Übersichtsarbeiten - OUP 09/2016
Klassifikation von Knorpelschaden und Arthrose
Gunter Spahn1, Ivana Stojanowic2, Melanie Biehl3, Holm-Torsten Klemm4, Gunther O. Hofmann5
Zusammenfassung: Die Klassifikation verschiedener Schweregrade bei Arthrosen ist Grundlage für Therapieempfehlungen, aber auch wichtig in der Begutachtung, der epidemiologischen und Versorgungsforschung. Die verschiedenen Klassifikationsschemata basieren entweder auf klinischen, konventionell-radiologischen, kernspintomografischen oder arthroskopischen Befunden. Entscheidend bei der Verwendung verschiedener Schweregradeinteilungen sind dabei klare Definitionen für die einzelnen Arthrosestadien. Im Hinblick auf die bei allen diagnostischen Methoden hohe Interobserver-Varianz sollten, wenn möglich, objektive Messverfahren (Gelenkspaltweite, Größe von Osteophyten) Grundlage für solche Klassifikationsschemata sein. Für die Beurteilung des Arthrosegrads an Hüft- und Kniegelenk ist derzeit die Schweregradeinteilung nach Kellgren und Lawrence Goldstandard.
Schlüsselwörter: Arthrose; Knorpel; Schweregrad; Röntgen; MRT; Arthroskopie
Zitierweise
Spahn G, Stojanowic I, Biehl M, Klemm HT, Hofmann GO: Klassifikation von Knorpelschaden und Arthrose.
OUP 2016; 9: 509–514 DOI 10.3238/oup.2016.0509–0514
Summary: The exact grading of the osteoarthritis is important for therapeutic decisions as well as in epidemiological research, medical expertise and in health-care research. The classifications can be made by clinical or conventional-radiographies, MRI or arthroscopy. The clear definition of the different stages of the disease is basically for all grading. Most diagnostic methods have a poor interobserver-reliability. If possible the classification has to use objective measurements e.g. joint-space narrowing or enlargement of osteophytes. Actually the Kellgren-Lawrence-score is golden standard in the classification of hip and knee osteoarthritis.
Keywords: osteoarthritis; cartilage; grading; radiography; MRI; arthroscopy
Citation
Spahn G, Stojanowic I, Biehl M, Klemm HT, Hofmann GO: Grading of cartilage lesions and osteoarthritis.
OUP 2016; 9: 509–514 DOI 10.3238/oup.2016.0509–0514
Definition und pathophysiologische Grundlagen
Knorpelschaden und Arthrose zählen zu den häufigsten in der Allgemeinmedizin und der Orthopädie/Unfallchirurgie behandelten Erkrankungen.
Obwohl das Krankheitsbild natürlich jedem Arzt bekannt ist, zeigt sich die Schwierigkeit bei der Klassifikation dieser Erkrankung bereits in einer zum Teil widersprüchlichen Namensvielfalt.
Der Begriff der „Arthrosis deformans“ (griech. ?????? arthron ,Gelenk‘ und lat. deformare ,verstümmeln‘) wurde wahrscheinlich von Pommer 1917 geprägt. Im deutschsprachigen Raum hat sich inzwischen weitgehend der Begriff „Arthrose“ für degenerativ bedingte bzw. posttraumatische Zustände durchgesetzt. Der Begriff „Arthritis“ ist hier dagegen entzündlichen Zuständen vorbehalten, z.B. bei Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. Bedingt dadurch, dass die phasenweise verlaufende Gelenkzerstörung auch durch entzündliche Episoden gekennzeichnet sein kann, wird das Krankheitsbild hingegen im angloamerikanischen Sprachraum generell als „Osteoarthritis“ (OA) bezeichnet, unabhängig von seiner Ursache.
Für verschiedene Bereiche in der Medizin werden in Bezug auf die Definition und Klassifikation dieser Erkrankungen unterschiedliche Ansprüche gestellt.
