Übersichtsarbeiten - OUP 01/2025

Die hintere Kreuzbandruptur
Diagnostik, Begleitverletzungen und Therapieoptionen

Tobias C. Drenck, Alexander Korthaus, Lena Eggeling, Jannik Frings, Karl-Heinz Frosch, Ralph Akoto

Lernziele:

Nach dem Lesen dieses Artikels können Sie:

die komplexe Diagnostik der hinteren Kreuzbandverletzungen verstehen.

Begleitverletzungen der hinteren Kreuzbandverletzung klassifizieren.

Therapieverfahren der hinteren Kreuzbandverletzung indizieren.

knöcherne Begleitpathologien einschätzen.

die konservative Therapie der hinteren Kreuzbandverletzung einleiten.

Zusammenfassung:
Die hintere Kreuzbandverletzung (HKB) ist im Vergleich zur vorderen Kreuzbandverletzung selten, sodass auch erfahrene Kniechirurginnen und -chirurgen selten vor der Herausforderung dieser Verletzung stehen. Ferner bleiben die zu erwartenden Ergebnisse nach operativer Rekonstruktion
des hinteren Kreuzbandes trotz intensiver Forschung der letzten Jahre hinter den Ergebnissen
einer vorderen Kreuzbandverletzung zurück. Die Herausforderung liegt insbesondere im inhomogenen Verletzungsmuster, so sind oft verschiedene Bandstrukturen betroffen und führen
zu kombinierten Instabilitäten. Dies erfordert ein differenziertes Vorgehen hinsichtlich konservativer und operativer Therapie.

Schlüsselwörter:
Hinteres Kreuzband, posterolateral, Kniegelenkinstabilität, Slope

Zitierweise:
Drenck TC, Korthaus A, Eggeling L, Frings J, Frosch K-H, Akoto R: Die hintere Kreuzbandruptur. Diagnostik, Begleitverletzungen und Therapieoptionen
OUP 2025; 14: 33–40
DOI 10.53180/oup.2025.0033-0040

Summary: Posterior cruciate ligament injuries are relatively uncommon compared to anterior cruciate ligament injuries. Thus, even experienced knee surgeons are less frequently confronted with this type of injury. Furthermore, despite intensive research in recent years, outcomes achieved after surgical reconstruction of the posterior cruciate ligament lag behind the results of anterior cruciate ligament surgery. In particular, the challenge lies in the heterogeneous injury pattern, which often affects different ligament structures and leads to combined instabilities. This requires a differentiated approach to both conservative and surgical treatment options.

Keywords: Cruciate ligament, posterolateral, knee joint instability, slope

Citation: Drenck TC, Korthaus A, Eggeling L, Frings J, Frosch K-H, Akoto R: Posterior cruciate ligament injury. Diagnosis, concomitant injuries and therapy
OUP 2025; 14: xxxx–xxxx. DOI 10.3238/oup.20XX.XXXX–XXXX

T. C. Drenck, L.Eggeling: Abteilung Unfallchirurgie, Orthopädie und Sporttraumatologie, BG Klinikum Hamburg

A. Korthaus, K.-H. Frosch: Abteilung Unfallchirurgie, Orthopädie und Sporttraumatologie, BG Klinikum Hamburg & Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

J. Frings: Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

R. Akoto: Abteilung Unfallchirurgie, Orthopädie und Sporttraumatologie, BG Klinikum Hamburg & Universität Witten/Herdecke, Krankenhaus Köln-Merheim

Einleitung

Verletzungen des hinteren Kreuzbandes sind selten und werden häufig in der initialen Untersuchung übersehen. Sanders berichtete von einer Inzidenz von 1,8 pro 100.000 Personen [1]. Somit stehen auch erfahrene Gelenkchirurginnen und -chirurgen nur selten vor der Herausforderung, diese Verletzungen zu behandeln. Zudem ist das Verletzungsmuster oft inhomogen und beinhaltet sowohl knöcherne Avulsionen als auch Verletzungen begleitender Bandstrukturen. Diese Begleitverletzungen führen zu verschiedenen Mustern von Instabilitäten. Die Therapie der Verletzung erfordert daher eine genaue Klassifikation mit differenzierter Therapieentscheidung. Die operative Therapie ist durch die Komplexität der Begleitverletzungen anspruchsvoll und erfordert viel Erfahrung, die betroffenen Strukturen erfolgreich zu detektieren und zu rekonstruieren. Bei korrekter Indikationsstellung und bestimmten isolierten Verletzungen des hinteren Kreuzbandes bieten spezielle Orthesen die Möglichkeit, mittels konservativer Therapie gute Ergebnisse zu erzielen. Wichtig sind hierbei eine gute Compliance der Patientin/des Patienten sowie eine konsequente Mitbehandlung durch Physiotherapie.

