Übersichtsarbeiten - OUP 03/2020
Konservative Behandlung patellofemoraler Pathologien
Jana Rogoschin, Ingo Volker Rembitzki, Wolfgang Potthast
Zusammenfassung:
Patellofemorale Schmerzen umfassen ein breites Spektrum an Pathologien, darunter das patellofemorale Schmerzsyndrom (engl.: patellofemoral pain syndrome, PFPS), welche häufig auf mechanische Überlastungen und Sagittalachsabweichungen der unteren Extremität mit lokalen, proximalen und distalen ätiologischen Faktoren zurückzuführen sind. Diese systematische Übersichtsarbeit identifiziert
6 Behandlungsmodalitäten im Rahmen des konservativen PFPS-Managements: Physiotherapie, Übungs- und Rehabilitationsprogramme, Taping, Elektrotherapie, Schuheinlagen und Patellofemoral (PF)-Orthesen. Resultierend konnte keine Überlegenheit einer einzelnen Behandlungsmethode gegenüber den anderen Behandlungsansätzen identifiziert werden, da die multifaktorielle Genese des PFPS verschiedene Ansätze erfordert. Der Fokus der identifizierten Behandlungsprotokolle lag auf der Aktivität und einer gezielten Kräftigung der unteren Extremität. Dabei schien der zusätzliche Einsatz von Taping und biomechanischen Interventionen wie Orthesen mit Einfluss auf das Patella-Alignment während der Aktivität zu einer Schmerzreduktion und zu einer positiven Erfahrung mit einem langfristigen Erfolg beizutragen.
Schlüsselwörter:
Patellofemorales Schmerzsyndrom, Physiotherapie, Übungstherapie, Taping, Elektrotherapie, Orthesen
Zitierweise:
Rogoschin J, Rembitzki IV, Potthast W: Konservative Behandlung patellofemoraler Pathologien OUP 2020; 9: 144–150 DOI 10.3238/oup.2019.0144–0150
Summary: Patellofemoral pain covers a wide range of pathologies, including patellofemoral pain syndrome (PFPS), which is often the result of mechanical overload and sagittal axial deviation of the lower extremity with local, proximal and distal factors of etiology. This systematic review identifies 6 treatment modalities within the framework of conservative PFPS management: physiotherapy, exercise and rehabilitation programs, taping, electrotherapy, shoe inserts and patellofemoral (PF) orthoses. As a result, no single treatment modality could be derived, since the multifactorial etiology of PFPS requires different approaches. The focus of the identified treatment protocols was on activity and strengthening programs of the lower extremity, whereas the additional use of taping and biomechanical interventions such as orthoses during activity can lead to beneficial effects. The influence on patella alignment seemed to contribute to pain reduction and thus to a positive experience with long-term success.
