Übersichtsarbeiten - OUP 02/2025
Geriatrisches Polytrauma –alt und mobil, aber fragil!
Studien zeigen, dass die Mortalität geriatrischer Polytraumapatientinnen und -patienten ohne strukturierte Behandlungsstrategien bei bis zu 68 % liegt. Mit der Implementierung von SOPs (Standard Operating Procedures) und einem interdisziplinären Therapiekonzept kann diese Rate signifikant reduziert werden. Eine Studie von Lorenz Peterer [9] zeigt die Abnahme der Sterblichkeit bei geriatrischen, polytraumatisierten Patientinnen und Patienten mit einem ISS ? 16 von 68 % auf 50 % nach Implementierung von SOPs [9]. Die demografische Entwicklung in Deutschland lässt erwarten, dass die Zahl der geriatrischen Polytraumapatientinnen und -patientenin den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Prognosen des Statistischen Bundesamtes zeigen: Je nach Szenario könnte die Zahl der Menschen im Erwerbsalter bis Ende der 2050er Jahre um 14–29 % abnehmen [10]. Dies würde bei einer konstant zunehmenden Zahl der geriatrischen Patientinnen und Patienten und gleichzeitigem zunehmendem Mangel an erwerbsfähigem Personal eine massive Herausforderung für das Gesundheitssystem bedeuten. Regionale Unterschiede in der demografischen Entwicklung werden hierbei zu unterschiedlichen Herausforderungen in den verschiedenen Teilen Deutschlands führen.
Um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden, sind Anpassungen der Versorgungsstrukturen notwendig: Ausbau geriatrischer Kompetenzen in Traumazentren, Ausbau geriatrischer Rehabilitationseinrichtungen mit Etablierung spezialisierter Rehabilitationsprogramme für polytraumatisierte Patientinnen und Patienten, sowie eine verstärkte Forschung zu altersspezifischen Behandlungsstrategien. Ebenso sollte eine Weiterentwicklung des TraumaRegisters DGU® erfolgen, welche folgende Ziele haben sollte: Mehr Outcome-relevante Daten der Patientinnen und Patienten erheben und gleichzeitig eine strukturierte Befragung der Patientinnen und Patienten, um die Lebensqualität nach einem Polytrauma besser zu erfassen. Denn dadurch lassen sich die Behandlungen vergleichbar machen, strukturelle Veränderungen messen [6] und im Weiteren die Versorgung geriatrischer Polytraumapatientinnen und -patienten kontinuierlich verbessern und an die sich ändernden demografischen Gegebenheiten anpassen.
Interessenkonflikte:
Keine angegeben.
Das Literaturverzeichnis zu
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www.online-oup.de.
Korrespondenzadresse
MUDr. Jakob Mayr
Zentrum für Orthopädie und
Unfallchirurgie
Klinikum Ingolstadt GmbH
Krumenauerstraße 25
85049 Ingolstadt
jakobquirin.mayr@klinikum-ingolstadt.de
CME-Fragen
1. Wie wird ein Polytrauma definiert und welche Rolle spielt der Injury Severity Score (ISS) dabei?
Das Polytrauma definiert sich durch Mehrfachverletzungen von mindestens 2 Körperregionen, die durch Hochrasanz-Traumata verursacht werden.
Das Polytrauma definiert sich ausschließlich durch einen ISS höher als 16.
Bei der/bei dem geriatrischen Polytrauma-Patientin/-Patienten müssen mindestens 4 verschiedene Körperregionen durch das Trauma betroffen sein.
Das Polytrauma definiert sich durch Mehrfachverletzung von mindestens 2 Körperregionen, von denen mindestens 1 oder deren Kombination lebensbedrohlich ist.
Bei der/bei dem geriatrischen Patientin/Patienten gilt bereits ein ISS höher als 10 als Definitionskriterium für das Vorliegen eines Polytraumas.
