Übersichtsarbeiten - OUP 09/2015

Kyphoplastie – effektive Behandlungsmethode für die Versorgung akut-traumatischer osteoporosebedingter Wirbelkörperfrakturen
Eine Zweipunkterhebung in den operativen FachdisziplinenEvaluation of data collected from different surgical specialties at two different times

Martin Bergmann1, Ludwig Oberkircher2, Hanna Daniel3, Juliane Priese2, Steffen Ruchholtz2, Antonio Krüger2

Zusammenfassung

Einleitung: Indikationen sowie Nutzen der Ballonkyphoplastie werden bisweilen kontrovers diskutiert. Diese Studie hatte zum Ziel, Veränderungen in der Versorgung mittels Kyphoplastie zu untersuchen.

Methodik: In den Jahren 2008 und 2012 erfolgte eine bundesweite Erhebung in den operativen Disziplinen.

Ergebnisse: 111 Abteilungen nahmen an beiden Erhebungen teil (35,35 % 2008 und 34,69 % 2012). Es konnten keine Unterschiede in der Anzahl der Wirbelkörperaugmentationen evaluiert werden. 2011 führten ebenso viele Chirurgen mehr als 100 Kyphoplastien durch wie im Jahr 2008 (6,73 % vs. 7,26 %, p = 1). Während bei einer Vielzahl osteoporosebedingter Wirbelkörperfrakturen ohne erinnerliches Trauma zunächst ein mindestens 3-wöchiger konservativer Therapieversuch erfolgt (70,58 %), wird die Indikation zur operativen Versorgung bei Patienten mit akuten Wirbelkörperfrakturen früher gestellt, innerhalb von 7 Tagen (70,58 %). Kyphoplastieanwender führen zu einem Großteil auch weitere stabilisierende Operationen an der Wirbelsäule durch (89 % 2008 vs. 91 % 2012, p = 0,332).

Fazit: Kyphoplastie wird überwiegend von Ärzten mit Erfahrung auf dem Gebiet der Wirbelsäulenchirurgie angeboten. Sie stellt eine effektive Therapieoption für die Behandlung akut traumatischer osteoporosebedingter Wirbelkörperfrakturen dar. Die jährlichen Fallzahlen blieben konstant hoch. Patienten mit akuten Wirbelkörperfrakturen und immobilisierenden Schmerzen werden frühzeitig operativ behandelt. Nachfolgende Studien sollten osteoporosebedingte Sinterungsfrakturen und akut-traumatische osteoporosebedingte Wirbelkörperfrakturen differenzieren. Begriffe, wie „adäquates Trauma”, sollten klar definiert werden.

Schlüsselwörter: Kyphoplastie, Osteoporose, osteoporosebedingte Frakturen, Wirbelkörperfrakturen

Zitierweise
Bergmann M, Oberkircher L, Daniel H, Priese J, Ruchholtz S, Krüger A. Kyphoplastie – effektive Behandlungsmethode für die Versorgung akut-traumatischer osteoporosebedingter Wirbelkörperfrakturen. Eine Zweipunkterhebung in den operativen Fachdisziplinen.
OUP 2015; 9: 426–431 DOI 10.3238/oup.2015.0426–0431

Summary

Purpose: Indications and benefits of kyphoplasty have often been the subject of discussion. This study aimed at determining changes in the supply by kyphoplasty.

Methods: In the years 2008 and 2012 nationwide data from all surgical specialties were evaluated.

Results: 111 departments participated in both surveys (35.35 % 2008, 34.69 % 2012). No changes were observed in the number of vertebral body augmentations. In 2011 just as many centers carried out more than 100 cement augmentations in fractured vertebral bodies as in 2007 (6.73 % vs. 7.26 %, p = 1). The majority of respondents first try conservative treatment in outpatients without memorable cause of trauma for at least 3 weeks (70.58 %). In acute trauma patients, the decision for surgery is taken earlier. 73.33 % perform surgery within the first 7 days following fracture. The proportion of surgeons performing other stabilization procedures besides cement augmentation remained consistently high (89 % vs. 91 %, p = 0.332).

