Übersichtsarbeiten - OUP 11/2018
Konditionelle Leistungsdiagnostik im Hochleistungsfußball – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Auf die zukünftigen technologischen Entwicklungsmöglichkeiten von Ortungssystemen und innovativen Algorithmen zur konditionellen Leistungsdiagnostik (z.B. zur Erfassung der Sprunghöhen oder energetischen Substraten in Kombination mit Biosensoren) sowie zur Analyse von technisch-taktischen Fertigkeiten (z.B. zur Erfassung von Abständen zwischen dem Fuß und Ball bzw. den Spielern) und Bewegungen (z.B. zur Erfassung von Gelenkwinkeln in Kombination mit Inertialsensoren) haben wir kürzlich schon an anderer Stelle hingewiesen [36]. Daher soll hier auf die zukünftigen Entwicklungspotenziale im Bereich der Datenanalytik und auf ein neues Anwendungsfeld von Ortungssystemen und innovativen Algorithmen im Hochleistungsfußball hingewiesen werden.
Gegenwärtig werden konditionelle Fähigkeiten wie z.B. die hochintensive Spiellaufleistung im Hochleistungsfußball meist aus einer isolierten leistungsphysiologischen Perspektive betrachtet. Unbestritten ist aber, dass jede hochintensive Spielhandlung einen technisch-taktischen Kontext hat (z.B. Ballverlust, Konter oder Presssing). Folglich wird es zukünftig notwendig sein, auch um die Akzeptanz von Ortungssystemen und innovativen Algorithmen zur konditionellen Leistungsdiagnostik bei Praktikern zu erhöhen, die Spiellaufleistung im jeweiligen technisch-taktischen Kontext zu analysieren [10], was wir bereits im Tennis ansatzweise umsetzen konnten [35]. Um solche integrativen Ansätze in der Fußballpraxis und -forschung realisieren zu können, werden zukünftig aufgrund der Datenkomplexität sog. Big-Data-Ansätze zum Datenmanagement und „maschinelles Lernen“ zur Mustererkennung notwendig sein [53]. Über diesen integrativen Ansatz hinaus erscheint es grundsätzlich zukunftsweisend, technisch-taktische Fertigkeiten im Hochleistungsfußball vermehrt quantitativ zu analysieren [49, 55], da diese bereits gegenwärtig stärker zwischen den Mannschaften diskriminieren und enger mit dem Spielerfolg korrelieren als konditionelle Fähigkeiten wie z.B. die hochintensive Spiellaufleistung [41].
Ein bis dato weitestgehend übersehenes Anwendungsfeld von Ortungssystemen und innovativen Algorithmen im Hochleistungsfußball ist das Monitoring der Rehabilitation nach Verletzungen auf dem Fußballplatz [26, 36]. Gegenwärtig sind im Rahmen der Rehabilitation u.a. 2 Aspekte problematisch:
- 1. die Entscheidungsfindung, ab wann uneingeschränkte Trainings- und Spielbelastungen wieder möglich sind [30] und
- 2. eine unzureichende Steuerungsmöglichkeit der Rehabilitation auf dem Fußballplatz aufgrund fehlender objektiver Informationen bezüglich der (spezifischen) augenblicklichen bzw. täglichen Belastungen und Beanspruchungen [52].
Zur Problemlösung haben wir einen Ansatz zum Monitoring der Rehabilitation auf dem Fußballplatz mittels Ortungssystemen und innovativer Algorithmen im Hochleistungsfußball entwickelt: Der Ansatz berücksichtigt die Phase ab dem „return to play“ (d.h. der Rückkehr zum Fußball mit reduzierter Leistungsfähigkeit) bis zur „return to performance“ (d.h. der Rückkehr zu Pflichtspielen mit fast vollständig wiederhergestellter Leistungsfähigkeit) [1]. Auch das Monitoring der Rehabilitation basiert auf einem Abgleich zwischen dem aktuellen Ist-Zustand in Relation zum (verletzungsfreien) Soll-Zustand, welcher auch auf wiederholten Messungen von Pflichtspielen beruht.1 Hierdurch kann der Verlauf der Rehabilitation anhand der Veränderungen der (tolerierten) Belastungen und Beanspruchungen überwacht werden, was die tägliche Steuerung der Rehabilitation optimieren könnte. Anhand von individuell definierten Schwellwerten könnte schließlich – im Abgleich mit der medizinischen Abteilung sowie der subjektiven Einschätzung des Spielers und Trainers [26] – die Freigabe zu uneingeschränkten Trainings- und Spielbelastungen zukünftig auf einer objektiveren Basis als bis dato erfolgen. Im Hochleistungsfußball erfolgen schwerwiegende Verletzungen wie z.B. die Ruptur des vorderen Kreuzbands oftmals während exzentrischer Muskelarbeit (z.B. während Richtungswechseln oder Sprüngen [20]) [9]. Ursächlich hierfür sind möglicherweise die hohen mechanischen Kräfte [6] und der feinmotorische Kontrollverlust [21] während der exzentrischen Arbeitsweise der Muskulatur, weshalb während der Rehabilitation häufig exzentrische Situationen antizipativ vermieden werden [7, 25]. Daher ist zur täglichen Steuerung der Rehabilitation auf dem Fußballplatz sowie zur Freigabe zu uneingeschränkten Trainings- und Spielbelastungen möglicherweise insbesondere ein ortungssystembasierter Exzentrik-Index geeignet. Diesen haben wir kürzlich global (d.h. für den Körperschwerpunkt) hergeleitet und veranschaulicht [36]. Zukünftig ist es denkbar, diesen globalen Exzentrik-Index mittels mehrerer Inertialsensoren z.B. an Femur und Tibia auf die kniegelenksumgebende Muskulatur weiter zu spezifizieren. Abbildung 2 zeigt den von uns vorgeschlagenen Ansatz zum Monitoring der Rehabilitation auf dem Fußballplatz mittels Ortungssystemen und innovativen Algorithmen im Hochleistungsfußball.