Anamnese und Diagnostik

Die korrekte und differenzierte Diagnostik einer hinteren Kreuzbandverletzung ist anspruchsvoll. Der Verletzungsmechanismus unterscheidet sich vom klassischen Verdrehtrauma und dem klinischen Erscheinungsbild der ungleich häufigeren vorderen Kreuzbandruptur. Fanelli et al. fanden in ihrer Studie unter 222 Patientinnen und Patienten mit einer Kniegelenkverletzung mit hoher Energieeinwirkung und Hämarthros in 38 % der Fälle eine hintere Kreuzbandverletzung. Sportverletzungen sind für die hintere Kreuzbandverletzung weniger typisch, Fanelli et al. fand diese Ursache in nur 32 % der Fälle [2, 3]. Mindestens 70 % der Patientinnen und Patienten mit einer hinteren Kreuzbandverletzung haben begleitende Bandverletzungen, am häufigsten ist hier die posterolaterale Gelenkecke betroffen. Sie bildet ein komplexes Zusammenspiel des Außenbandes mit dem Ligamentum popliteofibulare. Im untersuchten Kollektiv waren die meisten Verletzten männlich und zwischen 28 und 34 Jahre alt [2, 3]. Ein typisches Verletzungsmuster ist der Anprall am Armaturenbrett bei einem Verkehrsunfall (Dashboard Injury), ein Sturz auf das gebeugte Knie sowie das Hyperextensionstrauma.

Kim et al. zeigten das in 8 % der Fälle Verletzungen des HKB bei kniegelenksnahen Frakturen übersehen wurden [4]. Frische Verletzungen werden im MRT recht sicher in 96 % der Fälle detektiert, chronische Verletzungen wiederum werden im MRT nur in etwa 57 % der Fälle richtig diagnostiziert (Abb. 1) [5]. Im Falle einer chronischen Verletzung ist der Goldstandard eine gehaltene Röntgenaufnahme bei der die hintere Schublade im Röntgen seitenvergleichend quantifiziert werden kann (Abb. 2). Viele Behandlungskonzepte, die bei der vorderen Kreuzbandverletzung zu guten Ergebnissen führen, lassen sich nicht uneingeschränkt auf das hintere Kreuzband übertragen. Dies führt nach operativer Versorgung in vielen Fällen zu schlechteren klinischen Ergebnissen. Tucker et al. stellten eine Versagensrate von hinteren Kreuzbandverletzungen von 42 % fest [6]. Im Gegensatz zur vorderen Kreuzbandverletzung konnten für die isolierte hintere Kreuzbandverletzung gute Ergebnisse unter konservativer Therapie gezeigt werden. Agolley et al. zeigten bei 46 semi-professionellen Athleten, dass 91,3 % nach 2 Jahren ein höheres oder gleiches sportliches Level erreichten [7].

Zum Verständnis und entscheidend für die korrekten Indikationsstellungen ist eine Klassifikation der Verletzung. Im klinischen Alltag ist die Klassifizierung nach Fanelli am gebräuchlichsten, die Einteilung erfolgt nach den resultierenden Instabilitäten in der klinischen Untersuchung (Tab. 1). Eine differenziertere Klassifikation stellten Weiss et al. 2020 in einer systematischen Übersichtsarbeit vor, hier werden 4 Typen unter Berücksichtigung aller anatomischen Strukturen unterschieden. So werden beim Typ 4 auch Verletzungen des Traktus iliotibialis oder der Bizepssehne berücksichtigt, die häufig als Begleitverletzungen vorliegen [8, 9] (Tab. 2). Eine zusätzliche Verletzung der posterolateralen Strukturen führt zu einer kombinierten rotatorischen und varischen Instabilität. In diesem Zusammenhang wird dann von einer „kombinierten Verletzung“ gesprochen. Die mechanische Belastung auf das hintere Kreuzband steigt durch diese zusätzliche Verletzung um ca. 150 % und ist daher bei nicht entsprechender operativer Therapie ein häufiger Grund für schlechte Therapieergebnisse [10].