Keywords: patellofemoral pain syndrome, physiotherapy, exercising, taping, electrotherapy, orthoses
Citation: Rogoschin J, Rembitzki IV, Potthast W: Conservative treatment of patellofemoral pathologies. OUP 2020; 9: 144–150 DOI 10.3238/oup.2019.0144–0150
Jana Rogoschin: Institut für Biomechanik und Orthopädie, Deutsche Sporthochschule Köln und Össur Deutschland GmbH, Frechen
Ingo Volker Rembitzki: Clinical Excellence Circle, Braunschweig
Wolfgang Potthast: Institut für Biomechanik und Orthopädie, Deutsche Sporthochschule Köln und ARCUS Kliniken Pforzheim
Einleitung
Unter patellofemoralen Schmerzen wird eine Vielzahl von Pathologien zusammengefasst. Dazu zählen chondrale Verletzungen, Arthritis, Instabilität und das patellofemorale Schmerzsyndrom (engl.: patellofemoral pain syndrome, PFPS) [28]. Zumeist wird das patellofemorale Schmerzsyndrom als ein Überbegriff für anterioren, peri- und retropatellaren Schmerz verwendet, der typischerweise nicht traumatischen Ursprungs ist und häufig ohne strikte terminologische Abgrenzung mit dem Patella Malalignment-Syndrom, Chrondromalacia patellae und dem anterior knee pain syndrom (AKPS) synonym verwendet wird [25]. Der chronische, schmerzhafte Zustand mit vorwiegend schleichendem Beginn, der typischerweise ohne radiologisch diagnostizierbare strukturelle Veränderungen einhergeht, ist einer der häufigsten Ursachen für Kniegelenkerkrankungen und Überlastungsverletzungen, insbesondere in der jüngeren weiblichen aktiven Bevölkerung [10]. Junge Frauen leiden um 25- 50 % häufiger an PFPS als junge Männer [30, 35]. Jede 4. Diagnose im als sportlich aktiv beschriebenen Bevölkerungsanteil geht auf PFPS zurück. Martimbianco beschreibt, dass PFPS in 25- 40 % aller Diagnosen von Athleten und Sportlern auftreten kann [16, 25]. Die Kinematik des patellofemoralen Gelenks erstreckt sich über 6 Freiheitsgrade, 3 rotatorische und 3 translatorische. Diese komplexe Kinematik des patellofemoralen Gelenkes ist durch eine strenge Abhängigkeit von den Bewegungen des tibiofemoralen Gelenkes gekennzeichnet. Wie beim tibiofemoralen Gelenk findet sich die primäre Bewegung in der Sagittalebene und ist durch das Gleiten der Patella in der Trochlea (superiore-inferiore Translation) gegeben. Die Bewegungen des tibio-femoralen Gelenkes in seinen sekundären Bewegungsebenen (Frontal- und Transversalebene) verursachen eine Änderung der Zugrichtung der Patellasehne und damit eine Änderung der auf die Patella wirkenden Kraft. Aufgrund der nicht konstanten Radien der Femurkondylen liegt die Patella bei Kniebeugung nicht vollflächig auf dem Femur auf und führt relativ zum Femur eine Flexion und damit eine Rotation in der Sagittalebene um die medio-laterale Achse durch. Da Patella und Trochlea nur sehr eingeschränkte geometrische Kongruenz aufweisen, kann die Patella zudem medio-laterale Translationen (ML Shift) durchführen (Abb. 1a). Gleichzeitig findet mit der medio-lateralen Translation insbesondere bei geringer Kontaktfläche von Patella und Femur eine laterale Patellarotation um eine senkrecht auf der Patella stehende Achse statt (Abb. 1b). Durch die medio-laterale Translation der Patella kippt die Patella (Tilt) um die superiore-inferiore Achse (Abb.1c). Damit sind die 3 rotatorischen Freiheitsgrade des Patellofemoralen Gelenkes durch die Flexion, den Tilt und die Rotation der Patella in Relation zum Femur beschrieben. Die 3 Translationen sind das superiore-inferiore Gleiten der Patella entlang der Femurlängenachse, die medio-laterale Translation der Patella und die anteriore-posteriore Bewegung der Patella in Relation zum Femur. Folglich kann es durch die geringe Bewegungseinschränkung und limitierte knöcherne Führung zu vielen verschiedenen Kombinationen kommen. Dazu kommt die Vielzahl der morphologischen Varianten von Patella und Trochlea und der Variabilität und Individualität von muskulären und mechanischen Faktoren.
