Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024
Der hintere KreuzbandersatzWelche negativen Prädiktoren konnten identifiziert werden?
Für die Versorgung mittels Allograft stehen allogene Achillessehnen, Tibialis posterior-Sehnen, Quadrizepssehnen, Patellasehnen und Peroneus-longus-Sehnen zur Verfügung. Die Vorteile der Verwendung eines Allografts bestehen aus einer kürzeren OP-Zeit und dem Wegfall des Risikos einer Entnahmemorbidität. Außerdem ist die Verwendung von Allografts besonders nützlich in Fällen, in denen ein Mangel an autologen Transplantatquellen besteht, wie z.B. bei Multiligamentverletzungen oder bei komplexen Revisionen. Obwohl Allografts im Allgemeinen als äußerst sicher gelten, ist das potenzielle Risiko einer infektiösen Krankheitsübertragung vorhanden. Ein weiterer Nachteil von allogenen Transplantaten sind die damit verbundenen Mehrkosten, welche durch die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland nicht regulär erstattet werden. Auch die gegebenenfalls begrenzte Verfügbarkeit ist ein Nachteil der Verwendung von Allografts.
Für die Versorgung mittels Autograft stehen das Hamstringtransplantat, das Quadrizepssehnentransplantat, das Patellasehnentransplantat sowie der Peroneus-longus-Split-Graft zur Verfügung. Die Versorgung mittels Patella- oder Quadrizepssehnentransplantat scheint mit einem erhöhten Risiko für einen vorderen Knieschmerz einherzugehen und birgt das Risiko einer Patellafraktur [36]. Vorteilhaft ist die Möglichkeit einer knöchernen Einheilung mittels Knochenblock im Gegensatz zur Sehnen-zu-Knochen-Heilung bei einem autologen Hamstringtransplantat oder einem Peroneus-longus-Split-Graft. Bei der Verwendung eines autologen Quadrizepssehnentransplantates oder eines autologen Patellasehnentransplantates sollte die Schwächung des zum HKB synergistisch wirkendenden Streckapparates bedacht werden [37]. Bei der Verwendung eines autologen Hamstringtransplantates sollte die Schwächung der aktiven medialen Stabilisatoren des Knies berücksichtigt werden. Bei bestimmten sportlichen Aktivitäten und bei begleitenden Läsionen des medialen Seitenbandes und/oder der posteromedialen Gelenkecke kann dies für das Outcome relevant sein. Verschiedene Studien haben autologe Transplante zum hinteren Kreuzbandersatz miteinander verglichen [38, 39]. Eine Überlegenheit bezüglich des klinischen Outcomes eines autologen Transplantes im Vergleich zu einem anderen autologen Transplantat konnte bisher nicht gezeigt werden. Zhao et al. konnten jedoch eine Überlegenheit eines 7-fach gelegten Hamstringtransplantats mit einer durchschnittlichen Transplantatdicke von 9,5 mm gegenüber einem 4-fach gelegten Hamstringtransplantat mit einer durchschnittlichen Transplantatdicke von 7 mm in Bezug auf die posteriore tibiale Stabilität und das klinische Outcome nachweisen [40]. Somit sollten verwendete Transplantate einen Durchmesser von mindestens 9 mm bei einer Gesamtlänge von mindestens 10 cm haben, um das operative Ergebnis nicht zu gefährden (Abb. 2).
