Übersichtsarbeiten - OUP 06/2015
Gelenkerhaltende, valgisierende hohe Tibiakopf-Umstellungsosteotomie bei Gonarthrose
Gunter Spahn1, Ivan Marintschev2, Gunther O. Hofmann2, 3
Zusammenfassung: Die hohe, valgisierende Tibiakopf-Umstellungsosteotomie (HTO) stellt ein etabliertes Verfahren für die Behandlung von Gonarthrosen bei jüngeren, aktiven Patienten dar. Der Erfolg einer Osteotomie hängt von verschiedenen Faktoren ab:
1. Patienten-spezifische Voraussetzungen (allgemeine Faktoren wie Alter, Geschlecht, Compliance, individuelle Ansprüche an das Gelenk)
2. Charakteristik der arthrotischen Deformierung, die durch eine subtile radiologische Operationsplanung ermittelt werden müssen
3. Operationstechnik mit suffizienter Stabilisierung zur Vermeidung eines Korrekturverlustes oder einer Pseudarthrose; Vermeidung von postoperativen Komplikationen
4. Geringer Eingriff in die Kinematik des Gelenks und die Möglichkeit, eine spätere Endoprothesenversorgung ohne Probleme vornehmen zu können
Insgesamt sind die mittelfristigen Ergebnisse (ca. 10-Jahres-Verlauf) mit den Ergebnissen der Schlittenendoprothese vergleichbar. Allerdings liegen die klinischen Ergebnisse etwas unter denen, die durch eine vorzeitige Endoprothese erreicht werden.
Schlüsselwörter: Knie, Arthrose, Umstellungsosteotomie,
Schlittenendoprothese
Zitierweise
Spahn G, Marintschev I, Hofmann GO. Gelenkerhaltende, valgisierende hohe Tibiakopf-Umstellungsosteotomie bei Gonarthrose.
OUP 2015; 6: 324–332 DOI 10.3238/oup.2015.0324–0332
Summary: The high tibial osteotomy (HTO) is an established method in the treatment of knee osteoarthritis in young and active patients. The effect of this procedure mainly depends on numerous factors:
1. Individual patients factors (general factors like age, gender, compliance, individual physical claims)
2. Configuration of the deformity within the axis. A subtile preoperative planning by using standardized radiographies is an essential tool in this treatment.
3. Painstaking operative technique. The osteotomy has to be stabilized by angle stable implants to avoid loss of correction, pseudarthrosis or other complications.
4. The operation should cause minimum changes within the knee kinematics.
Summarized the method is able to produce an excellent or good outcome for a limited time-interval (nearly 10 years). Thus this procedure produces similar results like the unicondylar replacement-arthroplasties.
Citation
Spahn G, Marintschev I, Hofmann GO. The joint-presurving high
valgus-osteotomy in knee osteoarthritis.
OUP 2015; 6: 324–332 DOI 10.3238/oup.2015.0324–0332
Keywords: knee, osteoarthritis, osteotomy, UKA
Die Gonarthrose ist eine der häufigsten orthopädischen Krankheiten. Zwischen dem 50–60. Lebensjahr beträgt die Prävalenz in der Bevölkerung ca. 10 %. Diese steigt mit zunehmendem Lebensalter nach dem 70. Lebensjahr bei Männern auf ca. 40 % und bei Frauen auf bis zu 50–70 % an. Die jährliche Rate an Neuerkrankungen (Inzidenz) beträgt 200/100.000 Personenjahre [1]. Die Diagnose der Gonarthrose wird in erster Linie durch die Bestimmung des Schweregrads der Gelenkzerstörung anhand radiologischer Parameter (Osteophyten, Verminderung und Aufhebung des Gelenkspalts, Grad der Sklerose, Grad der Fehlstellung) bestimmt. Hierzu gibt es eine Reihe von Klassifikationen, von denen die Kellgren-Lawrence-Klassifikation am gebräuchlichsten ist. Diese radiologischen Veränderungen im Kniegelenk korrelieren jedoch nur zu ca. 60 % wirklich mit den von Patienten vorgetragenen Beschwerden [2].
