Übersichtsarbeiten - OUP 02/2025

Geriatrisches Polytrauma –alt und mobil, aber fragil!

Zusätzlich zu den Multimorbiditäten der geriatrischen Patientinnen und Patienten kommt zudem oftmals hinzu, dass diese polymediziert sind, was das Risiko für Arzneimittelinteraktionen und Nebenwirkungen erhöht. Blutverdünnende Medikamente wie Antikoagulantien (DOAK, Marcumar etc.) können die Schwere von Blutungen nach Traumata erheblich steigern und das akute Therapieregime limitieren.

Diagnostische und therapeutische Herausforderungen

Die Diagnostik bei geriatrischen Polytraumapatientinnen und -patienten wird durch mehrere Faktoren erschwert:

Atypische Symptompräsentation: Der Ausbruch einer akuten Erkrankung kann verschleiert und somit zu spät erkannt werden. Ein Beispiel ist das Fehlen klassischer Anzeichen eines Schocks bei älteren Patientinnen und Patienten.

Hohe Krankheitsintensität mit erhöhter Komplikationsgefahr

Reduzierte Spontan-Rekonvaleszenz

Erhöhter Früh-/ Rehabilitationsbedarf

Diese Aspekte erfordern eine besonders sorgfältige und umfassende diagnostische Abklärung, um alle relevanten Verletzungen und Komplikationen frühzeitig zu erkennen und adäquat zu behandeln [13, 21, 24].

Die Behandlung geriatrischer Polytraumapatientinnen und -patienten erfordert spezifische Therapiestrategien, die sich von denen jüngerer Patientinnen und Patienten unterscheiden. Selbstverständlich stehen die Prinzipien „Treat First What Kills First“ und „Do No Further Harm“ ebenso wie bei jüngeren Patientinnen und Patienten im Vordergrund, jedoch werden Anpassungen an altersbedingte Besonderheiten nötig. Gründe hierfür sind:

Vorerkrankungen

Einnahme verschiedener Medikamente, die die Physiologie verändern (DOAK, Marcumar etc.)

Eingeschränkte Reservekapazitäten

Diese und zahlreiche weitere Faktoren müssen bei der Planung und Durchführung der Behandlung berücksichtigt werden, um optimale Ergebnisse zu erzielen und potenzielle Komplikationen zu minimieren.

Merke:

Das Verletzungsmuster bei polytraumatisierten Patientinnen und Patienten bewegt sich oftmals hin zum schweren Schädelhirntrauma und multiplen osteoporotischen Knochenbrüchen.

Eine besondere Herausforderung in der Behandlung geriatrischer Polytraumapatientinnen und -patienten ist die Multimorbidität, sowie deren Polypharmazie.

Behandlungsstrategien des geriatrischen Polytraumas

Die Behandlung geriatrischer Polytraumapatientinnen und -patienten erfordert einen multidisziplinären Ansatz, der während des gesamten Versorgungszeitraumes der Patientinnen und Patienten verschiedene medizinische Fachrichtungen einbezieht [11]:

Unfallchirurgie

Intensivmedizin

Geriatrie

Neurologie

Anästhesie

Physiotherapie und Ergotherapie

Durch die enge Zusammenarbeit dieser Disziplinen kann eine optimale Versorgung gewährleistet werden, die sowohl die akuten Verletzungen als auch im weiteren Verlauf die spezifischen Bedürfnisse geriatrischer Patientinnen und Patienten berücksichtigt. So wird der Behandlungskreislauf von der Akutversorgung über die stationäre Versorgung und Therapie bis hin zur Rehabilitationsphase eingeschlossen [27].

Die Therapie eines geriatrischen Polytraumas gliedert sich im Generellen in 3 Hauptphasen:

Akutversorgung/Primäre Notfallversorgung

Lebensrettende Maßnahmen und Verhinderung von Schockzuständen; sie folgt den ATLS (Advanced Trauma Life Support)-Prinzipien, wobei spezifische Anpassungen erforderlich sein können. Beispielsweise ist eine frühe Intubation oftmals indiziert, da die Atemwegsreserve geringer ist. Ebenso ist die rasche Kontrolle von Blutungen insbesondere bei Patientinnen und Patienten unter Antikoagulation entscheidend für das Outcome [23, 25].

