Übersichtsarbeiten - OUP 06/2014
Behandlung der begleitenden Innenbandverletzung bei der VKB-Ruptur des AthletenUngelöste Probleme und neue TherapiekonzepteUnsolved problems and new therapy concepts
Die Datenmenge bezüglich der Behandlung der begleitenden MCL-Verletzung bei Patienten mit VKB-Ruptur ist groß. Allerdings existieren einige ungelöste Probleme im Umgang mit dieser Verletzungsform, die bei der Interpretation der vorliegenden Daten berücksichtigt werden sollten. Folgende Probleme sind hierbei besonders zu beachten:
Einteilung und Klassifikation der begleitenden MCL-Verletzung
Derzeit werden die Klassifikationen der isolierten MCL-Verletzung auch für die begleitende MCL-Verletzung bei Patienten mit VKB-Ruptur genutzt. Es existieren hierbei unterschiedliche Klassifikationssysteme. Basierend auf der Klassifikation der American Medical Association (AMA) wird die MCL-Verletzung gemäß der medialen Gelenkspaltöffnung (mGSO) in 30° Flexion eingeteilt (Grad I: < 5mm mGSO; Grad II: 5–10 mm mGSO; Grad III: > 10 mm mGSO) [24]. Aufgrund unzureichender Spezifikationen hat diese Einteilung zunächst für Verwirrung und Schwierigkeiten in der Vergleichbarkeit gesorgt [2, 24, 25].
1976 führte Hughston daher eine neue, standardisierte Klassifikation für MCL-Verletzungen ein, die 2 grundlegende Systeme enthielt: die Verletzungsschwere (Grad I, II, III) und die Laxizität (1+, 2+, 3+) [26]. In diesem kombinierten Klassifikationssystem bedeutet eine erstgradige Läsion eine Verletzung einzelner Fasern ohne konsekutive Instabilität. Bei einer zweitgradigen Verletzung sind weitere Fasern involviert, aber es resultiert weiterhin keine Instabilität. Eine drittgradige Verletzung bedeutet eine Komplettruptur mit resultierender Instabilität. Grad-III-Verletzungen können bei dieser Klassifikation noch weiter differenziert werden, je nach Ausmaß der mGSO (1+: 3–5 mm, 2+: 6–10 mm, 3+: < 10 mm). Alle Untersuchungen werden hier ebenfalls in 30° Flexion durchgeführt. Weitere Modifikationen wie Verletzungslokalisation und Qualität des Endpunkts wurden der Klassifikation im Verlauf hinzugefügt [7, 27, 28, 29].
Im Gegensatz zu diesen Klassifikationen definierten Fetto und Marshall 1978 in ihrer Klassifikation eine erstgradige MCL-Verletzung als eine Läsion, die sich im Valgus-Stresstest sowohl in 0° als auch in 30° stabil zeigte. Eine Grad-II-Verletzung wurde als Läsion definiert, die sich nur in 30° Flexion instabil zeigte und in 0° stabil. Eine Grad-III-Verletzung wurde dementsprechend als Läsion definiert, die eine Instabilität in 0° und 30° Flexion zeigte. Es war die erste Klassifikation, die auf die Wichtigkeit der Untersuchung in 0° Flexion hinwies, um das komplette Verletzungsausmaß definieren zu können.
Die Autoren dieses Artikels bevorzugen diese Klassifikation, da sie alle medialen Strukturen berücksichtigt, die zu einer Instabilität führen können (Abb. 1). Dies ist äußerst wichtig, da es mögliche therapeutische Maßnahmen beeinflussen kann. Weiterhin erscheinen Klassifikationen, die Millimeter für die Gradeinteilung nutzen, schwierig in der Handhabung. Der Gebrauch verschiedener Klassifikationen stellt somit ein großes Problem in der Interpretation von Behandlungsergebnissen von Patienten mit VKB-Ruptur und begleitender MCL-Läsion dar und führt zu einer eingeschränkten Vergleichbarkeit. In einem systematischen Review über kombinierte VKB/MCL-Verletzungen konnte gezeigt werden, dass eine große Heterogenität bezüglich der benutzten Klassifikationen für die MCL-Verletzung besteht.