Bei der Wahl der jeweiligen Behandlungsoption (konservativ, operativ-gelenkerhaltend oder Gelenkersatz) sind in erster Linie die klinischen Beschwerden des Patienten zu beachten, aber vor allem auch seine individuellen Ansprüche an das Gelenk (Arbeit, Sport, Minderung der Lebensqualität). Trotz der enormen Fortschritte im Bereich der Knieendoprothetik in den letzten Jahrzehnten stellt die Endoprothese einen enormen Einschnitt für den Patienten dar. Dabei müssen sich Patient und Orthopäde darüber im Klaren sein, dass die Implantation einer Endoprothese ein „Point of no Return“ ist. Und ebenso muss Klarheit darüber bestehen, dass durch eine Endoprothese häufig erhebliche Einschränkungen in der Belastbarkeit des Beins verursacht werden. Selbst wenn eine Endoprothese ein exzellentes klinisches Outcome erzeugt, für den Patienten bleiben allein aus präventiven Überlegungen heraus Einschränkungen bezüglich der physischen Belastbarkeit des Beins bestehen. Insbesondere für jüngere, noch im Arbeitsleben stehende, Patienten resultiert daraus eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bei mindestens 20 v.H. [3].
Insofern sollte bei jüngeren Arthrosepatienten immer die Möglichkeit einer gelenkerhaltenden Therapieoption geprüft werden, bevor die Indikation zur Endoprothese gestellt wird. Gerade für diese Patienten stellt sich heute die Umstellungsosteotomie als Methode der Wahl dar.
Bezüglich der einzelnen Formen der Arthrose können neben der Pangonarthrose (komplette arthrotische Zerstörung des Gelenks) Arthrosen der einzelnen Kompartimente systematisch unterschieden werden: mediale, Varusgonarthrose; laterale Valgusgonarthrose; Patellofemoralarthrose. Da die Varusgonarthrose die häufigste Form dieser Kompartiment-Arthrosen darstellt, werden wir uns in dieser Übersichtsarbeit in erster Linie mit der Umstellungsosteotomie befassen.
Geschichte der Umstellungsosteotomie
Die Behandlung von pathologischen Fehlstellungen der unteren Extremität, seien sie bedingt durch Erkrankung (zum Beispiel Rachitis), angeboren (idiopathischen genu varum sive valgum) oder verursacht durch traumatische Ereignisse, sind seit Jahrhunderten originärer Inhalt der Arbeit von Chirurgen und Orthopäden.
In der Ära vor der operativen Orthopädie und Unfallchirurgie wurden solche Fehlstellungen in der Regel durch redressierende Verbände und andere Hilfsmittel behandelt. Diese Techniken, insbesondere, am wachsenden Skelett, können mit der Technik eines Gärtners verglichen werden, der versucht, mit einem gezielten Redressement einen schief gewachsenen Baum durch Anbindung an einen Stecken zum geraden Wachstum zu bringen. Diese Analogie wurde nach dem Pariser Kinderarzt Nicolas Andry de Boisregardzum (1658–1742) zum Markenzeichen der Orthopädie.
Mit der Entwicklung der operativen Orthopädie und Unfallchirurgie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde zunehmend versucht, nach Knochendurchtrennung (Osteotomie) Fehlstellungen zu beseitigen. In Ermangelung von geeigneten Implantaten wurden damals solche Korrekturen in Gipsverbänden oder anderen Anordnungen über längere Zeit ruhiggestellt, bis eine knöcherne Konsolidierung in der gewünschten Form der Extremität eintrat. Aufgrund der damaligen Mängel in der Methode waren solche Korrekturen komplikationsbelastet und für die Patienten oft eine monate-, wenn nicht gar jahrelange Tortur.
Diese Situation änderte sich Mitte des 20. Jahrhunderts. Durch die Entwicklung von geeigneten Implantaten konnten Osteotomien zunehmend belastungsstabil fixiert werden. Damit eröffneten sich auch völlig neue Perspektiven.