Knöcherner Ausriss des hinteren Kreuzbandes

In einigen Fällen kommt es zu einem knöchernen Ausreißen des hinteren Kreuzbandes aus seiner tibialen Insertion. Der Mechanismus der Verletzung unterscheidet sich hierbei nicht von der reinen Bandverletzung. Die Versorgung erfolgt meist über eine direkte Verschraubung, z.B mittels kanülierter Schrauben. Frosch et al. publizierten hierzu eine minimalinvasive Technik, in der das Fragment sicher in Bauchlage refixiert werden kann [1]. Ist das Fragment nur gering disloziert und eine kombinierte Bandverletzung ausgeschlossen, kann auch hier eine konservative Therapie erfolgen. Ab einer Disloka-tion von mehr als 5 mm empfehlen die meisten Studien eine operative Refixation [2, 3].

Indikation zur konservativen oder operativen Therapie

Zur Entscheidung hinsichtlich einer konservativen oder operativen Therapie müssen die Art der Verletzung sowie patientenindividuelle Faktoren berücksichtigt werden. Die operative Therapie erfordert eine differenzierte Rekonstruktion aller beteiligten Strukturen und aller Instabilitätskomponenten unter Berücksichtigung knöcherner Risikofaktoren. Derzeit scheint die operative Therapie bei höhergradigen Instabilitäten sowie kombinierten Bandverletzungen der konservativen Therapie überlegen zu sein. Die konservative Therapie hingegen erfordert einen konsequenten frühzeitigen Beginn und hohe Compliance in der Behandlung bei isolierten HKB-Verletzungen. Ein flach nach hinten geneigter Winkel im Tibiaplateau (Slope) zeigt sich als hochgradiger knöcherner Risikofaktor für ein Versagen einer hinteren Kreuzbandplastiken. Unter diesem Aspekt scheint es sinnvoll, auch diese knöcherne Deformität in die Therapieentscheidung einzubeziehen (Abb. 3). Ein gängiger Algorithmus wird von Mehl et al. vorgestellt (Abb. 4). Grundsätzlich ist bei einem tibialem Slope < 7° und primärem Versagen der HKB-Plastik an eine tibiale Slopekorrektur zu denken (Abb. 3). Inwieweit dies auch in der Primärphase erfolgen sollte, ist Gegenstand aktueller Studien.

