Übersichtsarbeiten - OUP 04/2025
Lisfranc-VerletzungenIm Spektrum zwischen subtilen Läsionen undverheerenden Befunden
Julia Lenz, Steffen Ruchholtz, Juliana Hack
Zusammenfassung:
Lisfranc-Verletzungen, also Läsionen mit Instabilität im Bereich der tarsometatarsalen Gelenklinie, stellen in vielerlei Hinsicht eine große Herausforderung dar. Sie treten vergleichsweise selten auf und reichen von isolierten Bandverletzungen im Rahmen von niedrig energetischen Traumen, welche initial leicht übersehen werden können, bis hin zu hochkomplexen offenen Luxationsfrakturen mit Begleitverletzungen nach Hochrasanztrauma. Um Lisfranc-Verletzungen adäquat erkennen und eine geeignete Therapiestrategie entwickeln zu können, ist ein differenziertes diagnostisches Vorgehen erforderlich. Die meisten Lisfranc-Verletzungen müssen operativ behandelt werden, wobei die frühzeitige Diagnosesicherung und anatomische Reposition der Verletzung entscheidend für die Prognose sind.
Schlüsselwörter:
Lisfranc-Verletzungen, tarsometatarsale Gelenke, Frakturmanagement, Fußtraumatologie
Zitierweise:
Lenz J, Ruchholtz S, Hack J: Lisfranc-Verletzungen.
Im Spektrum zwischen subtilen Läsionen und verheerenden Befunden
OUP 2025; 14: 140?145
DOI 10.53180/oup.2025.0140-0145
Summary: Lisfranc injuries, referring to lesions in the tarsometatarsal joint line, present a significant challenge in many respects. They are relatively rare and range from isolated ligament injuries from low-energy trauma, which are initially easily overlooked, to highly complex open dislocation fractures with accompanying injuries due to high-energy trauma. To adequately recognize Lisfranc injuries and develop an appropriate treatment strategy, a differentiated diagnostic approach is required. Most of these injuries necessitate surgical intervention, with early diagnosis and anatomical reduction being crucial for the prognosis.
Keywords: Lisfranc injuries, tarsometatarsal joints, fracture management, foot traumatology
Citation: Lenz J, Ruchholtz S, Hack J: Lisfranc injuries. The spectrum between subtle lesions and devastating
injuries
OUP 2025; 14: 140?145. DOI 10.53180/oup.2025.0140-0145
Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg
Einleitung
Unter dem Begriff der Lisfranc-Verletzungen wird ein Spektrum verschiedener Läsionen mit Instabilität am Übergang zwischen Vor- und Mittelfuß, also im Bereich der tarsometatarsalen (TMT-) Gelenklinie zusammengefasst, das von reinen Bandverletzungen bis hin zu hochkomplexen offenen Luxationsfrakturen reicht. Die Namensgebung erfolgte nach dem französischen Chirurgen Jacques Lisfranc de Saint-Martin. Als Feldarzt in Napoleons Armee war er häufig mit Verletzungen des tarsometatarsalen Übergangs konfrontiert, wenn Soldaten beim Sturz vom Pferd mit dem Fuß im Steigbügel hängen blieben [1].
Epidemiologie und Ätiologie
Lisfranc-Verletzungen sind insgesamt selten. In der Literatur wird ihre Häufigkeit mit 0,2 % der Verletzungen des Bewegungsapparates angegeben [2], jedoch mit aktuell zunehmender Inzidenz [3].
Die Mehrzahl der Lisfranc-Verletzungen wird durch Hochrasanztraumata verursacht, bspw. Verkehrsunfälle mit Fußraumdeformierung oder Stürze aus großer Höhe [3]. Diese Unfälle führen oft zu komplexen Luxationsfrakturen. Andererseits können Lisfranc-Verletzungen aber auch im Rahmen von Niedrigenergietraumata, meist Sportverletzungen, entstehen [3]. Häufig treten diese beim Kontakt mit anderen Spielern auf, wenn der Fuß durch Fremdeinwirkung unkontrolliert in Plantarflexion bei dorsalextendierten Zehen auf den Boden aufgesetzt und dabei nicht zentral belastet wird, bspw. durch gleichzeitige Außenrotation des Mittelfußes [4].
