Übersichtsarbeiten - OUP 06/2015
Gelenkerhaltende, valgisierende hohe Tibiakopf-Umstellungsosteotomie bei Gonarthrose
Entscheidendes diagnostisches Instrument für eine Osteotomieplanung ist die standardisierte Röntgendiagnostik. Unabdingbar sind dabei Standaufnahmen beider Kniegelenke und Ganzbein-Standaufnahmen in 2 Ebenen. Während komplexe Deformierungen (z.B. posttraumatische Zustände) ggf. durch eine zusätzliche Computertomografie abzuklären sind, ist dies bei der Planung der Umstellungsosteotomie im Falle einer idiopathischen Gonarthrose in der Regel verzichtbar.
Bis zur Einführung der digitalen Speicherung von Röntgenbefunden war die Verwendung langer Röntgenfilme Methode der Wahl. Die Planung erfolgte früher auf großen Röntgentechniken unter Verwendung von Pergamentfolien. Heute dürfte die Auswertung der im DICOM-Format gespeicherten Bilder mittels geeigneter Software Methode der Wahl sein [14].
Zunächst ist die Deformierung genau zu analysieren. Die Bestimmung des anatomischen Femur-Tibia-Winkels ist für die Planung einer Osteotomie eher von untergeordneter Bedeutung. Entscheidend ist die Bestimmung des mechanischen Varus- oder Valguswinkels (Hüftkopf-Kniezentrum/Kniezentrum- Sprunggelenk-Zentrum). Die Verschiebung der Tragachse des Beins (Mikulicz-Linie als Verbindungslinie vom Hüftkopf-Zentrum zum Zentrum des Sprunggelenks) demonstriert dabei das Ausmaß der Fehlbelastung im Kniegelenk. Diese Linie sollte für eine gute Indikation zur Umstellungsosteotomie deutlich abweichend von der Kniemitte in Richtung mediales oder laterales Kompartiment verlaufen (Abb. 2).
Ebenso ist es wichtig, eine mögliche Deformierung in der Sagittalebene (z.B. Genu recurvatum) zu erkennen. Solche Deformierungen lassen sich heute gut durch die variablen Schnittführungen der öffnenden Osteotomie mitbehandeln.
Nach diesen Messungen muss der Scheitelpunkt der Deformierung bestimmt werden. Dieser liegt im Falle eines pathologischen Varus in der Regel im Bereich des medialen Schienbeinkopfs, im Falle eines pathologischen Valgus in der Regel im Bereich des distalen Femurs. Wurde dieser dann ermittelt, so lässt sich digital die geplante Osteotomie auf die Röntgenbilder auftragen und somit die spätere Korrektur simulieren.
Das wesentliche Ziel der Osteotomie ist, die Funktion des Kniegelenks durch eine Optimierung der Belastungsachse des Beins wiederherzustellen. Über den anzustrebenden idealen Verlauf dieser Linie besteht bisher in der Literatur noch keine einhellige Meinung. In früherer Zeit wurde eher angestrebt, durch die Osteotomie eine Überkorrektur zu erzielen. Dies war häufig mit erstaunlich guten funktionellen Ergebnissen verbunden, hat jedoch den großen Nachteil, dass eine spätere Endoprothesenversorgung schwierig sein kann. Daher wird heute eher angestrebt, die Korrektur so vorzunehmen, dass die Tragachse des Beins eher durch die physiologische Kniemitte verläuft. Bei der Varuskorrektur kann postoperativ die Beinachse leicht in das mediale Gelenkkompartiment hineinverlaufen [15, 16]. Dieser Zielpunkt (Fujisawa Point) liegt an der lateralen Begrenzung der Eminentia intercondylaris (Abb. 3).