Definitive Behandlungsphase – Interdisziplinärer Behandlungsansatz

Spezialisierte Traumazentren mit geriatrischen Schwerpunkten haben sich als effektiv erwiesen, um die Mortalität und Komplikationsraten zu senken. Hierzu zählen die spezialisierten „alterstraumatologischen Zentren“. Es erfolgt zunächst eine genaue Bestimmung von Art und Umfang der Verletzungen durch u.a. detaillierte radiologische Untersuchungen, die Festlegung eines Therapieregimes und letztendlich der multidisziplinären Behandlung der geriatrischen Patientinnen und Patienten.

Rehabilitationsphase

Es sollte eine möglichst frühzeitige Mobilisierung und Wiederherstellung der Funktionalität angestrebt werden, um eine persistierende Immobilität und die damit verbundenen möglichen Komplikationen wie Pneumonie oder Thrombose zu vermeiden. Hierbei spielt wiederum der multidisziplinäre Ansatz von ärztlicher Seite, der Physiotherapie sowie der Ergotherapie eine maßgebliche Rolle.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei geriatrischen Patientinnen und Patienten besonders auf eine schonende, aber dennoch zügige Behandlung zu achten ist, um Komplikationen durch beispielsweise lange Immobilisation zu vermeiden.

Merke:

Ein besonderes Augenmerk in der Planung des gesamten Therapieregimes sollte auf ein multidisziplinäres Konzept gelegt werden.

Entscheidend für das Outcome und die Vermeidung von Sekundärkomplikationen ist die frühzeitige Mobilisation und Rehabilitation [26].

In unserem Fallbeispiel zeigt sich, dass der Patient zusätzlich zu seinen akuten, teils lebensbedrohlichen Verletzungsfolgen durch seine Multimorbidität und sein fortgeschrittenes Alter auch von sekundären Komplikationen in seiner Genesungsphase zurückgeworfen werden kann. So wird die Erstdiagnose eines paroxysmalen Vorhofflimmerns gestellt, welche im Anschluss, nach internistisch-kardiologischer Rücksprache, zunächst mittels niedermolekularem Heparin therapeutisch antikoaguliert und dann leitliniengerecht mittels OAK therapiert wird. Im Beispiel ergeben sich dadurch keine wesentlichen Komplikationen, jedoch sollte im Falle eines solchen Traumas die initiale Therapie mittels blutverdünnender Medikamente immer in strenger Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen. Eine weitere nicht zu unterschätzende Komplikation kann das Entstehen eines Delirs sein, welches vornehmlich bei den älteren, geriatrischen Patientinnen und Patienten auftritt [14, 20]. Hierzu sollte vor allem eine sogenannte Delirprophylaxe erfolgen. Dazu zählt die Überprüfung der Medikation und das Meiden potenzieller delirfördernder Medikamente, die Sicherstellung einer tagesstrukturierenden Umgebung mit festem Tag-Nacht-Rhythmus, sowie regelmäßige Kontakt zu den Angehörigen. Sollte es dennoch zur Entstehung eines Delirs kommen, haben wir in unserer Klinik ein Therapiekonzept in 3 Stufen etabliert:

  • 1. Gleichzeitige Diagnose und Therapie möglicher auslösender Ursachen (Exsikkose – i.v. Substitution; Labordiagnostik – Infektparameter, Elektrolythaushalt, Glucose etc.; Hypotone – Anpassung der Medikation; Hypoxie – O2-Applikation, Bildgebung; Fokal neurologische Ausfälle – Bildgebung; Anpassung möglicher auslösender Medikation)
  • 2. Einbeziehen von Bezugspersonen/Angehörigen in der Therapie und weiteren Prophylaxe
  • 3. Medikamentöse Therapie (Lorazepam/Midazolam, Haloperidol, Clonidin, Quetiapin etc.)

Ziel sollte eine möglichst zeitnahe Unterbrechung und weitere Vermeidung des Delirs sein, da mit der Delirpersistenz die sekundäre Komplikationsrate deutlich ansteigt. Hierbei sind vor allem manipulative Komplikationen durch die Patientinnen und Patienten selbst (Ziehen von Drainage, Manipulation an Wunden etc.), das deutlich erhöhte Sturzrisiko (bei Selbstmobilisation) aber auch das hierdurch schlechtere Behandlungsergebnis (verspätete Frühmobilisation mit entstehenden Komplikationen und längerem Krankenhausaufenthalt) zu nennen.

Fazit

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