Im Jahre 1965 führte Marc Coventry [4] erstmals eine Tibiakopf-Umstellungsosteotomie (high tibial osteotomy; HTO) bei einer völlig anderen Indikation durch, der Varusgonarthrose. Er konnte eine große Zahl von Patienten über einen sehr langen Zeitraum von ca. 15 Jahren nachverfolgen und erlangte für die damaligen Verhältnisse ausgesprochen gute Langzeitergebnisse: „A study of 213 knees with a 16-year follow-up period showed that, even before total knee arthroplasty was available as an alternative, 61 % of the knees were satisfactory after ten years“. Allerdings war die damals von ihm durchgeführte Osteotomie in der seitlichen „closed-wedge“-Technik auch mit einer Reihe von Nachteilen behaftet, die im Nachfolgenden noch näher diskutiert werden. Diese Nachteile, insbesondere auch die zum Teil hohen Komplikationsraten, führten dazu, dass die Umstellungsosteotomie mit Etablierung der Schlittenendoprothetik Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts drohte, ins Abseits zu geraten. Damals konstatierte Coventry selbst: “In the 60s we saw the development of osteotomy and in the 70s we saw the development of replacement. “[5, 6].
Mit Beginn der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wiederum erlebte die Umstellungsosteotomie bei der Behandlung der Gonarthrose durch die Einführung der öffnenden Osteotomie und durch die Fortschritte im Bereich der winkelstabilen Implantate eine Renaissance. Heute stellt die Methode eine wesentliche Bereicherung des Spektrums der Behandlungsmöglichkeiten dar. Sie steht zwischen der konservativen und der endoprothetischen Behandlung [7].
Pathophysiologie der Arthrose in Bezug auf die Beinachse
Über viele Jahre hinweg wurde angenommen, Fehlstellungen innerhalb der Beinachse seien ein wesentlicher Risikofaktor für die Entstehung von Gonarthrosen. Hackenbroch nennt solche Fehlstellungen eine „präarthrotische Deformierung“ [8]. Die Beinachse des Menschen unterliegt jedoch erheblichen individuellen Schwankungen. Innerhalb einer 95er Perzentile stellen solche Deformierungen Normvarianten, jedoch keine Risikofaktoren für die Entstehung einer Gonarthrose dar. Bei der genuinen Varus- oder Valgus-Variante bestehen Verbiegungen innerhalb der Längen von Femur oder Tibia, ohne dass die mechanische Tragachse des Beins und damit die Belastung des Kniegelenks in irgendeiner Weise unphysiologisch verändert ist [9]. Mit hoher Wahrscheinlichkeit stellen nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen solche Normvarianten keinen Risikofaktor für die Entstehung der Gonarthrose dar [10, 11, 12, 1, 13].
Die Genese des mit einer Gonarthrose assoziierten pathologischen Varus oder Valgus ist hingegen eine ganz andere. Bedingt durch den im Rahmen der Gonarthrose entstehenden Knorpelverlust und der Mehrbelastung des subchondralen Knochens, sintert der Knochen zusammen und es kommt unmittelbar in Angrenzung an die Gelenkflächen zur Ausbildung der arthrosebedingten Deformierung (Abb. 1).
Wie in Abbildung 1 zu sehen ist, ist die Varusfehlstellung bei der Gonarthrose in den meisten Fällen erst als Folge der Mehrbelastung des subchondralen Knochens infolge der Knorpelschäden entstanden. Ziel der Osteotomie ist es dabei, die physiologische Achse wiederherzustellen, um somit eine Verminderung der Druckbelastung im medialen Gelenkkompartiment zu erzielen. Dadurch verbessert sich die Funktion des Gelenks, die Arthroseprogression kann verlangsamt oder gestoppt werden. Gelegentlich kommt es sogar dazu, dass sich der Gelenkknorpel zumindest teilweise regeneriert.
Indikation
Wie bei jeder anderen Operation auch, hängt der Erfolg entscheidend von einer guten Indikationsstellung ab. Dabei ist grundsätzlich zunächst zu prüfen, ob die Beschwerden des Patienten wesentlich mit arthrosebedingter Achsabweichung und der damit zusammenhängenden Fehlbelastung im Gelenk zusammenhängt. Dies kann nur durch eine standardisierte Planung geklärt werden. Dabei kann es gelegentlich sinnvoll sein, dem Patienten zunächst gelenkentlastende Hilfsmittel (varisierende oder valgisierende Orthesen oder Schuheinlagen) zu verordnen. Schätzt der Patient ein, dass unter Gebrauch dieser Hilfsmittel Schmerzen und Funktion gebessert werden, so kann nach diesem „Testlauf“ davon ausgegangen werden, dass der Patient auch wirklich von einer Osteotomie profitiert.