Ergänzend sollten in das Monitoring der Rehabilitation auf dem Fußballplatz wiederholte Testbatterien zur konditionellen Leistungsdiagnostik integriert werden, um die Wiedererlangung der konditionellen Leistungsfähigkeit auch unter standardisierten Bedingungen objektivieren zu können. Dabei sollten die zur Anwendung kommenden Testverfahren und Messtechnologien zukünftig nicht nur Rückschlüsse auf die konditionelle Leistungsfähigkeit, sondern auch auf möglicherweise zugrundeliegende orthopädische Probleme des Spielers erlauben [26, 27]. Zur Verdeutlichung wird folgender Kasus vorgestellt: Ein 28 Jahre alter Fußballspieler mit regelmäßigen Einsätzen in der Bundesliga, Champions League und Nationalmannschaft stellte sich zur konditionellen Leistungsdiagnostik im Forschungszentrum für Leistungsdiagnostik und Trainingsberatung (FLT) der Bergischen Universität Wuppertal vor. Der Spieler bat um individuelle Trainingsempfehlungen für die Sommerpause zum Erhalt bzw. Ausbau seiner konditionellen Leistungsfähigkeit. Der Spieler wies folgende Befunde bzw. Verletzungshistorie auf: Vor ca. 7,5 Jahren verletzte sich der Spieler am Kniegelenk bei einer Schussaktion bzw. Hyperextension ohne Fremdeinwirkung während eines Pflichtspiels. Infolgedessen und während den folgenden 3,5 Jahren wurden mehrere Chondromalazien Grad IV (Bereiche: Trochlea, retropatellar und medialer Femurcondylus), ein freier intraartikulärer Gelenkkörper (Knorpelfragment), eine Laxität des vorderen Kreuzbands Grad II, eine Synovitis und eine massive infrapatellare Vernarbung diagnostiziert, die 3-mal operativ versorgt werden mussten (u.a. mittels arthroskopischer Mikrofrakturierung, Entfernung des Gelenkkörpers, Synovektomie und Narbenlösung). In den vergangenen 2,5 Jahren konnte der Spieler wieder weitestgehend uneingeschränkt am Mannschaftstraining teilnehmen und die meisten Pflichtspiele absolvieren. Im Rahmen der durchgeführten konditionellen Kraftdiagnostik wurden 2 getrennte Kraftmessplatten zur Erfassung der vertikalen Bodenreaktionskräfte während standardisierten Sprüngen und ein isokinetischer Kraftmessstuhl zur Erfassung der Drehmomente der kniegelenkumgebenden Muskulatur eingesetzt. Ferner wurden die Oberschenkelumfänge sowie die Beweglichkeit der Knie- und Hüftgelenke erhoben. Die Abbildung 3 zeigt die vertikalen Bodenreaktionskräfte während eines Counter Movement und Squat Jumps sowie die Drehmomente der Knieextensoren und -flexoren bei einer Winkelgeschwindigkeit von 60°/s im Seitenvergleich. Die wesentlichen Ergebnisse lauten:
- 1. In Relation zu Soll-Werten aus der Bundesliga sind die Sprunghöhen unterdurchschnittlich.
- 2. Die Bodenreaktionskräfte sind auf der verletzten Seite während des Squat Jumps beim Absprung vermindert.
- 3. Die Drehmomente der Knieextensoren und -flexoren sind auf der verletzten Seite während der isokinetischen Testungen vermindert – am meisten die Knieextensoren bei einem Flexionswinkel zwischen 30 und 80°.
- 4. Die Oberschenkelumfänge sind auf der verletzten Seite um bis zu 4,2 cm reduziert.
- 5. Die Beweglichkeit des Kniegelenks ist auf der verletzten Seite um 10° in der Flexion eingeschränkt.