Operative Therapie der HKB-Verletzung

Der operative Ersatz des hinteren Kreuzbandes erfolgt meist mittels körpereigener Sehnen. Ein geeignetes Transplantat sollte entsprechend der Körpergröße eine Länge von mindestens 9 cm und eine Dicke von 7,5 mm oder mehr haben. Am besten geeignet sind hier die Beugesehnen (Semitendinosus- und Gracilissehne). Um eine ausreichende Transplantatdimension zu erreichen, müssen häufig beide Sehnen entnommen werden. Als Transplantat ist die Patellasehne aufgrund der Länge in der Regel nicht geeignet. Eine Alternative bietet die Verwendung von allogenen Sehnen, in einer systematischen Literaturanalyse von 2023 zeigte sich diesbezüglich keine Unterschiede zu autogenen Sehnen in den klinischen Scores [4]. Die Autoren bevorzugen die Verwendung von autologen Beugesehnen. In den letzten Jahren gab es rege Forschungsaktivitäten, ob der Ersatz des hinteren Kreuzbandes durch die Einzel- oder Doppelbündeltechnik bessere Ergebnisse liefert. Verschiedene Metaanalysen konnten jedoch keinen Vorteil zeigen, so dass in Deutschland derzeit meist die Einzelbündeltechnik favorisiert wird [5]. Die Operationsdauer ist dadurch kürzer, es werden weniger Sehnen benötigt und es kann natives Gewebe des hinteren Kreuzbandes belassen werden (Remnant Preserving). Die tibiale Insertion für den Bohrkanal kann zudem über einen zusätzlichen posteromedialen Zugang visualisiert werden. Der Bohrkanal in der Tibia wird mit einem speziellen Zielbügel gebohrt und kann, sollte es bspw. bei einer eingeschränkten Sicht erforderlich sein, fluoroskopisch kontrolliert werden (Abb. 5). Zu beachten ist, dass der tibiale Kanal von der Mitte des tibialen Plateaus eher etwas weiter lateral gebohrt wird, um ein Impingement mit der medialen Femurcondyle zu vermeiden. Vorsicht gilt der Präparation durch die Nähe zu dem dorsal verlaufenden Gefäße-Nerven-Bündel. Der femorale Bohrkanal wird direkt an der Knorpel-Knochen-Grenze an der medialen Femurkondyle durch ein tiefes anterolaterales Portal gesetzt. Beim Einziehen des Transplantates kommt es durch die Umlenkung am tibialen und femoralen Bohrkanal zum „Killerturn“, die Problematik beim Einziehen kann durch die Verwendung eines Großfragmentschraubenziehers oder eines Elevatoriums als Hypomochlion abgeschwächt werden. Zur Fixierung sind unterschiedliche Verfahren erfolgreich und etabliert. Im eigenen Vorgehen erfolgt dies mittels einstellbaren Buttons am Femur und tibial mittels Hybrid-
fixierung durch eine Interferenzschraube und Fadenplättchen. Zusätzlich kann das Transplantat durch einen parallelen reißfesten Faden (Ligament Bracing) geschützt werden [6].

Operative Therapie posterolateral

Eine besondere operative Herausforderung ist die zusätzliche Behandlung einer posterolateralen Verletzung. Hierzu sind in der Literatur eine Vielzahl operativer Techniken beschrieben worden. Für alle Techniken werden zusätzliche Sehnen als Transplantat benötigt. Die reine Naht der Strukturen im Akutfall zeigt in der Literatur schlechtere Ergebnisse als eine Rekonstruktion mittels Bandplastik. Früher galt die „Larson-Technik“ mit einer einfachen Transplantatschlinge durch die proximale Fibula als übliche Technik und wird auch heute noch von vielen Operateurinnen und Operateuren favorisiert. Biomechanische Studien zeigten jedoch, dass der Anatomie nähere Techniken z.B. nach Arciero oder LaPrade mit 2 getrennten femoralen Bohrkanälen die Rotationsinstabilität besser kompensieren können. Somit werden das Außenband und das Ligamentum popliteofibulare (PFL) getrennt rekonstruiert. Die Technik nach LaPrade fixiert die Fibula durch eine weitere Bohrung an der Tibia mit einem Sehnentransplantat, sodass das proximale Tibiofibulargelenk stabilisiert wird. Biomechanische Untersuchungen hierzu zeigten jedoch bisher keine überlegenen Ergebnisse im Vergleich zur Technik nach Arciero [7]. Auch im klinischen Vergleich konnten keine wesentlichen Unterschiede zwischen beiden Techniken festgestellt werden. Nachteilig bei der Technik nach LaPrade waren allerdings die längere OP-Dauer und der höhere Transplantatbedarf [8]. Im eigenen Vorgehen rekonstruieren wir posterolaterale Verletzungen deshalb meist durch die Arciero-Technik mit einer Hamstringssehne. In den letzten Jahren ist auch zunehmend die arthroskopische Versorgung der posterolateralen Ecke in der eigenen Klinik etabliert worden [9, 10]. Die Bohrkanalplatzierung gelingt dabei signifikant exakter und damit anatomischer als in der offenen Technik [11]. Die klinischen Ergebnisse im Vergleich zwischen der arthroskopischen posterolateralen Stabilisierung und dem offenen Vorgehen sind bei jeweils gleichzeitig durchgeführter arthroskopischer HKB-Plastik gleich, wenngleich die Operationszeit der arthroskopischen Technik kürzer war und das kosmetische Ergebnis ansprechender [8]. Der Nervus peroneus muss bei der arthroskopischen Technik nicht dargestellt werden [12]. Insbesondere bei Revisionsoperationen empfehlen wir deshalb in Abhängigkeit des Verletzungsmusters meist das arthroskopische Vorgehen.