Weiterhin ist es unabdingbar, dem Patienten deutlich die bereits entstandenen irreversiblen Arthroseveränderungen im Gelenk darzulegen. Die Osteotomie bewirkt keine Heilung der Arthrose; sie ist vielmehr geeignet, die Funktion des beschädigten Gelenks über einen längeren Zeitraum zu verbessern und ggf. auch den Arthroseprozess und eine zunehmende Gelenkinsuffizienz zu verlangsamen oder aufzuhalten.
Grundsätzlich kommen für eine Osteotomie biologisch jüngere Patienten mit hohem physischen Anspruch infrage, die u.U. auch gewillt sind, ein im Vergleich zur Schlittenendoprothese etwas schlechteres Outcome in Kauf zu nehmen, dies aber mit dem Vorteil, noch ein weitgehend belastbares natürliches Gelenk zu behalten. Absolute und relative Kontraindikationen für den Eingriff sind in Tabelle 1 gelistet.
Weiterhin setzt die Indikation eine gute Compliance voraus, z.B. den Verzicht auf Nikotin. In einer retrospektiven Auswertung unseres eigenen Patientenguts konnten wir zudem Faktoren ermitteln, die im Sinne eines Scores bei der Indikationsstellung eine weitere Hilfe sein können (Tab. 2).
Spahn et al. [39] haben eine größere Zahl von Patienten nach Umstellungsosteotomie ausgewertet und fanden dabei im ursprünglichen Patientengut bei ca. 20 % ein eher schlechtes Ergebnis. In einer Regressionsanalyse wurden eine Reihe von Faktoren ermittelt, die potenziell mit einem schlechteren Ergebnis assoziiert sind. Liegen mehr als 3 der in Tabelle 2 aufgeführten Faktoren vor, so sollte die Indikation zum Eingriff eher zurückhaltend gestellt werden. Zudem zeigte sich, dass Frauen insgesamt weniger von dem Eingriff profitieren als vergleichbare Kollektive von Männern. Hingegen spielt das Ausmaß der Knorpelschäden im Bereich des Femurkondyls in Bezug auf das Outcome keine Rolle.
Planung
Entscheidendes diagnostisches Instrument für eine Osteotomieplanung ist die standardisierte Röntgendiagnostik. Unabdingbar sind dabei Standaufnahmen beider Kniegelenke und Ganzbein-Standaufnahmen in 2 Ebenen. Während komplexe Deformierungen (z.B. posttraumatische Zustände) ggf. durch eine zusätzliche Computertomografie abzuklären sind, ist dies bei der Planung der Umstellungsosteotomie im Falle einer idiopathischen Gonarthrose in der Regel verzichtbar.
Bis zur Einführung der digitalen Speicherung von Röntgenbefunden war die Verwendung langer Röntgenfilme Methode der Wahl. Die Planung erfolgte früher auf großen Röntgentechniken unter Verwendung von Pergamentfolien. Heute dürfte die Auswertung der im DICOM-Format gespeicherten Bilder mittels geeigneter Software Methode der Wahl sein [14].
Zunächst ist die Deformierung genau zu analysieren. Die Bestimmung des anatomischen Femur-Tibia-Winkels ist für die Planung einer Osteotomie eher von untergeordneter Bedeutung. Entscheidend ist die Bestimmung des mechanischen Varus- oder Valguswinkels (Hüftkopf-Kniezentrum/Kniezentrum- Sprunggelenk-Zentrum). Die Verschiebung der Tragachse des Beins (Mikulicz-Linie als Verbindungslinie vom Hüftkopf-Zentrum zum Zentrum des Sprunggelenks) demonstriert dabei das Ausmaß der Fehlbelastung im Kniegelenk. Diese Linie sollte für eine gute Indikation zur Umstellungsosteotomie deutlich abweichend von der Kniemitte in Richtung mediales oder laterales Kompartiment verlaufen (Abb. 2).
Ebenso ist es wichtig, eine mögliche Deformierung in der Sagittalebene (z.B. Genu recurvatum) zu erkennen. Solche Deformierungen lassen sich heute gut durch die variablen Schnittführungen der öffnenden Osteotomie mitbehandeln.
