Übersichtsarbeiten - OUP 11/2018
Konditionelle Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Matthias W. Hoppe1,2,3, Christian Baumgart2,3, Mirko Slomka4, Casper Grim1, Martin Engelhardt1, Jürgen Freiwald2,3
Zusammenfassung: Zur konditionellen Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball können gegenwärtig extern validere bzw. spezifischere Testverfahren herangezogen werden als in den 70er-Jahren. Ursächlich hierfür ist der messtechnologische Fortschritt. State of the Art zur konditionellen Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball sind Ortungssysteme und innovative Algorithmen. Zukünftig werden diese auch Analysen von technisch-taktischen Fertigkeiten und Bewegungen erlauben. Weitere Entwicklungspotenziale bestehen im Bereich der Datenanalytik im Rahmen von integrativen Ansätzen und in der Anwendung zum Monitoring der Rehabilitation nach Verletzungen auf dem Fußballplatz. Hinsichtlich der Rehabilitation wird zukünftig eine noch engere Verzahnung der konditionellen Leistungsdiagnostik mit orthopädisch-funktionsdiagnostischen Aspekten notwendig sein.
Schlüsselwörter: Big Data; Energiestoffwechsel; Exzentrik; Global Positioning System (GPS); Spiellaufleistung; vorderes Kreuzband (VKB)
Zitierweise
Hoppe MW, Baumgart C, Slomka M, Grim C, Engelhardt M, Freiwald J: Konditionelle Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball –
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
OUP 2018; 7: 536–544 DOI 10.3238/oup.2018.0536–0544
Summary: For physical performance assessment in elite soccer, there are presently more external valid and specific testing procedures than in the seventies. The reason for this is mainly due to the technological progress. State of the art for physical performance assessment in elite soccer are positioning systems and innovative algorithms. In the future, these technologies will also allow assessments of technical-tactical skills and movements. Further development potentials exist in the data processing using integrative approaches and application for monitoring the on-field rehabilitation after injuries. In terms of the rehabilitation, an even closer combination between physical performance and orthopedic-functional aspects will be necessary in the future.
Keywords: anterior cruciate ligament (ACL); big-data; energy metabolism; eccentric; football; Global Positioning System (GPS); match running performance
Citation
Hoppe MW, Baumgart C, Slomka M, Grim C, Engelhardt M, Freiwald J: Physical performance assessment in elite soccer – past, present and future.
OUP 2018; 7: 536–544 DOI 10.3238/oup.2018.0536–0544
1 Klinikum Osnabrück GmbH, Klinik für Orthopädie-, Unfall- und Handchirurgie, Osnabrück
2 Bergische Universität Wuppertal, Arbeitsbereich Bewegungs- und Trainingswissenschaft, Wuppertal
3 Forschungszentrum für Leistungsdiagnostik und Trainingsberatung (FLT), Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal
4 Hannover
Einleitung
Aus einer trainingswissenschaftlichen Perspektive können leistungsdiagnostische Untersuchungen als standardisierte Testverfahren definiert werden, die der Beschreibung der aktuellen Leistungsfähigkeit eines Sportlers (d.h. dem Ist-Zustand) dienen. Durch den Vergleich mit Normwerten (d.h. dem Soll-Zustand) können Trainingsempfehlungen abgeleitet und Talente identifiziert werden. Darüber hinaus können leistungsdiagnostische Untersuchungen im Längsschnitt zur Überprüfung der Leistungsentwicklung und Wirksamkeit von Interventionen dienen. Das übergeordnete Ziel von leistungsdiagnostischen Untersuchungen besteht jedoch darin, Informationen zu liefern, die zur Verbesserung der Wettkampfleistung der Sportler beitragen. Dabei müssen die zur Anwendung kommenden Testverfahren und Messgeräte bzw. die berechneten Parameter den wissenschaftlichen Gütekriterien genügen – insbesondere der Objektivität, Reliabilität und Validität (d.h. den Hauptgütekriterien) [19, 27].
