Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024

Der hintere Kreuzbandersatz
Welche negativen Prädiktoren konnten identifiziert werden?

Tobias Jung, Stephan Oehme

Zusammenfassung:
Das hintere Kreuzband (HKB) besitzt eine Reißfestigkeit von durchschnittlich 739–1627 Newton und ist somit das kräftigste Ligament im Kniegelenk [1]. Verletzungen des HKB sind selten. Die jährliche Inzidenz der isolierten HKB-Ruptur beträgt 1,8 pro 100.000 Einwohner [2, 3]. In über 60 % der HKB-Verletzungen liegt eine Kombinationsverletzung vor [4]. Am häufigsten ist dabei die posterolaterale Gelenkecke betroffen [5]. Die typischen Unfallmechanismen sind das prätibiale Anpralltrauma bei gebeugtem Kniegelenk (dashboard injury) oder der Sturz auf das gebeugte Kniegelenk [6]. Da die Inhibierung der dorsalen Translation der Tibia gegenüber dem Femur bei flektiertem Kniegelenk die Hauptfunktion des HKB darstellt, nimmt es in dieser Position den Großteil der Unfallenergie auf. Weitere Unfallmechanismen, bei denen es zur HKB-Ruptur kommen kann, sind das Hyperextensionstrauma, das Hyperflexionstrauma oder Rotationstraumata, vor allem in Kombination mit einem Varusstress. In diesen Fällen liegt jedoch meistens eine Kombinationsverletzung vor [7]. Die Diagnostik erfolgt in der akuten Phase mittels Magnetresonanztomografie (MRT) und in der chronischen Phase mittels gehaltener Röntgenaufnahmen. Die gehaltenen Röntgenaufnahmen sind der Goldstandard, um die AP-Stabilität des Tibiofemoralgelenkes zu quantifizieren und damit die Funktionsfähigkeit des HKB zu beurteilen [8]. Isolierte HKB-Verletzungen können aufgrund der guten Vaskularisierung des HKB erfolgreich konservativ therapiert werden [9, 10]. Symptomatische, vollständige Rupturen des HKB, die in den gehaltenen Röntgenaufnahmen eine hintere Schublade von mehr als 8 mm im Seitenvergleich aufweisen, sollten für eine operative Therapie in Betracht gezogen werden [11, 12]. HKB-Rupturen in Kombination mit anderen ligamentären Verletzungen sollten der operativen Therapie zugeführt werden. Patientinnen und Patienten mit einer frustranen konservativen Therapie und einer symptomatischen Instabilität kleiner als 8 mm im Seitenvergleich können ebenfalls operativ mittels eines hinteren Kreuzbandersatzes behandelt werden. In solchen Fällen kann ein vorheriger Brace-Test mit dynamischer HKB-Orthese sinnvoll sein. Für die Rekonstruktion des HKB sind eine Vielzahl von Techniken beschrieben. So kann man primär in Einzelbündeltechnik und Doppelbündeltechnik unterscheiden. In der Einzelbündeltechnik wird das anterolaterale (AL-) Bündel rekonstruiert. In der Doppelbündeltechnik wird sowohl das AL-Bündel als auch das posteromediale (PM-) Bündel rekonstruiert. Weiterhin kann man zwischen der transtibialen Tunneltechnik und der tibialen Inlaytechnik unterscheiden. Die tibiale Tunneltechnik wird arthroskopisch assistiert durchgeführt. Für die tibiale Inlaytechnik wird klassischerweise ein offener dorsaler Zugang benötigt. Der Erfolg des hinteren Kreuzbandersatzes hängt von zahlreichen Faktoren ab. In der Literatur wird von Misserfolgsraten von bis zu 35–43 % berichtet [4, 13]. Das Ziel dieses Artikels ist es, die negativen Prädiktoren des hinteren Kreuzbandersatzes auf Grundlage der aktuellen Literatur darzustellen.