Ursächlich für PFPS können Funktionsstörungen des M. quadriceps infolge einer Schwäche oder Insuffizienz des M. vastus medialis obliquus (VMO) in Relation zum M. vastus lateralis (VL) oder eine Störung des zeitlichen Aktivierungsverhältnisses eine Rolle spielen [22, 34]. Obwohl einige Arbeiten eine isolierte VMO-Atrophie in symptomatischen Individuen im Vergleich zu gesunden Patienten nachweisen konnten, ist dieses Ergebnis inkonsistent und ein kausaler Zusammenhang konnte nicht nachgewiesen werden [34]. Doch nicht nur eine strukturelle Problematik, sondern auch ein dynamischer oder funktioneller Valgus beeinflusst das Patellatracking und führt zu einer Lateralisierung. Eine Schwäche der Hüftaußenrotatoren und der Abduktoren (M. gluteus medius et minimus) mit einhergehender Innenrotation des Femurs, sowie eine Hyperpronation der Sprunggelenke mit einer erhöhten tibialen und femoralen Innenrotation kann additiv zu dieser Symptomatik beitragen [3, 30]. Die veränderte Biomechanik sorgt für eine erhöhte Druckkraft im patellofemoralen Gelenk, was durch die Kompression von lokalen Weichteilstrukturen wie Plica synovialis, infrapatellerem Fettkörper, Retinaculae, Gelenkkapsel und patellofemoralen Ligamenten im vorderen Knieschmerz resultiert [6]. Diese Faktoren können individuell oder kollektiv zum PFPS beitragen, so dass derzeit eine multifaktorielle Begründung angenommen wird [4]. Davis et Powers (2010) klassifizieren die Ursachen nach lokalen, distalen und proximalen Faktoren mit Einfluss von Fuß-, Sprung- und Hüftgelenk, sowie dem Becken [14]. Insgesamt weist das Syndrom eine eher ungünstige langfristige Prognose auf. Nur ein Drittel der Patienten sind ein Jahr nach der Diagnose schmerzfrei und 91 % der Patienten berichten auch noch 4 Jahre nach Diagnosestellung von Schmerzen und Funktionsstörungen [36].
Im Hinblick auf die schlechte Prognose und die Erkrankungsdauer stellt sich die Frage nach dem optimalen Behandlungsansatz. Die vielen Behandlungsoptionen und Therapieempfehlungen erscheinen undefiniert und werden nicht als allgemeingültig verstanden [7]. Einzig über eine primär konservative und nicht operative Behandlungsform herrscht weitgehend Konsensus [29]. Dennoch liegen derzeit wenige aktuelle Leitlinien über optimale Behandlungsansätze im Rahmen des konservativen PFPS-Managements vor [36]. Eine kürzliche Veröffentlichung der Akademie für Orthopädische Physiotherapie der Amerikanischen Gemeinschaft für Physikalische Therapie (American Physical Therapy Association) entwickelte Leitlinien für ausschließlich physiotherapeutische Behandlungsmethoden im Rahmen des PFPS-Managements [37]. Ein weiteres Konsensus-Statement zur Übungstherapie und physikalischen Therapie im Rahmen der Zusammenkunft zum „Patellofemoral Pain Research Retreat Meetings“ in Australien (2017) schließt lediglich Literatur bis 2017 ein [12]. Das Ziel dieser Arbeit ist die Strukturierung aller konservativen Behandlungsempfehlungen und Therapiemodalitäten im Rahmen des PFPS, ohne dabei Vergleiche spezieller Techniken der einzelnen Behandlungsmodalitäten durchzuführen.
Methode
Die Literatursuche wurde im Zeitraum von Dezember 2019 bis Januar 2020 in den Datenbanken MEDLINE, Embase und PEDro durchgeführt. Die Fragestellung dieser Arbeit wird auf die PICOT-Kriterien gestützt [32] und soll klären, welche konservativen Behandlungstechniken mit einer Mindestinterventionsdauer von 4 Wochen einen positiven Einfluss auf klinische Parameter bei Erwachsenen mit PFPS aufzeigten. Die spezifischen Kriterien sind Tabelle 1 zu entnehmen.