Für die klinische Routine und die daraus resultierenden Therapieempfehlungen/Richtlinien sind die Klassifikationen in der Regel nur ein Hilfsmittel, Entscheidungen zu treffen. Anders verhält es sich hingegen bei Begutachtungen bzw. auch in der epidemiologischen Forschung zur Ermittlung von Risikofaktoren für die Erkrankungen, hier werden klare Definitionen als „Ja oder Nein“ benötigt.
Grundlegendes Verständnis für die Ursachen und die Pathophysiologie des Krankheitsbilds sind erforderlich, um einzelne Befunde in Korrelation zum pathophysiologischen Korrelat einschätzen zu können.
Die Entstehung der Arthrose kann verschiedene Ursachen haben. Zum einen gibt es die sogenannte „primäre Arthrose“ (bedingt durch zunehmendes Alter und unspezifische Disposition). Diese Form der Arthrose wird gelegentlich auch als sogenannte Verschleißerkrankung bezeichnet. Auch wenn biologische Systeme wie ein Gelenk den Gesetzen der Biomechanik in Bezug auf die Belastung folgen (Druck, Scherung, Reibung, Spannungsrelaxation, Kriechen, teilweise oder vollständige Zerstörung), kann es nicht „verschleißen“. Bei der zunehmend im Rahmen der Arthroseentstehung wirkenden Degeneration handelt es sich um ein Missverhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit (z.B. beim Trauma) oder aber um eine schrittweise Dysbalance zwischen Belastung und Regeneration, also bezogen auf die Knorpelmatrix, zwischen Katabolie und Anabolie/Regenerationsfähigkeit.
Im Gegensatz dazu unterscheidet Hackenbroch die sekundären Arthrose-Formen, bei denen aufgrund einer mehr oder weniger bekannten Ursache (präarthrotische Deformierung) der Krankheitsprozess im Vergleich zum „natürlichen Verlauf“ bei der primären Arthrose beschleunigt abläuft. Im Grunde genommen kann diese Einteilung nur für posttraumatische Arthrosen für alle Gelenke übernommen werden. Ansonsten wurden verschiedene Umstände oftmals rein hypothetisch als „präarthrotische Deformierung“ angenommen, deren Wirkung in Bezug auf die Arthroseentstehung überhaupt nicht geklärt oder durch neuere Untersuchungen sogar widerlegt sind. Beispiele dafür ist die Annahme, dass O- oder X-Beine (Varustyp, Valgustyp) ein erhöhtes Risiko für eine Gonarthrose bedeuten. Gleiches gilt für die unterschiedlichen Formen der Patella. Gleiches gilt übrigens auch für die Annahme, dass bestimmte Belastungen in Beruf und Sport zwangsläufig das Arthroserisiko erhöhen. Hier bedarf es einer dringenden Überarbeitung der immer noch mit solchen unbewiesenen oder bereits widerlegten Annahmen auf dem Markt befindlichen orthopädischen Lehrbücher.
Für die Ausbildung der degenerativ bedingten Arthrose ist die zunehmende Schädigung des hyalinen Gelenkknorpels das wesentliche pathophysiologische Moment. In der Initialphase, in der bereits als „funktionell“ angesehene Beschwerden bestehen können, laufen innerhalb der Knorpelmatrix bereits irreversible Prozesse ab, bedingt durch eine Umkehr von Anabolie zu Katabolie/Apoptose der Chondrozyten. Im weiteren Verlauf verliert der Gelenkknorpel an biomechanischer Resistenz (Erweichung, vermehrte Brüchigkeit), es bilden sich die in MRT und Arthroskopie nachweisbaren, zunächst fokalen Knorpelschäden aus. In der späteren Phase der Erkrankung reagiert auch der unter dem Knorpel liegende subchondrale Knochen mit Sklerose und Ausbildung von Osteophyten bzw. Deformierung des Gelenks (radiologische Arthrose). Durch Einbeziehung weiterer Strukturen des Gelenks (Meniskus, Synovia, Ligamente, Muskulatur) kann es schließlich zum kompletten „Gelenkversagen“ kommen.