Schlüsselwörter:
Hinteres Kreuzband, HKB, Hinterer Kreuzbandersatz, HKB-Rekonstruktion, Therapieversagen

Zitierweise:
Jung T, Oehme S: Der hintere Kreuzbandersatz. Welche negativen Prädiktoren konnten identifiziert werden?
OUP 2024; 13: 284?288
DOI 10.53180/oup.2024.0284-0288

Summary: The posterior cruciate ligament (PCL) has a tensile strength of approximately 739–1627 N, making it the strongest ligament in the knee joint [1]. Isolated PCL injuries are rare, with an annual incidence of 1.8 per 100,000 inhabitants [2, 3]. Concomitant ligamentous injuries occur in approximately 60 % of PCL injuries, with posterolateral corner injuries being the most common [5]. Typical injury mechanisms include a direct blow to the anterior tibia with the knee in flexion (dashboard injury) or a fall onto a flexed knee [6]. The primary function of the PCL is to resist posterior translation of the tibia relative to the femur. During knee flexion, the PCL is under increased tension. Thus, the application of a posteriorly directed force on the tibia of a flexed knee places the PCL under significant strain and, with sufficient force, can lead to PCL rupture. Other mechanisms that can lead to a PCL injury include hyperextension or hyperflexion type injuries, or rotational injuries, especially in combination with varus stress. In these cases, combined injuries are typically present [7].
Diagnosis in the acute phase is performed using magnetic resonance imaging (MRI), and in the chronic phase with stress radiographs. Stress radiographs are the gold standard for quantifying anteroposterior stability of the tibiofemoral joint, thereby assessing PCL functionality [8]. Isolated PCL injuries can be successfully treated conservatively due to the ligament‘s good vascularization [9, 10]. Symptomatic, complete PCL tears showing a posterior drawer of more than 8 mm on stress radiographs compared to the contralateral side should be considered for surgical treatment [11, 12]. PCL tears in combination with other ligamentous injuries should also be treated surgically. Patients with unsuccessful conservative treatment and symptomatic instability of less than 8 mm compared to the contralateral side can also be treated surgically with PCL reconstruction. In such cases, a prior brace test using a dynamic PCL orthosis may be useful.
A variety of techniques have been described for PCL reconstruction. Typically PCL reconstruction is performed using either a single-bundle or double-bundle technique. In the single-bundle technique, the anterolateral (AL) bundle is reconstructed, while in the double-bundle technique, both the AL and the posteromedial (PM) bundles are reconstructed. Further distinctions can be made between the transtibial tunnel technique and the tibial inlay technique. The tibial tunnel technique is performed arthroscopically, whereas the tibial inlay technique traditionally requires an open posterior approach. The success of PCL reconstruction depends on numerous factors. Failure rates of up to 35–43 % have been reported in the literature [4, 13]. The aim of this article is to present the negative predictors of PCL reconstruction based on current literature.

Keywords: Posterior cruciate ligament, PCL, posterior cruciate ligament reconstruction, treatment failure

Citation: Jung T, Oehme S: Posterior cruciate ligament reconstruction. Which negative predictors can be identified?
OUP 2024; 13: 284?288. DOI 10.53180/oup.2024.0284-0288

Center for Musculoskeletal Surgery, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Begleitverletzungen