Die Studienselektion erfolgte in Anlehnung an die Kriterien der „Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analysis“ (PRISMA) nach Moher et al. 2009 [27]. Um eine Aussage über möglichst aktuelle Behandlungsmodalitäten treffen zu können, beschränkte sich die Literaturauswahl auf Artikel, die erst nach 2000 publiziert wurden. In der ersten Suche konnten insgesamt 210 Artikel detektiert werden, wovon 75 Artikel nach Doppelungen, sowie Abstract- und Title- Screening unter Berücksichtigung der Inklusions- und Exklusionskriterien in das Volltext-Screening aufgenommen wurden. Nach Untersuchung der Thematik, des Studiendesigns und der Qualitätskriterien der Volltext-Artikel wurden insgesamt 9 randomisierte, kontrollierte Studien in die Analyse miteinbezogen (Abb. 2). Das Verzerrungsrisiko der inkludierten Studien wurde nach den aktuellen Empfehlungen der Cochrane Back Review Group „Cochrane risk of bias tool for randomized trials“ mit Hilfe von 7 Domänen mit JA, NEIN oder UNKLAR bewertet [19].
Resultat
Die einbezogenen Studien untersuchten die Therapiemaßnahmen Physiotherapie (PT), Übungs- und Rehabilitationsprogramme, Taping, Elektrotherapie, Schuheinlagen und Orthesen. Eine Übersicht ist der Tabelle 2 zu entnehmen.
Physiotherapie, Aktivität
und Taping
Crossley et al. (2002) verglichen ein PT-Programm nach standardisiertem Behandlungsprotokoll von Mc Connell [26], basierend auf Taping, Kräftigung des M. vastus medialis (VM) mit Einsatz eines EMG-Feedbacks, Kräftigung der Glutealmuskulatur, Stretching und einem Heimübungsprogramm mit einem Kontrollprogramm aus Placebotaping, Sham-Ultraschallbehandlung und topischer Anwendung eines inaktiven Gels [13]. Nach einer Interventionsdauer von 6 Wochen hatten die Patienten in der PT-Gruppe im Follow-up nach 3 Monaten signifikant niedrigere Schmerzwerte sowie signifikante Verbesserungen in Aktivitätsparametern. Im Hinblick auf Aktivität, konnten Dursun et al. (2001) ebenfalls zeigen, dass der Einsatz eines Übungsprogramms über 3 Monate zu signifikanten Verbesserungen des Schmerzempfindens und zu einer Funktionalitätsverbesserung führte [15]. Beide Gruppen führten Kräftigungsübungen für den M. quadriceps, auch speziell für den VMO sowie ein Flexibilitäts-/ Propriozeptions- und Ausdauertraining aus, wobei das Training in der Interventionsgruppe mit visuellem und auditivem Biofeedback unterstützt wurde. In beiden Gruppen wurden signifikante Verbesserungen der Kontraktionskraft von VM und VL und der Werte im Functional Index Questionnaire (FIQ) sowie eine signifikante Schmerzreduktion von Baseline (BL) zu 3 Monaten beobachtet. Zwischen den Gruppen konnten keine signifikanten Unterschiede im Hinblick auf Kraftzuwachs, Schmerzreduktion und Funktionalität festgestellt werden, so dass das Biofeedback keinen signifikanten Effekt zu haben schien.
