Übersichtsarbeiten - OUP 06/2014
Behandlung der begleitenden Innenbandverletzung bei der VKB-Ruptur des AthletenUngelöste Probleme und neue TherapiekonzepteUnsolved problems and new therapy concepts
Es existiert derzeit kein akzeptierter Behandlungsalgorithmus in der Literatur. Dies ist kaum verwunderlich, da die Klassifikationen der MCL-Verletzung inkonsistent sind und existierende Behandlungsergebnisse schwer zu vergleichen sind. Trotzdem haben sich einige Behandlungsgrundsätze etabliert. Die konservative Therapie der begleitenden MCL-Verletzung Grad I ist grundsätzlich akzeptiert, da keine Einschränkung der koronaren Stabilität vorliegt [2, 23, 30]. Zudem gilt die operative VKB-Rekonstruktion als Standard bei Athleten, unabhängig von Begleitpathologien [2, 11, 12, 16, 20, 30].
Die Behandlung der zweit- und drittgradigen MCL-Verletzung bei Patienten mit VKB-Ruptur wird hingegen kontrovers diskutiert. Einige Studien berichteten über gute bis exzellente Behandlungsergebnisse nach operativer Therapie von Grad-II- und Grad-III-Läsionen [10, 11, 22, 31, 32]. Nicht operative Maßnahmen zeigten allerdings ebenfalls gute Ergebnisse bei hochgradigen MCL-Läsionen [9, 12, 13, 15]. Berücksichtigt werden sollte allerdings, dass die guten Ergebnisse nach konservativer Therapie der begleitenden Grad III MCL-Verletzung eventuell den unterschiedlichen Klassifikationen geschuldet sind.
Wenn das MCL nur in 20–30° Flexion getestet wird, kann eine Grad-II-Läsion leicht in eine Grad-III-Läsion überschätzt werden, da eine Testung in 0° Flexion nicht stattfindet. Daher erscheinen viele Behandlungsergebnisse diskutabel, insbesondere bei begleitenden zweit- und drittgradigen MCL-Verletzungen. Als Konsequenz ist eine standardisierte Klassifikation der begleitenden MCL-Verletzung zu fordern, um so einen validen Behandlungsalgorithmus in dieser Verletzungsentität entwickeln und Behandlungsergebnisse suffizient vergleichen zu können.
Behandlung der begleitenden MCL-Verletzung – Vorstellung einer Klassifikation und eines neuen Therapiekonzepts
Basierend auf der wissenschaftlichen Datenlage sowie unseren klinischen Erfahrungen haben wir in unserer Abteilung eine modifizierte Klassifikation (n. Fetto/Marshall) und ein konsekutives Therapiekonzept zur begleitenden MCL-Verletzung bei Athleten mit VKB-Ruptur entwickelt.
Zur Verletzungsklassifikation werden alle Patienten mit VKB/MCL-Verletzungen einem speziellen diagnostischen Ablauf unterzogen mit Festlegung des Grades der MCL-Verletzung und Testung auf eine mögliche anteromediale Rotationsinstabilität (AMRI). Der Grad der MCL-Verletzung wird gemäß Fetto/Marshall [2] klassifiziert, eine AMRI mittels Lachman-Test in Außenrotation, Slocum-Drawer-Test und Valgus-Stresstest in voller Extension diagnostiziert. Wir unterteilen 6 verschiedene Typen einer begleitenden MCL-Verletzung in Abhängigkeit vom Grad der Innenbandverletzung sowie vom Vorhandensein einer AMRI (Abb. 2).
Je nach Grad der Innenbandverletzung werden die Patienten zunächst in Verletzungstypen I–III eingeteilt. Abhängig vom Vorhandensein einer AMRI werden diese Typen in A-Typ-Verletzung und B-Typ-Verletzung unterteilt. Nach 6 Wochen wird eine finale Untersuchung mit definitiver Festlegung des Verletzungstyps durchgeführt und eine mögliche OP-Indikation gestellt. Alle Patienten werden danach mittels VKB-Plastik operativ versorgt. Bei Patienten mit Verletzungstyp Ia, Ib und IIa wird die Innenbandläsion konservativ behandelt. Bei Patienten mit Typ IIb, IIIa und IIIb wird die begleitende Innenbandverletzung operativ versorgt.