Nach diesen Messungen muss der Scheitelpunkt der Deformierung bestimmt werden. Dieser liegt im Falle eines pathologischen Varus in der Regel im Bereich des medialen Schienbeinkopfs, im Falle eines pathologischen Valgus in der Regel im Bereich des distalen Femurs. Wurde dieser dann ermittelt, so lässt sich digital die geplante Osteotomie auf die Röntgenbilder auftragen und somit die spätere Korrektur simulieren.
Das wesentliche Ziel der Osteotomie ist, die Funktion des Kniegelenks durch eine Optimierung der Belastungsachse des Beins wiederherzustellen. Über den anzustrebenden idealen Verlauf dieser Linie besteht bisher in der Literatur noch keine einhellige Meinung. In früherer Zeit wurde eher angestrebt, durch die Osteotomie eine Überkorrektur zu erzielen. Dies war häufig mit erstaunlich guten funktionellen Ergebnissen verbunden, hat jedoch den großen Nachteil, dass eine spätere Endoprothesenversorgung schwierig sein kann. Daher wird heute eher angestrebt, die Korrektur so vorzunehmen, dass die Tragachse des Beins eher durch die physiologische Kniemitte verläuft. Bei der Varuskorrektur kann postoperativ die Beinachse leicht in das mediale Gelenkkompartiment hineinverlaufen [15, 16]. Dieser Zielpunkt (Fujisawa Point) liegt an der lateralen Begrenzung der Eminentia intercondylaris (Abb. 3).
Arthroskopie als unverzichtbarer Zusatzeingriff
Grundsätzlich sollte die Tibiakopfosteotomie mit einer zeitnahen oder simultanen Arthroskopie erfolgen. In erster Linie geht es dabei um eine endgültige Bestätigung der Indikation, und sie dient zum Ausschluss vorhandener Kontraindikationen (Knorpelschaden im lateralen Kompartiment, insbesondere aber lateraler Meniskusschaden bzw. -verlust). Eine alleinige Kernspintomografie reicht dabei nicht aus. Die mechanische Qualität von Knorpel und Meniskus lassen sich nur durch eine direkte Palpation während der Arthroskopie bestimmen. Weiterhin ist es oft nur durch einen zusätzlichen intraartikulären Eingriff (z.B. Meniskusresektion, Entfernen intraartikulärer Osteophyten oder Kapsel-Release) möglich, die Gelenkbeweglichkeit so weit wiederherzustellen, dass eine Umstellungsosteotomie überhaupt sinnvoll ist. Schließlich ist es auch durch zusätzliche Maßnahmen am Gelenkknorpel (bioregenerative Techniken) möglich, eine gewisse Regeneration der Gelenkflächen in Bezug auf den Gelenkknorpel zu erzeugen.
Techniken der Umstellungsosteotomie
In der ursprünglich von Coventry beschriebenen lateralen Technik (closed-wedge) wurde aus dem lateralen Tibiakopf ein Knochenkeil entfernt, der Osteotomiespalt zugeklappt und mit geeigneten Implantaten (Knochenklammern, Platten, wie z.B. die Giebel-Platte oder durch Anlage eines Fixateur externe) fixiert. Diese Technik ist mit einer Reihe von Nachteilen behaftet. Dazu zählen der Knochenverlust und die Störung des Alignments am lateralen Schienbeinkopf (Kontursprung), was zum Teil bei einer späteren endoprothetischen Versorgung erhebliche Probleme bereiten kann. Gelegentlich ist es zudem erforderlich, die Fibula zu osteotomieren, infolgedessen es hier zu schmerzhaften Pseudarthrosen kommen kann. Weiterhin kommt es bei der lateralen Osteotomie aufgrund der anatomischen Nähe in bis zu 20 % zu vorübergehenden oder dauernden Paresen des N. peroneus [17]. Ebenso ist es intraoperativ nur schwer möglich, eine exakte Balancierung der Osteotomie durchzuführen.
Trotz dieser offensichtlichen Nachteile war die laterale Technik über viele Jahrzehnte hinweg Goldstandard [18]. Dies war dem Umstand geschuldet, dass es für die alternative medial-öffnende Osteotomie (opening-wegde) keine geeigneten sicheren Implantate für die Stabilisierung gab, sodass es häufig zu einem Korrekturverlust kam.
