Übersichtsarbeiten - OUP 03/2024
Moderne prä- und postoperative Rehabilitation vor und nach Knorpeltherapie und PatientenprofilingEin Leitfaden für eine progressive Belastungssteigerung
Die Zeit zwischen Diagnosestellung und chirurgischem Eingriff sollte genutzt werden, um die Patientinnen und Patienten optimal auf die langwierige, herausfordernde Rehabilitation vorzubereiten. Die Prähabilitation bietet uns die Möglichkeit, prognostische Faktoren für das Outcome nach knorpelregenerativen Eingriffen zu identifizieren und die Patientinnen und Patienten entsprechend zu informieren, zu beraten und anzuleiten [18].
Die Evaluation und präoperative Optimierung von Komorbiditäten findet auch in der Rehabilitation immer mehr Beachtung als ein wichtiges Element für das chirurgische Outcome [19]. Bisher haben wir uns dabei vor allem auf die physischen Faktoren, wie Kraftdefizite, unspezifische und chronische Schmerzen, wiederkehrende Gelenkergüsse und veränderte motorische Kontrolle fokussiert. Daraus resultierende körperliche Inaktivität führt zu einer Akkumulation von viszeralem Fettgewebe, was wiederum eine chronisch systemische Entzündung auf den Weg bringen kann. Diese hat negativen Einfluss u.a. auf die Muskelkraft und die Gelenkgesundheit und damit auf das postoperative Outcome [20].
Ein Patientenprofil ergibt sich jedoch nicht nur aus physischen Faktoren. Zusätzlich sind in den letzten Jahren vermehrt wissenschaftliche Erkenntnisse in den Fokus gerückt, die sich mit dem Einfluss psychischer Faktoren und deren Einfluss auf präoperative Funktion und auf das postoperative Outcome beschäftigen. Ängste, Angstvermeidungsverhalten, Katastrophisierung, Depressionen, Somatisierung, übersteigerte Erwartungen und die eigene Perspektive auf Gesundheit nehmen darauf Einfluss [21–29]. So sind bspw. psychosoziale Faktoren assoziiert mit einer höheren Konzentration an Entzündungsmarkern [30].
Um diese, auf die Heilung Einfluss nehmenden Faktoren, zu identifizieren und das postoperative Outcome zu messen, ist es erforderlich, entsprechende Messinstrumente wie Patient-Reported Outcome Measures (PROMs), systematisch einzusetzen. PROMs bieten Informationen über die Auswirkungen von Krankheit und Behandlung aus Patientenperspektive, die herkömmliche Verfahren wie körperliche Befunde, Funktionstests, Bildgebung oder Labortests ergänzen können [31]. Nur wenn PROMs in die Beurteilung von Versorgungsprozessen einfließen, ergibt sich ein umfassendes Bild der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Beispiele für PROMs, die eingesetzt werden können, um psychosoziale Faktoren abzubilden sind die Pain Catastrophizing Scale (PCS), die Tampa Scale of Kinesiophobia, der PROMIS 29 und der Short-Form-Health-Survey-12 (SF-12).
Inhalte der präoperativen
Edukation
Biomechanisch:
Darstellung von biomechanisch belastenden Aktivitäten und Aufzeigen entsprechender Modifikationsmöglichkeiten (z.B. Einfluss von Scherkräften durch dynamischen Valgus im Kniegelenk oder unphysiologische Hüftadduktion durch Schwäche der Hüftabduktoren)
Motorisch:
Vorbereitung von essenziellen Bewegungsmustern im Alltag (u.a. Gangschule und Gebrauch von Gehstützen)
Instruktion von rehabilitationsrelevanten Übungen, die schon in der Frühphase der Rehabilitation trainiert werden können
Kognitiv:
Umgang mit Schmerz beim Training
Zeitlicher Ablauf der postoperativen Heilungsphasen
Operationstechniken erklären
Wichtigkeit von körperlichem Training gegen die Inflammation betonen
Auf Komorbiditäten und ihren negativen Einfluss auf Heilung aufmerksam machen
Psychosozial:
Erklärung von wichtigen Zusammenhängen zwischen persistierenden Schmerzen und Glaubensbekenntnissen, Ängsten oder Kontextfaktoren
Auf Erwartungshaltung eingehen und eventuell realistisch einordnen
Auf schwierige Phasen in der Rehabilitation vorbereiten
Ermutigung
Sollte es der aktuelle Reizzustand des betroffenen Gelenkes zulassen, so werden weiter die Aktivierung und Kräftigung von Schlüsselmuskeln angeleitet, um das postoperative Defizit so gering wie möglich zu halten (Beweglichkeit und Kraft im Seitenvergleich, posturale Kontrolle (z.B. Gleichgewichtstests wie den mod. Star Excursion Balance Test), dynamische Kontrolle (z.B. Zwei- oder Einbeinsprungtests). Im Optimalfall stehen sog. „pre-injury-Werte“ zur Verfügung. Es könnten dann individuell ausgeprägte sportartspezifische Anpassungen in die Planung mit aufgenommen werden.
