Übersichtsarbeiten - OUP 01/2025
Die hintere KreuzbandrupturDiagnostik, Begleitverletzungen und Therapieoptionen
Zum Verständnis und entscheidend für die korrekten Indikationsstellungen ist eine Klassifikation der Verletzung. Im klinischen Alltag ist die Klassifizierung nach Fanelli am gebräuchlichsten, die Einteilung erfolgt nach den resultierenden Instabilitäten in der klinischen Untersuchung (Tab. 1). Eine differenziertere Klassifikation stellten Weiss et al. 2020 in einer systematischen Übersichtsarbeit vor, hier werden 4 Typen unter Berücksichtigung aller anatomischen Strukturen unterschieden. So werden beim Typ 4 auch Verletzungen des Traktus iliotibialis oder der Bizepssehne berücksichtigt, die häufig als Begleitverletzungen vorliegen [8, 9] (Tab. 2). Eine zusätzliche Verletzung der posterolateralen Strukturen führt zu einer kombinierten rotatorischen und varischen Instabilität. In diesem Zusammenhang wird dann von einer „kombinierten Verletzung“ gesprochen. Die mechanische Belastung auf das hintere Kreuzband steigt durch diese zusätzliche Verletzung um ca. 150 % und ist daher bei nicht entsprechender operativer Therapie ein häufiger Grund für schlechte Therapieergebnisse [10].
Knöcherner Ausriss des hinteren Kreuzbandes
In einigen Fällen kommt es zu einem knöchernen Ausreißen des hinteren Kreuzbandes aus seiner tibialen Insertion. Der Mechanismus der Verletzung unterscheidet sich hierbei nicht von der reinen Bandverletzung. Die Versorgung erfolgt meist über eine direkte Verschraubung, z.B mittels kanülierter Schrauben. Frosch et al. publizierten hierzu eine minimalinvasive Technik, in der das Fragment sicher in Bauchlage refixiert werden kann [1]. Ist das Fragment nur gering disloziert und eine kombinierte Bandverletzung ausgeschlossen, kann auch hier eine konservative Therapie erfolgen. Ab einer Disloka-tion von mehr als 5 mm empfehlen die meisten Studien eine operative Refixation [2, 3].
Indikation zur konservativen oder operativen Therapie
Zur Entscheidung hinsichtlich einer konservativen oder operativen Therapie müssen die Art der Verletzung sowie patientenindividuelle Faktoren berücksichtigt werden. Die operative Therapie erfordert eine differenzierte Rekonstruktion aller beteiligten Strukturen und aller Instabilitätskomponenten unter Berücksichtigung knöcherner Risikofaktoren. Derzeit scheint die operative Therapie bei höhergradigen Instabilitäten sowie kombinierten Bandverletzungen der konservativen Therapie überlegen zu sein. Die konservative Therapie hingegen erfordert einen konsequenten frühzeitigen Beginn und hohe Compliance in der Behandlung bei isolierten HKB-Verletzungen. Ein flach nach hinten geneigter Winkel im Tibiaplateau (Slope) zeigt sich als hochgradiger knöcherner Risikofaktor für ein Versagen einer hinteren Kreuzbandplastiken. Unter diesem Aspekt scheint es sinnvoll, auch diese knöcherne Deformität in die Therapieentscheidung einzubeziehen (Abb. 3). Ein gängiger Algorithmus wird von Mehl et al. vorgestellt (Abb. 4). Grundsätzlich ist bei einem tibialem Slope < 7° und primärem Versagen der HKB-Plastik an eine tibiale Slopekorrektur zu denken (Abb. 3). Inwieweit dies auch in der Primärphase erfolgen sollte, ist Gegenstand aktueller Studien.