Conclusion: Kyphoplasty is offered by physicians whose experience comprises cement augmentation as well as other spinal procedures. Surgeons deem kyphoplasty an effective therapeutic option in the treatment of acute traumatic osteoporotic fractures. The annual number of interventions remained consistently high. Patients with fresh vertebral body fractures with immobilizing pain are quickly submitted to surgery. In upcoming studies osteoporotic fractures have to be clearly distinguished from acute traumatic fractures in patients with osteoporosis. Terms like adequate trauma have to be clearly defined.

Keywords: Kyphoplasty, osteoporosis, osteoporotic fracture, vertebral body fracture

Citation
Bergmann M, Oberkircher L, Daniel H, Priese J, Ruchholtz S, Krüger A. Kyphoplasty – an effective method of treatment for acute traumatic osteoporotic vertebral body fractures. Evaluation of data collected from different surgical specialties at two different time points
OUP 2015; 9: 426–431 DOI 10.3238/oup.2015.0426–0431

Einleitung

Galibert und Deramond aus dem radiologischen Institut des Universitätskrankenhauses Amiens, Frankreich, veröffentlichten 1987 erstmals eine Arbeit zur transkutanen Wirbelkörperzement-augmentation [1]. 1998 wurde in den USA durch Mark A. Reiley die Ballonkyphoplastie vorgestellt [2]. Seit der letzten Jahrtausendwende werden die perkutane Vertebroplastie sowie Ballonkyphoplastie auch in der Bundesrepublik Deutschland in zunehmenden Maße von Chirurgen angewendet [3]. Aufgrund der ungenügenden Datenlage bezüglich Risiken, Komplikationsraten und Effektivität dieser Operationsverfahren und den gegenüberstehenden ansteigenden Operations- und Fallzahlen, führten wir im Jahr 2008 eine Erhebung zum Thema Anwenderverhalten und -meinung der Vertebroplastie und Ballonkyphoplastie in Deutschland durch [3]. Nach der Veröffentlichung von 2 Studien im New England Journal of Medicine im Jahr 2009 [4, 5] wurde viel über Indikationen und Nutzen dieser Operationsverfahren diskutiert. Aus diesem Grund erfolgte eine erneute bundesweite Umfrage im Jahr 2012. Hierdurch konnte für einen Teil der befragten Zielgruppe eine Zweipunkterhebung evaluiert werden. Ziel dieser Studie war es, nach Veränderungen der jährlichen Fallzahlen sowie dem Operationszeitpunkt zu suchen, vor dem Hintergrund, dass nach der Veröffentlichung der Studien von Kallmes et al. [4] und Buchbinder et al. [5] Forderungen nach einer kritischeren Indikationsstellung sowie einer konsequenten konservativen Frakturtherapie bei osteoporosebedingten Sinterungsfrakturen erhoben wurden.

Material und Methoden

Ziel der beiden Arbeiten war es, bundesweit alle operativen Fachdisziplinen der Unfallchirurgie, Orthopädie, gemeinsame Abteilungen aus Unfallchirurgie und Orthopädie, Neurochirurgie und interdisziplinäre Wirbelsäulenchirurgie zu erfassen. In der ersten Untersuchung wurden in einem Zeitraum von Oktober 2008 bis Juni 2009 insgesamt 1.330 Zielabteilungen kontaktiert. Die Kontaktdaten der ersten Erhebung 2008 resultierten aus den Mitgliederverzeichnissen der DGU und DGOU sowie aus dem bundesweiten Krankenhausverzeichnis Deutschlands des Statistischen Bundesamts. Die genaue Erhebungsmethodik ist in der Veröffentlichung der Ergebnisse dieser Arbeit nachzulesen [3].