Arthroskopie als unverzichtbarer Zusatzeingriff
Grundsätzlich sollte die Tibiakopfosteotomie mit einer zeitnahen oder simultanen Arthroskopie erfolgen. In erster Linie geht es dabei um eine endgültige Bestätigung der Indikation, und sie dient zum Ausschluss vorhandener Kontraindikationen (Knorpelschaden im lateralen Kompartiment, insbesondere aber lateraler Meniskusschaden bzw. -verlust). Eine alleinige Kernspintomografie reicht dabei nicht aus. Die mechanische Qualität von Knorpel und Meniskus lassen sich nur durch eine direkte Palpation während der Arthroskopie bestimmen. Weiterhin ist es oft nur durch einen zusätzlichen intraartikulären Eingriff (z.B. Meniskusresektion, Entfernen intraartikulärer Osteophyten oder Kapsel-Release) möglich, die Gelenkbeweglichkeit so weit wiederherzustellen, dass eine Umstellungsosteotomie überhaupt sinnvoll ist. Schließlich ist es auch durch zusätzliche Maßnahmen am Gelenkknorpel (bioregenerative Techniken) möglich, eine gewisse Regeneration der Gelenkflächen in Bezug auf den Gelenkknorpel zu erzeugen.
Techniken der Umstellungsosteotomie
In der ursprünglich von Coventry beschriebenen lateralen Technik (closed-wedge) wurde aus dem lateralen Tibiakopf ein Knochenkeil entfernt, der Osteotomiespalt zugeklappt und mit geeigneten Implantaten (Knochenklammern, Platten, wie z.B. die Giebel-Platte oder durch Anlage eines Fixateur externe) fixiert. Diese Technik ist mit einer Reihe von Nachteilen behaftet. Dazu zählen der Knochenverlust und die Störung des Alignments am lateralen Schienbeinkopf (Kontursprung), was zum Teil bei einer späteren endoprothetischen Versorgung erhebliche Probleme bereiten kann. Gelegentlich ist es zudem erforderlich, die Fibula zu osteotomieren, infolgedessen es hier zu schmerzhaften Pseudarthrosen kommen kann. Weiterhin kommt es bei der lateralen Osteotomie aufgrund der anatomischen Nähe in bis zu 20 % zu vorübergehenden oder dauernden Paresen des N. peroneus [17]. Ebenso ist es intraoperativ nur schwer möglich, eine exakte Balancierung der Osteotomie durchzuführen.
Trotz dieser offensichtlichen Nachteile war die laterale Technik über viele Jahrzehnte hinweg Goldstandard [18]. Dies war dem Umstand geschuldet, dass es für die alternative medial-öffnende Osteotomie (opening-wegde) keine geeigneten sicheren Implantate für die Stabilisierung gab, sodass es häufig zu einem Korrekturverlust kam.
Erst mit der Einführung der winkelstabilen Implantate, speziell für diese Indikation ausgelegt, änderte sich dies Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Heute wird diese Methode von vielen Autoren als Methode der Wahl angesehen. Bei der hohen primären Stabilität ist es heute in der Regel nicht erforderlich, den Osteotomiespalt mit einer autologenen Spongiosaplastik zu versorgen. Damit fällt der Nachteil einer eventuellen Beckenkamm-Osteotomie weg. Gelegentlich wird noch das Einbringen von Knochenersatzstoffen empfohlen. Im Hinblick auf die möglichen, damit verbundenen schweren Komplikationen, sollte dies jedoch möglichst vermieden und im Zweifelsfall autologer Knochen verwandt werden. Unsere eigenen Erfahrungen zeigten jedoch, dass dies in den seltensten Fällen erforderlich ist.
Bezüglich der Implantatwahl gibt es grundsätzlich 2 verschiedene Möglichkeiten. Auf der einen Seite stehen hier reine, den Gegebenheiten der Osteotomie angepasste winkelstabile Platten (zum Beispiel Tomofix, Johnson & Johnson Medical Products Gmbh). Basierend auf der Idee von Puddu besteht daneben auch die Möglichkeit, in den Osteotomiespalt unter Kontakt der Kortikalis einen Spacer einzubringen, der die Osteotomie über die Zeit der Konsolidierung offen hält [19]. In der ursprünglichen Version wurden solche Spacer mit einer nicht-winkelstabilen Platte angebracht. Dieses Verfahren hatte entscheidende biomechanische Nachteile und führte häufig zum Versagen des Implantats. Heute stehen hingegen Kombinationsimplantate (mobiler Spacer mit winkelstabiler Platte) zur Verfügung, z.B. in Form der Tibiakopfplatte Königsee Implantate GmbH. Beide Verfahren gewährleisten eine hohe primäre Stabilität [20, 21, 22].