Elektrotherapie
Vier Arbeiten beschäftigten sich mit unterschiedlichen Techniken der Elektrotherapie. Glaviano et al. (2019) untersuchte den Einfluss einer 4-wöchigen Behandlung mit der Elektrotherapieform Patterned electrical neuromuscular stimulation (PENS) von Gluteus medius, VMO, Hamstrings und den Adduktoren auf klinische Scores wie Anterior Knee Pain Scale (AKPS), Activities of Daily Living (ADL), Lower Extremity Functional Scale (LEFS) und Visuelle Analogskala (VAS) als Zusatz zu einem Rehabilitationsprogramm [17]. Nach 4 Wochen zeigte sowohl die PENS-, als auch die Kontrollgruppe eine statistische und klinische Verbesserung in Funktion, Schmerz, Kraft, Bewegungsausmaß und dem Aktivitätslevel. Die subjektiven Skalen waren nach 6 und 12 Monaten in beiden Gruppen verbessert. Im Vergleich zur Kontrollgruppe hatte die PENS-Gruppe jedoch bessere Werte im aktuellen Schmerzempfinden zu allen 3 Messzeitpunkten (4 Wochen, 6 und 12 Monate). Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen auch Akarcali et al. (2002), die den Einfluss von High voltage pulsed galvanic stimulation (HPVGS) auf den Schmerz in PFPS-Patienten untersuchten [2]. Beide Gruppen führten ein Übungsprogramm über 6 Wochen aus. Die Interventionsgruppe erhielt eine zusätzliche HPVGS-Therapie. Dabei stellten sie fest, dass der Schmerz in der HPVGS-Gruppe signifikant niedriger war als in der Kontrollgruppe. Alle Patienten zeigten einen Kraftanstieg des M. quadriceps im zeitlichen Verlauf, jedoch keine signifikanten Zwischengruppenunterschiede.
Celik et al. (2019) untersuchten den Einfluss eines Standardrehabilitationsprogramms und neuromuskulärer elektrischer Stimulation (NMES) bei isometrischer Quadricepskräftigung und terminaler Kniestreckung (0-30°) des M. quadriceps auf Kraft und klinische Parameter [8]. Beide Gruppen führten das Rehabilitationsprogramm aus, während die Interventionsgruppe eine zusätzliche Behandlung mit NMES erhielt. Beide Gruppen erreichten signifikant bessere Quadriceps- und Hamstringskraftwerte (primäres Outcome), sowie einen höheren Kujala und Lysholm Score im zeitlichen Verlauf. Es konnten jedoch keine signifikanten Zwischengruppenunterschiede zwischen NMES- und Kontrollgruppe identifiziert werden.
Taping
Die systematische Literatursuche detektierte keine Arbeit, die sich isoliert mit dem Einfluss von Taping beschäftigte. Vielmehr wurde Taping in 2 vorliegenden Arbeiten als Zusatz zu weiteren konservativen Maßnahmen wie Elektrotherapie oder Standardrehabilitation verwendet. Wie bereits beschrieben, war das Rehabilitationsprogramm nach Mc Connell, welches auch das Taping inkludierte, signifikant effektiver im Hinblick auf Schmerz und Aktivität als eine Placebobehandlung der Kontrollgruppe [13]. Demgegenüber untersuchten Kaya et al. (2013) den isolierten und kombinierten Einfluss von HPVGS und Taping nach Mc Connell [21]. Alle Teilnehmer erhielten ein Rehabilitationsübungsprogramm aus Kräftigungs- und Dehnübungen der unteren Extremität. Nach 6 Wochen hatte die Kombinationsgruppe aus HPVGS und Taping signifikant weniger Schmerzen beim Treppensteigen auf- und abwärts. Die Teilnehmer, welche nur HPVGS erhielten, hatten signifikant weniger Schmerzen beim Treppe aufwärts gehen als die Taping-Gruppe. Die Autoren schlussfolgerten, dass eine zusätzliche Taping-Anlage kein verbessertes Ergebnis zur Elektrotherapiebehandlung mit HPVGS liefern konnte und konnten keine kombinatorischen Effekte nachweisen.