Für die zweite Erhebung im Jahr 2012 ergab sich eine Zielgruppe von insgesamt 992 Abteilungen, wobei die Kriterien der Zielgruppe nicht geändert wurden. Der Erhebungszeitraum erstreckte sich von Februar bis Dezember 2012. Anders als in der ersten Erhebung, erfolgte die primäre Evaluation per E-Mail. Auch in der zweiten Untersuchung wurden alle primär nicht erhobenen Abteilungen telefonisch kontaktiert und erhielten den Fragebogen erneut per E-Mail. Die Kontaktdaten der zweiten Untersuchung entstammen dem systematischen Verzeichnis der Krankenhäuser und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen aus dem Jahr 2009 des Statistischen Amts für Bund und Länder. Um jeweils vergleichbare Aussagen zu erhalten, wurden die Erhebungszeiträume so kurz wie nur möglich gehalten. Die gesammelten Daten wurden mittels deskriptiver und exploratorischer Statistik analysiert. Die p-Wert-Berechnungen erfolgten mittels McNemar-Test. In der vorliegenden Arbeit wurden die Daten all derjenigen Kliniken verglichen und ausgewertet, die an beiden Erhebungen teilgenommen haben.

Ergebnisse

Insgesamt haben 111 Abteilungen der Zielgruppe an beiden Erhebungen teilgenommen. Das entspricht einer Teilnehmerrate von 35,35 % im Jahr 2008 sowie 34,69 % im Jahr 2012.

Die Mehrheit der Antworten konnte sowohl im Jahr 2008 als auch 2012 in den unfallchirurgischen Abteilungen evaluiert werden (64 %). Die zweitmeisten Antworten stammen aus orthopädischen Abteilungen (21 %). 9 % aller Antworten entstammen neurochirurgischen Abteilungen und 5 % der Antworten wurden in gemeinsamen Zentren für Unfallchirurgie und Orthopädie erhoben. Der Antwortanteil der interdisziplinären wirbelsäulenchirurgischen Abteilungen betrug 1 %. Die Abbildung 1 stellt die Antwortverteilung grafisch dar.

Fallzahlen und operatives
Management

Da schon in der ersten Erhebung 2008 retrospektiv nach den Vorjahresfallzahlen für Wirbelkörperzementaugmentationen gefragt wurde, sollten die Anwender auch 2012 die Anzahl der Eingriffe aus dem Vorjahr, also 2011, angeben, um eine Aussage über die zeitliche Entwicklung der Fallzahlen treffen zu können (Abb. 2).

Vergleicht man die Anzahl der Wirbelkörperaugmentationen aus dem Jahr 2007 mit denen aus dem Jahr 2011, ergeben sich keine relevanten Veränderungen. 2007 führten 22,12 % der Befragten 0–20 Eingriffe durch, während 2011 38,17 % der Befragten angaben, 0–25 Operationen durchgeführt zu haben. Für das Jahr 2007 gaben 30,77 % der Befragten an, 20–40 Eingriffe durchgeführt zu haben, während für das Jahr 2011 29,09 % der Befragten angaben, 26–50 Eingriffe durchgeführt zu haben. 40,38 % der 2008 Befragten gaben an, im Jahr 2007 40–100 Operationen durchgeführt zu haben. 2011 haben 25,45 % zwischen 51 und 100 Eingriffe durchgeführt. Im Bereich sehr hoher Anwendungszahlen (> 100 Eingriffe/Jahr) ergab sich ebenfalls keine signifikante Änderung für die jährlichen Fallzahlen (6,73 % 2007 vs. 7,26 % 2011, p = 1). Im Jahr 2011 haben also ebenso viele Zentren mehr als 100 Kyphoplastien durchgeführt wie im Jahr 2007.

Die Anwender wurden befragt, wieviel Zeit von der Diagnosestellung einer osteoporosebedingten Wirbelkörperfraktur bis zur Operation vergeht. In der Studie aus dem Jahr 2012 wurde allerdings nochmals zwischen ambulanten Patienten ohne erinnerliches Trauma als Ursache für die Wirbelkörperfraktur und Patienten mit akuten immobilisierenden Schmerzen nach Trauma trotz analgetischer Therapie differenziert. Im Jahr 2008 gaben 68,42 % der Befragten an, bereits innerhalb der ersten 2 Wochen operativ tätig zu werden (Abb. 3).