Klinische Kriterien
Generell gelten Schmerzen, Bewegungseinschränkung, Funktionsstörung, Krepitus und Deformierung als Leitsymptome der Erkrankung. Die Symptomatik kann dabei jedoch sehr unterschiedlich vom einzelnen Patienten wahrgenommen werden und es besteht mitunter eine erhebliche Diskrepanz zwischen den objektiven Befunden und der Symptomatik.
So fanden in der ersten groß angelegten epidemiologischen-radiologischen Untersuchung Kellgren und Lawrence bei nur 70 % aller Patienten mit deutlicher radiologischer Arthrose auch wirklich Beschwerden.
Ebenso sind die einzelnen Funktionsstörungen an den verschiedenen Gelenken unterschiedlich ausgeprägt. Die Coxarthrose beispielsweise verursacht weniger Schmerzen, behindert aber den Patienten vor allem durch die Funktionsstörungen beim Stehen und Laufen. Anders verhält es sich beim Kniegelenk, hier ist das Symptom Schmerz das Leitsymptom. Bei anderen Gelenken hingegen können erhebliche Veränderungen im Röntgenbild vorliegen, ohne dass die Patienten unter wesentlichen Schmerzen oder Funktionsstörungen leiden (z.B. Fingerarthrosen oder Hallux rigidus).
Bei der Schulter, dem Ellenbogen- und Handgelenk, aber auch bei den Wirbelgelenken hingegen spielen der primäre Knorpelschaden bzw. die radiologische Arthrose oftmals eher eine untergeordnete Rolle, die Pathologien im Bereich der degenerativ veränderten Weichteile (Bänder, Sehnen bzw. der Bandscheiben) bestimmen hier die Symptomatik.
Basierend auf anamnestischen und klinischen Symptomen, schlägt das American College of Rheumatology (ACR) die Annahme einer Arthrose vor, wenn eine Reihe von Faktoren vorliegen:
Kniegelenk: Knieschmerz + Krepitus + Morgensteifigkeit, Zeichen > 30 Minuten + knöcherne Veränderungen. Liegen knöcherne Veränderungen vor, so kann auch bei Abwesenheit eines Krepitus eine Arthrose angenommen werden. In Bezug auf die radiologische Diagnostik haben diese Kriterien eine Sensitivität von 89 % und eine Spezifität von 88 %.
Hüftgelenk: Schmerzen + verminderte Beweglichkeit (Innenrotation < 14°, Flexion < 115°, Abduktion < 15°) + Morgensteifigkeit > 60 Minuten + Alter > 50 Jahre. Auch hier wird eine recht hohe Sensitivität von 87 % und eine Spezifität von 75 % erreicht [1].
Weiterhin ist es möglich, die Schwere der Erkrankung durch verschiedene klinische Scores zu charakterisieren. Beispiele dafür sind der WOMAC (Western Ontario and McMaster Universities Index), KOOS (Knee Injury Osteoarthritis Outcome Score).
Laborchemie
Im Verlauf der zunehmenden Gelenkzerstörung wird aus den Gelenken eine Reihe von Degradationsprodukten bzw. Mediatoren (zum Beispiel Interleukine) freigesetzt, die normalerweise nur in geringer Konzentration bzw. gar nicht vorkommen. Solche „Arthrose-Marker“ lassen sich sowohl in der Gelenkflüssigkeit, als auch im Serum bzw. Urin nachweisen. Der bekannteste Arthrosemarker ist das cartilage oligomeric matrix protein (COMP). Dieser Metabolit fällt bei der Degradation des wichtigsten Knorpel-Proteoglykan an, des Aggrecan.
Diese Marker werden in epidemiologischen Untersuchungen und gelegentlich auch in Verlaufskontrollen bei konservativ behandelten Arthrosen eingesetzt, für die klinische Praxis oder aber auch für die Begutachtung hingegen sind sie bislang ungeeignet. Zudem sind solche Tests ausgesprochen teuer (pro Test betragen die Kosten ca. 70 Euro).
