Übersichtsarbeiten - OUP 06/2015
Gelenkerhaltende, valgisierende hohe Tibiakopf-Umstellungsosteotomie bei Gonarthrose
Gunter Spahn1, Ivan Marintschev2, Gunther O. Hofmann2, 3
Zusammenfassung: Die hohe, valgisierende Tibiakopf-Umstellungsosteotomie (HTO) stellt ein etabliertes Verfahren für die Behandlung von Gonarthrosen bei jüngeren, aktiven Patienten dar. Der Erfolg einer Osteotomie hängt von verschiedenen Faktoren ab:
1. Patienten-spezifische Voraussetzungen (allgemeine Faktoren wie Alter, Geschlecht, Compliance, individuelle Ansprüche an das Gelenk)
2. Charakteristik der arthrotischen Deformierung, die durch eine subtile radiologische Operationsplanung ermittelt werden müssen
3. Operationstechnik mit suffizienter Stabilisierung zur Vermeidung eines Korrekturverlustes oder einer Pseudarthrose; Vermeidung von postoperativen Komplikationen
4. Geringer Eingriff in die Kinematik des Gelenks und die Möglichkeit, eine spätere Endoprothesenversorgung ohne Probleme vornehmen zu können
Insgesamt sind die mittelfristigen Ergebnisse (ca. 10-Jahres-Verlauf) mit den Ergebnissen der Schlittenendoprothese vergleichbar. Allerdings liegen die klinischen Ergebnisse etwas unter denen, die durch eine vorzeitige Endoprothese erreicht werden.
Schlüsselwörter: Knie, Arthrose, Umstellungsosteotomie,
Schlittenendoprothese
Zitierweise
Spahn G, Marintschev I, Hofmann GO. Gelenkerhaltende, valgisierende hohe Tibiakopf-Umstellungsosteotomie bei Gonarthrose.
OUP 2015; 6: 324–332 DOI 10.3238/oup.2015.0324–0332
Summary: The high tibial osteotomy (HTO) is an established method in the treatment of knee osteoarthritis in young and active patients. The effect of this procedure mainly depends on numerous factors:
1. Individual patients factors (general factors like age, gender, compliance, individual physical claims)
2. Configuration of the deformity within the axis. A subtile preoperative planning by using standardized radiographies is an essential tool in this treatment.
3. Painstaking operative technique. The osteotomy has to be stabilized by angle stable implants to avoid loss of correction, pseudarthrosis or other complications.
4. The operation should cause minimum changes within the knee kinematics.
Summarized the method is able to produce an excellent or good outcome for a limited time-interval (nearly 10 years). Thus this procedure produces similar results like the unicondylar replacement-arthroplasties.
Citation
Spahn G, Marintschev I, Hofmann GO. The joint-presurving high
valgus-osteotomy in knee osteoarthritis.
OUP 2015; 6: 324–332 DOI 10.3238/oup.2015.0324–0332
Keywords: knee, osteoarthritis, osteotomy, UKA
Die Gonarthrose ist eine der häufigsten orthopädischen Krankheiten. Zwischen dem 50–60. Lebensjahr beträgt die Prävalenz in der Bevölkerung ca. 10 %. Diese steigt mit zunehmendem Lebensalter nach dem 70. Lebensjahr bei Männern auf ca. 40 % und bei Frauen auf bis zu 50–70 % an. Die jährliche Rate an Neuerkrankungen (Inzidenz) beträgt 200/100.000 Personenjahre [1]. Die Diagnose der Gonarthrose wird in erster Linie durch die Bestimmung des Schweregrads der Gelenkzerstörung anhand radiologischer Parameter (Osteophyten, Verminderung und Aufhebung des Gelenkspalts, Grad der Sklerose, Grad der Fehlstellung) bestimmt. Hierzu gibt es eine Reihe von Klassifikationen, von denen die Kellgren-Lawrence-Klassifikation am gebräuchlichsten ist. Diese radiologischen Veränderungen im Kniegelenk korrelieren jedoch nur zu ca. 60 % wirklich mit den von Patienten vorgetragenen Beschwerden [2].