In der Mehrzahl der Fälle liegt eine Verletzung des HKB als Kombinationsverletzung vor [14]. Die korrekte Diagnostik und Therapie der Begleitverletzungen ist für den Therapieerfolg des hinteren Kreuzbandersatzes entscheidend. Um Seitenbandverletzungen zu diagnostizieren ist die klinische Untersuchung des Kniegelenks durch Varus- und Valgusstress in Extension und 30°-Knieflexion obligat. Des Weiteren sollte der hintere Schubladentest immer auch in Kombination mit der Innen- und Außenrotation des Unterschenkels durchgeführt werden, um Kombinationsverletzungen mit der posterolateralen und posteromedialen Gelenkecke zu identifizieren. Zusätzlich ist die Durchführung des Dial-Tests, welcher erstmals von Noyes et al. beschrieben wurde, in der klinischen Untersuchung von Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf eine Verletzung des hinteren Kreuzbandes unverzichtbar [15]. Der Dial-Test wird vorzugsweise in Bauchlage und bei 30°- und 90°-Knieflexion durchgeführt. Eine vermehrte Außenrotation von mehr als 10° wird als positiv gewertet und deutet auf eine Verletzung der posterolateralen Gelenkecke hin [16]. Insbesondere die Kombinationsverletzungen mit der posterolateralen Gelenkecke dürfen nicht übersehen werden. Die posterolaterale Gelenkecke ist nach dem HKB der sekundäre posteriore Stabilisator des Tibiofemoralgelenkes. So konnten Sekiya et al. in ihrer biomechanischen Studie nachweisen, dass die gemeinsame Durchtrennung von Strukturen der posterolateralen Gelenkecke und des HKB zu einer deutlichen Zunahme der tibiofemoralen posterioren Instabilität im Vergleich zur isolierten Durchtrennung des HKB führt [17]. Harner et al. konnten zeigen, dass es im Rahmen einer funktionellen Insuffizienz der posterolateralen Gelenkecke zu einer deutlichen Mehrbelastung des hinteren Kreuzbandersatzes kommt. Somit stellt eine Insuffizienz der posterolateralen Gelenkecke eine potentielle Ursache für ein Transplantatversagen dar [18]. Insofern ist die Anfertigung präoperativer gehaltener Röntgenaufnahmen zur Beurteilung des Ausmaßes der posterioren Instabilität essenziell (Abb. 1). Ab 12 mm Seitenunterschied in der hinteren Schublade bei gehaltenen Röntgenaufnahmen kann man von einer Begleitverletzung ausgehen und eine Kombinationsversorgung mit Rekonstruktion der posterolateralen oder posteromedialen Gelenkecke ist indiziert [19].

Zeitpunkt der operativen Versorgung

Eine hintere Kreuzbandverletzung führt zu einer Instabilität des Kniegelenks [20]. Diese Instabilität führt im chronischen Status zur Degeneration im medialen und patellofemoralen Kompartiment des Kniegelenks [21]. Demgemäß sollten Verletzungen des hinteren Kreuzbandes mit einer ausgeprägten Instabilität zeitnah der operativen Versorgung zugeführt werden. Zsidai et al. konnten eine deutlich erhöhte Rate an Knorpelschäden und Folgeeingriffen am Meniskus nachweisen, wenn die operative kombinierte HKB-Rekonstruktion verzögert stattgefunden hatte [22]. Außerdem sollten im chronischen Status unbedingt gehaltene Aufnahmen zur Evaluation der vorderen Schublade durchgeführt werden, um eine fixierte hintere Schublade auszuschließen. Eine fixierte hintere Schublade ist dadurch definiert, dass bei der Durchführung der gehaltenen Röntgenaufnahmen die Tibia bei nach anterior applizierter Kraft in der hinteren Schublade verbleibt und nicht in Neutralstellung zu bringen ist. Im Falle der Diagnose einer fixierten hinteren Schublade, sollte diese vor der Durchführung eines hinteren Kreuzbandersatzes therapiert werden [23].

Geschlecht

Männer sind im Verhältnis 3:1 häufiger von einer Verletzung des hinteren Kreuzbandes betroffen als Frauen [2, 18]. In einer Matched-Group-Analyse des eigenen Patientenkollektivs konnte ein besseres biomechanisches Outcome bei Frauen im Vergleich zu Männern nachgewiesen werden [25]. Eine vermeintliche Quadrizepsdominanz in der Rehabilitationsphase sowie eine unterschiedliche Compliance in der postoperativen Nachbehandlung könnten dieses Ergebnis erklären.