Die Neuerung der Leitlinie zur Behandlung der Osteoporose der DVO 2009 forderte eine mindestens 3-wöchige, konservative analgetische Therapie und die Einleitung einer medikamentösen Osteoporosetherapie vor einer Operation. Die Untersuchung aus 2012 zeigt, dass der Großteil der Befragten bei ambulanten Patienten ohne erinnerliches Trauma als Ursache für die Wirbelkörperfraktur eine mindestens 3-wöchige, konservative Therapie versucht (70,58 %). Für Patienten mit akuten und immobilisierenden Schmerzen unter analgetischer Therapie zeigt sich jedoch ein anderes Ergebnis. In diesen Fällen wird die Indikation zur Operation früher gestellt. 73,33 % der Befragten versorgen diese Patienten innerhalb der ersten 7 Tage (Abb. 4).

Die Anwender minimalinvasiver Wirbelkörperaugmentationsverfahren wurden gefragt, ob sie weitere stabilisierende Eingriffe an der Wirbelsäule durchführen. Der Anteil an Operateuren, der neben Zementaugmentationen auch weitere stabilisierende Eingriffe an der Wirbelsäule durchführt, ist konstant hoch geblieben (89 % 2008 vs. 91 % 2012, p = 0,332). Weiterhin wurden die Anwender befragt, ob sie für Patienten mit osteoporosebedingter Wirbelkörperfraktur eine weiterführende Diagnostik sowie eine medikamentöse Osteoporosetherapie einleiten. Auch hier gab der Großteil der Befragten zu beiden Erhebungszeitpunkten an, dies zu tun (94 % 2008 vs. 93 % 2012, p = 1) (Abb. 5).

Diskussion

In der vorliegenden Studie wurden bundesweit alle operativen Fachabteilungen, bestehend aus unfallchirurgischen, orthopädischen, neurochirurgischen und wirbelsäulenchirurgischen Abteilungen zu 2 verschiedenen Zeitpunkten evaluiert. Ziel dabei war es, Änderungen in der Indikationsstellung sowie dem Procedere in der Versorgung osteoporosebedingter Wirbelkörperfrakturen mittels Ballonkyphoplastie aufzudecken. Von den in die Untersuchung eingeschlossenen Fachabteilungen konnten von 111 Studienteilnehmern zu beiden Erhebungszeitpunkten in den Jahren 2008 und 2012 Datensätze erhoben werden. Im Jahr 2008 wurden bundesweit insgesamt 1.330 und im Jahr 2012 insgesamt 992 Fachabteilungen angeschrieben. Diese Differenz erklärt sich einerseits durch Zusammenschlüsse und Schließungen von Krankenhäusern, andererseits durch das Zurückgreifen auf Kontakt- und Anschriftdaten über die Mitgliederverzeichnisse der DGU sowie DGOU in der Erhebung im Jahr 2008. Es konnte circa ein Drittel Studienteilnehmer der Gesamtzielgruppe zu beiden Zeitpunkten evaluiert werden (35,35 % 2008 und 34,69 % 2012).

