Übersichtsarbeiten - OUP 11/2018
Konditionelle Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Im Fußball wird die Wettkampfleistung jedoch nicht nur von primär energetisch determinierten Ausdauer-, sondern auch von primär neuromuskulär determinierten Schnelligkeits- und Kraftfähigkeiten sowie anthropometrischen Merkmalen beeinflusst [19, 25]. Während der letzten 10–15 Jahre wurden daher zusätzlich zu den Shuttle-Run-Tests und Sprintwiederholungstests oftmals Sprint- (z.B. Linear- und Richtungswechselsprints [16]), Sprung- (z.B. Counter Movement und Squat Jumps oder freie Sprünge [5]), Maximalkraft- (z.B. Bankrücken und Kniebeugen [33]) und Rumpfkrafttests (z.B. mit dem eigenen Körpergewicht [40]) sowie anthropometrische Messungen (z.B. bezüglich des Körpergewichts, -fetts und -wasseranteils [39]) im Rahmen von ganzen Testbatterien durchgeführt [25] – z.B. um geschlechtsspezifische Unterschiede im Hochleistungsfußball herauszuarbeiten [17]. Für die additive Diagnostik von technischen Fertigkeiten – z.T. unter konditioneller Belastung – wurden schließlich sog. Komplextests entwickelt. Bei diesen wird mehrmals ein Parcours durchlaufen, der z.B. aus unterschiedlichen Sprint-, Jogging- und Dribblingabschnitten ohne bzw. mit Ball sowie Sprüngen, Pässen und Torabschlüssen besteht. Als Beispiele sind der Hoff-Track- [34] und BEAST90-Test [61] zu nennen, wobei deren externe Validität bei Hochleistungsfußballspielern noch nicht untersucht wurde und die Ableitung von konkreten Trainingsempfehlungen aufgrund der multifaktoriell determinierten Testleistungen schwierig ist. Insgesamt konnte ein Bestreben zu spielnäheren Testverfahren mit mehrdimensionalen konditionellen und zusätzlichen technischen Anforderungen im Hochleistungsfußball während der letzten 10–15 Jahre verzeichnet werden.
Als Messtechnologien kamen bis vor ca. 5 Jahren überwiegend Ergometer, Atemgas-, Herzfrequenz- und Laktatanalysegeräte, Lichtschranken sowie Kontakt- und Kraftmessplatten zur Anwendung [19, 25, 47, 58]. Problematisch bei diesen Technologien war, dass diese aufgrund ihrer unzureichenden Validität (z.B. bezüglich der Prognostik der VO2max und ANS für die hochintensive Spiellaufleistung) und Praktikabilität (z.B. bezüglich der Anwendung von Lichtschranken und Kraftmessplatten bei Komplextests) für den Hochleistungsfußball keine Weiterentwicklung hin zu spielnäheren Tests erlaubten. Etwa 2010 erfolgte schließlich ein messtechnologischer Durchbruch: Ursprünglich für militärische Zwecke entwickelt, konnte das Global Positioning System (GPS; d.h. ein satellitengestütztes Ortungssystem) so modifiziert werden (u.a. bezüglich der Messgenauigkeit, Speicherkapazität und Algorithmen), dass dieses im Hochleistungsfußball routinemäßig eingesetzt werden konnte [2]. Von dem Zeitpunkt an konnten zur konditionellen Leistungsdiagnostik erstmalig auch unterschiedliche Spielformen [29] und Testspiele [38] untersucht werden. Ende 2015 änderte die FIFA schließlich das Regelwerk [24], sodass zur konditionellen Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball auf das extern valideste Testverfahren zurückgegriffen werden konnte, was ohne empirische Evidenz aber logischerweise Pflichtspiele sind. Resümiert werden kann, dass seit 1970 die Testverfahren zur konditionellen Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball extern valider bzw. spezifischer geworden sind – gemäß dem Leitbild „from the laboratory to the terrain“ [22] – , was eng an dem messtechnologischen Fortschritt geknüpft war. Abbildung 1 veranschaulicht die Vergangenheit bzw. Entwicklung der konditionellen Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball hinsichtlich der angewandten Testverfahren und notwendigen Messtechnologien von 1970 bis zur Gegenwart.
Gegenwart
Gegenwärtig können zur konditionellen Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball unterschiedliche Ortungssysteme eingesetzt werden [14, 37]. Zu den 3 gängigsten Ortungssystemen gehören:
- 1. (semi-)automatische videobasierte Kamerasysteme,
- 2. globale Navigationssatellitensysteme (wie z.B. das GPS) und
- 3. lokale funkbasierte Systeme [37, 46].
