Übersichtsarbeiten - OUP 03/2020

Der patellofemorale Schmerz
Ursachen und Diagnostik

Felix Zimmermann, Peter Balcarek

Zusammenfassung:
Der patellofemorale Schmerz (PFP) ist ein häufig auftretendes Schmerzphänomen, dessen Ursache multifaktoriell ist. Anatomische, funktionelle, biomechanische u.a. Faktoren spielen in der Genese eine Rolle. Ein möglicher Einfluss von sozialen und psychologischen Aspekten ist unklar.

Im Rahmen der Diagnostik haben vor allem die ausführliche Anamnese sowie die klinische Untersuchung mit funktionellen Tests und Übungen entscheidende Bedeutung. Neben dem Ausschluss intraartikulärer Pathologien durch eine entsprechende Bildgebung gilt es zudem, ein anatomisches oder funktionelles Patella-Malalignment zu erkennen bzw. dieses auszuschließen oder zu behandeln.

Schlüsselwörter:
Patellofemoraler Schmerz, Patella-Alignment, Patellatracking, Diagnose, Ursachen

Zitierweise:
Zimmermann F, Balcarek P: Der patellofemorale Schmerz – Ursachen und Diagnostik.
OUP 2020; 9: 140–143 DOI 10.3238/oup.2019.0140–0143

Summary: Patellofemoral pain (PFP) is a frequently observed pain phenomenon of multifactorial origin. Anatomical, functional, biomechanical and other factors play a role in its etiopathogenesis. The influence of social and psychological aspects remains unclear.

The diagnostics should include a detailed medical history and a thorough clinical examination in which functional tests and exercises are of decisive importance. In addition, musculoskeletal imaging should focus on the exclusion of intra-articular pathologies and on the assessment of an anatomical or functional patellar malalignment, with potential implication of treatment.

Keywords: patellofemoral pain, patella alignment, patella tracking, diagnosis, etiology

Citation: Zimmermann F, Balcarek P: Patellofemoral pain – etiology and diagnosis.
OUP 2020; 9: 140–143 DOI 10.3238/oup.2019.0140–0143

Felix Zimmermann: ARCUS Sportklinik Pforzheim und BG Klinik Ludwigshafen

Peter Balcarek: ARCUS Sportklinik Pforzheim

Der patellofemorale Schmerz (patellofemoral pain, PFP) ist mit einer Prävalenz von 3?40 % und einer Inzidenz von 22/100.000 ein häufig auftretendes Schmerzphänomen, von welchem vor allem der weibliche, junge und sportlich aktive Patient betroffen ist [5, 6, 37]. Die Behandlung dieser Patienten ist häufig langwierig und zeigt mittel- bis langfristig durchaus hohe Versagensraten. Im 5-Jahres-Follow-up eines Rehabilitationsprogramms bei Patienten mit patellofemoralem Schmerz gaben 80 % der Teilnehmer weiterhin Schmerzen an und 74 % klagten über ein anhaltend vermindertes Aktivitätslevel [12]. Weiterhin zeigte sich in aktuellen Studien, dass ein chronischer patellofemoraler Schmerz, zumindest bei einem Teil der Patienten, zur Entwicklung einer Patellofemoralarthrose prädisponiert [9, 17, 51]. Dies unterstreicht die Bedeutung dieses Krankheitsbildes. Die Ursachen des PFP sind multifaktoriell. Anatomische, biomechanische, psychologische, soziale u.a. Faktoren spielen in der Genese eine Rolle.

Der genaue Pathomechanismus zur Entstehung des PFP ist bisher weiter unklar. In dem 2017 von Powers et al. veröffentlichten Konsensusstatement wurde ein pathophysiologisches Modell zur Entstehung des PFP erstellt. Grundlage dieses Modells ist, dass verschiedene Ursachen (anatomisch, funktionell u.a.) eine Zunahme des retropatellaren Anpressdrucks im Patellofemoralgelenk bedingen können, welche zum patellofemoralen Schmerz beitragen bzw. mit diesem assoziiert sein können. Unterschieden werden in diesem pathophysiologischen Modell Ursachen, die zu einer verringerten patellotrochleären Kontaktfläche führen von denen, die direkt den Anpressdruck im Patellofemoralgelenk erhöhen [41] (Abb. 1).

