Übersichtsarbeiten - OUP 05/2013

Geriatrische Beckenfrakturen
Diagnostik- und TherapieprinzipienPrinciples of diagnosis and therapy

Neben der Schmerzmedikation kann auch die Anlage eines supraacetabulären Fixateur externe zur Stabilisierung des Beckens eine weitestgehende Analgesie herbeiführen. Schmerzmedikamente können so bei den oft internistisch vorerkrankten Patienten eingespart werden und die Mobilisation frühzeitig erfolgen. Dies kann helfen, Komplikationen einer langen Bettlägerigkeit wie Dekubitus, Thrombembolie oder Rückenschmerzen zu vermeiden. Aufgrund einer schnellen Auslockerung der Fixateurpins im osteoporotischen Knochen ist der Fixateur jedoch lediglich als eine zeitlich begrenzte Möglichkeit der Osteosynthese anzusehen. Insbesondere bei Beteiligung des hinteren Beckenrings erscheint der Fixateur als „Stand-alone“-Lösung nicht geeignet.

Bei der selten notwendigen offenen Rekonstruktion des vorderen Beckenrings hängt das Osteosyntheseverfahren der Wahl von der genauen Lokalisation der Fraktur ab [23]. Handelt es sich um eine mediale Fraktur des Os pubis oder eine Symphysensprengung, scheinen winkelstabile Plattensysteme von Vorteil, wobei hier die Bohrrichtung der Schrauben bei fehlender Polyaxialität vorgegeben ist. Dies kann je nach Lokalisation der Fraktur nachteilig sein.

Die offene Wiederherstellung des hinteren Beckenrings ist ebenfalls selten. Die akute Anlage eines Fixateur externe am Becken führt bei höhergradigen Beckenverletzungen (Typ C) häufig nicht zu einer ausreichenden Stabilisierung des hinteren Beckenrings. Die für jüngere Patienten geeigneten Maßnahmen in Form einer Beckenzwinge stellen für den osteoporotischen Knochen eine Gefahr dar. Durch Perforation der Zwingenpins durch das Os ilium kann es mehr oder weniger unbemerkt zur Verletzung von intrapelvinen Organen und Gefäßen mit teilweisen katastrophalen Folgen kommen. Also muss bei instabilem hinteren Beckenring und gleichzeitig hämodynamisch instabilem Patienten das Risiko der offenen Zugänge und das damit verbundene erhöhte Blutungsrisiko abgewägt werden. Eine derartige Operation ist Traumazentren mit entsprechender Erfahrung und Infrastruktur vorbehalten, da nur so im Komplikationsfall interdisziplinär in Zusammenarbeit mit anderen chirurgischen Disziplinen sowie Anästhesie, Intensivmedizin, Radiologie und Transfusionsmedizin adäquat reagiert werden kann. Bei der offenen Rekonstruktion des hinteren Beckenrings sollten 2 Großfragmentplatten in Form von 3 bis 5-Loch LCDCP zur Anwendung kommen. Diese werden so positioniert, dass sie das Iliosakralgelenk überbrücken und in einem Winkel von 60–90° zueinander liegen (Abb. 3). Inwieweit winkelstabile Implantate von Vorteil sind, konnte bisher nicht gezeigt werden, da bei monoaxialer Winkelstabilität die Bohrrichtung durch die Platte vorgegeben wird und anatomischen Gegebenheiten wie Neuroforamina und Iliosakralfuge eventuell nicht Rechnung getragen werden kann.