Tabelle 1 stellt die messtechnischen Hintergründe, Einflussfaktoren, Vor- und Nachteile, Analyseebenen und Anwendungsbereiche den 3 verschiedenen Ortungssystemen gegenüber. Deutlich wird, dass diese auf verschiedenen Messtechniken beruhen (d.h. bildbasierte Mustererkennung, Empfang von Zeitsignalen aus dem Weltraum und Sendung von Zeitsignalen zu Referenzantennen in der lokalen Umgebung) und demnach auch von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst werden (z.B. Position der Spieler auf dem Spielfeld, verfügbare Anzahl und geometrische Anordnung der Satelliten sowie Umgebungsbedingungen wie Wetter, Gebäude, und Baumaterialien), die für valide Datenerhebungen berücksichtigt werden müssen [36, 37, 46]. Aus den unterschiedlichen Messtechniken und Einflussfaktoren ergeben sich verschiedene Vor- und Nachteile (z.B. Notwendigkeit einen Sensor am Spieler zu applizieren, Erfassung des Spielballs und Messgenauigkeit), Analyseebenen (d.h. konditionell wie Laufstrecken, technisch-taktisch wie Passquoten und Abstände sowie qualitativ wie Zweikampfverhalten) und Anwendungsbereiche (d.h. Wettkampf, Training und Wissenschaft) [37, 46], die bei der Wahl eines Ortungssystems zur konditionellen Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball berücksichtigt werden müssen [36].
Die mittels Ortungssystemen erhobenen Geschwindigkeitsdaten (Tab. 1; messtechnische Hintergründe) können nach einer entsprechenden Filterung zur Berechnung von weiteren Größen herangezogen werden [36]. Dazu gehören im Rahmen der konditionellen Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball traditionellerweise die Gesamtlaufstrecke, die maximale Laufgeschwindigkeit sowie die Laufstrecken und Zeiten in definierten Geschwindigkeits- oder Beschleunigungsbereichen [18, 56]. Darüber hinaus erlauben innovative Algorithmen aus den Geschwindigkeitsdaten und zeitgleich erhobenen Herzfrequenzen die folgenden weiteren Größen näherungsweise zu berechnen:
- 1. die mechanische Leistung,
- 2. die konzentrische und exzentrische Muskelarbeit,
- 3. die metabolische Leistung,
- 4. den Wirkungsgrad,
- 5. den Energieverbrauch,
- 6. die aerobe und die anaerobe Energiebereitstellung sowie
- 7. das Schlag- und Herzzeitvolumen [36].
Die notwendigen Filtertechniken und Algorithmen, den leistungsphysiologischen Hintergrund und Mehrwert der innovativen im Vergleich zu den traditionellen Größen sowie Beispiele aus den Mannschafts- und Rückschlagsportarten haben wir kürzlich an anderer Stelle ausführlich beschrieben [36]. Schlussfolgernd können mittels Ortungssystemen und innovativen Algorithmen gegenwärtig nicht nur die äußeren biomechanischen Belastungen (z.B. Gesamtlaufstrecke, mechanische Leistung, exzentrische Muskelarbeit), sondern auch die inneren metabolischen Beanspruchungen (z.B. metabolische Leistung, Energieverbrauch, aerobe und anaerobe Energiebereitstellung) der Spieler unter extern validen Bedingungen während Pflichtspielen zur konditionellen Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball herangezogen werden.
Basierend auf den Pflichtspieldaten können zunächst Profile bzw. Soll-Werte für die Spieler erstellt werden (z.B. bezüglich Alter [15], Geschlecht [13], Leistungsniveau [12] und Spielposition [23]). Aufgrund der Variabilität der Spieldaten (u.a. bedingt durch Spielstrategien bzw. Taktik, Gegner, Spielstand, Trainings- und Gesundheitszustand, Ermüdung bzw. Pacing, Motivation, Wetter und Reliabilität der Messtechnologie) [14, 31, 41] müssen jedoch zur Gewährleistung der Validität der Soll-Werte zwingend mehrere Spiele erfasst und analysiert werden [38]. Analog zum Vorgehen mittels traditioneller Testverfahren und Messtechnologien (z.B. mittels Sprinttests und Lichtschranken) können schließlich die aktuellen Ist-Werte der Spieler im Abgleich mit den Soll-Werten für eine Optimierung des Trainings bzw. Verbesserung der Wettkampfleistung herangezogen werden. Über dieses leistungsdiagnostische Anwendungsfeld hinaus können Ortungssysteme und innovative Algorithmen im Hochleistungsfußball auch für das tägliche Monitoring des Trainings (d.h. für das Belastungsmanagement) genutzt werden [14, 36]. Hierfür hat es sich in der Trainingspraxis des Hochleistungsfußballs etabliert, die täglichen biomechanischen Belastungen und metabolischen Beanspruchungen der Spieler bzw. gesamten Mannschaft für eine bessere Einordnung prozentual in Relation zu den Pflichtspieldaten (d.h. der Soll-Werte) zu analysieren. Da mittlerweile die mittels Ortungssystemen und innovativer Algorithmen erhobenen Größen bereits während des Trainings auf einem Laptop, Tablett oder Handy in Realtime mitverfolgt werden können, kann das Training beim Überschreiten von zuvor definierten Zielen (z.B. bezüglich der exzentrischen Muskelarbeit oder anaeroben Energiebereitstellung) abgebrochen bzw. unverzüglich oder am nächsten Tag modifiziert werden. Solch ein verbessertes Belastungsmanagement des Trainings im Hochleistungsfußball kann nicht nur Regenerations- und Anpassungsprozesse der Spieler optimieren [60], sondern auch zur Prävention von Verletzungen beitragen [28] – insbesondere unter Ermüdung [32] oder nach bereits vorhandenen Vorverletzungen durch das Verhindern von Fehl- und Überbelastungen [54].