Radiologische Arthrose (ROA)
Die Röntgendiagnostik in Standardeinstellungen ist wichtigste und oftmals auch allein ausreichende diagnostische Maßnahme bei Verdacht auf eine Arthrose. Sie darf auch heute noch in der Diagnostik der Arthrose als „Goldstandard“ gelten.
Radiologische Arthrosezeichen sind dabei die Verminderung der Weite des Gelenkspalts, die subchondrale Sklerose bzw. Ausbildung von Geröll-Zysten und Appositionsosteophyten. Solche Osteophyten bilden sich an die Gelenkflächen angrenzend aus. Diese sind abzugrenzen von Traktionsosteophyten im Bereich der Sehnen- bzw. Bandansätze. Letztere sind für eine Arthrose-Diagnostik kein sicheres Kriterium (Abb. 1).
Die Röntgendiagnostik kann durch Messung verschiedener Distanzen zusätzlich objektiviert werden. Für die Gelenkspaltweite des Kniegelenks geben Lanyon et al. Normalwerte an, unterhalb derer eine mittelschwere bis schwere Gonarthrose anzunehmen ist [2].
Eine Verminderung des Gelenkspalts auf < 5–4 mm, gegebenenfalls noch die Ausbildung von Osteophyten von > 2 mm gelten als sicheres Kriterium für das Vorliegen einer Gonarthrose. Beträgt im Bereich des Hüftgelenks die Gelenkspaltweite an irgendeiner Stelle der Gesamt-Zirkumferenz < 2,5 mm, so ist eine coxarthrose anzunehmen[3].
Weiterhin können Veränderungen der Beinachse (Verschiebung der Traglinie nach Miculicz, Veränderungen im Varus- oder Valgus-Winkel usw.) messbare Kriterien für den Schweregrad der Arthrose sein.
Die älteste Klassifikation für die Coxarthrose und Gonarthrose stammt von Kellgren und Lawrence. In den letzten Jahren findet sich in der Literatur eine weitere Zahl von verschiedenen Klassifikationen. Bei der Beurteilung des Schweregrades der Arthrose ist daher immer die jeweils zugrunde liegende Klassifikation konkret anzugeben (Tab. 1). Die Computertomografie hingegen spielt bei der Klassifikation des Schweregrads von Arthrosen eine eher untergeordnete Rolle.
Kernspintomografie (MRT)
Die Kernspintomografie ist die einzige Methode, mit der sich sämtliche Gewebestrukturen eines Gelenks (Knorpel, gelenknaher und subchondraler Knochen, Bänder, Synovia, Gelenk-Cavum mit oder ohne Erguss, Muskulatur, Sehnen, Gefäße und Nerven) bildlich darstellen lassen.
Die Knorpelschäden stellen sich in der MRT als Risse oder als komplette Defekte dar. Dabei wurden in Analogie zur Arthroskopie durch die Radiologen die Knorpelschaden-Klassifikationen übernommen. Häufig wird dabei die Vallotton-Klassifikation verwendet, die in Analogie zur Outerbride-Klassifikation der Arthroskopie steht [4]. Man unterscheidet Knorpelrisse oder Fissuren, die entweder nur innerhalb der Knorpelschicht auftreten, Einrisse, die bis zum Knochen reichen und schließlich komplette Defekte. Initiale Knorpelschäden (Chondromalazie oder Grad-I-Schäden) stellen sich gelegentlich als Irregularitäten innerhalb der Knorpel-Densität bzw. als Ödem dar.
Die Qualität der MRT-Diagnostik beim Knorpelschaden hängt vor allem von der jeweiligen Knorpeldicke in der interessierenden Region ab. Liegen dicke Knorpelschichten (Patella, Femurcondyle) vor, so ist eine gute Validität zu erwarten. Schwerer ist hingegen die Beurteilung von Regionen mit dünner Knorpelschicht, z.B. im Bereich der Tibiaplateus (Abb. 2).
