Übersichtsarbeiten - OUP 05/2013
Geriatrische BeckenfrakturenDiagnostik- und TherapieprinzipienPrinciples of diagnosis and therapy
Verletzungen beim alten Menschen werden häufig durch Stürze verursacht. Hier ist das steigende Alter der größte Risikofaktor für rezidivierende Sturzereignisse [13]. Dies wird vor allem durch die steigende Morbidität mit abnehmender Koordinationsfähigkeit, vermindertem Sehvermögen und Abnahme der Muskulatur verstärkt, aber auch durch Nebendiagnosen wie Diabetes mellitus, Morbus Parkinson oder zunehmende Medikamenteneinnahme. In Kombination mit Osteoporose führen diese häufiger werdenden Stürze dann zu einer Zunahme der Beckenfrakturen im Alter [11].
Eine weitere Risikogruppe stellen Patienten mit vorangegangener Chemo- oder Strahlentherapie bei Rektumkarzinom dar, wo eine Inzidenz von 7,1 % von Kim et al. beschrieben werden konnte. Als weitere Risikofaktoren wurden das weibliche Geschlecht sowie die Osteoporose identifiziert [14]. Die steigende Zahl von zementaugmentierten lumbalen Wirbelkörpern scheint das Auftreten von beidseitigen Insuffizienzfrakturen des Sakrums ebenfalls zu beeinflussen. Im Zusammenhang mit der „zementierten Säule“ werden zunehmend Ermüdungsbrüche beschrieben [15].
Frakturmorphologie
Bei Hochrasanztraumen wie Verkehrsunfällen finden sich sämtliche Frakturformen gemäß dem Spektrum der AO-Klassifikation, wie sie auch bei jüngeren Patienten zu finden sind. Bei den Niedrigenergietraumen sind es häufig auch Mono-Verletzungen des Beckenrings. Gerade beim älteren Patienten treten auch isolierte Verletzungen des vorderen Beckenrings auf. Hier gilt bis zum Beweis des Gegenteils, dass auch eine Fraktur des hinteren Beckenrings vorliegt. Im Bereich des hinteren Beckenrings sind kleinste kortikale Aufwerfungen häufig der einzige Hinweis für eine sakrale Instabilität (Abb. 1). So ist bei allen Patienten, bei denen Beckenverletzungen vermutet werden, eine Schnittbildgebung in Form von CT und/oder MRT zum Ausschluss einer höhergradigen Beckenringverletzung unabdingbar [8, 16, 17].
Diagnostik bei
Sakruminsuffizienzfrakturen
Patienten klagen meist mehrere Tage oder Wochen über Schmerzen im Rücken oder im „Kreuz“, und ein richtiges Trauma ist oft nicht erinnerlich. Auf der Visuellen Analogskala werden die Schmerzen als immobilisierend empfunden und mit Werten zwischen 6 und 8 angeben. Die klinische Untersuchung des Beckens in Kombination mit der Wirbelsäule kann differenzialdiagnostisch wegweisend sein. Sie besteht aus ventraler und lateraler Kompression auf das Becken, axialer Stauchung, Abtasten des vorderen Beckenrings sowie Druck auf die Iliosakralgelenke (Abb. 2). Hier findet sich neben lokalem Druckschmerz im Bereich des vorderen Beckenrings oft auch ein diffuser Schmerz in der unteren LWS oder in den Iliosakralgelenken [18], welcher auch pseudoradikulär in ein Bein ausstrahlen kann [8, 16]. Die Schmerzen verstärken sich unter Belastung und sind nur schwer genau zu lokalisieren. Durch die konventionelle Röntgendiagnostik mittels Becken im anterior-posteriorem Strahlengang, ergänzt durch Inlet- und Outletaufnahmen, lassen sich bei diesen Patienten meist nur Frakturen des vorderen Beckenrings ausmachen. Hier lassen sich sowohl nicht-dislozierte als auch dislozierte Frakturen des Os pubis und des Os ischium