Originalarbeiten - OUP 02/2024

Infektionen bei operativ versorgten Tibiakopffrakturen
Wie ist das Langzeit-Outcome und welche Einflussfaktoren sind klinisch relevant?

Tibiakopffrakturen machen 1–2 % aller Frakturen aus [19]. Ursachen sind Sturzereignisse, Verkehrs-, Sport- und Arbeitsunfälle. Aufgrund der oft vorhandenen Komplexität der Verletzung zählen sie zu den prognostisch ungünstigsten Frakturtypen der unteren Extremitäten [19]. Während die durchschnittliche Infektionsrate bei elektiv durchgeführten orthopädischen Operationen in der Literatur bei maximal 3 % angegeben wird, liegt die postoperative Infektionsrate bei Summe an Tibiakopffrakturen bei durchschnittlich 12 % [10]. Zu den Komplikationen einer infizierten Tibiakopffraktur zählen eine progrediente Knochen- und Gelenkdestruktion, die posttraumatische/postinfektiöse Arthrose sowie die Entwicklung einer Pseudarthrose [9, 11, 19]. Schwerwiegende, sich ausbreitende bakterielle Entzündungen erfordern gelegentlich die Amputation der betroffenen Extremität. Teilweise kann dies auch in einer Sepsis mit Multiorganversagen und schlimmstenfalls mit dem Tod der Patientin/des Patienten enden [11, 23]. Betrachtet man die Literatur zu den Tibiakopffrakturen, so fällt auf, dass in den bisher durchgeführten Studien zu dieser schwerwiegenden Komplikation wie bspw. den häufigen Infektionen kaum Daten zum mittel- und langfristigen Outcome, bspw. im Rahmen eines Scorings zu finden sind [10]. Meist finden sich Beschreibungen und Einteilungen wie bspw. in oberflächliche und tiefe Infektion, allerdings keine weiteren Auswertungen zum Outcome oder negativen bzw. positiven Risikofaktoren dieser leider nicht seltenen Komplikation. Ziel dieser Arbeit war es, neben der Identifikation von Einflussfaktoren auch ein tieferes Verständnis zum Outcome und zur Optimierung der Therapie dieses Patientenkollektivs zu gewinnen.

Material und Methoden

1387 Patientinnen und Patienten wurden im Rahmen einer retrospektiven Auswertung des Klinikinformationssystems am BG Klinikum Duisburg gescreent. 75 Patientinnen und Patienten (58 Männer, 17 Frauen; Alter 59 ± 12,4) wurden identifiziert, die im Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.12.2015 aufgrund einer postoperativen Infektion nach Tibiakopffraktur behandelt wurden. Hiervon wurden 54 Patientinnen und Patienten (72 %) extern primärversorgt. Die Studienteilnehmerinnen/-teilnehmer wurden mithilfe einer gekreuzten Suche aus ICD-10-Klassifikation und Operations- und Prozedurenschlüssel herausgefiltert.

Zur Evaluierung und Detektion von Einflussfaktoren wurde ein zweistufiges Vorgehen gewählt. Zunächst untersuchten wir 76 Parameter anhand der im Informationssystem gespeicherten Daten. Hierzu gehörten: demografische Daten, Klassifikation der Frakturen nach AO, Art der Osteosynthese, Infektionserreger, Antibiogramme, das Vorliegen von Früh- (< 4 Wochen) oder Spätinfektionen (> 4 Wochen), die Anzahl an Revisionseingriffen, Reexazerbationen und die resultierende Arbeitsunfähigkeit. Das Outcome wurde im August 2016 telefonisch mithilfe des Knee Injury and Osteoarthritis Outcome Scores (KOOS) und des Lysholm-Scores erfasst [3, 16, 20, 21]. Zur Analyse lagen 40 vollständig ausgefüllte Fragebögen vor (53 %). Der mediane Follow-Up-Zeitraum betrug 2366 Tage. Die restlichen 35 Patientinnen und Patienten waren entweder unbekannt verzogen, verstorben oder lehnten die telefonische Befragung ab.

Die statistische Auswertung erfolgte mithilfe von SPSS Statistics Version 24 (SPSS Inc., Chicago, USA) und Microsoft Excel (Microsoft Corporations, USA). Ein p-Wert < 0,05 in allen Testverfahren wurde als statistisch signifikant gewertet.