Die MRT, zumindest wie sie derzeit in der Routine angewandt wird, ist bezüglich der Beurteilung des Schweregrads von Knorpelschäden keineswegs sehr genau. Krampla et al. [5] fanden eine Sensitivität bei der Beurteilung der „Chondropathie“ von 33,8–44,7 % und eine Spezifität von 88,3–93,5 %. Die Interobserver-Korrelation betrug nur 0,262–0,262. Dabei hing die Reliabilität weniger von der technischen Ausstattung der MRT-Geräte (1,0–3,0 Tesla) ab, allerdings fanden sich höhere Interobserver-Korrelationen bei Radiologen mit längerer Berufserfahrung. McNicholas et al. [6] beurteilen die Güte der MRT-Diagnostik ebenfalls schlecht und halten sie nur für die Beurteilung der dicken Knorpelschicht an der Patella für valide. Spezielle MRT-Techniken verbessern die diagnostischen Möglichkeiten bei der Beurteilung des Gelenkknorpels. Schmid et al. [7] beurteilten die Reliabilität der Knorpeldiagnostik an der Patella bei Anwendung von MEDIC (2D multiple-echo data image). Für geringergradige Knorpelschäden (Grad 2) fanden sie dabei eine Genauigkeit von 79–81 % und bei tieferen Schäden (Grad 3–4) eine Genauigkeit von 83–91 %. Aber auch das dGEMRIC (delayed gadolinium-enhanced magnetic resonance imaging of cartilage ist kein Garant für eine hohe Interobserver-Reliabilität. Tiderius et al. [8] fanden dabei vor allem eine schlechte Interobserver-Varianz bei der Beurteilung dünner Knorpelschichten, vor allem im Lateralkompartiment des Knies. Auch Eckstein et al. [9] fanden für die Beurteilung der tibialen Gelenkabschnitte deutlich schlechtere Werte bezüglich der Genauigkeit und Spezifität im Vergleich zu Patella und Femurkondyl. Im Jahre 1988 beschrieben Wilson et al. [10] erstmals in der T2-Wichtung innerhalb der Spongiosa gelenknahe auftretende Hyperdensitäten. Im Hinblick auf die unbekannte Ätiologie bezeichnete er dieses als idiopathisches Knochenmarködem (bone marrow oedema). Diese BML wird heute in der Regel auch als transiente Osteoporose bezeichnet. Insbesondere in der angloamerikanischen Literatur wird dieses MRT-Symptom oftmals auch als BML (bone marrow lesion) bezeichnet. Die Ergebnisse einer eigenen Literaturrecherche haben gezeigt, dass BML ein wichtiges Symptom beim degenerativ veränderten Kniegelenk ist. Möglicherweise sind die BML sogar ein wesentlicher Prädiktor für die Arthroseprogression.
In verschiedenen epidemiologischen Studien bzw. auch Therapie-Kontrollstudien werden heute MRT-Scores verwendet, die eine Gesamtschau aller Befunde im Gelenk umfassen.
Die bekanntesten MRT-Scores sind dabei der Whole-Organ Magnetic Resonance Imaging Score (WORMS) and Boston-Leeds Osteoarthritis Knee Score (BLOKS) [11,12]. Diese schließen alle bei der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse ein. Für die klinische Praxis sind diese sehr aufwendigen Auswertungen jedoch derzeit untauglich. Möglicherweise erlangen diese Scores aber in Zukunft durch digitale Bildanalyse größere Bedeutung.
Arthroskopie
Bei circa 60–80 % aller Arthroskopien am Kniegelenk werden Schäden am hyalinen Gelenkknorpel vorgefunden. Die häufigsten Lokalisationen sind die Kniescheibenrückfläche sowie das mediale Kompartiment, hier vor allem die sogenannten Hauptbelastungszonen.
Bereits 1743 beschrieb Sir Wiliam Hunter[13] verschiedene Schweregrade der Erkrankung: Initial die Abweichung, als mittleres Stadium den Aufbruch mit einem Knorpelaufbruch bis zum Knochen herab und schließlich den kompletten Defekt (Knorpelglatze). Mit Etablierung der Arthroskopie wurden verschiedene Schweregradeinteilungen für den Knorpel entwickelt (< 50 verschieden Klassifikationen). Alle sind rein deskriptiver Natur, sie beschreiben entweder die Tiefenausdehnung der Schädigung, andere orientieren sich an der Flächenausdehnung und wieder andere unterscheiden nach einzelnen Gelenkkompartimenten oder fassen diese 3 Aspekte zusammen.