Woo et al. postulierten, dass eine bestehende VKB-Ruptur die Heilungsqualität einer begleitenden MCL-Verletzung beeinträchtigen könnte [5]. Wäre diese Annahme wahr, würde es konsequenterweise bedeuten, dass das VKB innerhalb von 1–2 Wochen posttraumatisch rekonstruiert werden müsste, um diesen Effekt ausnutzen zu können. Es ist allerdings in der aktuellen Literatur gezeigt worden, dass eine frühe VKB-Plastik zu einer Arthofibrose bzw. Bewegungseinschränkungen führen kann [13, 37, 38, 39]. Zudem wurde mehrfach gezeigt, dass eine begleitende MCL-Läsion auch ohne frühe VKB-Rekonstruktion suffizient heilen kann [9, 13, 15].
Daher ist es die Ansicht der Autoren, dass die Möglichkeit einer spontanen Heilung abgewartet werden sollte. Unserer Meinung nach sind 6 Wochen ein angemessener Zeitraum, um das spontane Heilungspotenzial einer begleitenden MCL-Verletzung beurteilen zu können und um einen vorteilhaften Kompromiss zwischen der frühen und späten operativen Versorgung zu erreichen. Sollte nach 6 Wochen ein Verletzungstyp IIb, IIIa oder IIIb vorliegen, wird zeitgleich zur VKB-Plastik die begleitende MCL-Verletzung operativ versorgt.
Wichtiges diagnostisches Instrument zur Festlegung des Verletzungstyps ist eine vorliegende AMRI. Eine AMRI kommt vor, sobald das VKB verletzt ist und die oberflächlichen Anteile des MCL zusätzlich einen nicht kompensierbaren Schaden erlitten haben [40]. Bei erstgradigen MCL-Verletzungen und VKB-Ruptur sollte eine AMRI somit nicht vorkommen, da eine mediale Stabilität vorliegt. Bei drittgradigen MCL-Verletzungen und VKB-Ruptur ist eine AMRI zwingend vorhanden, da alle medialen Strukturen stabilitätseinschränkend geschädigt sind. Der Verletzungstyp Ib und IIIa existieren somit nur zur Vereinfachung der Klassifikation.
Entscheidende Bedeutung hat die AMRI allerdings bei der begleitenden zweitgradigen MCL-Verletzung. Die zweitgradige MCL-Verletzung ist eine Partialläsion, bei der das komplette Verletzungsausmaß oftmals schwer zu beurteilen ist. Hier gibt das Vorhandensein einer AMRI unserer Meinung nach konklusive Informationen, wie stark das Innenband tatsächlich geschädigt ist, und hat somit entscheidende Bedeutung bei der Entscheidung über eine operative Therapie. Die Autoren führen die operative Therapie der MCL-Verletzung mittels Raffung und Refixation durch.
Aufgrund der kollagenen Mikrostruktur und der Rigidität des MCL (Kollagen Typ I) halten wir eine augmentierende rekonstruktive Therapie 6 Wochen posttraumatisch für nicht notwendig. Bei Patienten mit Verletzungstyp IIIa und IIIb führen wir zusätzlich eine Reparatur der posteromedialen Ecke in der Technik nach Hughston et al. durch, um auch die tiefen Anteile des MCL (Kapsel, POL) therapeutisch zu adressieren [26]. Die ersten Ergebnisse gemäß diesem Behandlungsregime in unserer Klinik zeigen sich vielversprechend und der Stellenwert dieser Ergebnisse wird mittels einer klinischen Studie von den Autoren derzeit verifiziert.