Operative Nachbehandlung

Derzeit existiert nur wenig Evidenz zur postoperativen Nachbehandlung von hinteren Kreuzbandverletzungen [13]. Die Konzepte sind meist inhomogen bezüglich Dauer der Teilbelastung, Orthesenversorgung und Bewegungslimitierung. Die Zeiträume variieren dabei zwischen 6 Wochen und 6 Monaten. Für wenige Orthesen werden klinische Ergebnisse berichtet [14]. Die meisten nationalen und internationalen Arbeiten empfehlen die Nachbehandlung einer Kreuzbandverletzung mit einer Orthese nach operativer und konservativer Therapie. Die Autoren berichten von einer Verbesserung der Instabilität, sofern eine Orthese verwendet wird, mit der die hintere Schublade aktiv über das gesamte Bewegungsausmaß kompensiert wird. Biomechanische Daten deuten darauf, dass statische Orthesen die Kräfte auf das hintere Kreuzband weniger effektiv kompensieren können, da die Kräfte vom Beugegrad abhängig sind (Tab. 3) [14].

Konservative Behandlung

Die konservative Therapie der hinteren Kreuzbandverletzung steht in reger Diskussion in der aktuellen Literatur. So konnte in einer Studie mit über 4000 Patientinnen und Patienten festgestellt werden, dass Patientinnen und Patienten mit konservativer Behandlung, im Vergleich zu einer operativen Therapie, deutlich mehr Meniskusverletzungen, sowie eine höhere Rate an Arthrosen aufwiesen. Zudem waren Implantationen einer Knieprothese häufiger in der konservativen Gruppe indiziert [15]. Andererseits konnten auch gute klinische Ergebnisse durch die konservative Therapie präsentiert werden. So erreichen 83 % der Sportlerinnen und Sportler nach einer konservativen Therapie bei isolierter Verletzung eine sportliche Aktivität auf Wettkampfniveau [16]. Es herrscht aktueller Konsens, dass bei akuten isolierten HKB-Verletzungen mit geringer hinterer Schublade unter 5 mm und einer/einem klinisch kompensierten Patientin/Patienten die Indikation zum konservativen Therapieversuch besteht.

Neben dem Verletzungsmuster müssen in der Therapieentscheidung aber auch patientenspezifischen Faktoren wie BMI, Alter oder etwaige vorbestehende degenerative Schäden berücksichtigt werden. So sollte bei vorbestehenden degenerativen Veränderungen genau herausgearbeitet werden, ob die Instabilität der ligamentären Verletzung im Fokus der Beschwerden der Patientin/des Patienten steht. Auch das vorhandene bzw. angestrebte Aktivitätsniveau sollte mit in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. So hat die konservative Therapie bei nur geringer kniebelastender Aktivität und geringen Instabilitäten eine große Bedeutung [17]. Bei knöchernen tibialen HKB-Avulsionsverletzungen konnten Yoon et al. darstellen, dass eine konservative Therapie bei Fragmentdislokationen bis 6,7 mm gute klinische und radiologische Ergebnisse erzielen kann [2].

Für die allgemeine konservative Therapie von ligamentären hinteren Kreuzbandverletzungen wurden in der Literatur verschiedene uneinheitliche Algorithmen beschrieben [18]. Allerdings besteht ein Konsens, dass eine angemessene Stabilisierung durch eine anfängliche Ruhigstellung in Verbindung mit einer progressiven Bewegungstherapie sowohl nach der Verletzung als auch postoperativ wichtig sind, um den Heilungsprozess des hinten Kreuzbandes zu unterstützen [19]. Jung et al. präsentierten 2008 ein konservatives Procedere mit 6 Wochen Extensionsgips in vorderer Schublade und anschließend 6 Wochen Tragen einer Orthese, die die posteriore Translation der Tibia neutralisiert. Dabei wurde eine Bewegungslimitation von 0–0–90º für 3 Wochen danach von 0–0–120º für 6–12 Wochen ausgesprochen. Jedoch wurde eine ausgeprägte Quadrizepsarthrophie beobachtet [20]. In Anlehnung an diese Studie führten Jacobi et al. eine Ruhigstellung in einer Orthese (Jack PCL Albrecht GmbH, Bernau, Deutschland) mit aktiver Unterstützung der hinteren Schublade durch [21]. Sie konnten im Follow Up einen durchschnittlichen IKDC, von 95 zeigen während Jung et al. lediglich einen Wert von 90 erreichte.

