Übersichtsarbeiten - OUP 02/2023
Behandlungsprinzipien von Pilonfrakturen
Empfehlung: Die primäre Behandlung sollte großzügig mittels geschlossener Reposition und Stabilisierung mittels Fixateur externe erfolgen. Es ist zu empfehlen, die CT-Diagnostik erst nach der Anlage des Fixateur externe durchzuführen; „span – scan – plan“.
Strategie der
Gelenkrekonstruktion
Chirurgische Strategie nach Rüedi und Allgöwer [3]
Werden chirurgische Rekonstruktionskonzepte diskutiert, so sollte als wichtiges Grund-Prinzip die 1969 veröffentlichten Empfehlungen von Rüedi und Allgöwer gewürdigt werden, da diese immer noch mit Ergänzungen durchaus praktikabel sind:
- 1. Rekonstruktion der Fibula
- 2. Rekonstruktion der Gelenkfläche
- 3. Falls erforderlich, Knochendefektauffüllung durch Spongiosa-Transplantation
- 4. Stabilisierung der Tibia durch eine mediale Abstützplatte
Neuere anatomische Säulen- und Gelenkrekonstruktionskonzepte
Im Zuge der CT-Diagnostik konnte die Frakturpathologie von Pilonfrakturen signifikant detaillierter erfasst werden. Insbesonders die Studie von Cole et al. konnte auf Basis von zahlreichen CTs typische Frakturmuster identifizieren, welche für mehr als 90 % aller Pilonfrakturen 3 Hauptfragmente zeigte [8]. Auf Höhe der fibularen Inzisur können ein mediales, ein antero-laterales und postero-laterales Fragment mit einer insgesamt Y-artiger Frakturform beschrieben werden. Zentral und antero-lateral wurden die wesentlichen mehrfragmentären Zonen bzw. Zertrümmerungen identifiziert, die mit der talaren Artikulation korreliert (Abb. 1). Auf Basis dieser Erkenntnisse wurden unterschiedliche chirurgische Stabilisierungskonzepte entwickelt:
Assal et al. veröffentlichten 2015 ein 3-Säulenmodell nur für die Tibia mit einer medialen, lateralen und dorsalen Säule (Abb. 3) [9].
Eine jüngere Arbeit schlägt die Einteilung in 4 Säulen vor mit Berücksichtigung der Fibula und einer Ansicht von ventral sowie dorsal (Abb. 3) [10]. Bei der Betrachtung von ventral besteht die laterale Säule aus der Fibula, zentral von der ventro-lateral bildenden tibialen Gelenkfläche und medial aus dem Innenknöchel. Bei der Ansicht von dorsal besteht das zentrale Fragment aus der dorsolateralen tibialen gelenktragenden Zone.
Ziel dieser Klassifikationen soll die strategische Planung der chirurgischen Rekonstruktion, wie bspw. Rüedi und Allgöwer in ihrer Arbeit die Strategie auf Basis konventioneller Röntgenbilder vorschlugen. Im Nachfolgenden sollen die unterschiedlichen operativen Strategien zusammenfassend dargestellt werden [3].
Rekonstruktion der Fibula zur ersten Referenzierung
Da die distale Fibula in 90 % der Fälle aller Pilonfrakturen ebenfalls frakturiert ist, sind sich viele Autorinnen und Autoren einig, dass die Stabilisierung relevante Vorteile mit sich bringt [11]. Durch die primäre plattenosteosynthetische Stabilisierung der Fibula in Kombination mit einem Fixateur externe, vorausgesetzt die Weichteile erlauben dies, trägt die laterale Säule so zur Stabilisierung bei, dass neben Definierung der korrekten Länge und Torsion der valgischen Achsabweichung entgegengewirkt wird. Zusätzlich wird über die Ligamentotaxis der Syndesmose das ventrale und dorsale gelenktragende Fragment (teilweise) reponiert mit einem dadurch „weichteil-abschwellenden“ Effekt.
