Übersichtsarbeiten - OUP 03/2024
Diagnostikstandards Knorpeltherapie Knie, OSG, Hüfte
Steffen Thier, Christoph Becher, Alexander Zimmerer
Zusammenfassung:
Die stadiengerechte Behandlung von Gelenkknorpelschäden zielt darauf ab, die Gelenkfunktion zu verbessern und die Entwicklung von Arthrose zu verlangsamen oder zu verhindern. Ein tiefgreifendes Verständnis der biomechanischen Einflüsse hat zu genaueren präoperativen Analysen geführt, die eine individuelle Anpassung der Therapien ermöglichen. Dabei werden patientenspezifische Faktoren wie Alter und Aktivitätsniveau berücksichtigt. Diagnostische Verfahren wie ausführliche Anamnese und moderne Bildgebung sind essenziell, um das Schadensausmaß präzise zu bestimmen und eine effektive Behandlung zu planen.
Schlüsselwörter:
Diagnostik, Knorpel, MRT, Röntgen, Untersuchung
Zitierweise:
Thier S, Becher C, Zimmerer A: Diagnostikstandards Knorpeltherapie Knie, OSG, Hüfte
OUP 2024; 13: 99–105
DOI 10.53180/oup.2024.0099-0105
Summary: Stage-appropriate treatment of joint cartilage damage aims to improve joint function and slow down or prevent the development of osteoarthritis. A deep understanding of biomechanical influences has led to more precise preoperative analyses, allowing for individual adjustment of therapies. Patient-specific factors such as age and activity level are considered. Diagnostic procedures like detailed medical history and modern imaging are essential to determine the extent of damage and plan effective treatment accurately.
Keywords: Diagnostics, cartilage, MRI, radiograph, examination
Citation: Thier S, Becher C, Zimmerer A: Diagnostic standards for cartilage therapy: knee, ankle, hip
OUP 2024; 13: 99–105. DOI 10.53180/oup.2024.0099-0105
A. Zimmerer: Diakonieklinikum Stuttgart
C. Becher, S. Thier: ATOS Klinik Heidelberg
Einleitung
Die Diagnose und Untersuchung von Gelenkknorpelschäden stellen einen wichtigen Pfeiler in der stadiengerechten Behandlung dar, die darauf abzielt, die Gelenkfunktion zu erhalten und die Progression von Arthrose zu verlangsamen. In diesem Artikel wird die Bedeutung einer umfassenden Anamnese und der Einsatz fortschrittlicher bildgebender Verfahren zur genauen Erfassung und Bewertung von Knorpelschäden erörtert. Besonderes Augenmerk wird auf die Diagnostik gelegt, die eine detaillierte symptomorientierte Anamnese und Untersuchung einschließt. Zusätzlich wird die Rolle moderner Diagnosestandards wie dem Röntgen oder der Magnetresonanztomographie (MRT) hervorgehoben. Dieser Beitrag betont, wie entscheidend eine genaue initiale Bewertung und kontinuierliche Überwachung für die Planung einer effektiven Behandlungsstrategie sind und stützt sich dabei auf die aktuellen Richtlinien und Empfehlungen.
Diagnostikstandards
Knorpeltherapie Knie
Das Ziel der stadiengerechten Behandlung eines Gelenkknorpelschadens ist die Wiederherstellung der Gelenkoberfläche und des subchondralen Knochens, um die Gelenkfunktion und Symptomatik der Patientin/des Patienten zu verbessern. Idealerweise wird hierdurch die Entwicklung einer Arthrose verlangsamt bzw. verhindert [35].
Nach der Etablierung der Mikrofrakturierung in den 60er Jahren und Einführung der autologen Knorpelzelltransplantation in den 90er Jahren kam es zu einer stetigen Weiterentwicklung existierender Verfahren und Einführung neuer Techniken [5, 25]. Das zunehmende Verständnis biomechanischer Einflussfaktoren auf das Knorpelgewebe führte zu einer sorgfältigeren präoperativen Analyse von möglichen Begleitpathologien in Rahmen von Knorpelschäden.
