Übersichtsarbeiten - OUP 05/2013
Geriatrische BeckenfrakturenDiagnostik- und TherapieprinzipienPrinciples of diagnosis and therapy
T. Fuchs1, M. Freistühler1, M. Raschke1
Zusammenfassung: Die Inzidenz der Beckenringfraktur steigt zunehmend mit höherem Alter und gewinnt in Anbetracht der alternden Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. Der Mechanismus, der bei älteren Menschen zu Frakturen des Beckens führt, unterscheidet sich von dem jüngerer Patienten. Während Hochenergietraumen über alle Altersgruppen verteilt zu Frakturen des Beckenrings führen, sind es beim älteren Patienten häufig die Niedrigenergietraumen wie z.B. Stürze aus dem Stand. Oftmals sind diese für den Patienten nicht mehr erinnerlich. Dies führt bei scheinbar inadäquatem Trauma zu einer erschwerten und oft verzögerten Diagnosestellung und somit zu einem langen Leidensweg. Der polytraumatisierte ältere Patient mit Frakturen des Beckens muss schnellstmöglich stabilisiert werden, da bei fehlenden Kompensationsmöglichkeiten die Gefahr des hämorrhagischen Schocks hoch ist. Die Versorgung der Beckenfraktur erschwert sich jedoch auf Grund der meist Osteoporose bedingten geminderten Knochenqualität. Frakturen nach Niedrigenergietrauma werden bildmorphologisch häufig zunächst im Bereich des vorderen Beckenrings erkannt. Besonders bei diesen Verletzungen ist die zusätzliche Abklärung durch CT oder MRT unabdingbar, damit die häufig zusätzlich vorliegende Fraktur des hinteren Beckenrings erkannt wird.
Osteoporotische Sakruminsuffizienzfrakturen können sowohl konservativ als auch operativ therapiert werden. Bei der operativen Behandlung stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung. Das Spektrum reicht von der reinen Sakroplastie, über minimalinvasive perkutane Verfahren, die spinopelvine Aufhängung bis hin zur offenen Rekonstruktion mit Hilfe von winkelstabilen Implantaten. Welches Verfahren sich durchsetzen wird, muss noch durch entsprechende Studien ermittelt werden. Derzeit scheint die Kombination aus minimalinvasiven Techniken mit Zementaugmentation vielversprechend. Dieser Artikel soll einen Überblick über die aktuellen Standards zur Diagnostik und die möglichen Therapieoptionen bei geriatrischen Beckenringfrakturen bieten.
Schlüsselwörter: Beckenfraktur, Sakruminsuffizienzfraktur, Osteoporose , geriatrische Fraktur
Abstract: The incidence of pelvic ring fractures is increasing with higher ages and becomes more important with an aging society. The mechanism, which leads to pelvic fractures in elderly, is different from the one in younger patients. Next to high energy accidents which cause pelvic fractures over all ages, low energy trauma such as falls from the stand causes most of the fractures in the elderly patient. But often those kinds of accident were not remembered at all. This leads by an apparently inadequate trauma to a delayed finding of the correct diagnosis and therapy and not uncommon to a long time period of suffering. The multiple injured elderly patient with pelvic fractures needs to be stabilized urgently, because compensation mechanisms are low and risk of a hemorrhagic shock is high. The definite care of these fractures is complicated due to osteoporotic bone quality. Fractures after low energy trauma are often first recognized in the ventral pelvic ring. Fractures of the dorsal pelvic ring are often overlooked when decisive CT or MRI-scans are missing. Osteoporotic sacral insufficiency fracture could be treated conservative and operatively as well. The operative treatment includes several options. The spectrum ranges from sacroplasty over minimal invasive percutaneous systems and spine to pelvic fixations to open reconstructions with angular stable implants. Which of these methods will prevail needs to be examined. A combination of minimal invasive techniques and cement augmentation seems to be very promising. This article is intended to give an overview over the current diagnostic standards and therapy options of geriatric pelvic fractures.