Operative Therapie der HKB-Verletzung
Der operative Ersatz des hinteren Kreuzbandes erfolgt meist mittels körpereigener Sehnen. Ein geeignetes Transplantat sollte entsprechend der Körpergröße eine Länge von mindestens 9 cm und eine Dicke von 7,5 mm oder mehr haben. Am besten geeignet sind hier die Beugesehnen (Semitendinosus- und Gracilissehne). Um eine ausreichende Transplantatdimension zu erreichen, müssen häufig beide Sehnen entnommen werden. Als Transplantat ist die Patellasehne aufgrund der Länge in der Regel nicht geeignet. Eine Alternative bietet die Verwendung von allogenen Sehnen, in einer systematischen Literaturanalyse von 2023 zeigte sich diesbezüglich keine Unterschiede zu autogenen Sehnen in den klinischen Scores [4]. Die Autoren bevorzugen die Verwendung von autologen Beugesehnen. In den letzten Jahren gab es rege Forschungsaktivitäten, ob der Ersatz des hinteren Kreuzbandes durch die Einzel- oder Doppelbündeltechnik bessere Ergebnisse liefert. Verschiedene Metaanalysen konnten jedoch keinen Vorteil zeigen, so dass in Deutschland derzeit meist die Einzelbündeltechnik favorisiert wird [5]. Die Operationsdauer ist dadurch kürzer, es werden weniger Sehnen benötigt und es kann natives Gewebe des hinteren Kreuzbandes belassen werden (Remnant Preserving). Die tibiale Insertion für den Bohrkanal kann zudem über einen zusätzlichen posteromedialen Zugang visualisiert werden. Der Bohrkanal in der Tibia wird mit einem speziellen Zielbügel gebohrt und kann, sollte es bspw. bei einer eingeschränkten Sicht erforderlich sein, fluoroskopisch kontrolliert werden (Abb. 5). Zu beachten ist, dass der tibiale Kanal von der Mitte des tibialen Plateaus eher etwas weiter lateral gebohrt wird, um ein Impingement mit der medialen Femurcondyle zu vermeiden. Vorsicht gilt der Präparation durch die Nähe zu dem dorsal verlaufenden Gefäße-Nerven-Bündel. Der femorale Bohrkanal wird direkt an der Knorpel-Knochen-Grenze an der medialen Femurkondyle durch ein tiefes anterolaterales Portal gesetzt. Beim Einziehen des Transplantates kommt es durch die Umlenkung am tibialen und femoralen Bohrkanal zum „Killerturn“, die Problematik beim Einziehen kann durch die Verwendung eines Großfragmentschraubenziehers oder eines Elevatoriums als Hypomochlion abgeschwächt werden. Zur Fixierung sind unterschiedliche Verfahren erfolgreich und etabliert. Im eigenen Vorgehen erfolgt dies mittels einstellbaren Buttons am Femur und tibial mittels Hybrid-
fixierung durch eine Interferenzschraube und Fadenplättchen. Zusätzlich kann das Transplantat durch einen parallelen reißfesten Faden (Ligament Bracing) geschützt werden [6].
Operative Therapie posterolateral
Eine besondere operative Herausforderung ist die zusätzliche Behandlung einer posterolateralen Verletzung. Hierzu sind in der Literatur eine Vielzahl operativer Techniken beschrieben worden. Für alle Techniken werden zusätzliche Sehnen als Transplantat benötigt. Die reine Naht der Strukturen im Akutfall zeigt in der Literatur schlechtere Ergebnisse als eine Rekonstruktion mittels Bandplastik. Früher galt die „Larson-Technik“ mit einer einfachen Transplantatschlinge durch die proximale Fibula als übliche Technik und wird auch heute noch von vielen Operateurinnen und Operateuren favorisiert. Biomechanische Studien zeigten jedoch, dass der Anatomie nähere Techniken z.B. nach Arciero oder LaPrade mit 2 getrennten femoralen Bohrkanälen die Rotationsinstabilität besser kompensieren können. Somit werden das Außenband und das Ligamentum popliteofibulare (PFL) getrennt rekonstruiert. Die Technik nach LaPrade fixiert die Fibula durch eine weitere Bohrung an der Tibia mit einem Sehnentransplantat, sodass das proximale Tibiofibulargelenk stabilisiert wird. Biomechanische Untersuchungen hierzu zeigten jedoch bisher keine überlegenen Ergebnisse im Vergleich zur Technik nach Arciero [7]. Auch im klinischen Vergleich konnten keine wesentlichen Unterschiede zwischen beiden Techniken festgestellt werden. Nachteilig bei der Technik nach LaPrade waren allerdings die längere OP-Dauer und der höhere Transplantatbedarf [8]. Im eigenen Vorgehen rekonstruieren wir posterolaterale Verletzungen deshalb meist durch die Arciero-Technik mit einer Hamstringssehne. In den letzten Jahren ist auch zunehmend die arthroskopische Versorgung der posterolateralen Ecke in der eigenen Klinik etabliert worden [9, 10]. Die Bohrkanalplatzierung gelingt dabei signifikant exakter und damit anatomischer als in der offenen Technik [11]. Die klinischen Ergebnisse im Vergleich zwischen der arthroskopischen posterolateralen Stabilisierung und dem offenen Vorgehen sind bei jeweils gleichzeitig durchgeführter arthroskopischer HKB-Plastik gleich, wenngleich die Operationszeit der arthroskopischen Technik kürzer war und das kosmetische Ergebnis ansprechender [8]. Der Nervus peroneus muss bei der arthroskopischen Technik nicht dargestellt werden [12]. Insbesondere bei Revisionsoperationen empfehlen wir deshalb in Abhängigkeit des Verletzungsmusters meist das arthroskopische Vorgehen.