Klinische Kontextfaktoren wie Alter, Gewicht, Raucherstatus, Defektgröße, Beinachse sowie Aktivitätsanspruch fließen in die Entscheidung der adäquaten Knorpeltherapie mit ein. Resultierend ergibt sich eine patientenindividuelle Anpassung der entsprechenden Knorpelersatztherapie [26].
Dieser Abschnitt wird in Anlehnung an die bereits mehrfach publizierten Handlungsempfehlungen der Arbeitsgemeinschaft für klinische Geweberegeneration der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) erstellt [24].
Anamnese und Untersuchung
Grundsätzlich steht zu Anfang jeder Diagnostik eine symptomorientierte Anamnese der Patientin/des Patienten. Handelt es sich um einen traumaassoziierten oder degenerativ bedingten Knorpelschaden mit graduell zunehmender Symptomatik? Daher sollte immer nach dem Beschwerdebeginn gefragt werden, da die verlängerte präoperative Symptomdauer einen negativen Einfluss auf das postoperative Behandlungsergebnis zu nehmen scheint [32]. Zudem kann das sportliche Anforderungsprofil mögliche Hinweise auf zurückliegende Traumata geben. Dies ist insofern wichtig, weil auch bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten Knorpelschäden nachgewiesen werden konnten [8]. Eine Familienanamnese sollte ebenfalls zum Ausschluss von Erkrankungen im rheumatoiden Formenkreis oder ähnlichen disponierenden Gelenkerkrankungen durchgeführt werden.
Prognostische Einflussfaktoren wie das Alter, Geschlecht, Body-Mass- Index (BMI) sowie mögliche Vorschädigungen bzw. Voroperationen sollten grundsätzlich erfragt werden [11]. Die kürzlich publizierten Handlungsempfehlungen der DGOU führten zur Definition von sog. Red Flags und Yellow Flags für die Durchführung von knorpelregenerativen Eingriffen, die auch in ähnlicher Weise bei anderen medizinischen Indikationskriterien bereits etabliert wurden (Tab. 1) [26].
Die klinische Symptomatik von Patientinnen und Patienten mit Knorpelschäden ist meistens sehr heterogen und unspezifisch. Diagnostische Tests mit einer hohen Sensitivität bzw. Spezifizität existieren nicht [2].
Im Rahmen von traumatisch bedingten Knorpelschäden können eine Ergussbildung sowie äußere Prellmarken hinweisend sein, degenerative Knorpelschäden können sich jedoch ebenfalls durch rezidivierende belastungsabhängige Ergüsse bemerkbar machen. Das Leitsymptom Schmerz ist im Rahmen einer klinischen Untersuchung in Bezug auf Knorpelschäden äußerst unspezifisch. Das Knorpelgewebe an sich besitzt keine Nervenzellen, sodass die Schmerzen im Rahmen einer Knorpelschädigung am ehesten durch die Reaktion des subchondralen Knochen bzw. einer umgebenden Synovitis ausgelöst werden [7, 21]. Auch Geräuschphänomene wie das typische Krepitieren sind kein eindeutiger Hinweis auf das Vorliegen eines Knorpelschadens [27]. Augenmerk sollte insbesondere auf die Detektion von prädisponierenden Faktoren gelegt werden. Diese können multifaktoriell sein. Ligamentäre Instabilitäten, Achsdeformitäten (Valgus/Varus), Torsionsfehlstellungen in Bezug auf ein patellofemorales Maltracking sollten durch die einschlägigen Tests beurteilt werden.
In Anlehnung an die Handlungsempfehlung der DGOU wird zunächst die nativ radiologische Darstellung des Kniegelenks in 3 Ebenen empfohlen (AP, seitlich sowie Patella tangential) [24]. Hierdurch kann eine erste Beurteilung des Kniegelenks hinsichtlich offener Wachstumsfugen, einer Patella alta, der Konfiguration des trochlearen Gleitlagers sowie der Arthrosegrad des Gelenkes eingeschätzt werden. Die röntgenologische Einteilung der Arthrose nach Kellgren und Lawrence wird in vielen Leitlinien erwähnt, ein Stadium abhängiger Schwellenwert wurde bis dato jedoch nicht abschließend definiert [29]. Die entsprechenden Handlungsempfehlungen werten jedoch eine Arthrose ? 2° als Red Flag für einen knorpelregenerativen Eingriff.