Keywords: pelvic fracture , sacrum insufficiency fracture, osteoporosis, geriatric fracture
Einleitung
Die Inzidenz der Beckenringfrakturen steigt mit dem Alter zunehmend [1]. Während bei jüngeren Patienten diese Art der Fraktur bei jedem 4. Patienten in Verbindung mit einem Polytrauma steht, ist die Ursache beim alten Patienten auf Grund der schlechten Knochenqualität häufig bereits ein Niedrigenergietrauma. Es reicht ein einfacher Sturz aus dem Stand, um zu einer Kontinuitätsunterbrechung des Beckenrings zu führen. So entstehen Typ-B-Verletzungen durch laterale Kompression auf das Becken [2]. Bei abnehmender Zahl der durch Hochrasanztraumen bedingten Beckenringfraktur vervierfacht sich im Alter die Anzahl der Beckenfrakturen, die nach Bagatelltrauma entstehen [3]. Die Mortalität und Morbidität von osteoporotischen Insuffizienzfrakturen ist mit denen von Hochrasanztraumen zu vergleichen [4, 5].
Die Insuffizienzfraktur des Sakrums wurde erstmals 1982 von Lourie et al. beschrieben [6] und ist als Resultat von übermäßig belastetem und durch Osteoporose, Medikamenteneinnahme, Strahlentherapie oder Knochenstoffwechselerkrankungen veränderter Knochenstruktur zu sehen [7, 8]. Der entscheidende Unterschied der geriatrischen Beckenringfrakturen liegt im Zeitpunkt der Diagnose. Bei der Versorgung polytraumatisierter Patienten werden meist standardisierte Behandlungsabläufe durchgeführt und so Beckenfrakturen schnell erkannt und versorgt [9, 10]. Beim älteren Patienten werden diese Frakturen auf Grund des scheinbar inadäquaten Traumamechanismus und fehlender Algorithmen nicht oder verspätet diagnostiziert und daher oft nicht adäquat therapiert.
Epidemiologie
Bei Betrachtung der Inzidenz von Beckenringfrakturen fällt eine 2-gipflige Altersverteilung auf: mit einer Spitze zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr und einem weiteren Anstieg jenseits des 65. Lebensjahrs überwiegend beim weiblichen Geschlecht. Die Inzidenz steigt von 37/100.000 Patientenjahre insgesamt mit zunehmendem Alter auf 450/100.000 um den Faktor 12 in der Gruppe der über 85-jährigen Frauen [11]. Pohlemann et al. konnten 2011 in einer Nachuntersuchung von 4382 Patienten über 5 Jahre zeigen, dass der Anteil an erlittenen Beckenringfrakturen der über 65-jährigen bei 68 % (2977 Fälle) liegt und davon Frauen mit 57 % leicht mehr betroffen sind. Der Gipfel dieser Beckenfrakturen im Alter lag hier mit 24 % zwischen 85–90 Jahren [12]. Ein weiterer Höhepunkt: Beckenringverletzungen treten im Alter zu 71 % isoliert auf, gegenüber 48 % im Gesamtkollektiv. Lediglich 20 % der älteren Patienten zeigen Mehrfachverletzungen – nur 8 % ereignen sich im Rahmen eines Polytraumas gegenüber 25 % in allen Altersgruppen.
Risikofaktoren
Verletzungen beim alten Menschen werden häufig durch Stürze verursacht. Hier ist das steigende Alter der größte Risikofaktor für rezidivierende Sturzereignisse [13]. Dies wird vor allem durch die steigende Morbidität mit abnehmender Koordinationsfähigkeit, vermindertem Sehvermögen und Abnahme der Muskulatur verstärkt, aber auch durch Nebendiagnosen wie Diabetes mellitus, Morbus Parkinson oder zunehmende Medikamenteneinnahme. In Kombination mit Osteoporose führen diese häufiger werdenden Stürze dann zu einer Zunahme der Beckenfrakturen im Alter [11].