Biomechanische Aspekte

Bernhardson et al. konnten in ihrer Kadaverstudie nachweisen, dass mit einer vermehrten Abflachung des dorsalen tibialen Slopes die Kräfte, die auf ein HKB-Transplantat wirken, zunehmen [26]. Übereinstimmend mit diesen Erkenntnissen konnten Gwinner et al. nachweisen, dass eine vermehrte Abflachung des dorsalen tibialen Slopes mit einer signifikant höheren postoperativen hinteren Schublade im Seitenvergleich sowie mit einer geringeren Reduktion der hinteren Schublade nach HKB-Rekonstruktion verbunden ist [27]. Winkler et al. konnten in ihrer Arbeit einen flachen dorsalen tibialen Slope als alleinigen Risikofaktor für ein Transplantatversagen nach HKB-Rekonstruktion herausstellen [28]. Auch Yoon et al. konnten in ihrer Analyse ein vermehrtes Transplantatversagen bei einem flachen dorsalen tibialen Slope nachweisen [29]. Somit sollte der dorsale tibiale Slope präoperativ vor geplantem hinteren Kreuzbandersatz immer bestimmt werden und bei einem sehr flachen dorsalen tibialen Slope eine Slope-Korrektur in Erwägung gezogen werden [30].

Ein weiterer potenzieller biomechanischer Risikofaktor für ein Transplantatversagen nach hinterem Kreuzbandersatz stellt das Varus-Malalignment dar. Noyes et al. führten in ihrer Analyse 31 % der Transplantatversagen auf ein Varus-Malalignment zurück [31]. Folglich sollte bei klinischem Verdacht auf ein Varus-Malalignment präoperativ eine Ganzbeinaufnahme angefertigt werden und bei Vorliegen eines Varus Malalignments ein zweizeitiges Verfahren mit einer Korrekturosteotomie und anschließender Bandrekonstruktion erwogen werden.

Transplantatwahl

Zum hinteren Kreuzbandersatz stehen verschiedene Transplantatoptionen zur Verfügung. Zunächst kann man zwischen einem Spendertransplantat, einem Allograft, und einem körpereigenen Transplantat, einem Autograft, unterscheiden. Autografts besitzen im Vergleich zu den Allografts bessere biomechanische Eigenschaften wie eine bessere Reißfestigkeit und ein besseres Einheilungsverhalten [32, 33]. In ihrer Metaanalyse konnten Belk et al. nachweisen, dass Patientinnen und Patienten nach autologem hinterem Kreuzbandersatz bessere Ergebnisse in Bezug auf die dorsale tibiale Translation im Vergleich zur Versorgung mittels allogenem hinterem Kreuzbandersatz aufwiesen [34]. Im Gegensatz zum vorderen Kreuzbandersatz konnte für den hinteren Kreuzbandersatz bisher jedoch kein Vorteil des Autografts im Vergleich zum Allograft in Bezug auf das subjektive klinische Outcome und für das Risiko eines Transplantatversagens gezeigt werden [35].

Für die Versorgung mittels Allograft stehen allogene Achillessehnen, Tibialis posterior-Sehnen, Quadrizepssehnen, Patellasehnen und Peroneus-longus-Sehnen zur Verfügung. Die Vorteile der Verwendung eines Allografts bestehen aus einer kürzeren OP-Zeit und dem Wegfall des Risikos einer Entnahmemorbidität. Außerdem ist die Verwendung von Allografts besonders nützlich in Fällen, in denen ein Mangel an autologen Transplantatquellen besteht, wie z.B. bei Multiligamentverletzungen oder bei komplexen Revisionen. Obwohl Allografts im Allgemeinen als äußerst sicher gelten, ist das potenzielle Risiko einer infektiösen Krankheitsübertragung vorhanden. Ein weiterer Nachteil von allogenen Transplantaten sind die damit verbundenen Mehrkosten, welche durch die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland nicht regulär erstattet werden. Auch die gegebenenfalls begrenzte Verfügbarkeit ist ein Nachteil der Verwendung von Allografts.