Zu Beginn der konservativen Therapie wird eine Teilbelastung empfohlen und Bewegungsübungen werden in Bauchlage durchgeführt, um das Risiko einer posterioren Schublade durch die Schwerkraft zu reduzieren. Schwerpunkt der Physiotherapie liegt auf der Kräftigung der Quadrizepsmuskulatur. Sportartspezifische Übungen können häufig im sechsten postoperativen Monat begonnen werden. Allerdings ist vor der Rückkehr zum Sport ein vollständiges ROM, eine ausreichende Quadrizepsmuskulatur und ein fester Anschlag im hinteren Schubladentest erforderlich [16, 18, 22].

In unserer Klinik empfehlen wir für einen Zeitraum von 6 Wochen das Tragen einer speziellen bewegungslimitierenden „HKB-Bewegungsorthese“ mit aktiver, dynamischer Aufhebung der hinteren Schublade (Jack PCL Albrecht GmbH, Bernau, Deutschland). Die Jack PCL gewährleistet durch die flächige Anlage der Wadenschale und konstante Krafteinwirkung (Entkoppelung von Rotation und Translation) eine Sicherung des hinteren Kreuzbands über den gesamten Bewegungsumfang und somit die Verhinderung einer Elongation. Für die ersten 6 Wochen wird die Schiene auf einen Bewegungsradius von 0–0–60º eingestellt. Darüber hinaus empfehlen wir eine Mobilisation in Bauchlage unter Quadrizepsanspannung. Das Bewegungsziel wird alle 2 Wochen von 0–0–45º auf 0–0–60º bzw. auf 0–0–90º gesteigert. Bezüglich der Belastung sieht unser Konzept eine vierwöchige Teilbelastung an Unterarmgehstützen mit 20 kg vor. Anschließend erfolgt ein Aufbelasten auf 50 % des Körpergewichtes für weitere 2 Wochen. Dies setzt eine hohe Compliance und hochwertige Physiotherapie voraus. Es ist ferner davon auszugehen, dass ein zu später Beginn einer konservativen Therapie zu keinen zufriedenstellenden Ergebnissen führen kann, da die Bandheilung bereits abgeschlossen ist. Ein früher und konsequenter Beginn der Orthesenbehandlung ist daher essentiell.

Interessenkonflikte:

Finanzielle Unterstützung für Forschungsprojekte durch die Firma
Albrecht GmbH, Bernau, Deutschland

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Tobis C. Drenck

Kniechirurgie

BG Klinikum Hamburg

Bergedorfer Str. 10

21033 Hamburg

t.drenck@bgk-hamburg.de

Priv.-Doz. Dr. med. Ralph Akoto

Unfallchirurgie, Orthopädie und Sporttraumatologie

BG Klinikum Hamburg

Bergedorfer Str. 10

21033 Hamburg

CME-Fragen:

1. Welche Aussage zur Häufigkeit von Verletzungen des hinteren Kreuzbandes (HKB) ist zutreffend?

HKB-Verletzungen sind etwa gleichhäufig wie Verletzungen des vorderen Kreuzbandes.

HKB-Verletzungen sind sehr häufige Verletzungen.

HKB-Verletzungen betreffen nur Kinder.

Die Inzidenz beträgt etwa 300 Verletzungen pro 100.000 Personen.

HKB-Verletzungen sind seltene Verletzungen.

2. Welche Aussage zur Genese einer hinteren Kreuzbandverletzung ist zutreffend?

HKB-Verletzungen sind typische degenerative Erkrankungen.

Der Unfallmechanismus einer vorderen Kreuzbandverletzung unterscheidet sich nicht von Verletzungen des hinteren Kreuzbandes.

HKB-Verletzungen entstehen oft als Anpralltrauma, z.B. an ein Armaturenbrett bei einem Verkehrsunfall.

Patientinnen und Patienten mit einer HKB-Verletzung sind meist älter als 60 Jahre.