Eine weitere Risikogruppe stellen Patienten mit vorangegangener Chemo- oder Strahlentherapie bei Rektumkarzinom dar, wo eine Inzidenz von 7,1 % von Kim et al. beschrieben werden konnte. Als weitere Risikofaktoren wurden das weibliche Geschlecht sowie die Osteoporose identifiziert [14]. Die steigende Zahl von zementaugmentierten lumbalen Wirbelkörpern scheint das Auftreten von beidseitigen Insuffizienzfrakturen des Sakrums ebenfalls zu beeinflussen. Im Zusammenhang mit der „zementierten Säule“ werden zunehmend Ermüdungsbrüche beschrieben [15].
Frakturmorphologie
Bei Hochrasanztraumen wie Verkehrsunfällen finden sich sämtliche Frakturformen gemäß dem Spektrum der AO-Klassifikation, wie sie auch bei jüngeren Patienten zu finden sind. Bei den Niedrigenergietraumen sind es häufig auch Mono-Verletzungen des Beckenrings. Gerade beim älteren Patienten treten auch isolierte Verletzungen des vorderen Beckenrings auf. Hier gilt bis zum Beweis des Gegenteils, dass auch eine Fraktur des hinteren Beckenrings vorliegt. Im Bereich des hinteren Beckenrings sind kleinste kortikale Aufwerfungen häufig der einzige Hinweis für eine sakrale Instabilität (Abb. 1). So ist bei allen Patienten, bei denen Beckenverletzungen vermutet werden, eine Schnittbildgebung in Form von CT und/oder MRT zum Ausschluss einer höhergradigen Beckenringverletzung unabdingbar [8, 16, 17].
Diagnostik bei
Sakruminsuffizienzfrakturen
Patienten klagen meist mehrere Tage oder Wochen über Schmerzen im Rücken oder im „Kreuz“, und ein richtiges Trauma ist oft nicht erinnerlich. Auf der Visuellen Analogskala werden die Schmerzen als immobilisierend empfunden und mit Werten zwischen 6 und 8 angeben. Die klinische Untersuchung des Beckens in Kombination mit der Wirbelsäule kann differenzialdiagnostisch wegweisend sein. Sie besteht aus ventraler und lateraler Kompression auf das Becken, axialer Stauchung, Abtasten des vorderen Beckenrings sowie Druck auf die Iliosakralgelenke (Abb. 2). Hier findet sich neben lokalem Druckschmerz im Bereich des vorderen Beckenrings oft auch ein diffuser Schmerz in der unteren LWS oder in den Iliosakralgelenken [18], welcher auch pseudoradikulär in ein Bein ausstrahlen kann [8, 16]. Die Schmerzen verstärken sich unter Belastung und sind nur schwer genau zu lokalisieren. Durch die konventionelle Röntgendiagnostik mittels Becken im anterior-posteriorem Strahlengang, ergänzt durch Inlet- und Outletaufnahmen, lassen sich bei diesen Patienten meist nur Frakturen des vorderen Beckenrings ausmachen. Hier lassen sich sowohl nicht-dislozierte als auch dislozierte Frakturen des Os pubis und des Os ischium gut und schnell diagnostizieren. Die Identifizierung von nicht dislozierten oder inkompletten Frakturen des hinteren Beckenrings – insbesondere der Massa lateralis des Os sakrum – gestaltet sich jedoch im konventionellen Röntgenbild schwer [8, 19, 20]. Selbst durch laterale Aufnahmen des Os sakrum oder der Lendenwirbelsäule lassen sich Frakturen aufgrund von Überlagerungen durch Darmgase, Darminhalt oder Gefäßverkalkungen nur unzureichend erkennen [17]. Hier hat sich die Computertomografie als das diagnostische Mittel der Wahl durchgesetzt. Hier können sowohl ältere als auch frische Frakturen in einer guten Qualität erkannt und dargestellt werden. Bei der Magnetresonanztomografie kann vor allen in T2– und STIR-gewichteten Bildern das Frakturödem gut erkannt werden. Dieses macht die MRT-Untersuchung in Hinblick auf diese spezielle Fragestellung besonders sensitiv. Es wird jedoch keine dem CT vergleichbare Auflösung der Frakturmorphologie erreicht. In der täglichen Praxis wird zum Ausschluss osteoporotischer Wirbelkörperfrakturen meist zunächst ein MRT der Wirbelsäule durchgeführt. Hier empfiehlt es sich, das Sakrum mit entsprechenden Schichten in die Untersuchung einzuschließen. Bei Patienten, bei denen Beckenverletzungen vermutet werden, ist eine Schichtbildgebung in Form von CT und/oder MRT zum Ausschluss einer höhergradigen Beckenringverletzung unabdingbar [8, 16, 17].