Postoperative Phase
Alle physio- und sporttherapeutischen Interventionen orientieren sich an der Art des Eingriffs (Knochenmarksstimulation mit und ohne Matrixaugmentation, autologe Chondrozytentransplantion, autologe osteochondrale Transplantation), der Größe und Lokalisation der Läsion, sowie der Qualität der Läsionsränder (contained, noncontained Läsionen). Darüber hinaus nimmt die langsame Entwicklung des Knorpelersatzgewebes eine Schlüsselrolle für die Planung der Rehabilitation ein.
Entwicklung des Knorpelregenerats
Das Knorpelregenerat entwickelt sich nach dem operativen Eingriff in bestimmten Phasen [11]:
Implantation – Akutphase (bis ca. 2. Woche)
Protektion – frühe Proliferation (2. bis ca. 6. Woche)
Übergang – späte Proliferation (6.–12. Woche)
Remodellierung (12.–26. Woche)
Maturation (> 26. Woche)
Die Phasen ergeben einen groben zeitlichen Rahmen, dem Ziele und Maßnahmen zugeordnet werden können. Um der Forderung einer individualisierten und patientenzentrierten Rehabilitation nachzukommen, werden die Interventionen durch klinische und funktionelle Kriterien angepasst. Die Primärstabilität verbleibt bis zur 12. Woche auf einem geringen Niveau. Alle therapeutischen Maßnahmen sollten sich daher an der Maßgabe von geringer zu hoher mechanischer Belastung orientieren, um die Gewebeentwicklung nicht zu gefährden (Abb. 1).
Kontrolle der
inflammatorischen Reaktion
Eine physiologische Entzündungsreaktion produziert einen optimalen Rahmen für die Einheilung des Transplantats und die weiteren anabolen Vorgänge. Im Gegensatz dazu hat eine exzessive intraartikuläre Entzündung einen bionegativen (katabolen) Einfluss auf die eingesetzten Knorpelzellen. Dies kann sich durch eine geringere Proliferation, eine reduzierte Matrixsynthese und auch eine Zellmutation in einen eher entzündlichen Phänotyp äußern [32]. Diese lokale Reaktion kann durch einen systemischen Entzündungsstoffwechsel potenziert werden [20]. Eine reine Fokussierung auf den betroffenen Gelenkkomplex wäre daher sehr kurzsichtig und wird der Komplexität der Akutphase nicht gerecht. Das Management einer postoperativen Entzündungsphase sollte daher auf der Basis einer holistischen Sichtweise erfolgen.
Das Ausmaß der Entzündungsreaktion kann von außen nicht beurteilt werden. Eine Beurteilung ist daher nur anhand klinischer Symptome möglich. Der Ausprägungsgrad der Entzündungszeichen Schmerz, Erwärmung und Schwellung (jeweils im Seitenvergleich), sowie die Beurteilung von Sensibilisierungsprozessen (Central Sensitization Inventory – CSI) erlaubt aber zumindest eine praxistaugliche Einschätzung des entzündlichen Prozesses sowie eine Unterscheidung in eine geringe bzw. starke Entzündung [33–35].