Übersichtsarbeiten - OUP 03/2016

Essex-Lopresti-Verletzung – doch nicht so selten?

Eine besondere Stellung in der operativen Therapie der chronischen Essex-Lopresti-Läsion nimmt die Rekonstruktion der MI – im engeren Sinn des interossären Ligaments – ein. Stabile et al. [37] untersuchten die Stabilität verschiedener Transplante und verglichen die Ergebnisse mit den physiologischen Eigenschaften der MI. Die Autoren analysierten in ihrer Studie Transplantate bestehend aus der Achillessehne, der Flexor-carpi-radialis-Sehne sowie der Patellarsehne („bone-tendon-bone“). Alle Transplante erzielten im Vergleich zur physiologischen MI eine signifikant geringere Stabilität. Diese Beobachtung wird durch die Arbeit von Tejwani et al. [38] gestützt. Die Autoren stellten für Transplantate, bestehend aus der Flexor-carpi-radialis-Sehne, aus der Sehne des M. palmaris longus und der Patellarsehne („bone-tendon-bone“) ebenfalls eine reduzierte Stabilität im Vergleich zur nativen MI fest. In beiden Studien [37, 38] zeigte das „bone-patella tendon-bone“ Transplantat die größte Stabilität, wenngleich diese signifikant geringer war als die physiologische Stabilität der nativen MI.

Im eigenen Vorgehen verwenden wir bei der chronischen longitudinalen Instabilität des Unterarms zur Rekonstruktion der MI einen künstlichen Bandersatz aus Polyester („Ligament Augmentation Reconstruction System“; LARS-Band), mit welchem bereits in der Kreuzbandersatzchirurgie gute klinische Erfolge verzeichnet werden konnten [39]. Das Risiko der beschriebenen Begleitkomplikationen, wie beispielweise der Knieschmerz nach Entnahme des Patellarsehnentransplantats [35], entfällt hierdurch. Das LARS-Band wird analog zum anatomischen Verlauf des interossären Ligaments der MI zwischen Ulna und Radius in einem Winkel von etwa 21° eingezogen (Abb. 5). Die operative Technik wurde bereits von Adams et al. [35] für das Patellarsehnentransplantat beschrieben. Die Autoren konnten in einer ihrer vorangegangenen Studien zudem keinen Unterschied zwischen Auto- und Allograft feststellen [14, 35].

Schlussfolgerung

Bei der akuten Essex-Lopresti-Läsion – in ihrer vollen Ausprägung – handelt es sich eher um eine seltene Verletzung, deren wahre Inzidenz jedoch möglicherweise höher liegt. Auch bei vermeintlich einfachen Radiuskopffrakturen kann es bereits zu einer begleitenden Läsion der Membrana interossea kommen, sodass die longitudinale Stabilität des Unterarms kompromittiert wird. Wird die Verletzung übersehen, ist im Falle der Chronifizierung eine Proximalisierung des Radius mit einem ulnocarpalem und radiocapitellaren Impingement die Folge. Die frühzeitige und richtige Diagnosestellung hat daher eine große Bedeutung für das funktionelle Ergebnis. Die Festlegung eines adäquaten operativen Therapieregimes unter Berücksichtigung der anatomischen Verhältnisse ist sowohl in der akuten als auch in der chronischen Phase essenziell.

Interessenkonflikt: Das Zentrum für Biomechanik der Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der Universität zu Köln wird mit einem jährlichen Betrag der Firmen Synthes und Medartis unterstützt – aber nicht im Speziellen für die vorliegende Arbeit. K. Wegmann, L.P. Müller und K.J. Burkhart sind als Berater für Medartis tätig. K. Wegmann, L.P. Müller und K.J. Burkhart haben und werden keinen finanziellen Betrag in irgendeiner Form erhalten. Kein Betrag wurde oder wird direkt oder indirekt in Zusammenhang mit dem vorliegenden Artikel gezahlt. C. Ries und M. Hackl geben an, dass kein Interessenskonflikt besteht.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Christian Ries

Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie

Universitätsklinikum Köln (AöR)

Kerpener Straße 62 , 50937 Köln

christian.ries@uk-koeln.de

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