Erst mit der Einführung der winkelstabilen Implantate, speziell für diese Indikation ausgelegt, änderte sich dies Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Heute wird diese Methode von vielen Autoren als Methode der Wahl angesehen. Bei der hohen primären Stabilität ist es heute in der Regel nicht erforderlich, den Osteotomiespalt mit einer autologenen Spongiosaplastik zu versorgen. Damit fällt der Nachteil einer eventuellen Beckenkamm-Osteotomie weg. Gelegentlich wird noch das Einbringen von Knochenersatzstoffen empfohlen. Im Hinblick auf die möglichen, damit verbundenen schweren Komplikationen, sollte dies jedoch möglichst vermieden und im Zweifelsfall autologer Knochen verwandt werden. Unsere eigenen Erfahrungen zeigten jedoch, dass dies in den seltensten Fällen erforderlich ist.
Bezüglich der Implantatwahl gibt es grundsätzlich 2 verschiedene Möglichkeiten. Auf der einen Seite stehen hier reine, den Gegebenheiten der Osteotomie angepasste winkelstabile Platten (zum Beispiel Tomofix, Johnson & Johnson Medical Products Gmbh). Basierend auf der Idee von Puddu besteht daneben auch die Möglichkeit, in den Osteotomiespalt unter Kontakt der Kortikalis einen Spacer einzubringen, der die Osteotomie über die Zeit der Konsolidierung offen hält [19]. In der ursprünglichen Version wurden solche Spacer mit einer nicht-winkelstabilen Platte angebracht. Dieses Verfahren hatte entscheidende biomechanische Nachteile und führte häufig zum Versagen des Implantats. Heute stehen hingegen Kombinationsimplantate (mobiler Spacer mit winkelstabiler Platte) zur Verfügung, z.B. in Form der Tibiakopfplatte Königsee Implantate GmbH. Beide Verfahren gewährleisten eine hohe primäre Stabilität [20, 21, 22].
Auch wenn die Osteotomierichtung in erster Linie auf eine Korrektur in der Frontalebene abzielt, so werden heute üblicherweise keine eindimensionalen Schnittführungen mehr verwandt. In der Sagittalebene wird die Hauptosteotomie heute bevorzugt mit einer zusätzlichen, inkompletten aufsteigenden Schrägosteotomie (biplanare Technik) kombiniert, was große Kontaktflächen innerhalb der Osteotomie und hohe, bereits durch die Schnitttechnik bewirkte, Stabilität gewährleistet [23].
Im Vergleich zur lateralen Technik bleibt auch nach der Operation das Tibia-Alignment erhalten, wodurch eine spätere Endoprothetik weniger erschwert wird. Weiterhin ist es auch intraoperativ immer möglich, die Osteotomie bezüglich des Korrekturausmaßes anzupassen. Dies sind die wesentlichen Vorzüge der medialen Osteotomie im Vergleich zur lateralen Technik.
Nur in Ausnahmefällen kommen bei der Behandlung der primären Gonarthrose andere Techniken zum Einsatz, z.B. die Kallotaxis mit externer Fixation [24] oder die Rotations-Pendelosteotomie nach Maquet [25]. Eine Mehr-Etagen-Osteotomie [26] kann bei sehr großen Korrekturwinkeln angewandt werden, allerdings kommen solche Fehlstellungen bei einer primären Gonarthrose eher seltener vor. Liegen solche schweren Störungen (> 20°) vor, so ist die Arthrose meist bereits so weit fortgeschritten, dass für eine Osteotomie keine Indikation mehr besteht. Wesentliche Operationsschritte (eigene Technik) einer medialen, öffnenden Osteotomie sind in Abbildung 4 dargestellt.
Ergebnisse
Ziel der HTO ist es, die Funktion des Kniegelenks bei medialer Varusgonarthrose zu verbessern, die Belastbarkeit zu erhalten und die Schmerzen zu reduzieren. Bei einem großen Teil der Patienten gelingt dies für einen Zeitraum von ca. 10 Jahren [27, 28]. Den einmal in Gang gekommenen Arthroseprozess kann man selbstverständlich durch diese Maßnahme allenfalls verlangsamen, evtl. auch für einen gewissen Zeitraum aufhalten. Gelegentlich kann es sogar zu einer Regeneration der bereits beschädigten Knorpelflächen kommen (in Abhängigkeit von der jeweils angewandten arthroskopischen Zusatztherapie). Allerdings korreliert der Grad einer möglichen Knorpelregeneration nicht mit dem klinischen Ergebnis.