Der genaue Pathomechanismus zwischen retropatellarem Anpressdruck und der Entstehung des patellofemoralen Schmerzes bleibt aber weiter unklar. Dye beschreibt einen Verlust „der Gewebehomöostase“ mit inflammatorischer Reaktion und verändertem Metabolismus im Gelenk als mögliche Verknüpfung zwischen den veränderten Druckverhältnissen und dem Schmerzerleben [16]. Auch der Einfluss der patientenindividuellen Schmerzverarbeitung sowie somatosensorischer, sensomotorischer und psychologischer Faktoren ist noch nicht abschließend geklärt [41]. Maclachlan et al. analysierten, dass Patienten mit PFP häufiger an Angststörungen, Depressionen, Katastrophisierung und einer Bewegungsangst leiden und diese Pathologien mit dem Schmerzlevel und dem reduzierten Funktionslevel korrelieren [36].

In der folgenden Übersichtsarbeit sollen die wichtigsten Ursachen für den patellofemoralen Schmerz erörtert und das diagnostische Vorgehen erläutert werden.

Ursachen

Sowohl strukturelle als auch neuromuskuläre Faktoren beeinflussen die Biomechanik im Patellofemoralgelenk. Während die Patella streckgelenksnah vor allem weichteilig stabilisiert wird, übernehmen mit zunehmender Kniegelenksflexion knöcherne Einflüsse die Stabilisierung der Patella und beeinflussen damit den Lauf der Patella im Patellofemoralgelenk, das sogenannte Patellatracking. Vor allem muskuläre, ligamentäre und knöcherne Veranlagungen beeinflussen das Patellatracking. Ein durch eine pathologische Veränderung dieser Strukturen bedingtes Patellamaltracking kann durch eine verringerte patellotrochleäre Kontaktfläche zu einer Mehrbelastung im Patellofemoralgelenk führen und so einen PFP auslösen [41].

Der M. quadriceps mit seinen verschiedenen Anteilen ist der wichtigste muskuläre Stabilisator der Patella. Kaya et al. konnten zeigen, dass bei Patienten mit PFP eine generalisierte Atrophie des Quadriceps vorliegen kann [30]. Aber auch ein Missverhältnis zwischen M. vastus medialis und lateralis bzw. ein relativ verspätetes Aktivieren des Vastus obliquus-Anteils kann ein Patellamaltracking mit konsekutivem PFP begünstigen [8]. Die Gruppe um Lorenz et al. konnte dies in einer in-vitro Studie zeigen. Eine nach lateral gerichtete Kraft, im Sinne einer muskulären Dysbalance zugunsten des Vastus lateralis, führte zu einem verstärkten Patella-Tilt, einer Patellarotation und einer Patellalateralisierung [33].

Die Bedeutung der erhöhten Femurantetorsion für die Entitäten Patellainstabilität und patellofemoraler Schmerz hat sich in der Literatur zunehmend etabliert [20, 29, 44]. Eine vermehrte femorale Antetorsion kann eine relative Lateralisation der Patella bedingen, die Möglichkeit der Patellaluxation nach lateral erleichtern und gleichzeitig zu einem erhöhten Anpressdruck, vor allem der lateralen Patellafacette, führen [44]. Liska et al. konnten in ihrer biomechanischen Untersuchung die veränderten retropatellaren Druckbelastungen bei erhöhter Fermurantetorsion aufzeigen und gleichzeitig belegen, dass eine derotierende Femurosteotomie zu einer Veränderung der Druckverhältnisse führt [32]. Dies entspricht den klinischen Daten von Dickschas et al., die durch eine derotierende Osteotomie eine signifikante Schmerzreduktion bei Patienten mit erhöhter Femurantetorsion und patellofemoralem Schmerz beobachten konnten [14].

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