Durch die typische Klinik werden HKB-Verletzungen selten übersehen.

3. Welche Aussage ist zur Diagnostik von hinteren Kreuzbandverletzungen zutreffend?

Bei der HKB-Verletzung kann auf die klinische Untersuchung verzichtet werden.

Das MRT hat bei einer chronischen Verletzung eine sehr gute Sensitivität, die Verletzung hinsichtlich der resultierenden Instabilität zu detektieren.

Gehaltene Aufnahmen für die hintere Schublade sind der Goldstandard zur Quantifizierung der Instabilität.

Röntgenaufnahmen stellen bei Bandinstabilitäten keine sinnvolle Diagnostik dar.

Bei HKB-Verletzungen sollte immer ein Differentialblutbild ergänzt werden.

4. Welche Aussage zu Begleitverletzungen von hinteren Kreuzbandverletzungen ist zutreffend?

Bei der HKB-Verletzung sind begleitende Frakturen oder Bandverletzungen extrem selten.

HKB-Verletzungen haben häufig begleitende Verletzungen der posterolateralen Strukturen.

Schwere Weichteilverletzungen mit einer Eröffnung des Kniegelenkes sind bei Verletzungen des hinteren Kreuzbandes regelhaft zu sehen.

Da die Begleitverletzungen keine Auswirkung auf die Therapie haben, ist deren Diagnostik nur für akademische Fragestellungen entscheidend.

Eine HKB-Verletzung tritt fast immer bilateral auf.

5. Welche Struktur ist häufig bei der kombinierten hinteren Kreuzbandverletzung mit hochgradiger Instabilität ebenfalls verletzt?

Mediales Patellofemorales Ligament (MPFL)

Patellasehne

Ligamentum popliteofibulare und die posterolateralen Strukturen

Quadrizepssehne

Ligamentum capitis femoris

6. Was ist kein typischer Risikofaktor für das Versagen einer Kreuzbandplastik?

Ein hoher tibialer Slope

Übergewicht

Incompliance

Unbehandelte Begleitverletzungen der posterolateralen Stukturen

Fehlende Einheilung des Bandes

7. Was gilt für knöcherne Kreuzbandausrisse?

Unabhängig von der Dislokation kann die Behandlung konservativ erfolgen.

Die operative Therapie beinhaltet eine Bandplastik.

Bei geringer Dislokation zeigt die konservative Therapie gute Ergebnisse.

Die Refixation erfolgt üblicherweise mittels winkelstabilen Platten.

Die Refixation kann nicht mit kanülierten Schrauben erfolgen.

8. Was trifft für die Bandrekonstruktion der posterolateralen Strukturen zu?

Die Larson-Technik ist der Rekonstruktion nach Arciero in biomechanischen Studien unterlegen.

Für die Rekonstruktion nach Arciero wird immer eine allogene Sehne benötigt.

Die Larson-Technik rekonstruiert das mediale patellofemorale Ligament.

Eine posterolaterale Bandrekonstruktion ist nur offen chirurgisch möglich.

Die Larson-Technik benötigt 2 femorale Bohrkanäle zur Insertion der Sehnen.

9. Was trifft zur konservativen Therapie der hinteren Kreuzbandverletzung zu?

Die Ruhigstellung erfolgt immer im Gips für 3 Monate.

Die Behandlung erfolgt immer in einer Streckschiene für 6 Wochen.

Die verwendende Orthese sollte die hintere Schublade abstützen.

Orthesen spielen in der Behandlung nur bei der operativen Therapie eine Rolle.

Nur mit der operativen Therapie lassen sich gute Ergebnisse erzielen.

10. Wann ist eine operative Behandlung von knöchernen Ausrissen des hinteren Kreuzbandes sinnvoll?

Bei allen Fällen, unabhängig vom Ausmaß der Verletzung.

Bei einer Dislokation des Fragmentes > 5 mm.

Nur bei älteren Menschen mit schlechter Knochenqualität.

Nur wenn die Patientin/der Patient unsportlich ist.

Wenn die Patientin/der Patient ein hohes Narkoserisiko hat.

Die Teilnahme an der CME-Fortbildung ist nur online möglich auf der Website www.online-oup.de.

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