Die Mehrheit der Antworten wurde in den unfallchirurgischen Abteilungen evaluiert (64 %). Ein Grund hierfür könnte sein, dass die Untersuchungen durch eine unfallchirurgische Klinik durchgeführt wurden und sich hierdurch gerade andere traumatologische Zentren angesprochen sahen, an dieser Studie teilzunehmen. Eine weitere Erklärung wäre jedoch, dass sich gerade unfallchirurgische Kliniken mit Patienten mit akuten traumatischen Wirbelkörperfrakturen bei vorliegender Osteoporose konfrontiert sehen und die Versorgung dieser Patienten gerade in unfallchirurgischen Abteilungen von Bedeutung ist. Hinsichtlich der jährlichen Fallzahlen der einzelnen Kliniken scheinen sich interessanterweise keine Veränderungen ergeben zu haben (Abb. 2). Vergleicht man die angegebenen Fallzahlen aus dem Jahr 2007 mit denen aus 2011, findet man keinen relevanten Unterschied für die Anzahl der jährlich durchgeführten Kyphoplastien. Im Jahr 2007 führten ebenso viele Zentren mehr als 100 Eingriffe pro Jahr durch wie im Jahr 2011, und auch die Anzahl derjenigen Kliniken, die jährlich weniger als 100 Zementaugmentationen durchgeführt haben, ist konstant geblieben. Hierfür ergab sich kein signifikanter Unterschied (p = 1). Die Studien von Kallmes et al. [4] und Buchbinder et al. [5], welche die Vertebroplastie gegen eine Scheinoperation verglichen haben, wurden im Jahr 2009 hochrangig publiziert.

Trotz dieser beiden Untersuchungen [4, 5] sowie Studien, die den Vorteil der BKP gegenüber einer konservativen Therapie in Frage stellen [6, 7], wird jährlich bundesweit eine unverändert hohe Anzahl an Ballonkyphoplastien von Chirurgen mit Erfahrung in der Versorgung von traumatischen Wirbelkörperfrakturen durchgeführt. Im Jahr 2008 gab die Mehrheit (68,42 %) der Befragten an, bereits innerhalb der ersten 2 Wochen nach der Diagnosestellung einer osteoporosebedingten Wirbelkörperfraktur den operativen Eingriff durchzuführen (Abb. 3). Keiner der Befragten gab 2008 an, eine länger als 6 Wochen dauernde konservative Therapie durchzuführen. Die 2008 gültige Leitlinie des Dachverbands für Osteologie (DVO), die bereits S3-Charakter besaß, forderte jedoch bei Vorliegen einer osteoporosebedingten Wirbelkörperfraktur eine mindestens 3-monatige konservative Therapie vor einem operativen Eingriff [8, 9].

Wie bereits in der Veröffentlichung der ersten Untersuchung beschrieben [3], könnten als Begründung für dieses rasche operative Vorgehen und die Missachtung der S3-Leitlinie kostenökonomische Aspekte eine Rolle gespielt haben, oder aber die erfolgversprechende Aussicht, mit Zementaugmentation des frakturierten Wirbelkörpers eine schnelle Schmerzlinderung bzw. Beschwerdefreiheit und Mobilisierbarkeit der Patienten zu erreichen. Die klinische Erfahrung der Chirurgen zeigte anscheinend schon 2008 den überwiegenden Vorteil dieses minimalinvasiven Eingriffs in der Versorgung älterer Patienten mit immobilisierenden Rückenschmerzen bei vorliegender osteoporosebedingter Wirbelkörperfraktur. In der Erhebung 2012 wurde im Vergleich zur Voruntersuchung explizit zwischen ambulanten Patienten mit starken Rückenschmerzen bei vorliegender Wirbelkörperfraktur trotz analgetischer Therapie und ohne erinnerliches Trauma differenziert sowie Patienten mit akuten immobilisierenden Schmerzen bei apparenter traumatischer osteoporosebedingter Wirbelkörperfraktur.

Im Jahr 2009 wurde die S3-Leitlinie des DVO überarbeitet, sie empfiehlt seither eine 3-wöchige konservative Therapie bei osteoporosebedingten Wirbelkörperfrakturen vor einer operativen Versorgung [10]. Für die Frage, wieviel Zeit von der Diagnosestellung bis zur Operation vergehe, ergab sich ein interessantes Ergebnis. 70,58 % der in 2012 befragten Chirurgen gaben an, bei ambulanten Patienten mit starken Rückenschmerzen aufgrund einer osteoporosebedingten Sinterungsfraktur ohne erinnerliches Trauma trotz insuffizienter Analgetikatherapie eine mindestens 3-wöchige konservative Therapie durchzuführen, bevor diese Patienten einer operativen Versorgung zugeführt werden. Hingegen gaben 73,33 % der Befragten 2012 an, bei Patienten mit akut-traumatischer osteoporosebedingter Wirbelkörperfraktur und immobilisierenden Rückenschmerzen unter analgetischer Therapie die operative Versorgung bereits innerhalb der ersten 7 Tage anzustreben (Abb. 4).