Orthesen
Collins et al. verglichen den Effekt von individualisierten Fußorthesen (Schuheinlagen) mit Physiotherapie in Individuen mit PFPS [11]. Als Kontrolle wurden flache Schuheinlagen verwendet und somit die folgenden 4 Gruppen über 6 Wochen mit den jeweiligen Therapiemaßnahmen behandelt: Fußorthesen + PT, PT, Fußorthesen, flache Schuheinlagen. Die Werte der Global improvement scale waren in der Fußorthesen-Gruppe nach 6 Wochen signifikant besser als in der Gruppe mit flachen Einlagen. Im Hinblick auf den Schmerz gab es in allen Gruppen an jedem Messzeitpunkt eine Verbesserung, ausgenommen in der Kontrollgruppe mit flachen Einlagen im finalen Assessment in der 52. Woche. Alle 4 Gruppen zeigten signifikante Verbesserungen in AKPS und FIQ. Die Autoren schlussfolgerten, dass Fußorthesen eine frühere und deutlichere Verbesserung der PFPS-Symptomatik mit sich führen als flache Einlagen. Eine weitere Arbeit untersuchte die Auswirkungen von biomechanischen Interventionen (PF-Orthese und Bandage ohne Patella Vorrichtung in der Kontrollgruppe) und eines Heimübungsprogramms auf Schmerz und Funktion [29]. Nach 12 Wochen traten in allen Gruppen Verbesserungen auf, jedoch berichteten die Autoren von keinen Zwischengruppenunterschieden. Dabei waren die Werte der Werner Knee Function scale in der Orthesengruppe und Übungsgruppe, sowie die Werte der Schmerzskalen nach 3 Wochen in der Orthesengruppe deutlich besser und schienen mit einer schnelleren Genesung einherzugehen. Jedoch belief sich die Studienauswertung lediglich auf das finale Assessment in der 12. Woche.
Eine schnellere und effizientere Symptom- und Schmerzverbesserung wird auch von Petersen et al. (2016) untermauert [30]. In dieser Arbeit wurde eine dynamische PF-Orthese zur Verhinderung der Patellalateralisierung untersucht. Die Orthese übt eine dynamische nach medial gerichtete Kraft während der Initialflexion von 0-30° aus und unterstützt somit den Bewegungsradius der Patella, der nicht mit der knöchernen Trochleastabilisierung unterstützt wird. Die Orthesengruppe und die Kontrollgruppe erhielten das gleiche Therapieprotokoll, bestehend aus einem Patella Move Program und einem krankengymnastischen Training am Gerät (KGG). Nach 6 und 12 Wochen war die Orthesengruppe signifikant besser in allen Subskalen des KOOS Scores, auf der NAS Skala und dem Kujala score. Ein verbessertes Ergebnis in den Aktivitäten des täglichen Lebens konnte auch im Follow-up von 54 Monate in der Orthesengruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe nachgewiesen werden.
Diskussion
Neun randomisierte kontrollierte Studien wurden in die Auswertung eingeschlossen. Das Verzerrungsrisiko war different und ging zumeist auf eine hohe Performance-Bias und andere Verzerrungsfaktoren wie geringe Stichprobenmengen, unzureichende oder unklare Informationen im Hinblick auf die Studienmethodik, sowie die Berichterstattung zurück.
Physiotherapie, Aktivität in Form von Übungs- und Reha-Programmen, Taping, Elektrotherapie, Schuheinlagen und orthetische Versorgung des Kniegelenkes wurden als geeignete Maßnahmen im Rahmen des konservativen PFPS-Managements detektiert. Die Behandlungsformen waren divers und unterschieden sich in der Interventionsdauer und Intensität. Die durchschnittliche Interventionsdauer lag bei 9,6 Wochen mit einem maximalen Follow-up Zeitraum von 54 Wochen. Ein ätiologischer Faktor für die PFPS-Symptomatik ist die Lateralisierung der Patella mit erhöhter Belastung im lateralen patellofemoralen Gelenkanteil [18]. Crossley et al. beschreiben, dass durch eine Tape-Anlage die Lateralisierung der Patella und das Schmerzempfinden während der Kniebeuge