Bei der Wahl der jeweiligen Behandlungsoption (konservativ, operativ-gelenkerhaltend oder Gelenkersatz) sind in erster Linie die klinischen Beschwerden des Patienten zu beachten, aber vor allem auch seine individuellen Ansprüche an das Gelenk (Arbeit, Sport, Minderung der Lebensqualität). Trotz der enormen Fortschritte im Bereich der Knieendoprothetik in den letzten Jahrzehnten stellt die Endoprothese einen enormen Einschnitt für den Patienten dar. Dabei müssen sich Patient und Orthopäde darüber im Klaren sein, dass die Implantation einer Endoprothese ein „Point of no Return“ ist. Und ebenso muss Klarheit darüber bestehen, dass durch eine Endoprothese häufig erhebliche Einschränkungen in der Belastbarkeit des Beins verursacht werden. Selbst wenn eine Endoprothese ein exzellentes klinisches Outcome erzeugt, für den Patienten bleiben allein aus präventiven Überlegungen heraus Einschränkungen bezüglich der physischen Belastbarkeit des Beins bestehen. Insbesondere für jüngere, noch im Arbeitsleben stehende, Patienten resultiert daraus eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bei mindestens 20 v.H. [3].
Insofern sollte bei jüngeren Arthrosepatienten immer die Möglichkeit einer gelenkerhaltenden Therapieoption geprüft werden, bevor die Indikation zur Endoprothese gestellt wird. Gerade für diese Patienten stellt sich heute die Umstellungsosteotomie als Methode der Wahl dar.
Bezüglich der einzelnen Formen der Arthrose können neben der Pangonarthrose (komplette arthrotische Zerstörung des Gelenks) Arthrosen der einzelnen Kompartimente systematisch unterschieden werden: mediale, Varusgonarthrose; laterale Valgusgonarthrose; Patellofemoralarthrose. Da die Varusgonarthrose die häufigste Form dieser Kompartiment-Arthrosen darstellt, werden wir uns in dieser Übersichtsarbeit in erster Linie mit der Umstellungsosteotomie befassen.
Geschichte der Umstellungsosteotomie
Die Behandlung von pathologischen Fehlstellungen der unteren Extremität, seien sie bedingt durch Erkrankung (zum Beispiel Rachitis), angeboren (idiopathischen genu varum sive valgum) oder verursacht durch traumatische Ereignisse, sind seit Jahrhunderten originärer Inhalt der Arbeit von Chirurgen und Orthopäden.
In der Ära vor der operativen Orthopädie und Unfallchirurgie wurden solche Fehlstellungen in der Regel durch redressierende Verbände und andere Hilfsmittel behandelt. Diese Techniken, insbesondere, am wachsenden Skelett, können mit der Technik eines Gärtners verglichen werden, der versucht, mit einem gezielten Redressement einen schief gewachsenen Baum durch Anbindung an einen Stecken zum geraden Wachstum zu bringen. Diese Analogie wurde nach dem Pariser Kinderarzt Nicolas Andry de Boisregardzum (1658–1742) zum Markenzeichen der Orthopädie.
Mit der Entwicklung der operativen Orthopädie und Unfallchirurgie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde zunehmend versucht, nach Knochendurchtrennung (Osteotomie) Fehlstellungen zu beseitigen. In Ermangelung von geeigneten Implantaten wurden damals solche Korrekturen in Gipsverbänden oder anderen Anordnungen über längere Zeit ruhiggestellt, bis eine knöcherne Konsolidierung in der gewünschten Form der Extremität eintrat. Aufgrund der damaligen Mängel in der Methode waren solche Korrekturen komplikationsbelastet und für die Patienten oft eine monate-, wenn nicht gar jahrelange Tortur.