Therapie
Bei älteren Patienten, die ein Hochrasanztrauma, wie z.B. Stürze aus großer Höhe oder Verkehrsunfälle, erlitten haben, gelten die allgemeinen Schockraumalgorithmen [8, 21, 22]. Es muss jedoch beachtet werden, das Komplikationen wie Transfusionspflichtigkeit oder ein hämodynamischer Schock durch die Einnahme gerinnungshemmender Medikamente begünstigt werden. Des Weiteren kann durch eine geringe Knochendichte die Anlage von Beckenzwingen oder supraacetabulären Fixateuren erschwert werden oder sogar kontraindiziert sein bei transiliaker Instabilität. Hier erweisen sich die nicht invasiven Methoden als Sofortmaßnahme beim älteren Patienten als sehr effektiv, z.B. Tuchzwingen oder Beckengurte. In seltenen Fällen ist eine effektive (Kreislauf)-Stabilisierung des Patienten nur durch eine sofortige offene operative Versorgung der Frakturen des hinteren Beckenrings mit Plattenosteosynthesen zu gewährleisten [8].
Bei initial stabilen Verhältnissen des Beckens, wie sie vor allem bei A-Frakturen nach der AO-Klassifikation vorkommen, kann in der Regel eine konservative Therapie eingeleitet werden. Um eine Unterklassifizierung zu vermeiden und eine rotatorische oder gar vertikale Instabilität nicht zu übersehen, sollte jedoch eine CT durchgeführt werden. Dieses ist besonders im niedergelassenen Bereich (noch) nicht so bekannt und führt in vielen Fällen zum „Unterschätzen“ der Schwere derartiger Verletzungen, die häufig als Bagatelltraumen verkannt werden. Nach Ausschluss einer höhergradigen Instabilität empfiehlt sich die stationäre Aufnahme und Mobilisation der Patienten unter analgetischer Therapie und physiotherapeutischer Assistenz am Gehwagen. Entscheidend ist bei persistierenden Beschwerden, das Therapiekonzept täglich zu hinterfragen und gegebenenfalls bei ausbleibendem Erfolg der Mobilisation und persistierenden Schmerzen eine operative Versorgung in Erwägung zu ziehen.
Neben der Schmerzmedikation kann auch die Anlage eines supraacetabulären Fixateur externe zur Stabilisierung des Beckens eine weitestgehende Analgesie herbeiführen. Schmerzmedikamente können so bei den oft internistisch vorerkrankten Patienten eingespart werden und die Mobilisation frühzeitig erfolgen. Dies kann helfen, Komplikationen einer langen Bettlägerigkeit wie Dekubitus, Thrombembolie oder Rückenschmerzen zu vermeiden. Aufgrund einer schnellen Auslockerung der Fixateurpins im osteoporotischen Knochen ist der Fixateur jedoch lediglich als eine zeitlich begrenzte Möglichkeit der Osteosynthese anzusehen. Insbesondere bei Beteiligung des hinteren Beckenrings erscheint der Fixateur als „Stand-alone“-Lösung nicht geeignet.