Ergebnisse

Demografische Daten der
75 Patientinnen und Patienten

Die häufigsten Unfallmechanismen waren Sturzereignisse (25 %), Arbeits- und Verkehrsunfälle (jeweils 19 %) sowie Motorradunfälle (13 %). In 79 % der Unfälle bestand eine AO-41-C-Fraktur mit mehreren Fragmenten artikulär und metaphysär (Abb. 1a), in jeweils 10 % der Fälle zeigte sich eine B- oder eine C-Fraktur. 21 % der Patientinnen und Patienten erlitten eine offene Fraktur. Relevante Begleitverletzungen wie ein Kompartmentsyndrom bestanden in 21 % der Fälle. 25 % der Patientinnen und Patienten waren polytraumatisiert.

Operative Therapie

61 % der Patientinnen und Patienten wurden am Unfalltag operiert. Die initiale Frakturversorgung erfolgte in Abhängigkeit von der Frakturschwere (79 % AO-41-C-Frakturen) sowie Begleitverletzungen (25 % Polytraumata) in 53 % mit einem Fixateur externe (Abb. 2a, b) und in 47 % mit einer Plattenosteosynthese (Abb. 1b, c). Im Verlauf war in 59 % der Fälle ein Verfahrenswechsel der Osteosynthese notwendig. Auch hier kamen u.a. verschiedene Fixateursysteme zum Einsatz (Abb. 2). Insgesamt wurden im Behandlungsverlauf 639 Revisionseingriffe durchgeführt (Mittelwert 8,5; ± 9/Patientin, bzw. Patient). Bei 8 % erfolgte die Implantation einer gekoppelten, gestielten Knieendoprothese, 7 % eine Oberschenkelamputation und in 6 % eine Kniearthrodese (Abb. 3).

Keimspektrum

Die Auswertung des Erregerspektrums ergab in 48 % der Fälle eine Monoinfektion und in 48 % eine Mischinfektion. Bei den restlichen 4 % der Patientinnen und Patienten konnte trotz klinischer und histologischer Sicherung der Infektion in den mikrobiologischen Untersuchungen kein Erreger nachgewiesen werden. Insgesamt konnten 33 verschiedene Erreger isoliert werden. Häufigster Erreger war in 41 % ein Staphylococcus aureus. Weitere Erreger, die jeweils mit Häufigkeiten von ca. 20 % nachgewiesen wurden, waren Staphylococcus epidermidis, Enterobacter cloacae, Methicillin/Oxacillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA) und Enterococcus faecalis (Abb. 4). Frühinfektionen (< 4 Wochen) traten in 53 % der Fälle auf; in 47 % bestand eine Spätinfektion (> 4 Wochen). Zur Behandlung der Infektionen kamen 29 verschiedene Antibiotikawirkstoffe aus 12 verschiedenen Antibiotikaklassen zum Einsatz. Die am häufigsten verwendete Gruppe waren Beta-Laktam-Antibiotika mit 41 %. In dieser Gruppe wurden vornehmlich Cephalosporine eingesetzt (31 %). Zudem wurden noch Glykopeptide (10 %), Fluorchinolone (13 %) und Aminoglykoside (16 %) verabreicht. Insgesamt kamen pro Patientin/Patient im Durchschnitt 4 verschiedene Antibiotikawirkstoffe zum Einsatz. Die Antibiotikatherapie erstreckte sich im Mittel über einen Zeitraum von 51 Tagen. Dieser Wert beinhaltet die kalkulierte und gezielte Antibiotikatherapie sowie die zusätzliche Gabe eines Antibiotikums aufgrund einer Reexazerbation. Hierbei wurden 18 Patientinnen und Patienten (33 %) primär mit einer Gentamicin-PMMA-(polymeres Methyl-Methacrylat-)Ketteneinlage versorgt und einer Person (2 %) wurde ein Gentamicin-Kollagen-Vlies eingelegt (Abb. 1d, e und Abb. 2c, d). Ein Infektrezidiv nach initialer Infektberuhigung trat in 49 % der Fälle auf.

Risikofaktoren und längerfristige Antibiotikagaben

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