Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024
Die anteromediale und anterolaterale Stabilisierung des KniegelenksEin Überblick
Dustin Franke, Peter Angele, Johannes Zellner
Zusammenfassung:
Periphere Rotationsinstabilitäten können auch nach primärer Stabilisierung mittels einer Kreuzbandplastik chronisch persistieren und somit einen häufigen Grund für eine Reruptur, ein schlechteres klinisches Outcome sowie funktionelle Instabilität bilden. Diese Arbeit soll daher die anatomisch-funktionelle Verbindung zwischen peripheren Rotationsinstabilitäten und den anteromedial bzw. anterolateral stabilisierenden Kapselbandstrukturen des Kniegelenks beschreiben. Verschiedene chirurgische Techniken und ihre klinischen Ergebnisse werden dargestellt, einschließlich der Verwendung von autologen Sehnentransplantaten. Ziel dieses Beitrages ist es, einen Überblick über die aktuell klinisch durchgeführten anteromedialen und anterolateralen Stabilisierungsverfahren zu geben und somit ein tieferes Verständnis für die Mechanismen der Kniegelenkinstabilität und ihre optimalen Behandlungsstrategien zu vermitteln.
Schlüsselwörter:
Kniegelenk, Rotationsinstabilität, Ätiologie, anteromedial, anterolateral, Therapie
Zitierweise:
Franke D, Angele P, Zellner J: Die anteromediale und anterolaterale Stabilisierung des Kniegelenks. Ein Überblick
OUP 2024; 13: 272?277
DOI 10.53180/oup.2024.0272-0277
Summary: Peripheral rotational instabilities of the knee can persist chronically even after primary stabilization using cruciate ligament grafting, often leading to reasons for re-rupture, worse clinical outcomes, and functional instability. This work aims to describe an anatomical-functional connection between peripheral rotational instabilities and the anteromedial and anterolateral stabilizing capsule ligament structures of the knee joint. Various surgical techniques and their clinical outcomes are presented, including the use of autologous tendon grafts. The goal of this contribution is to provide an overview of the currently clinically performed anteromedial and anterolateral stabilization procedures, thereby imparting a deeper understanding of the mechanisms of knee joint instability and their optimal treatment strategies.
Keywords: Knee, rotational instabilities, etiology, anteromedial, anterolateral, therapy
Citation: Franke D, Angele P, Zellner J: Anteromedial and anterolateral stabilization of the knee. An overview
OUP 2024; 13: 272?277. DOI 10.53180/oup.2024.0272-0277
J. Zellner, D. Franke: Sporthopaedicum Regensburg
P. Angele: Sporthopaedicum Regensburg & Universitätsklinikum Regensburg, Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie
Hintergrund
Periphere Rotationsinstabilitäten des Kniegelenks haben in den letzten Jahren vermehrt an wissenschaftlichem Interesse und Bedeutung gewonnen. Unter einer Rotationsinstabilität versteht man hierbei eine abnormale, komplexe, dreidimensionale Beweglichkeit des Kniegelenks, die durch eine Pathologie in den unterschiedlichen Bereichen des Kniegelenks, wie anteromedial, anterolateral, posteromedial, posterolateral oder zentral bedingt sein kann [1]. Trotz wissenschaftlicher Erkenntnisse über den synergetisch stabilisierenden Effekt des hinteren Kreuzbandes und der posterioren Kapselbandstrukturen sowie der Notwendigkeit einer kombinierten Rekonstruktion wurde im anterioren Kompartiment überwiegend eine isolierte, anatomische Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes zur Therapie einer Rotationsinstabilität durchgeführt [2]. Allerdings zeigen Untersuchungen, dass akute Kniegelenkrotationstraumata oft zu komplexen Verletzungen des gesamten Kapselbandapparats führen als lediglich zu einer isolierten Kreuzbandruptur. Zudem können in 15 % der Fälle Rotationsinstabilitäten nach primärer operativer Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes fortbestehen [3, 4]. Eine anhaltende rotatorische Instabilität stellt hierbei einen der Hauptgründe für ein verzögertes return to sport nach einer VKB-Rekonstruktion dar [5, 6]. Erschwerend kommt hinzu, dass eine persistierende anterolaterale Rotationsinstabilität sowohl nach konservativer als auch operativer Therapie einer VKB-Ruptur mit einem schlechteren klinischen Outcome, höheren Rerupturraten und funktioneller Instabilität sowie der Entwicklung von Knorpelläsionen bis hin zur Arthrose assoziiert wird [6–8]. In den letzten Jahren konnte zudem auch ein Zusammenhang zwischen konservativ behandelten Rupturen des medialen Seitenbandapparats und einer posttraumatischen Rotationsinstabilität des Kniegelenks gesehen werden. Diese beschriebene mediale bzw. anteromediale Instabilität tritt vor allem bei höhergradigen Rupturen des medialen Seitenbandkomplexes in Kombination mit Begleitverletzungen, wie z.B. der VKB-Ruptur auf [9, 10]. Analog zur anterolateralen Rotationsinstabilität können ebenso anteromediale Instabilitäten zu einem erhöhten Risiko eines VKB-Transplantatversagens beitragen [11]. In Anbetracht dieser Zusammenhänge gewinnen die anterolaterale und anteromediale Stabilisierung des Kniegelenks zunehmend an klinischer Bedeutung. Der folgende Beitrag bietet hierbei einen praxisorientierten Überblick über die aktuell klinisch durchgeführten anteromedialen und anterolateralen Stabilisierungsverfahren, wobei ebenfalls auf die Ätiologie der Instabilitäten sowie deren diagnostische Möglichkeiten näher eingegangen wird (Abb. 1).
