch eine anatomische Wiederherstellung der Konkavität des Glenoids zeigte.

Schlüsselwörter: Schulterinstabilität, Glenoiddefekt,
arthroskopische Stabilisierung, Knochenspanplastik

Zitierweise
Böhm E, Minkus M, Moroder P, Scheibel M: Arthroskopische anatomische Gelenkrekonstruktion mit autologer Spanplastik.
OUP 2017; 11: 530–537 DOI 10.3238/oup.2017.0530–0537

Summary: Arthroscopic anatomic glenoid reconstruction using an autologous iliac-crest bone graft represents a reliable technique for the treatment of anteroinferior shoulder instability with bony glenoid rim defects. In addition to
potential cosmetic benefits, the preservation of the integrity of the subscapularis tendon constitutes the main advantage. A fatty degeneration and atrophy of the subscapularis muscle can therefore be prevented. Very good to excellent clinical and radiological results were observed with only few complications. Computed tomographic imaging showed an anatomic reconstruction of the glenoid concavity.

Keywords: shoulder instability, glenoid defect, arthroscopic
stabilization, bone grafting procedure

Citation
Böhm E, Minkus M, Moroder P, Scheibel M: Arthroscopic anatomic glenoid reconstruction using an autologous iliac crest bone graft. OUP 2017; 11: 530–537 DOI 10.3238/oup.2017.0530–0537

Einleitung

Knochenspanplastiken werden bei der rezidivierenden anteroinferioren Schulterinstabilität mit substanziellem knöchernen Pfannenranddefekt durchgeführt. Über die Rekonstruktion der physiologischen Glenoidanatomie wird eine Wiederherstellung der stabilisierenden Funktion der Gelenkpfanne ermöglicht [17, 19, 27]. Die operativen Versorgungsmöglichkeiten umfassen dabei verschiedene offene und arthroskopische Verfahren unter Verwendung eines zumeist autologen Beckenkammspans.

Die heutigen Techniken basieren auf der Erstbeschreibung durch Eden 1918 [8] und Hybbinette 1932 [9]. Damals war es das Ziel, ein mechanisches Luxationshindernis zu schaffen, weshalb der Knochenspan intraartikulär, aber extra-anatomisch zwischen dem Skapulahals und der Kapsel ohne eine zusätzliche Fixierung platziert wurde. Diese Methode wurde zunehmend modifiziert und verschiedene Techniken zur Fixierung des Knochenblocks am Glenoid entwickelt. 1944 begann Lange [14], und 1951 Alvik [1] den Knochenspan Implantat-frei am Skapulahals zu impaktieren. DePalma beschrieb 1983 die erste offene anatomische Spanplastik unter Verwendung eines J-förmigen Spans, welcher mit Metallschrauben am Skapulahals fixiert wurde [7]. 1989 präsentierten Resch et al. eine Modifikation der Implantat-freien Technik mit anatomischer Impaktion eines J-förmigen Spans am Skapulahals [22]. In offener Vorgehensweise werden Beckenkammspanplastiken bereits seit langer Zeit durchgeführt [32]. Moderne arthroskopische Techniken und Implantate ermöglichen nun auch die arthroskopische Gelenkrekonstruktion [2, 26, 31]. Von großem Vorteil ist dabei die Schonung der Subscapularissehneninsertion. Eine fettige Degeneration und Atrophie des Musculus subscapularis kann somit verhindert oder zumindest verringert werden [28].

Die im Folgenden beschriebene arthroskopische Technik stellt ein anatomisches und intraartikuläres Verfahren dar, bei welchem ein autologer Beckenkammspan zur Rekonstruktion der Konkavität und birnenförmigen Anatomie des Glenoids verwendet wird.

Indikation

Im Rahmen der akuten oder rezidivierenden anterioren Schulterinstabilität können knöcherne Defekte am vorderen Pfannenrand entstehen. Hierbei sind die Größe und Lage des Glenoiddefekts sowie die resultierende Morphologie der Gelenkpfanne von entscheidender Bedeutung für die Schulterstabilität. In verschieden Arbeiten konnte gezeigt werden, dass ein substanzieller Knochenverlust am anterioren Glenoidrand einen relevanten Stabilitätsverlust der Schulter verursacht [10, 11]. Weitere Studien zeigen, dass vor allem auch eine Abnahme der glenoidalen Konkavität zur Reduktion der Gelenksstabilität führt [15, 18]. Uneinigkeit herrscht jedoch weiterhin über die Quantifizierung der Glenoidranddefekte und den kritischen Grenzwert zur Notwendigkeit einer knöchernen Rekonstruktionstechnik anstelle einer reinen Weichteilstabilisierung.

Pathomorphologisch können anteriore Glenoidranddefekte in 3 Typen unterteilt werden (Tab. 1). Zu unterscheiden sind hierbei vor allem akute (Typ I) und chronische Pfannenranddefekte (Typ II & III), die entweder in Folge einer akuten Glenoidrandfraktur oder rezidivierender Schulterluxationen mit entsprechenden Erosionen am Glenoid auftreten können. Typ-I-Läsionen werden weiterhin in knöcherne Bankart-Läsion (Typ Ia), solitäre Pfannenrandfraktur (Typ Ib) und mehrfragmentäre Pfannenrandfraktur (Typ Ic) differenziert. In der Mehrzahl der Fälle können Typ-I-Glenoiddefekte ohne die Verwendung von autologem oder allogenem Knochenmaterial durch Refixation der Fragmente anatomisch rekonstruiert werden. Bei komplexen mehrfragmentären Pfannenrandfrakturen (Typ Ic) kann jedoch auch eine Resektion der Fragmente und eine entsprechende Glenoidrekonstruktion mit autologer Beckenkammspanplastik in arthroskopischer Technik indiziert sein. Der Typ II umfasst Läsionen vom chronischen Fragmenttyp, die charakterisiert sind durch ein in extranatomischer Position medial am Skapulahals konsolidiertes oder pseudarthrotisches Fragment, welches als Folge von Resorptionsvorgängen kleiner als die Defektgröße ist. In Abhängigkeit von der Größe des Glenoiddefekts und des noch vorhandenen Knochenfragments kann eine knöcherne Rekonstruktion mittels Spanplastik indiziert sein. Glenoidranddefekte vom Erosionstyp (Typ III) zeigen sich vor allem bei Patienten mit rezidivierenden Schulterluxationen. Hierzu kommt es in der Regel durch eine Glenoidrandfraktur mit einer vollständigen Resorption der Fragmente oder durch eine chronische Abnutzung des vorderen Pfannenrands. Bei großen Substanzverlusten (Typ IIIb) ist eine reine Weichteilstabilisierung nicht ausreichend, um die Gelenkstabilität zu gewährleisten, weshalb eine Knochenspanplastik notwendig ist.

Zusammengefasst und in Anbetracht der aktuellen Literatur sehen wir folgende Indikationen für eine arthroskopische Glenoidrekonstruktion mit autologer Beckenkammspanplastik:

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