Im Fußball wird die Wettkampfleistung eines Spielers bzw. einer Mannschaft durch zahlreiche psychologische Faktoren, technisch-taktische Fertigkeiten und konditionelle Fähigkeiten bestimmt [41]. Letztere werden aus didaktischen Gründen unterteilt in Ausdauer-, Kraft- und Schnelligkeitsfähigkeiten [25], die im Fokus des vorliegenden Beitrags stehen. Längsschnittstudien aus der Premier League belegen eine um bis zu 85 % zugenommene Spiellaufleistung mit hoher Intensität bzw. anaerober Stoffwechselbeanspruchung während der letzten Dekade [4, 23]. Ferner zeigen die Studien bezüglich der hochintensiven Spiellaufleistung abgenommene Unterschiede zwischen den Mannschaften [11]. Demnach sind im Hochleistungsfußball die konditionellen (anaeroben) Anforderungen gestiegen, und das Leistungsniveau ist homogener geworden. Schlussfolgernd haben leistungsdiagnostische Untersuchungen gegenwärtig einen höheren Stellenwert und einen anderen Schwerpunkt bezüglich des Energiestoffwechsels als um die Jahrtausendwende.
Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, einen narrativen Überblick bezüglich der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der konditionellen Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball zu geben.
Vergangenheit
Von etwa 1970 bis zur Jahrtausendwende lag der Fokus der konditionellen Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball auf den aeroben Ausdauerfähigkeiten der Spieler [25]. Als Testverfahren kamen zuerst Fahrrad- oder Laufbandergometrien unter Laborbedingungen [62] und später verschiedene Feldstufentests meistens auf einer 400-m-Tartanbahn [8] zum Einsatz. Mittels Atemgas- und Laktatanalysen wurden insbesondere
die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) und die Laufgeschwindigkeit an der anaeroben Schwelle (ANS) diagnostiziert [39]. Bereits 1992 wurde die externe Validität der beiden Parameter anhand derer Zusammenhänge zur Spiellaufleistung bei professionalen Fußballspielern untersucht: Obwohl die VO2max und ANS hoch mit der Gesamtlaufstrecke korrelierten, bestanden nur geringe bis moderate Zusammenhänge zur hochintensiven Laufstrecke [3]. 2000 und 2013 wurden Längsschnittstudien der deutschen und norwegischen Fußballnationalmannschaften veröffentlicht. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die VO2max und ANS der Spieler seit den 90er-Jahren statistisch nicht signifikant verändert haben [48, 59]. Als Ursache für die Ergebnisse musste die zusätzliche anaerobe Energiebereitstellung zur Realisierung der (vermehrten) hochintensiven Spiellaufleistung diskutiert werden [50], die bei Hochleistungsfußballspielern unabhängig von der Leistungsfähigkeit des aeroben Systems ist [42]. Folglich musste bereits vor der Jahrtausendwende die externe Validität der konditionellen Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball anhand der VO2max und ANS hinterfragt werden.
Um die externe Validität zu erhöhen, wurden um die Jahrtausendwende vermehrt Feldtests angewandt. Hierzu zählten besonders Shuttle-Run-Tests auf einer 20-m-Laufstrecke (auch Beep-Tests genannt) und Sprintwiederholungstests über 20–40 m mit unvollständigen Pausen (auch Repeated-Sprint-Tests genannt) [19]. Die Shuttle-Run-Tests wurden zunächst mit kontinuierlich ansteigender Laufgeschwindigkeit durchgeführt (wie z.B. beim Multistage 20 m Shuttle-Run-Test [44]), später für eine fußballspezifischere Simulation des intervallartigen Charakters mit Gehpausen zwischen den Läufen (wie z.B. beim Interval-Shuttle-Run [45] oder Yo-Yo-Test [43]). Hinsichtlich der externen Validität konnten Studien einen hohen bis sehr hohen Zusammenhang zwischen der Leistung beim Yo-Yo-Test [43] und beim Sprintwiederholungstest [51] sowie der hochintensiven Spiellaufleistung bei Hochleistungsfußballspielern belegen, was auf die vermehrte anaerobe Energiebereitstellung während der Tests zurückgeführt werden konnte [43, 57]. Zusammenfassend konnten die Ergebnisse eine gesteigerte externe Validität der konditionellen Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball anhand der Shuttle-Run-Tests und Sprintwiederholungstests um die Jahrtausendwende belegen.