Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024
Der hintere KreuzbandersatzWelche negativen Prädiktoren konnten identifiziert werden?
Keywords: Posterior cruciate ligament, PCL, posterior cruciate ligament reconstruction, treatment failure
Citation: Jung T, Oehme S: Posterior cruciate ligament reconstruction. Which negative predictors can be identified?
OUP 2024; 13: 284?288. DOI 10.53180/oup.2024.0284-0288
Center for Musculoskeletal Surgery, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Begleitverletzungen
In der Mehrzahl der Fälle liegt eine Verletzung des HKB als Kombinationsverletzung vor [14]. Die korrekte Diagnostik und Therapie der Begleitverletzungen ist für den Therapieerfolg des hinteren Kreuzbandersatzes entscheidend. Um Seitenbandverletzungen zu diagnostizieren ist die klinische Untersuchung des Kniegelenks durch Varus- und Valgusstress in Extension und 30°-Knieflexion obligat. Des Weiteren sollte der hintere Schubladentest immer auch in Kombination mit der Innen- und Außenrotation des Unterschenkels durchgeführt werden, um Kombinationsverletzungen mit der posterolateralen und posteromedialen Gelenkecke zu identifizieren. Zusätzlich ist die Durchführung des Dial-Tests, welcher erstmals von Noyes et al. beschrieben wurde, in der klinischen Untersuchung von Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf eine Verletzung des hinteren Kreuzbandes unverzichtbar [15]. Der Dial-Test wird vorzugsweise in Bauchlage und bei 30°- und 90°-Knieflexion durchgeführt. Eine vermehrte Außenrotation von mehr als 10° wird als positiv gewertet und deutet auf eine Verletzung der posterolateralen Gelenkecke hin [16]. Insbesondere die Kombinationsverletzungen mit der posterolateralen Gelenkecke dürfen nicht übersehen werden. Die posterolaterale Gelenkecke ist nach dem HKB der sekundäre posteriore Stabilisator des Tibiofemoralgelenkes. So konnten Sekiya et al. in ihrer biomechanischen Studie nachweisen, dass die gemeinsame Durchtrennung von Strukturen der posterolateralen Gelenkecke und des HKB zu einer deutlichen Zunahme der tibiofemoralen posterioren Instabilität im Vergleich zur isolierten Durchtrennung des HKB führt [17]. Harner et al. konnten zeigen, dass es im Rahmen einer funktionellen Insuffizienz der posterolateralen Gelenkecke zu einer deutlichen Mehrbelastung des hinteren Kreuzbandersatzes kommt. Somit stellt eine Insuffizienz der posterolateralen Gelenkecke eine potentielle Ursache für ein Transplantatversagen dar [18]. Insofern ist die Anfertigung präoperativer gehaltener Röntgenaufnahmen zur Beurteilung des Ausmaßes der posterioren Instabilität essenziell (Abb. 1). Ab 12 mm Seitenunterschied in der hinteren Schublade bei gehaltenen Röntgenaufnahmen kann man von einer Begleitverletzung ausgehen und eine Kombinationsversorgung mit Rekonstruktion der posterolateralen oder posteromedialen Gelenkecke ist indiziert [19].
Zeitpunkt der operativen Versorgung
Eine hintere Kreuzbandverletzung führt zu einer Instabilität des Kniegelenks [20]. Diese Instabilität führt im chronischen Status zur Degeneration im medialen und patellofemoralen Kompartiment des Kniegelenks [21]. Demgemäß sollten Verletzungen des hinteren Kreuzbandes mit einer ausgeprägten Instabilität zeitnah der operativen Versorgung zugeführt werden. Zsidai et al. konnten eine deutlich erhöhte Rate an Knorpelschäden und Folgeeingriffen am Meniskus nachweisen, wenn die operative kombinierte HKB-Rekonstruktion verzögert stattgefunden hatte [22]. Außerdem sollten im chronischen Status unbedingt gehaltene Aufnahmen zur Evaluation der vorderen Schublade durchgeführt werden, um eine fixierte hintere Schublade auszuschließen. Eine fixierte hintere Schublade ist dadurch definiert, dass bei der Durchführung der gehaltenen Röntgenaufnahmen die Tibia bei nach anterior applizierter Kraft in der hinteren Schublade verbleibt und nicht in Neutralstellung zu bringen ist. Im Falle der Diagnose einer fixierten hinteren Schublade, sollte diese vor der Durchführung eines hinteren Kreuzbandersatzes therapiert werden [23].