Dabei müssen sich die Ergebnisse in erster Linie am „Konkurrenz-Verfahren“, der Schlittenendoprothese, messen lassen. Insgesamt scheint es so, dass vor allem jüngere und aktive Patienten von einer HTO im Hinblick auf die mechanische Belastbarkeit der Kniegelenke profitieren [29].
Nachbehandlung,
Metallentfernung,
Kontrollarthroskopie
Aufgrund der hohen Stabilität der heute zur Verfügung stehenden, meist winkelstabilen Implantate, ist eine Vollbelastung des operierten Beins, in Abhängigkeit vom Stand der Wundheilung und der jeweiligen Schmerzsituation, bereits kurze Zeit nach dem Eingriff unlimitiert möglich. Die Weiterbehandlung des Patienten entspricht den Standards der konservativen Arthrosebehandlung.
Röntgenkontrollen sind in der Regel in ca. vierteljährlichen Abständen bis zum Abschluss der knöchernen Konsolidierung der Osteotomie erforderlich, um eine mögliche verzögerte Knochenheilung möglichst früh zu erkennen. In der Regel sind die Osteotomien nach ca. 1,5–2 Jahren ausgeheilt, zu diesem Zeitpunkt sollte das Metallimplantat entfernt werden. Die Metallentfernung ist aus mehreren Gründen sinnvoll. Zum einen bedingen die medial lokalisierten Platten häufig einen gewissen Reizzustand im Bereich des Pes anserinus. Nach der Metallentfernung berichten eine Reihe von Patienten nochmals über eine deutlich verbesserte Schmerzsituation und Funktion des Gelenks. Weiterhin muss die Osteotomie oft als Zwischenlösung vor einem späteren Gelenkersatz angesehen werden. Es entspricht der klinischen Erfahrung, dass langjährig verbleibende Metalle oft mit komplikationsträchtigen Entfernungen verbunden sind. Daher sollte zum frühestmöglichen Zeitpunkt dieser Folgeeingriff durchgeführt werden. Es ist unbestreitbar ein großer Nachteil der Umstellungsosteotomie, dass dieser, gelegentlich auch komplikationsbelastete, Eingriff erforderlich ist [30].
Derzeit Gegenstand kontroverser Diskussion ist die Frage, ob die Metallentfernung mit einer simultanen Kontrollarthroskopie des Gelenks kombiniert werden sollte. Bei völlig beschwerdefreien Patienten ist dies sicherlich nicht indiziert, allerdings sollte die Möglichkeit dieser Kontrollarthroskopie bei denjenigen Patienten erfolgen, die trotz komplikationsfreier Osteotomie nicht beschwerdefrei sind. In diesen Fällen bietet es sich an, nochmals mögliche intraartikuläre Pathologien zu adressieren. Ebenso ist die Kontrollarthroskopie wie keine andere Methode in der Lage, nochmals das Ausmaß der intraartikulären Knorpelschäden bzw. deren Regeneration zu bestimmen, umso den Patienten auch eine reale Information über die Prognose ihrer Erkrankung zu geben.
Komplikationen, Probleme beim späteren Gelenksersatz
Neben den typischen postoperativen Komplikationen wie Hämatom, Infekt, Thrombose usw. bestehen nach der Osteotomie prinzipiell eine Reihe eingriffstypischer Komplikationsmöglichkeiten [31].
Intraoperativ kann es bei der medialen HTO zu einem Bruch der gegenseitigen Kortikalis kommen [32]. Werden jedoch winkelstabile Implantate verwandt, so ist die Gefahr einer sekundären Instabilität eher gering. Zudem bedingen das intakt bleibende Periost und das stabile Tibiofibulargelenk eine Art stabilisierende Zuggurtung. Bei abrupter Öffnung der Osteotomie kann es zudem zu einer Infraktion der lateralen Tibiagelenkfläche kommen. Dies lässt sich durch vorsichtige Manipulation und das Belassen der Führungsdrähte für die Sägeschnitte beim Aufweiten weitgehend vermeiden. Außerdem sollte während der Eröffnung engmaschig unter dem Bildwandler kontrolliert werden. Damit ist gewährleistet, dass möglicherweise zwar der Knochen bricht, der Knorpel jedoch intakt bleibt, sodass eine exakte Reposition und Fixierung mit einer zusätzlich eingebrachten Zugschraube unter arthroskopischer Kontrolle zu keiner Zerstörung der Gelenkfläche führt.