Wenngleich die Klassifikation nach Outerbridge [14] ursprünglich gar keine arthroskopische Klassifikation war, ist sie über Jahrzehnte die gebräuchlichste und wird auch heute noch in vielen Kliniken angewandt [15].
Für wissenschaftliche Publikationen und auch auf Empfehlung der Fachgesellschaften sollte die einheitliche Klassifikation der ICRS (International Cartilage Repair Society) [16] verwendet werden (Abb. 3).
Obwohl die Arthroskopie als Methode der Wahl für die Klassifikation von Knorpelschäden gilt, was mit der Möglichkeit einer direkten Betrachtung gesehen wird, hat sie bezüglich ihrer Validität ein Reihe von Limitationen. Sie ist eine rein deskriptive Methode, da sie allein vom subjektiven, visuellen Eindruck des Operateurs abhängt. Der Gebrauch eines Tasthakens ermöglicht es zwar dem Operateur, die Knorpelflächen zu sondieren, eine taktile Untersuchung ist es hingegen nicht, da der Operateur lediglich die Wirkung seiner Manipulationen auf dem Monitor verfolgt. Da es keinen „Standardtasthaken“ gibt, sondern die Spitzen der Haken unterschiedliche Größe und Form haben und der jeweilige Operateur mit individuellem Druck den Knorpel sondiert, unterliegt die Beurteilung der „Erweichung“ oder der „Eindringtiefe“ bei der Palpation einer großen Variabilität. Zudem können technische Details (z.B. Densität des Ergusses, Qualität des Equipments, Kameraeinstellung usw.) die Untersuchung beeinflussen [17].
Seit längerer Zeit wird daher versucht, diese individuellen, vom jeweiligen Operateur und von anderen Einflüssen abhängigen Untersuchungsergebnisse durch eine objektive Messung des Chondropathiegrads zu ersetzen. Prinzipiell ist es möglich, den Grad der Knorpelaufweichung mechanisch zu messen. Für die Arthroskopie sind solche Geräte jedoch zu groß und zu unhandlich, sodass sich diese Methode bisher nicht durchsetzen konnte [18].
Der Knorpel ist im physikalisch-chemischen Sinn ein Gel, welches sich im Verlauf der Schädigung in seiner stofflichen Zusammensetzung und der Konzentration von Wasser, Kollagen und anderen Bestandteilen verändert. Dies lässt sich durch eine NIRS-Spektralanalyse (Absorption von Licht im nahen Infrarotbereich, NIRS = Nah-Infra-Rot-Spektroskopie) sehr gut nachweisen.
Bereits im Jahre 2005 konnten wir in eigenen Untersuchungen erstmals zeigen, dass der Grad der Knorpelschädigung (ICRS-Grad, aber auch der Wassergehalt) sehr gut mit Veränderungen der NIRS-Eigenschaften korreliert. Daraufhin wurde ein Prototyp eines für die Arthroskopie anwendbaren Knorpel-Spektrometers in der Form eines Tasthakens klinisch angewandt und die experimentellen Ergebnisse konnten bestätigt werden [19, 20, 21, 22].
Auch die arthroskopischen oder spektroskopischen Befunde lassen sich in Analogie zu den MRT-Scores WORMS und BLOKS zu Gesamt-Organ-Scores zusammenfassen und sind gut geeignet, ein Grading bei initialen arthrotischen Veränderungen im Gelenk vorzunehmen.
Definition der Arthrose in der Versorgungsforschung (ICD 10)
Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD, International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) als sicherlich bekannteste Klassifikation für Erkrankungen adressiert selbstverständlich auch die Arthrose.