2. Was versteht man unter einem geriatrischen Polytrauma und welche besonderen Herausforderungen stellt es dar?
Eine schwer verletzte Patientin/ein schwer verletzter Patient mit multiplen Vorerkrankungen, bei dem frühzeitig das Therapieziel festgelegt werden sollte.
Eine Patientin/ein Patient höheren Alters, der im Laufe seines Lebens schon multiple unfallchirurgische Diagnosen und Traumafolgen erlitten hat, welche im Therapiekonzept beachtet werden müssen.
Eine Patientin/ein Patient älter als 65–70 Jahre, die/der durch sein traumatisches Verletzungsmuster die Definition des Polytraumas erfüllt und bei dem aufgrund der Multimorbidität eine multidisziplinäre Behandlungsstrategie eingeschlagen werden sollte.
Eine Patientin/ein Patient höheren Alters, die/der aufgrund seiner Vorerkrankungen meist durch Niederenergietraumata multiple Verletzungen erleidet und daher eine komplexe Behandlung erfordert.
Eine Patientin/ein Patient älter als 65–70 Jahre mit multiplen internistischen Vorerkrankungen, die/der in der Notaufnahme konsiliarisch nach Sturzgeschehen vorgestellt wird.
3. Welche Aussage zu geriatrischen Patientinnen und
Patienten ist unzutreffend?
Ein Definitions-Hauptkriterium ist das hohe Alter.
Demenz stellt ebenfalls ein Definitionskriterium dar.
Ein weiteres Definitionskriterium ist die Multimorbidität.
Gebrechlichkeit („frailty“) und reduzierte physiologische Reserven spielen eine entscheidende Rolle.
Es handelt sich um ein risikobehaftetes Patientenkollektiv.
4. Welche Aussage zur demografischen Entwicklung in Deutschland trifft zu?
Geringe Alterung der Bevölkerung
Abnehmende Vielfalt der Bevölkerung
Abnahme der erwerbstätigen Gesellschaft älter als 60 Jahre
Höhere Lebenserwartung als in früheren Generationen
Geburtenzahl im Vergleich zu anderen europäischen Ländern auf einem hohen Niveau
5. Wie unterscheiden sich die Hauptursachen von Polytraumata bei geriatrischen Patientinnen/Patienten im Vergleich zu jüngeren Patientinnen/Patienten?
Geriatrische Patientinnen und Patienten sind aufgrund ihres Alters und der damit verbundenen Unsicherheit häufiger in Hochenergie-Verkehrsunfälle verwickelt.
Jüngere Patientinnen und Patienten polytraumatisieren meist durch selbstverschuldete Hochenergietraumata, während geriatrische Patientinnen und Patienten meist die Traumaentstehung nicht beeinflussen.
Mehr als 60 % der geriatrischen Polytrauma-Patientinnen und -Patienten werden mit einem synkopalen Ereignis in Verbindung gebracht.
Geriatrische Patientinnen und Patienten sind zumeist durch sogenannte Niedrigenergie-Traumata, wie beispielsweise mehr oder minder banale Stürze, polytraumatisiert.
Geriatrische Patientinnen und Patienten polytraumatisieren meist als Folge ihrer Vorerkrankungen und Multimorbidität.
6. Welche physiologische Besonderheit erhöht nicht die Vulnerabilität geriatrischer Patientinnen und Patienten bei Polytraumata?
reduzierte kardiale Reserve
verringerte Lungenkapazität
eingeschränkte Nierenfunktion
physiologisch oder pharmazeutisch gestörte Blutgerinnung
dementielle Entwicklung
7. Welche spezifischen diagnostischen und therapeutischen Herausforderungen bestehen bei der Behandlung geriatrischer Polytrauma-Patientinnen und -Patienten?
Sie präsentieren sich üblicherweise mit atypischen Symptomen und einer höheren Krankheitsintensität.
Geriatrisch polytraumatisierte Patientinnen und -Patienten sollten bereits in der Schockraumphase einer/einem internistischen Kollegin/Kollegen vorgestellt werden.