Bei der selten notwendigen offenen Rekonstruktion des vorderen Beckenrings hängt das Osteosyntheseverfahren der Wahl von der genauen Lokalisation der Fraktur ab [23]. Handelt es sich um eine mediale Fraktur des Os pubis oder eine Symphysensprengung, scheinen winkelstabile Plattensysteme von Vorteil, wobei hier die Bohrrichtung der Schrauben bei fehlender Polyaxialität vorgegeben ist. Dies kann je nach Lokalisation der Fraktur nachteilig sein.
Die offene Wiederherstellung des hinteren Beckenrings ist ebenfalls selten. Die akute Anlage eines Fixateur externe am Becken führt bei höhergradigen Beckenverletzungen (Typ C) häufig nicht zu einer ausreichenden Stabilisierung des hinteren Beckenrings. Die für jüngere Patienten geeigneten Maßnahmen in Form einer Beckenzwinge stellen für den osteoporotischen Knochen eine Gefahr dar. Durch Perforation der Zwingenpins durch das Os ilium kann es mehr oder weniger unbemerkt zur Verletzung von intrapelvinen Organen und Gefäßen mit teilweisen katastrophalen Folgen kommen. Also muss bei instabilem hinteren Beckenring und gleichzeitig hämodynamisch instabilem Patienten das Risiko der offenen Zugänge und das damit verbundene erhöhte Blutungsrisiko abgewägt werden. Eine derartige Operation ist Traumazentren mit entsprechender Erfahrung und Infrastruktur vorbehalten, da nur so im Komplikationsfall interdisziplinär in Zusammenarbeit mit anderen chirurgischen Disziplinen sowie Anästhesie, Intensivmedizin, Radiologie und Transfusionsmedizin adäquat reagiert werden kann. Bei der offenen Rekonstruktion des hinteren Beckenrings sollten 2 Großfragmentplatten in Form von 3 bis 5-Loch LCDCP zur Anwendung kommen. Diese werden so positioniert, dass sie das Iliosakralgelenk überbrücken und in einem Winkel von 60–90° zueinander liegen (Abb. 3). Inwieweit winkelstabile Implantate von Vorteil sind, konnte bisher nicht gezeigt werden, da bei monoaxialer Winkelstabilität die Bohrrichtung durch die Platte vorgegeben wird und anatomischen Gegebenheiten wie Neuroforamina und Iliosakralfuge eventuell nicht Rechnung getragen werden kann.
Für die Rekonstruktion von transforaminalen und Massa lateralis-Frakturen sowie Iliosakralgelenksprengungen hat sich gerade bei älteren Patienten in den letzten Jahren die perkutane Verschraubung durchgesetzt, da sie minimalinvasiv durchgeführt werden kann. Insbesondere bei älteren Patienten empfiehlt sich eine intraoperative 3D-Bildgebung und Navigation (Abb. 4), da die anatomischen Landmarks wie Bandscheibenfächer, Neuroforamina sowie die ventrale und dorsale Begrenzung des Os sakrums aufgrund von gemindertem Mineralsalzgehalt und/oder Darmgasüberlagerungen nicht sicher zu identifizieren sind. Gleichzeitig werden durch die Navigation Risiken wie Verletzungen der Glutealgefäße und Nerven [24, 25] gemindert. Dreidimensional navigierte Systeme sind der 2D-Navigation vorzuziehen [8]. Hierfür müssen Referenzbasen supraacetabulär im Bereich der nicht verletzten Gegenseite angebracht werden. Diese können sich jedoch bei schlechter Knochenqualität bereits intraoperativ lockern, was dann zu Messungenauigkeiten und Schraubenfehllagen führen kann [26]. Da die Knochenqualität im Zentrum des Sakrums am besten ist, sollten die Schrauben die Mittellinie erreichen und auf Höhe des S1–2 platziert werden. Zum Schutz vor Perforation des lateralen Iliums durch den Schraubenkopf sollten stets Unterlegscheiben benutzt werden.