Lisfranc-Verletzungen werden vergleichsweise häufig übersehen oder erst verspätet diagnostiziert. Gründe hierfür sind zum einen, dass nach Hochrasanztrauma der Fuß bei Mehrfachverletzungen zunächst nicht im Fokus steht, zum anderen durch Niedrigenergietraumata teilweise rein ligamentäre Verletzungen (sog. subtile Lisfranc-Verletzungen) entstehen, welche mit der Standardbildgebung oft nicht sicher diagnostiziert werden können [2].
Anatomie und
Risikofaktoren
Die Lisfranc-Gelenklinie setzt sich aus allen TMT-Gelenken zusammen und wird stabilisiert vom Lisfranc-Bandkomplex zwischen Os cuneiforme mediale und Basis von Os metatarsale II und III, von den intermetatarsalen Bändern zwischen Os metatarsale II bis V, von den intertarsalen Bändern sowie den Gelenkkapseln der TMT-Gelenke [2]. Die plantaren Bandverbindungen sind dabei stabiler als die dorsalen. Die 3 Ossa cuneiformia sind in der Axialebene bogenförmig angeordnet, mit dem Os cuneiforme intermedium als Schlussstein. Die distale Gelenkfläche des Os cuneiforme intermedium liegt etwa 8 mm proximalisiert im Verhältnis zum Os cuneiforme mediale und etwa 4 mm proximalisiert im Verhältnis zum Os cuneiforme laterale; dadurch liegt die Basis des Os metatarsale II ebenfalls proximaler als die Basen von Os metatarsale I und III und ist stabil verzahnt zwischen Os cuneiforme mediale und lateral [2, 5].
Als Risikofaktoren für Lisfranc-Verletzungen nach Niedrigenergietrauma werden eine weniger ausgeprägte Proximalisierung der Basis des Os metatarsale II, ein kürzeres Os metatarsale II im Verhältnis zum restlichen Fuß sowie anatomische Varianten des Lisfranc-Bandkomplexes beschrieben [2, 6, 7].
Klassifikationen
Es existieren verschiedene Klassifikation zur Einteilung von Lisfranc-Verletzungen. Die älteste Klassifikation stammt von Quenu und Küss, die in Abhängigkeit der Luxationsrichtung zwischen homolateralen, isolierten und divergierenden Verletzungen unterscheidet [8]. Heute gebräuchlich ist eine Erweiterung dieser alten Klassifikation, nämlich die von Myerson modifizierte Hardcastle-Klassifikation. Diese unterscheidet folgende 3 Gruppen: Gruppe A bei totaler Inkongruenz nach lateral (A1), bzw. dorsoplantar (A2), Gruppe B bei partieller mediale (B1), bzw. lateraler Inkongruenz (B2) und Gruppe C bei divergierenden Verletzungen mit partieller (C1), bzw. totaler Dislokation (C2) [2, 5]. Kürzlich wurde noch Gruppe D für subtile Lisfranc-Verletzungen hinzugefügt [9].
Zur Einteilung subtiler Lisfranc-Verletzungen nach Niedrigenergietrauma existiert zusätzlich die Klassifikation nach Nunley und Vertullo, in der 3 Stadien der Instabilität unterschieden werden: Stadium 1 mit Zerrung des Lisfranc-Ligaments, Stadium 2 mit Ruptur des Lisfranc-Ligaments und Diastase von maximal 5 mm zwischen Basis des Os metatarsale II und Os cuneiforme mediale, sowie Stadium III mit Höhenverlust des Fußgewölbes [10].