signifikant reduziert werden konnte [13]. Dabei erscheint die Evidenzlage zum Taping bei PFPS unklar, denn Kaya et al. stellten fest, dass eine zusätzliche Taping-Anlage keinen signifikanten Kombinationseffekt zu einer Behandlung mit HPVGS mit sich brachte [21]. Eine systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse von Chang wiederum kam zu dem Schluss, dass Kinesio-Taping Schmerzen reduzieren und die muskuläre Flexibilität von PFPS-Patienten erhöhen kann. Dem Mc Connell-Tape wurde zusätzlich ein nachgewiesener Einfluss auf die Patellapositionierung mit Reduktion der Lateralisierung zugesprochen [9]. Crossley et al. unterstützten das Taping mit einem standardisierten Physiotherapieprotokoll nach Mc Connell und verglich diese Intervention mit einer Placebogruppe. Dabei stellten sie fest, dass bei einer Behandlungsdauer von 6 Wochen auch noch nach 3 Monaten ein positiver Effekt im Hinblick auf Schmerz und Aktivität gegeben war. Das Behandlungsprotokoll basierte auf Heimübungen und betraf die Knie- und die Hüftregion. Auch der Konsensus zur Übungstherapie und physikalischen Therapie empfiehlt zur Behandlung des PFPS ein nicht nur kniefokussiertes Training, sondern eine Kombination aus Knie- und Hüftübungen mit einer kurz- und langfristigen Wirkung auf Schmerz und Funktionalität [13]. Dabei ist zu vermuten, dass eine zusätzliche Aufklärung und Patientenedukation zu einem positiven und langfristigeren Erfolg beitragen kann. Rathleff et al. konnten zeigen, dass eine Kombination aus einem 3-monatigen Übungsprogramm und Patientenedukation bei PFPS für langfristig verbesserte Ergebnisse auf der Likert-Skala in einem Zeitraum von 2 Jahren sorgen konnte [31]. Dabei gestaltet sich die Vergleichbarkeit von Rehabilitation- und Aktivitätsprogrammen als schwierig, da Trainingsparameter, Wiederholungszahlen und Intensitäten häufig different sind. Osteras et al. konnten zeigen, dass Bewegungstherapie einem Dosis-Wirkungs-Effekt auf Schmerzen und Funktionalität bei Patienten mit PFPS unterliegt. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass eine hochintensive medizinische Bewegungstherapie mit hohen Wiederholungszahlen langfristig wirksamer zu sein scheint als ein leichtintensiver und niedrigrepetitiver Trainingsplan. Die Versuchsgruppe, die mit hohen Intensitäten und Wiederholungszahlen arbeitete, hat sich auch noch ein Jahr nach Abschluss der Intervention verbessert, während in der Kontrollgruppe ein Rückgang der erreichten Ergebnisse zu beobachten war [29]. Da höhervolumige Programme die akute Freisetzung des Growth Hormons (GH) vermitteln und zu einer höheren Stoffwechselrate beitragen [20], wäre es zu vermuten, dass die Patienten der Interventionsgruppe weiterhin Übungen ausführten, da sie bereits frühzeitig Erfolge feststellen konnten. Auch die Arbeiten zur Elektrotherapiebehandlung untersuchten Stromformen mit differenten Amplituden und Frequenzen. Konklusiv kann aber geschlussfolgert werden, dass Elektrotherapie einen positiven Einfluss auf die akute Symptomatik ausüben konnte. Insbesondere schien der Zusatz zu Aktivität und Rehabilitationsprogrammen zielführend zu sein, so dass sogar im Follow-up nach einem Jahr bessere Werte beobachtet werden konnten [18]. Am häufigsten wurde Elektrotherapie zur Schmerzlinderung in passiver Form verwendet. Ein interessanter Ansatz, den Celik et al. beschreiben, ist die Applikation von NMES auf den M. quadriceps während der Muskelkontraktion [8]. Zwar konnten hier keine signifikanten Zwischengruppenergebnisse zwischen Intervention und Kontrollgruppe vermerkt werden, aber es kam zu signifikanten Verbesserungen der Hamstring- und