Für die Versorgung mittels Autograft stehen das Hamstringtransplantat, das Quadrizepssehnentransplantat, das Patellasehnentransplantat sowie der Peroneus-longus-Split-Graft zur Verfügung. Die Versorgung mittels Patella- oder Quadrizepssehnentransplantat scheint mit einem erhöhten Risiko für einen vorderen Knieschmerz einherzugehen und birgt das Risiko einer Patellafraktur [36]. Vorteilhaft ist die Möglichkeit einer knöchernen Einheilung mittels Knochenblock im Gegensatz zur Sehnen-zu-Knochen-Heilung bei einem autologen Hamstringtransplantat oder einem Peroneus-longus-Split-Graft. Bei der Verwendung eines autologen Quadrizepssehnentransplantates oder eines autologen Patellasehnentransplantates sollte die Schwächung des zum HKB synergistisch wirkendenden Streckapparates bedacht werden [37]. Bei der Verwendung eines autologen Hamstringtransplantates sollte die Schwächung der aktiven medialen Stabilisatoren des Knies berücksichtigt werden. Bei bestimmten sportlichen Aktivitäten und bei begleitenden Läsionen des medialen Seitenbandes und/oder der posteromedialen Gelenkecke kann dies für das Outcome relevant sein. Verschiedene Studien haben autologe Transplante zum hinteren Kreuzbandersatz miteinander verglichen [38, 39]. Eine Überlegenheit bezüglich des klinischen Outcomes eines autologen Transplantes im Vergleich zu einem anderen autologen Transplantat konnte bisher nicht gezeigt werden. Zhao et al. konnten jedoch eine Überlegenheit eines 7-fach gelegten Hamstringtransplantats mit einer durchschnittlichen Transplantatdicke von 9,5 mm gegenüber einem 4-fach gelegten Hamstringtransplantat mit einer durchschnittlichen Transplantatdicke von 7 mm in Bezug auf die posteriore tibiale Stabilität und das klinische Outcome nachweisen [40]. Somit sollten verwendete Transplantate einen Durchmesser von mindestens 9 mm bei einer Gesamtlänge von mindestens 10 cm haben, um das operative Ergebnis nicht zu gefährden (Abb. 2).

Operationstechniken

Es existiert eine Vielzahl von beschriebenen Operationstechniken zum hinteren Kreuzbandersatz. Allgemein kann man zwischen der Einzelbündeltechnik und der Doppelbündeltechnik unterscheiden. In der Einzelbündeltechnik wird das AL-Bündel rekonstruiert. In der Doppelbündeltechnik werden sowohl das AL-Bündel als auch das PM-Bündel rekonstruiert. Zahlreiche Studien haben die Einzelbündeltechnik mit der Doppelbündeltechnik direkt verglichen [41–44]. In biomechanischen Studien zeigte die Doppelbündeltechnik eine bessere Wiederherstellung der posterioren tibiofemoralen Stabilität. Auch eine bessere Wiederherstellung der Rotationsstabilität konnte in biomechanischen Studien nachgewiesen werden [45]. Zwei aktuelle Metaanalysen von Migliorini et al. und Krott et al. konnten die bessere Wiederherstellung der posterioren tibiofemoralen Stabilität nach Doppelbündelrekonstruktion im Vergleich zur Einzelbündelrekonstruktion in den gehaltenen Röntgenaufnahmen in klinischen Studien nachweisen [46, 47]. Jedoch konnten beide Metaanalysen keine Überlegenheit der einen Technik gegenüber der anderen Technik in Bezug auf Transplantatversagen oder klinisches Outcome aufzeigen. Beide Metaanalysen kamen unabhängig voneinander zu dem Schluss, dass beide Techniken nach aktuellem Wissensstand gleichwertige funktionelle Ergebnisse liefern. Beachten sollte man hierbei jedoch, dass die Doppelbündeltechnik die komplexere Rekonstruktionstechnik mit längerer Operationszeit und einem vermeintlich größeren Transplantatverbrauch darstellt. Nach aktuellen Erkenntnissen sollte bei beiden Techniken Reste des nativen Kreuzbandes erhalten bleiben (sog. Remnant-Preservation-Technik) [48]. Diese Technik birgt biomechanische Vorteile, um den sogenannten „Killer-Turn“ abzumildern, sowie Einheilung und Tiefensensibilität des hinteren Kreuzbandersatzes zu verbessern [49].