Die in dieser Klassifikation verwandten Stadieneinteilungen basieren jedoch auf der Annahme, es gäbe primäre und sekundäre Arthrosen (präarthrotische Deformierung). Im Hinblick darauf, dass jeder Patient sein individuelles Risikoprofil hat und die epidemiologischen Studien keineswegs völlig sichere Risikofaktoren für die einzelnen Formen der Arthrosen nachweisen konnten, ist diese Klassifikation lediglich außerhalb der klinischen Praxis sinnvoll (zum Beispiel Krankenkassen, Gesundheitspolitik, Medizinischer Dienst der Krankenkassen).
Kritische Wertung
und Ausblick
Für die Klassifikation des Schweregrads von Arthrosen gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen radiologischen und klinischen Schemata. Für alle Verfahren gilt: Es besteht eine hohe Interobservervarianz, nicht zuletzt deswegen, weil keine einheitlichen Konventionen in Bezug auf die Anwendung einzelner Scores existieren bzw. solche nicht konsequent von den jeweiligen Untersuchern angewandt werden. In Zukunft gilt es, die Validität dieser Untersuchungen durch Einführung objektiver Messverfahren bzw. durch digitale Bildanalyse zu verbessern. Nur dadurch wird es möglich sein, aufgrund von Klassifikationsschemata klare Risikofaktoren bzw. Prädiktoren für die Therapie zu entwickeln.
Interessenkonflikt: Keine angegeben
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. habil. Gunter Spahn
Praxisklinik für Unfallchirurgie
und Orthopädie
Universitätsklinikum Jena
Sophienstraße 16
99817 Eisenach
spahn@pk-eisenach.de
Literatur
1. Sharma L, Kapoor D: Epidemiology of Osteoarthritis 8. In: Moskowitz RW et al. (Hrsg.): Osteoarthritis. Diagnosis, Medical/Surgical Management. 4th ed. Philadelphia: Lippincott Williams & Wilkins; 2007: 3–26
2. Lanyon P, O’Reilly S, Jones A et al.: Radiographic assessment of symptomatic knee osteoarthritis in the community: definitions and normal joint space. Ann Rheum Dis 1998; 57: 595–601
3. Im GI,Kim JY: Radiological joint space width in the clinically normal hips of a Korean population. Osteoarthritis.Cartilage. 2010; 18: 61–64
4. Vallotton JA, Meuli RA, Leyvraz PF et al.: Comparison between magnetic resonance imaging and arthroscopy in the diagnosis of patellar cartilage lesions: a prospective study. Knee. Surg. Sports Traumatol Arthrosc 1995; 3: 157–162
5. Krampla W, Roesel M, Svoboda K et al.: MRI of the knee: how do field strength and radiologist’s experience influence diagnostic accuracy and interobserver correlation in assessing chondral and meniscal lesions and the integrity of the anterior cruciate ligament? Eur. Radiol. 2009; 19: 1519–1528
6. McNicholas MJ, Brooksbank AJ, Walker CM: Observer agreement analysis of MRI grading of knee osteoarthritis. J. R. Coll. Surg. Edinb. 1999; 44: 31–33
7. Schmid MR, Pfirrmann CW, Koch P et al.: Imaging of patellar cartilage with a 2D multiple-echo data image combination sequence. Am. J. Roentgenol. 2005; 184: 1744–1748
8. Tiderius CJ, Tjornstrand J, Akeson P et al.: Delayed gadolinium-enhanced MRI of cartilage (dGEMRIC): intra- and interobserver variability in standardized drawing of regions of interest. Acta Radiol. 2004; 45: 628–634
9. Eckstein F, Gavazzeni A, Sittek H et al.: Determination of knee joint cartilage thickness using three-dimensional magnetic resonance chondro-crassometry (3D MR-CCM). Magn Reson.Med 1996; 36: 256–265
10. Wilson AJ, Murphy WA, Hardy DC et al.: Transient osteoporosis: transient bone marrow edema? Radiology 1988; 167: 757–760