Geschlecht
Männer sind im Verhältnis 3:1 häufiger von einer Verletzung des hinteren Kreuzbandes betroffen als Frauen [2, 18]. In einer Matched-Group-Analyse des eigenen Patientenkollektivs konnte ein besseres biomechanisches Outcome bei Frauen im Vergleich zu Männern nachgewiesen werden [25]. Eine vermeintliche Quadrizepsdominanz in der Rehabilitationsphase sowie eine unterschiedliche Compliance in der postoperativen Nachbehandlung könnten dieses Ergebnis erklären.
Biomechanische Aspekte
Bernhardson et al. konnten in ihrer Kadaverstudie nachweisen, dass mit einer vermehrten Abflachung des dorsalen tibialen Slopes die Kräfte, die auf ein HKB-Transplantat wirken, zunehmen [26]. Übereinstimmend mit diesen Erkenntnissen konnten Gwinner et al. nachweisen, dass eine vermehrte Abflachung des dorsalen tibialen Slopes mit einer signifikant höheren postoperativen hinteren Schublade im Seitenvergleich sowie mit einer geringeren Reduktion der hinteren Schublade nach HKB-Rekonstruktion verbunden ist [27]. Winkler et al. konnten in ihrer Arbeit einen flachen dorsalen tibialen Slope als alleinigen Risikofaktor für ein Transplantatversagen nach HKB-Rekonstruktion herausstellen [28]. Auch Yoon et al. konnten in ihrer Analyse ein vermehrtes Transplantatversagen bei einem flachen dorsalen tibialen Slope nachweisen [29]. Somit sollte der dorsale tibiale Slope präoperativ vor geplantem hinteren Kreuzbandersatz immer bestimmt werden und bei einem sehr flachen dorsalen tibialen Slope eine Slope-Korrektur in Erwägung gezogen werden [30].
Ein weiterer potenzieller biomechanischer Risikofaktor für ein Transplantatversagen nach hinterem Kreuzbandersatz stellt das Varus-Malalignment dar. Noyes et al. führten in ihrer Analyse 31 % der Transplantatversagen auf ein Varus-Malalignment zurück [31]. Folglich sollte bei klinischem Verdacht auf ein Varus-Malalignment präoperativ eine Ganzbeinaufnahme angefertigt werden und bei Vorliegen eines Varus Malalignments ein zweizeitiges Verfahren mit einer Korrekturosteotomie und anschließender Bandrekonstruktion erwogen werden.
Transplantatwahl
Zum hinteren Kreuzbandersatz stehen verschiedene Transplantatoptionen zur Verfügung. Zunächst kann man zwischen einem Spendertransplantat, einem Allograft, und einem körpereigenen Transplantat, einem Autograft, unterscheiden. Autografts besitzen im Vergleich zu den Allografts bessere biomechanische Eigenschaften wie eine bessere Reißfestigkeit und ein besseres Einheilungsverhalten [32, 33]. In ihrer Metaanalyse konnten Belk et al. nachweisen, dass Patientinnen und Patienten nach autologem hinterem Kreuzbandersatz bessere Ergebnisse in Bezug auf die dorsale tibiale Translation im Vergleich zur Versorgung mittels allogenem hinterem Kreuzbandersatz aufwiesen [34]. Im Gegensatz zum vorderen Kreuzbandersatz konnte für den hinteren Kreuzbandersatz bisher jedoch kein Vorteil des Autografts im Vergleich zum Allograft in Bezug auf das subjektive klinische Outcome und für das Risiko eines Transplantatversagens gezeigt werden [35].