Operationstechniken
Es existiert eine Vielzahl von beschriebenen Operationstechniken zum hinteren Kreuzbandersatz. Allgemein kann man zwischen der Einzelbündeltechnik und der Doppelbündeltechnik unterscheiden. In der Einzelbündeltechnik wird das AL-Bündel rekonstruiert. In der Doppelbündeltechnik werden sowohl das AL-Bündel als auch das PM-Bündel rekonstruiert. Zahlreiche Studien haben die Einzelbündeltechnik mit der Doppelbündeltechnik direkt verglichen [41–44]. In biomechanischen Studien zeigte die Doppelbündeltechnik eine bessere Wiederherstellung der posterioren tibiofemoralen Stabilität. Auch eine bessere Wiederherstellung der Rotationsstabilität konnte in biomechanischen Studien nachgewiesen werden [45]. Zwei aktuelle Metaanalysen von Migliorini et al. und Krott et al. konnten die bessere Wiederherstellung der posterioren tibiofemoralen Stabilität nach Doppelbündelrekonstruktion im Vergleich zur Einzelbündelrekonstruktion in den gehaltenen Röntgenaufnahmen in klinischen Studien nachweisen [46, 47]. Jedoch konnten beide Metaanalysen keine Überlegenheit der einen Technik gegenüber der anderen Technik in Bezug auf Transplantatversagen oder klinisches Outcome aufzeigen. Beide Metaanalysen kamen unabhängig voneinander zu dem Schluss, dass beide Techniken nach aktuellem Wissensstand gleichwertige funktionelle Ergebnisse liefern. Beachten sollte man hierbei jedoch, dass die Doppelbündeltechnik die komplexere Rekonstruktionstechnik mit längerer Operationszeit und einem vermeintlich größeren Transplantatverbrauch darstellt. Nach aktuellen Erkenntnissen sollte bei beiden Techniken Reste des nativen Kreuzbandes erhalten bleiben (sog. Remnant-Preservation-Technik) [48]. Diese Technik birgt biomechanische Vorteile, um den sogenannten „Killer-Turn“ abzumildern, sowie Einheilung und Tiefensensibilität des hinteren Kreuzbandersatzes zu verbessern [49].
Ein weiterer Aspekt der unterschiedlichen Operationstechniken ist die tibiale Verankerung des hinteren Kreuzbandersatzes. Hier unterscheidet man zwischen der transtibialen Tunneltechnik und der tibialen Inlaytechnik [11]. In der transtibialen Tunneltechnik wird ein transtibialer Bohrkanal in Richtung der dorsalen, tibialen Insertion des HKB angefertigt. In der tibialen Inlaytechnik wird das Transplantat mit einer direkten Fixierung an der dorsalen Tibia befestigt. Die transtibiale Tunneltechnik wird arthroskopisch assistiert durchgeführt. Die tibiale Inlaytechnik wird in der Regel mittels eines offenen dorsalen Zugangs durchgeführt. Eine Überlegenheit bezüglich des klinischen Outcomes konnte bisher für keine der beiden Techniken gezeigt werden. Lee et al. konnten jedoch in ihrer Metaanalyse weniger perioperative Komplikationen der transtibialen Tunneltechnik im Vergleich zur tibialen Inlaytechnik nachweisen [50].
Unabhängig von der Verankerung ist eine anatomische Tunnelplatzierung obligat (Abb. 3). Eine nicht-anatomisch angelegte Tunnelplatzierung führt zu einer biomechanischen Insuffizienz des hinteren Kreuzbandersatzes [51]. So konnten Lee et al. in ihrer Studie 41 % der fehlgeschlagenen hinteren Kreuzbandrekonstruktionen auf eine Tunnelfehlplatzierung zurückführen [52]. Noyes et al. fanden in ihrer Analyse in 33 % der Fälle eine Tunnelfehlplatzierung als Grund für ein Transplantatversagen nach hinterem Kreuzbandersatz [31]. Zur Wiederherstellung der nativen Kniegelenkskinematik ist auch der ideale Knieflexionswinkel während der Transplantatfixierung wichtig. Es konnte gezeigt werden, dass Transplantat-Fixationswinkel zwischen 75° bis 105° zur Fixierung des AL-Bündels am besten geeignet sind, um die native Kniegelenkskinematik wiederherzustellen [53].
In der Gesamtschau ist der Erfolg eines hinteren Kreuzbandersatzes von multiplen Faktoren abhängig und erfordert somit eine besondere chirurgische Expertise und eine umfassende Erfahrung auf diesem Gebiet. Aus diesem Grund sollte der hintere Kreuzbandersatz nur an spezialisierten Zentren durchgeführt werden. So konnten Tucker et al. in ihrer Studie exemplarisch nachweisen, dass Berufssoldaten, die an spezialisierten Zentren versorgt wurden, ein besseres klinisches Outcome besaßen und mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit ihren Militärdienst fortsetzen konnten, als jene, die an nicht spezialisierten Zentren versorgt wurden [13].