Vor allem wenn die Implantate auch nach der knöchernen Konsolidierung in situ verbleiben, kann es vorkommen, dass vor allem Schraubenkörper brechen, was eine spätere Metallentfernung erschwert. Bei der Verwendung der heute üblichen Implantate ist komplettes Materialversagen jedoch ausgesprochen selten geworden. Trotz sorgfältiger Planung und intraoperativer Anpassung der Osteotomie an die Gegebenheiten der Beinachse kann es trotzdem zu einer Über- oder Unterkorrektur kommen. Nach unserer Erfahrung ist eine Valgusüberkorrektur oft sogar mit einem besseren Outcome assoziiert. Allerdings kann dies eine spätere Endoprothesenversorgung erheblich erschweren. In Abhängigkeit vom jeweiligen Einzelfall muss daher überlegt werden, ob hier eine Revision erforderlich wird. Unterkorrekturen kommen zwar relativ selten vor, auch hier muss im Einzelfall über eine nochmalige Revision entschieden werden.
Die knöcherne Konsolidierung ist nach einer HTO in der Regel nach 1–1,5 Jahren vollständig abgeschlossen. Radiologisch findet sich dann eine nahezu normale Knochenstruktur innerhalb der ehemaligen Osteotomiezone (Abb. 3). Gelegentlich kann es vorkommen, dass der Osteotomiespalt noch längere Zeit im Röntgenbild sichtbar bleibt, im Grunde aber dieser bildgebende Befund dem eigentlichen Heilungsprozess „nachläuft“. Nach unseren Erfahrungen sollte die Indikation zur Revision in diesem Falle außerordentlich zurückhaltend gestellt werden (Abb. 5).
Schließlich ist auch zu beachten, dass es durch die Osteotomie zu Veränderungen innerhalb der Gleitbahn der Patella kommen kann: nach lateraler Osteotomie als Patella alta und nach medialer Osteotomie zur Patella baja [33, 34].
Die Gesamtrate von Komplikationen, unabhängig von ihrer Schwere und dem Einfluss auf das Therapieergebnis, beträgt nach HTO 13,8 %. Die Komplikationsrate nach Schlittenendoprothese liegt damit allerdings nur wenig und nicht signifikant darunter (11,3 %) [35]. Die in Abbildung 5 dargestellte Kasuistik mag aber auch verdeutlichen: Nicht alle zunächst augenscheinlichen Komplikationen müssen unbedingt das Operationsergebnis nachhaltig reduzieren.
Bezüglich des Komplikationsrisikos darf an dieser Stelle natürlich nicht außer Acht gelassen werden, dass auch die erforderliche Metallentfernung in etwa 5 % der Fälle Komplikationen erzeugen kann [36].
Weiterhin muss immer auch die später einmal notwendig werdende Versorgung mit einer Endoprothese ins Kalkül gezogen werden. Während früher nach öffnenden Osteotomien mit Valgusüberkorrektur zum Teil erhebliche Probleme auftraten, so scheint es, dass die Endoprothesenversorgung nach medial öffnender Osteotomie, bei der heute keine wesentliche Überkorrektur mehr angestrebt wird, nicht in der gleichen Häufigkeit mit Problemen behaftet ist [37, 38].
Danksagung: Für die Zurverfügungstellung der Röntgenaufnahmen danken wir Frau Dr. Cornelia Retzlaff (Radiologische Praxis Eisenach. Überörtliche Radiologische Berufsausübungsgemeinschaft Eisenach-Eschwege GbR).
Interessenkonflikt: G. Spahn hat in Zusammenarbeit mit der Firma Königssee GmbH die in dem Artikel mehrfach genannte Platte entwickelt und validiert. Er bezieht von der Firma Honorare als Berater.
Korrespondenzadresse
PD Dr. med. habil. Gunter Spahn
Sophienstraße 16
99817 Eisenach
spahn@pk-eisenach.de
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Fussnoten
1 Praxisklinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Eisenach
2 Universitätsklinikum Jena, Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie
3 Berufsgenossenschaftliche Klinik Bergmannstrost, Halle/S