Bei Vorliegen akut-traumatischer osteoporosebedingter Wirbelkörperfrakturen werden die Patienten also zu einem Großteil nicht leitlinienkonform früh operativ versorgt, während osteoporosebedingte Sinterungsfrakturen ohne erinnerliches Trauma konsequenter konservativ therapiert werden, bevor eine Zementaugmentation erwogen wird. Dieses Ergebnis könnte so interpretiert werden, dass die klinische Erfahrung der befragten Chirurgen zeigt, dass eine frische Wirbelkörperfraktur bei vorliegender Osteoporose nach akutem Trauma suffizient mittels Kyphoplastie behandelt werden kann. Anscheinend wiegt, der Erfahrung der Operateure nach zu urteilen, das positive Operationsresultat die vernachlässigbare Komplikationsrate auf. Für das untersuchte Kollektiv mit Expertise auf dem Gebiet der Wirbelsäulenchirurgie scheint die Kyphoplastie ein sicheres Operationsverfahren darzustellen, mit dem Patienten mit akuten osteoporosebedingten Wirbelkörperfrakturen bei frühzeitiger Intervention eine rasche Beschwerdereduktion erfahren, mobilisiert werden können und Folgekomplikationen durch z.B. reduzierte Immobilisationszeiten vermieden werden.

Zurückhaltender sind die Kollegen jedoch mit der operativen Versorgung bei der Behandlung von Patienten mit nachweislicher Wirbelkörperfraktur bei vorliegender Osteoporose, aber ohne adäquates Trauma und mit länger andauernden Rückenschmerzen. Für dieses Patientenkollektiv scheint die Kyphoplastie nicht primär ausreichend erfolgversprechend im Sinne einer Beschwerdereduktion zu sein. In diesen Fällen wird eine konservative Behandlung der Patienten unter analgetischer Therapie stringenter und länger durchgeführt. Hier finden anscheinend die Studien von Buchbinder et al. und Kallmes et al. Beachtung, die in ihrem Studienkollektiv eher Patienten mit länger bestehenden Rückenschmerzen (mittlere Beschwerdedauer des untersuchten Kollektivs 8 Wochen bei Buchbinder et al. [5] und 16 Wochen bei Kallmes et al. [4]) untersucht haben. Bundesweit wird von chirurgischen Kollegen die Ballonkyphoplastie für Patienten mit akut-traumatischen, osteoporosebedingten Wirbelkörperfrakturen als sichere und erfolgversprechende Therapieoption angesehen, während Patienten mit länger bestehenden Rückenschmerzen und vorliegenden osteoporosebedingten Sinterungsfrakturen ohne erinnerliches Trauma nicht das Patientenkollektiv bilden, für welche die Kyphoplastie die Therapieoption der Wahl darstellt.

Bezüglich der Anwendung weiterer minimalinvasiver Operationsmethoden an der Wirbelsäule ergab sich kein signifikanter Unterschied in der untersuchten Gruppe zu beiden Erhebungszeitpunkten (p < 0,5). Weitere Eingriffe an der Wirbelsäule werden von den Kyphoplastieanwendern 2012 (91 %) in gleichem Umfang durchgeführt wie bereits im Jahr 2008 (89 %) (Abb. 5). Die Ballonkyphoplastie wird bundesweit also von Ärzten angeboten, die auf dem Gebiet der Wirbelsäulenchirurgie eine gewisse Erfahrung und Expertise aufweisen. Ein konstant hoher Prozentsatz der Befragten (93 % 2008 vs. 94 % 2012) leitet bei Diagnosestellung einer Wirbelkörperfraktur eine Diagnostik sowie medikamentöse Osteoporosetherapie ein (p < 0,05).