Ein weiterer Aspekt der unterschiedlichen Operationstechniken ist die tibiale Verankerung des hinteren Kreuzbandersatzes. Hier unterscheidet man zwischen der transtibialen Tunneltechnik und der tibialen Inlaytechnik [11]. In der transtibialen Tunneltechnik wird ein transtibialer Bohrkanal in Richtung der dorsalen, tibialen Insertion des HKB angefertigt. In der tibialen Inlaytechnik wird das Transplantat mit einer direkten Fixierung an der dorsalen Tibia befestigt. Die transtibiale Tunneltechnik wird arthroskopisch assistiert durchgeführt. Die tibiale Inlaytechnik wird in der Regel mittels eines offenen dorsalen Zugangs durchgeführt. Eine Überlegenheit bezüglich des klinischen Outcomes konnte bisher für keine der beiden Techniken gezeigt werden. Lee et al. konnten jedoch in ihrer Metaanalyse weniger perioperative Komplikationen der transtibialen Tunneltechnik im Vergleich zur tibialen Inlaytechnik nachweisen [50].

Unabhängig von der Verankerung ist eine anatomische Tunnelplatzierung obligat (Abb. 3). Eine nicht-anatomisch angelegte Tunnelplatzierung führt zu einer biomechanischen Insuffizienz des hinteren Kreuzbandersatzes [51]. So konnten Lee et al. in ihrer Studie 41 % der fehlgeschlagenen hinteren Kreuzbandrekonstruktionen auf eine Tunnelfehlplatzierung zurückführen [52]. Noyes et al. fanden in ihrer Analyse in 33 % der Fälle eine Tunnelfehlplatzierung als Grund für ein Transplantatversagen nach hinterem Kreuzbandersatz [31]. Zur Wiederherstellung der nativen Kniegelenkskinematik ist auch der ideale Knieflexionswinkel während der Transplantatfixierung wichtig. Es konnte gezeigt werden, dass Transplantat-Fixationswinkel zwischen 75° bis 105° zur Fixierung des AL-Bündels am besten geeignet sind, um die native Kniegelenkskinematik wiederherzustellen [53].

In der Gesamtschau ist der Erfolg eines hinteren Kreuzbandersatzes von multiplen Faktoren abhängig und erfordert somit eine besondere chirurgische Expertise und eine umfassende Erfahrung auf diesem Gebiet. Aus diesem Grund sollte der hintere Kreuzbandersatz nur an spezialisierten Zentren durchgeführt werden. So konnten Tucker et al. in ihrer Studie exemplarisch nachweisen, dass Berufssoldaten, die an spezialisierten Zentren versorgt wurden, ein besseres klinisches Outcome besaßen und mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit ihren Militärdienst fortsetzen konnten, als jene, die an nicht spezialisierten Zentren versorgt wurden [13].

Fazit

Der Erfolg eines hinteren Kreuzbandersatzes hängt von vielen Faktoren ab, einschl. Begleitverletzungen, Operationszeitpunkt, biomechanischen Gegebenheiten, Transplantatwahl und Operationstechnik. Eine umfassende chirurgische Expertise und Erfahrung sind notwendig, um die besten Ergebnisse zu erzielen. Der Eingriff sollte idealerweise in spezialisierten Zentren durchgeführt werden, um die Erfolgsrate zu erhöhen.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Tobias Jung

Centrum für Muskuloskeletale
Chirurgie

Sektion Kniechirurgie und
Sporttraumatologie

Charité – Universitätsmedizin Berlin

Charitéplatz 1

10117 Berlin

tobias.jung@charite.de

Dr. med. Stephan Oehme

Centrum für Muskuloskeletale
Chirurgie

Sektion Kniechirurgie und
Sporttraumatologie

Charité – Universitätsmedizin Berlin

Charitéplatz 1

10117 Berlin

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