Ätiologie der anteromedialen
Instabilität (AMRI) mit beteiligten anatomischen Strukturen
Die anteromediale Rotationsinstabilität (AMRI) des Kniegelenks beschreibt eine pathologische anteriore Subluxation des medialen Tibiaplateaus im Verhältnis zur medialen Femurkondyle. Diese spezifische Instabilität entsteht durch eine Kombination aus exzessivem Valgusstress mit gleichzeitiger Außenrotation des Kniegelenks [1, 12]. In der wissenschaftlichen Literatur wird dem medialen Kapselbandapparat des Kniegelenks eine primär stabilisierende Rolle gegen anteromediale Rotation und Valgusstress beigemessen [12, 13]. Aufgrund der vorrangigen funktionellen Bedeutung des medialen Seitenbandes sowie den weiteren dazugehörigen anatomischen Strukturen des medialen Kniegelenkkompartimentes wird der mediale Kapselbandapparat des Kniegelenks auch als medialer Kollateralbandkomplex bezeichnet. Dieser mediale Kollateralbandkomplex setzt sich aus einer Reihe von Strukturen zusammen, einschließlich des oberflächlichen medialen Kollateralbandes (sMCL), des tiefen medialen Kollateralbandes (dMCL), des anteromedialen Ligaments (AML) – welches den ventralen Kapselbandbereich des dMCL darstellt – sowie des hinteren Schrägbandes (POL) und der posteromedialen Kapsel des Kniegelenks [14]. Das sMCL agiert als primärer Stabilisator gegen Valgusstress in allen Beugegraden sowie gegen tibiale Außenrotation bei einer Knieflexion zwischen 30–90°. Dem dMCL mit seinem anteromedialen Anteil (AML) wird hingegen eine primär stabilisierende Funktion in der tibialen Außenrotation nahe der Extension zugeschrieben [13–15]. Zusätzlich haben Wierer et al. darauf hingewiesen, dass das vordere Kreuzband in Kombination mit dem sMCL zur Hemmung der anteromedialen Translation beiträgt. Bei gleichzeitiger Läsion beider Strukturen wurde eine ausgeprägte anteromediale Instabilität beobachtet [15]. Infolgedessen können Verletzungen des medialen Kniegelenkkompartimentes zu einer anteromedialen Rotationsinstabilität des Kniegelenks führen. Darüber hinaus haben Wierer et al. kürzlich eine Klassifikation der AMRI auf Grundlage von biomechanischen Beobachtungen erstellt. Dabei wird unterschieden zwischen einer reinen Rotationsinstabilität (Grad I) und einer kombinierten Außenrotations- und Valgusinstabilität (Grad II–III). In diesem Kontext ist hauptsächlich das sMCL, das dMCL und das vordere Kreuzband an der AMRI beteiligt [15]. Abschließend sei angemerkt, dass neben einer Verletzung des medialen Kollateralbandkomplexes auch Wurzel- und Rampenläsionen des Innenmeniskushinterhorns in Zusammenhang mit einer zunehmenden rotatorischen Kniegelenkinstabilität stehen könnten [1].