Limitationen und Fehler

Diese Arbeit hat Limitationen und Fehler. Für die Untersuchung im Jahr 2008 wurden neben dem Krankenhausverzeichnis des Statistischen Bundesamts auch die Mitgliederverzeichnisse der DGU und DGOU als Quelle für die Anschriftadressen verwendet, sodass eventuell noch mehr Kliniken zu 2 Zeitpunkten hätten erhoben werden können, wenn diese Verzeichnisse auch 2012 verwendet worden wären. Des Weiteren könnten operativ tätige, niedergelassene Kollegen (Belegärzte), welche Mitglieder in der DGU oder DGOU und nicht im Krankenhausverzeichnis gelistet sind, im Jahr 2012 nicht erfasst worden sein, da diese nicht über das Krankenhausverzeichnis detektiert werden konnten. Nicht vorausblickend wurden die Kategorien der jährlichen Eingriffszahlen 2008 und 2012 unterschiedlich definiert, was eine exakte Vergleichbarkeit und statistische Auswertung der Eingriffszahlen für die jeweiligen Kategorien nicht und eine p-Wertberechnung nur für >/< 100 Eingriffe/Jahr ermöglicht. In der Untersuchung 2008 wurde noch nicht zwischen akuten traumatischen osteoporosebedingten Wirbelkörperfrakturen und Frakturen ohne erinnerliches Trauma differenziert hinsichtlich der Frage nach der Dauer von der Diagnose bis zur Operation.

Interessenkonflikt: Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Martin Bergmann

Vitos Orthopädische Klinik Kassel

Wilhelmshöher Allee 345

34131 Kassel

martin.bergmann@vitos-okk.de

Literatur

1. Galibert P, Deramond H, Rosat P et al. Preliminary note on the treatment of vertebral angioma by percutaneous acrylic vertebroplasty. Neurochirurgie 1987; 33: 166–168

2. Resnick DK, Garfin SR: Vertebroplasty and Kyphoplasty. New York: Thieme Medical Publishers Inc. 2005: 62

3. Krüger A, Hierholzer J, Bergmann M et al. Current status of vertebroplasty and kyphoplasty in Germany : An analysis of surgical disciplines. Unfallchirurg 2013; 116: 813–824

4. Kallmes DF, Comstock BA, Heagerty PJ et al. A randomized trial of vertebroplasty for osteoporotic spinal fractures. N Engl J Med 2009; 361: 569–579

5. Buchbinder R, Osborne RH, Ebeling PR et al. A randomized trial of vertebroplasty for painful osteoporotic vertebral fractures. N Engl J Med 2009; 361: 557–568

6. Lee HM, Park SY, Lee SH et al. Comparative analysis of clinical outcomes in patients with osteoporotic vertebral compression fractures (OVCFs): conservative treatment versus balloon kyphoplasty. Spine J 2012; 12: 998–1005

7. Bornemann R, Hanna M, Kabir K et al. Continuing conservative care versus crossover to radiofrequency kyphoplasty: a comparative effectiveness study on the treatment of vertebral body fractures. Eur Spine J 2012; 21: 930–936

8. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. http://www.awmf.org/index.php? id=253. 2011

9. Dachverband Osteologie e.V.: DVO-Leitlinie zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei Frauen ab der Menopause, bei Männern ab dem 60. Lebensjahr. http://
www.dv-osteologie.org/dvo_leitlinien/
archiv/Leitlinien-2006;. 2006, pp197–208

10. Dachverband Osteologie e.V.: DVO-Leitlinie zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose im Erwachsenenalter. http://www.dv-osteologie.org/dvo_leitlinien/dvo-leitlinie-
2009; 2009, 322

Fussnoten

1 Vitos Orthopädische Klinik Kassel

2 Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Philipps-Universität Marburg

3 Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie der Philipps-Universität Marburg

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