Die Schraubenlockerung und die Schraubenwanderung sind ein bekanntes Problem bei der iliosakralen Verschraubung im osteoporotisch veränderten Knochen.
Eine Kombination der Verschraubung und der Sakroplastie, wie sie unter anderem von Tjardes et al. 2008 oder Fuchs et al. 2011 beschrieben wird, könnte eine gangbare Option für dieses Problem darstellen [8, 27]. Hierzu werden im eigenen Vorgehen speziell gefertigte perforierte Schrauben in Kombination mit niedrig viskösem Zement verwendet. Zur Verstärkung des Gewindehalts wird nach Platzierung der Schraube der Zement durch die Bohrung entlang der Längsachse der Schraube im osteoporotischen Knochen eingebracht. Zunächst wird eine perkutane 3D-navigierte 7,3 mm kanülierte Schraube mit spezieller Perforation an der Schraubenspitze iliosakral in üblicher Technik eingebracht. Hierbei finden Schrauben mit Vollgewinde genauso Verwendung wie Unterlegscheiben. Sollte die Schraube, die mit der Hand eingedreht wird, kein ausreichendes Drehmoment aufbauen, erfolgt in Vorbereitung auf die Applikation von Zement eine Kontrastmitteldarstellung, wobei auf ungewollten Kontrastmittelaustritt aus dem Os sakrum geachtet wird. Im Anschluss wird die bereits implantierte Schraube an ihrer Spitze mit 2–3 mm Knochenzement augmeniert, um einer späteren Auslockerung entgegen zu wirken.
Fallbeispiel
Als Beispiel für ein Niedrigenergietrauma zeigt Abbildung 4 die radiologische Diagnostik einer multipel internistisch vorerkrankten 86-jährigen Patientin ohne erinnerliches Trauma, aber mit seit Wochen persistierenden und immobilisierenden Schmerzen im „Kreuz“ (6–7 auf der Visuellen Analogskala). In der klinischen Untersuchung zeigten sich ein diffuser Druck- und Klopfschmerzen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule sowie Schmerzen bei lateraler Beckenkompression und Druck über dem linken Iliosakralgelenk. Im konventionellen Röntgenbild des Becken ap (Abb. 5a) findet sich kein eindeutiger Frakturnachweis. Nach Durchführung der Computertomografie zeigt sich eine Sakruminsuffizienzfraktur links (Abb. 5b). Nach erfolgreicher Diagnostik konnte die Therapie mittels minimalinvasiver 3D-navigierter und augmentierter SI-Verschraubung (Abb. 5c) erfolgen. Anschließend konnte direkt am ersten postoperativen Tag bei deutlicher Schmerzreduktion (VAS 2–3) mit der Mobilisation begonnen werden.
Schlussfolgerung
Bei der Versorgung von polytraumatisierten alten Patienten gelten die allgemeinen Schockraumalgorhithmen. Bei der Versorgung sind jedoch die besonderen Gegebenheiten des älteren Patienten mit erhöhter Gefahr der hämodynamischen Instabilität sowie der schlechteren Knochenqualität zu berücksichtigen. Bei der Versorgung der Niedrigenergietraumen liegt der Schlüssel zum Erfolg bei der Stellung der richtigen Diagnose. Hierfür ist die gezielte klinische Untersuchung und adäquate Diagnostik mittels MRT und/oder CT entscheidend. Bei der Versorgung der Sakruminsuffzienzfrakturen scheint die 3D-navigierte perkutane augmentierte iliosakrale Schraube technisch aufwendig, aber vielversprechend, und ist Gegenstand laufender Studien.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Thomas Fuchs
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie
Universitätsklinikum Münster
Waldeyerstraße 1
48149 Münster
fuchst@uni-muenster.de
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Fussnoten
Klinik für Unfall,- Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Münster
DOI 10.3228/oup.2013.0248–0252