In weniger als der Hälfte der Studien wurde die MCL-Verletzung mittels Untersuchung in 0° und 30° Flexion klassifiziert [30]. Auch in den oben erwähnten Studien von Millett et al., Halinen et al. und Petersen et al. wurde die MCL-Läsion mittels Untersuchung in 25° bzw. 30° Flexion klassifiziert ohne Stabilitätstestung in 0° Flexion [11, 12, 13]. Pathologien der tiefen MCL-Anteile wurden somit nicht berücksichtigt und die Diagnose einer „wahren“ Grad-III-Läsion (Komplettruptur) erscheint diskutabel. Hara et al. und Zaffagnini et al. hingegen klassifizierten ihre zweitgradigen MCL-Läsionen in oben genannten Studien durch Testung in 0° und 30° Flexion, was nicht nur die Vergleichbarkeit dieser Ergebnisse erhöht, sondern auch die Aussagekraft dieser Ergebnisse verstärkt [19, 20].
MCL-Rekonstruktion
oder MCL-Repair
Die konservative Behandlung der erstgradigen, begleitenden MCL-Verletzung ist grundsätzlich akzeptiert [2, 16, 17, 18]. Das Behandlungsschema der begleitenden MCL-Verletzung Grad II und III bleibt hingegen kontrovers. Im Falle einer operativen Behandlung beschreiben die meisten Autoren einen MCL-Repair [10, 11, 22, 31, 32]. Sowohl bei zweit- als auch bei drittgradigen MCL-Läsionen konnten hiermit gute und sehr gute Behandlungsergebnisse erzielt werden. Allerdings existieren auch Studien, die von guten Ergebnissen nach augmentierter Rekonstruktion berichten [21, 33]. Die Datenlage zeigt, dass die operative Behandlung der begleitenden MCL-Verletzung stark variiert. Ein standardisiertes operatives Vorgehen bzw. eine akzeptierte Operationstechnik existiert nicht in der Literatur.
Zeitpunkt der
operativen VKB-Behandlung
Der Zeitpunkt der operativen VKB-Rekonstruktion bei Patienten mit VKB- und MCL-Verletzung wird heftig diskutiert. Wegen der Gefahr einer Arthrofibrose wurde die späte VKB-Rekonstruktion (> 10 Wochen) bei Patienten mit kombinierter VKB/MCL-Verletzung schon in frühen Studien favorisiert [2, 13]. Zudem wurde postuliert, dass ein instabiles MCL die Einheilung einer frühen VKB-Plastik beeinträchtigen könnte [34–36]. Aufgrund dessen wurde eine späte, sekundäre VKB-Rekonstruktion grundsätzlich empfohlen nach kompletter Ausheilung des MCL [2, 9, 13, 15]. Allerdings wurde in der Vergangenheit gezeigt, dass das VKB als sekundärer Valgus-Stabilisator fungiert [4]. Es wurde daraufhin angenommen, dass eine Instabilität, bedingt durch eine VKB-Ruptur, die Heilung einer begleitenden MCL-Läsion beeinträchtigen kann.
In einer Tierstudie konnten Woo et al. [5] diese Ergebnisse bekräftigen, indem sie nachwiesen, dass in einem Kniegelenk mit intaktem VKB, verglichen mit einem Kniegelenk, in dem das VKB reseziert wurde, die Heilung von MCL-Defekten verbessert ist. Passend dazu konnte an Patientenkollektiven gezeigt werden, dass eine alleinige, frühelektive VKB-Plastik bei Patienten mit VKB/MCL-Verletzung sehr gute Ergebnisse erzielen kann [11, 12]. Eine frühelektive VKB-Rekonstruktion könnte somit Vorteile haben, um eine ideale Heilung des MCL zu begünstigen. In diesem Punkt herrscht große Uneinigkeit zwischen den Autoren. Zum einen, weil die Gefahr einer postoperativen Arthrofibrose mit ausgeprägter Bewegungseinschränkung nach früher VKB-Rekonstruktion (2–4 Wochen) eine nachgewiesene Komplikation darstellt [13, 37–39]. Zum anderen, weil auch die spätelektive VKB-Rekonstruktion bei Patienten mit belgleitender MCL-Läsion sehr gute Behandlungsergebnisse erzielte [9, 13, 15].