Quadriceps-Kraft, sowie der funktionellen Scores und dem Schmerz von Baseline bis Follow-up nach 12 Monaten. Wichtig wären hier die Untersuchung der weiteren Entwicklung in einem längeren Follow-up sowie die Auswirkungen einer längeren Interventionsdauer. Denn Ahtiainen et al. führten ein Trainingsprotokoll über 21 Wochen durch und konnten zeigen, dass die ersten statistisch signifikanten Veränderungen der Maximalkraft im Vergleich zur Baseline erstmalig nach 14 Wochen zu beobachten waren [1]. Da der akute Schmerz die Patienten von Training und Aktivität abhalten kann, ist hier der Einsatz von orthetischen Hilfsmitteln nützlich. Die Effekte werden sowohl auf eine propriozeptive Wirkung, als auch auf die Korrektur der Patellabewegung und das verbesserte Patella-Alignment zurückgeführt. Diese Faktoren können zu einer Schmerzreduktion während der Bewegung führen. Der Einsatz von Orthesen mit Einfluss auf die Patella während der Initialflexion von 0-30° erscheint vorteilhaft, da keine trochleare Führung der Patella gegeben ist [30]. Becher et al. zeigten, dass eine Orthese den Patella Tilt und die Lateralisierung der Patella in dem Bewegungsradius zwischen 0-30° reduzieren kann [5]. Somit kann eine Kombination aus Gerätetraining und einem Bewegungsprogramm einen signifikanten Einfluss auf Schmerz, Symptome und Funktion bewirken [30]. Der positive Effekt der 6-wöchigen Intervention auf die Aktivität im Alltag konnte auch noch in einem Follow-up von 54 Wochen detektiert werden. Diese Beobachtung kann die bereits aufgestellte Hypothese bestätigen, dass die positive Erfahrung während schmerzfreier Aktivität dazu beiträgt, aktive Gewohnheiten in den Alltag der Patienten zu implementieren und damit den positiven Status zu halten.
Fazit
Zusammenfassend zeigt diese Arbeit, dass eine konservative interdisziplinäre Behandlung, basierend auf Aktivität, im Speziellen auf Übungs- und Rehaprogrammen und ergänzender orthetischer Hilfsmittelversorgung, Elektrotherapie und Taping, zu einem positiven Ergebnis und zu einer schnelleren Genesung verhelfen kann. Diese Beobachtung wird auch von Syltychev et al. geteilt [33]. Sie kamen in ihrer Übersichtsarbeit und Meta-Analyse zu dem Schluss, dass es nicht möglich ist, eine einzelne Behandlungsmodalität als zielführend zu definieren, da die multifaktorielle Genese des PFPS verschiedene Behandlungsstrategien und Ansätze erfordert. Die Behandlungsmodalitäten sollten jeweils individuell überdacht, auf Indikation geprüft und nach einer ausführlichen Anamnese in den individuellen Alltag integriert werden. Ebenso wird eine interdisziplinäre und multimodale Behandlung im Rahmen des konservativen PFPS-Managements als positiv erachtet. In allen Studien war die Aktivität in Form von Übungsprotokollen oder einem Rehatraining im Fokus. Darüber hinaus kann ein verbessertes Patella-Alignement durch entsprechendes Taping oder andere biomechanische Interventionen wie Orthesen zu einer positiven Erfahrung und weniger Schmerzen während der Aktivität führen und so zu einem langfristigen Erfolg beitragen.
Interessenkonflikte
J. Rogoschin gibt an, dass sie sich als Medical Manager in einem angestellten Verhältnis der Firma Össur Deutschland GmbH befindet.
IV Rembitzki gibt an, dass er sich als Director Medical Affairs in einem angestellten Verhältnis der Firma Össur BV befindet.
W. Potthast gibt an, dass er als Berater der Firma Össur Deutschland GmbH tätig ist.
Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.
Korrespondenzadresse
Jana Rogoschin
Deutsche Sporthochschule Köln
Institut für Biomechanik
und Orthopädie
Am Sportpark Müngersdorf 6
50933 Köln
j.rogoschin@gmail.com