11. Peterfy CG, Guermazi A, Zaim S et al. Whole-Organ Magnetic Resonance Imaging Score (WORMS) of the knee in osteoarthritis. Osteoarthritis.Cartilage. 2004; 12: 177–190
12. Hunter DJ, Lo GH, Gale D et al.: The reliability of a new scoring system for knee osteoarthritis MRI and the validity of bone marrow lesion assessment: BLOKS (Boston Leeds Osteoarthritis Knee Score). Ann. Rheum. Dis. 2008; 67: 206–211
13. Hunter W: Of the structure and disease of articulating cartilages. 1743. Clin. Orthop. Relat Res. 1995; 3–6
14. Outerbridge RE: Further studies on the etiology of chondromalapacia patellae. J. Bone Joint Surg.Br. 1964; 46: 179–190
15. Spahn G, Klinger HM, Hofmann GO: How valid is the arthroscopic diagnosis of cartilage lesions? Results of an opinion survey among highly experienced arthroscopic surgeons. Arch.Orthop.Trauma Surg. 2009; 129: 1117–1121
16. Brittberg M, Winalski CS: Evaluation of cartilage injuries and repair. J. Bone Joint Surg. Am. 2003; 85-A Suppl 2: 58–69
17. Spahn G, Klinger HM, Baums M et al.: Reliability in arthroscopic grading of cartilage lesions: results of a prospective blinded study for evaluation of inter-observer reliability. Arch. Orthop. Trauma Surg. 2011; 131: 377–381
18. Duda GN, Kleemann RU, Bluecher U et al.: A new device to detect early cartilage degeneration. Am. J. Sports Med. 2004; 32: 693–698
19. Spahn G, Plettenberg H, Kahl E et al.: Near-infrared (NIR) spectroscopy. A new method for arthroscopic evaluation of low grade degenerated cartilage lesions. Results of a pilot study. BMC. Musculoskelet. Disord. 2007; 8: 47
20. Spahn G,Plettenberg H, Nagel H et al.: Evaluation of cartilage defects with near-infrared spectroscopy (NIR): an ex vivo study. Med. Eng Phys. 2008; 30: 285–292
21. Spahn G, Klinger HM, Baums M et al.: Near-infrared spectroscopy for arthroscopic evaluation of cartilage lesions: results of a blinded, prospective, interobserver study. Am. J. Sports Med. 2010; 38: 2516–2521
22. Spahn G, Felmet G, Baumgarten G et al.: [Evaluation of cartilage degeneration by near infrared spectroscopy (NIRS): methodical description and systematic literature review]. Z. Orthop. Unfall. 2013; 151: 31–37
23. Kellgren JH, Lawrence JS: Radiological assessment of osteo-arthrosis. Ann Rheum Dis 1957; 16: 494–502
24. Anderson AF, Irrgang JJ, Kocher MS et al.: The International Knee Documentation Committee Subjective Knee Evaluation Form: normative data. Am. J. Sports Med 2006; 34: 128–135
25. Jäger M, Wirth CJ: Praxis der Orthopädie. Stuttgart, New York: Thieme, 1986
26. Altman RD, Hochberg M, Murphy WA Jr. et al.: Atlas of individual radiographic features in osteoarthritis. Osteoarthritis.Cartilage. 1995; 3 Suppl A: 3–70
27. Fairbank TJ: Knee joint changes after meniscectomy. J. Bone Joint Surg. Br. 1948; 30B: 664–670
28. Spahn G, Schiltenwolf M,Hartmann B et al.: [The time-related risk for knee osteoarthritis after ACL injury. Results from a systematic review]. Orthopade 2016; 45: 81–90
Fussnoten
1 Praxisklinik für Unfallchirurgie und Orthopädie Eisenach und Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Jena
2 Radiologische Praxis am St. Georg Klinikum Eisenach
3 Praxisklinik für Unfallchirurgie und Orthopädie Eisenach und Universitätsklinikum Jena
4 FIMB – Freies Institut für medizinische Begutachtungen, Bayreuth
5 Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Jena und BG Klinik Bergmannstrost Halle/S.