Allerdings ist die Evidenz diesbezüglich nicht eindeutig, da nur einzelne prospektive Arbeiten einen Zusammenhang zeigten zwischen anatomischer Rekonstruktion der Fibula mit guten klinischen Resultaten. Konträr wurden Studien veröffentlicht, die keinen Vorteil durch die Fibulastabilisierung feststellen konnten. Einzelne Arbeiten zeigten sogar gegenteilige Effekte mit erhöhter Pseudarthrosenrate, vorzeitig notwendiger Metallentfernung sowie Infekte [12, 13].
Zusammenfassend bestehen daher grundsätzlich die 4 nachfolgenden Optionen der Notfallversorgung:
Pilonfrakturen mit
Fibula-Beteiligung
Sprunggelenküberbrückender Fixateur externe
Plattenosteosynthetische Stabilisierung der Fibula in Kombination mit gelenküberbrückendem Fixateur externe bei geeigneter Weichteilsituation
Pilonfrakturen ohne
Fibula-Beteiligung
Ruhigstellung mittels Fixateur externe bei relevantem Weichteilschaden
Ruhigstellung mittels gespaltenem Weiß-Gips bei ausschlussrelevanter tibialer Frakturdislokation und Hochrasanz-Mechanismus ohne Weichteilschwellung (sehr selten anwendbar)
Im Zuge der Primärversorgung muss die definitive Stabilisierung unbedingt beachtet werden. Die Pin- bzw. Schanzschraubenplatzierung sollte das spätere Plattenlager nicht tangieren, da ansonsten Plattenlagerinfekte begünstigt werden können. Des Weiteren kann eine nicht-anatomische Osteosynthese der Fibula die spätere definitive Stabilisierung des OSG erschweren bis unmöglich machen, wenn bspw. Rekurvationen oder Torsionsabweichungen durch die Osteosynthese fixiert wurden. Umgekehrt kann die korrekte Rekonstruktion der Fibula sehr vorteilhaft sein, da neben dem erwähnten Effekt der Weichteilprotektion die operative Zeit der definitiven Versorgung verkürzt werden kann. Allerdings müssen die Zugangswege zum Pilon besonders beachtet werden, um Durchblutungsprobleme bzw. vorprogrammierte Wundheilungsstörungen zu vermeiden. Abbildung 4 gibt einen Überblick über die Perfusionsgebiete (Abb. 4).
Nachteilig kann sich die primäre Stabilisierung der Fibula auswirken, wenn die nachfolgende Versorgung einen antero-lateralen Zugang erfordern würde. Ein weiterer Aspekt stellt eine ausgeprägte metaphysäre Zertrümmerung dar, die ggf. eine Verkürzung notwendig machen sollte. Daher sollte die primäre Stabilisierung der Fibula gut abgewogen werden und bleibt erfahrenen Operateuren vorbehalten.
Zeitpunkt der
Gelenkrekonstruktion
Der Zeitpunkt zur definiten Versorgung wird für geschlossene Frakturen immer noch kontrovers diskutiert. Bei mäßigem Weichteilschaden empfahlen einzelne Kolleginnen und Kollegen die Versorgung innerhalb von 48 Stunden mit Infektkomplikationen von 6 % [14]. Allerdings wird von den gleichen spezialisiert ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen eine ausreichende Expertise empfohlen [14].
Vor diesem Hintergrund sollte daher im Zweifel die Stabilisierung mittels Fixateur externe erfolgen, um eine zweizeitige Versorgung anzustreben, da nicht flächendeckend eine spezialisierte unfallchirurgische Versorgung gewährleistet werden kann.
Rekonstruktion der Gelenkfläche
Trotz guter Rekonstruktionsergebnisse des Gelenkes können insb. bei Hochrasanztraumata irreversible Schäden resultieren [15]. Beispielsweise konnten Murray et al. Apoptosen der Chondozyten zeigen [16]. Weitere Untersuchungen zeigten einen direkten Zusammenhang der einwirkenden Energie des Traumas mit der Ausprägung der chondrozytären Schädigung [17]. Neben der direkten Zellschädigung wurden Veränderungen der extrazellulären Knorpel-Matrix gesehen, die zu Störungen des Knorpelzell-Metabolismus und damit zu posttraumatischen Gelenkdegenerationen führen können [18]. Diese Primärschädigungen können naturgemäß chirurgisch nicht adressiert oder beeinflusst werden.