Für die Rekonstruktion von transforaminalen und Massa lateralis-Frakturen sowie Iliosakralgelenksprengungen hat sich gerade bei älteren Patienten in den letzten Jahren die perkutane Verschraubung durchgesetzt, da sie minimalinvasiv durchgeführt werden kann. Insbesondere bei älteren Patienten empfiehlt sich eine intraoperative 3D-Bildgebung und Navigation (Abb. 4), da die anatomischen Landmarks wie Bandscheibenfächer, Neuroforamina sowie die ventrale und dorsale Begrenzung des Os sakrums aufgrund von gemindertem Mineralsalzgehalt und/oder Darmgasüberlagerungen nicht sicher zu identifizieren sind. Gleichzeitig werden durch die Navigation Risiken wie Verletzungen der Glutealgefäße und Nerven [24, 25] gemindert. Dreidimensional navigierte Systeme sind der 2D-Navigation vorzuziehen [8]. Hierfür müssen Referenzbasen supraacetabulär im Bereich der nicht verletzten Gegenseite angebracht werden. Diese können sich jedoch bei schlechter Knochenqualität bereits intraoperativ lockern, was dann zu Messungenauigkeiten und Schraubenfehllagen führen kann [26]. Da die Knochenqualität im Zentrum des Sakrums am besten ist, sollten die Schrauben die Mittellinie erreichen und auf Höhe des S1–2 platziert werden. Zum Schutz vor Perforation des lateralen Iliums durch den Schraubenkopf sollten stets Unterlegscheiben benutzt werden.

Die Schraubenlockerung und die Schraubenwanderung sind ein bekanntes Problem bei der iliosakralen Verschraubung im osteoporotisch veränderten Knochen.

Eine Kombination der Verschraubung und der Sakroplastie, wie sie unter anderem von Tjardes et al. 2008 oder Fuchs et al. 2011 beschrieben wird, könnte eine gangbare Option für dieses Problem darstellen [8, 27]. Hierzu werden im eigenen Vorgehen speziell gefertigte perforierte Schrauben in Kombination mit niedrig viskösem Zement verwendet. Zur Verstärkung des Gewindehalts wird nach Platzierung der Schraube der Zement durch die Bohrung entlang der Längsachse der Schraube im osteoporotischen Knochen eingebracht. Zunächst wird eine perkutane 3D-navigierte 7,3 mm kanülierte Schraube mit spezieller Perforation an der Schraubenspitze iliosakral in üblicher Technik eingebracht. Hierbei finden Schrauben mit Vollgewinde genauso Verwendung wie Unterlegscheiben. Sollte die Schraube, die mit der Hand eingedreht wird, kein ausreichendes Drehmoment aufbauen, erfolgt in Vorbereitung auf die Applikation von Zement eine Kontrastmitteldarstellung, wobei auf ungewollten Kontrastmittelaustritt aus dem Os sakrum geachtet wird. Im Anschluss wird die bereits implantierte Schraube an ihrer Spitze mit 2–3 mm Knochenzement augmeniert, um einer späteren Auslockerung entgegen zu wirken.

Fallbeispiel

Als Beispiel für ein Niedrigenergietrauma zeigt Abbildung 4 die radiologische Diagnostik einer multipel internistisch vorerkrankten 86-jährigen Patientin ohne erinnerliches Trauma, aber mit seit Wochen persistierenden und immobilisierenden Schmerzen im „Kreuz“ (6–7 auf der Visuellen Analogskala). In der klinischen Untersuchung zeigten sich ein diffuser Druck- und Klopfschmerzen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule sowie Schmerzen bei lateraler Beckenkompression und Druck über dem linken Iliosakralgelenk. Im konventionellen Röntgenbild des Becken ap (Abb. 5a) findet sich kein eindeutiger Frakturnachweis. Nach Durchführung der Computertomografie zeigt sich eine Sakruminsuffizienzfraktur links (Abb. 5b). Nach erfolgreicher Diagnostik konnte die Therapie mittels minimalinvasiver 3D-navigierter und augmentierter SI-Verschraubung (Abb. 5c) erfolgen. Anschließend konnte direkt am ersten postoperativen Tag bei deutlicher Schmerzreduktion (VAS 2–3) mit der Mobilisation begonnen werden.

Schlussfolgerung

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