gut und schnell diagnostizieren. Die Identifizierung von nicht dislozierten oder inkompletten Frakturen des hinteren Beckenrings – insbesondere der Massa lateralis des Os sakrum – gestaltet sich jedoch im konventionellen Röntgenbild schwer [8, 19, 20]. Selbst durch laterale Aufnahmen des Os sakrum oder der Lendenwirbelsäule lassen sich Frakturen aufgrund von Überlagerungen durch Darmgase, Darminhalt oder Gefäßverkalkungen nur unzureichend erkennen [17]. Hier hat sich die Computertomografie als das diagnostische Mittel der Wahl durchgesetzt. Hier können sowohl ältere als auch frische Frakturen in einer guten Qualität erkannt und dargestellt werden. Bei der Magnetresonanztomografie kann vor allen in T2– und STIR-gewichteten Bildern das Frakturödem gut erkannt werden. Dieses macht die MRT-Untersuchung in Hinblick auf diese spezielle Fragestellung besonders sensitiv. Es wird jedoch keine dem CT vergleichbare Auflösung der Frakturmorphologie erreicht. In der täglichen Praxis wird zum Ausschluss osteoporotischer Wirbelkörperfrakturen meist zunächst ein MRT der Wirbelsäule durchgeführt. Hier empfiehlt es sich, das Sakrum mit entsprechenden Schichten in die Untersuchung einzuschließen. Bei Patienten, bei denen Beckenverletzungen vermutet werden, ist eine Schichtbildgebung in Form von CT und/oder MRT zum Ausschluss einer höhergradigen Beckenringverletzung unabdingbar [8, 16, 17].
Therapie
Bei älteren Patienten, die ein Hochrasanztrauma, wie z.B. Stürze aus großer Höhe oder Verkehrsunfälle, erlitten haben, gelten die allgemeinen Schockraumalgorithmen [8, 21, 22]. Es muss jedoch beachtet werden, das Komplikationen wie Transfusionspflichtigkeit oder ein hämodynamischer Schock durch die Einnahme gerinnungshemmender Medikamente begünstigt werden. Des Weiteren kann durch eine geringe Knochendichte die Anlage von Beckenzwingen oder supraacetabulären Fixateuren erschwert werden oder sogar kontraindiziert sein bei transiliaker Instabilität. Hier erweisen sich die nicht invasiven Methoden als Sofortmaßnahme beim älteren Patienten als sehr effektiv, z.B. Tuchzwingen oder Beckengurte. In seltenen Fällen ist eine effektive (Kreislauf)-Stabilisierung des Patienten nur durch eine sofortige offene operative Versorgung der Frakturen des hinteren Beckenrings mit Plattenosteosynthesen zu gewährleisten [8].
Bei initial stabilen Verhältnissen des Beckens, wie sie vor allem bei A-Frakturen nach der AO-Klassifikation vorkommen, kann in der Regel eine konservative Therapie eingeleitet werden. Um eine Unterklassifizierung zu vermeiden und eine rotatorische oder gar vertikale Instabilität nicht zu übersehen, sollte jedoch eine CT durchgeführt werden. Dieses ist besonders im niedergelassenen Bereich (noch) nicht so bekannt und führt in vielen Fällen zum „Unterschätzen“ der Schwere derartiger Verletzungen, die häufig als Bagatelltraumen verkannt werden. Nach Ausschluss einer höhergradigen Instabilität empfiehlt sich die stationäre Aufnahme und Mobilisation der Patienten unter analgetischer Therapie und physiotherapeutischer Assistenz am Gehwagen. Entscheidend ist bei persistierenden Beschwerden, das Therapiekonzept täglich zu hinterfragen und gegebenenfalls bei ausbleibendem Erfolg der Mobilisation und persistierenden Schmerzen eine operative Versorgung in Erwägung zu ziehen.