Übersichtsarbeiten - OUP 03/2024
Moderne prä- und postoperative Rehabilitation vor und nach Knorpeltherapie und PatientenprofilingEin Leitfaden für eine progressive Belastungssteigerung
Zum Schutz des Knorpelregenerats wird in der Regel eine Teilbelastungsvorgabe über mindestens 6 Wochen empfohlen. Ausnahme stellt das Patellofemoralgelenk dar. Hier kann in Streckstellung eine progressivere Aufbelastung erfolgen [36–39].
Der intraartikuläre Entzündungsstoffwechsel kann insb. durch physikalische (Kühlung) und medikamentöse (entzündungshemmende) Maßnahmen beeinflusst werden. Letztere werden in ausgewählten Fällen auch durch eine Injektionstherapie ergänzt. Dabei kommen entweder PRP (Plättchenreiches Blutplasma aus Eigenblut) und/oder auch Hyaluronsäureinjektionen zum Einsatz. Beide Medikamente zeigen in der Grundlagenforschung einen antiinflammatorischen oder anabolen Effekt und werden in (Konsensus-)Arbeiten nach Eingriffen am Kniegelenk und evtl. am Hüft- und Sprunggelenk als optionale Maßnahmen empfohlen [36, 40–42].
Erhalt der Gelenkhomöostase
Der Turnover von Knorpelzellen ist im großen Maße vom biochemischen Milieu innerhalb der Matrix abhängig. Diese physiologische Mikroumgebung ist sowohl für den Erhalt des Phänotyps der Knorpelzellen als auch für die Produktion spezifischer Matrixmoleküle essenziell. Einem geringen Sauerstoffpartialdruck kann diesbezüglich eine Schlüsselrolle zugeschrieben werden [43]. Zyklische Gelenkbewegungen sind in der Lage, die intraartikuläre Nährstoffversorgung positiv zu beeinflussen und die Heilung von Knorpelgewebe zu unterstützen [44, 45]. In diversen Übersichtsarbeiten findet sich daher die Empfehlung für eine frühzeitige Mobilisation [46–48].
Die Frühmobilisation kann passiv (Continous Passive Motion, manualtherapeutisch) oder auch aktiv durch eine Automobilisation erfolgen. In beiden Fällen sind die genauen Trainingsparameter nicht ausreichend erforscht. Dementsprechend sind die Empfehlungen in den gesichteten Nachbehandlungsschemata auch nicht konsistent [37, 49, 50]. Für die CPM lassen sich in der Literatur dennoch Gemeinsamkeiten bezüglich möglicher Parameter finden (Tab. 1):
Dauer in Wochen: bis 6 Wochen postoperativ
Dauer/Tag: Empfehlungen variieren zwischen 1–8 h. Konsens Expertenempfehlung der AG Geweberegeneration DGOU > 3 h/Tag
ROM: von gering zu groß und angepasst an Lokalisation und Größe des Defekts
Aktivierung Schlüsselmuskeln/Atrophieprophylaxe
Die Gelenkfunktion ist abhängig von der Suffizienz einzelner Schlüsselstabilisatoren. In diesem Zusammenhang ist das Kniegelenk sicher am besten untersucht und dementsprechend ist die übergeordnete Bedeutung des Quadrizeps anerkannt. Gerade nach einer knorpelregenerativen Maßnahme ermitteln diverse Arbeiten massive Defizite vor und nach der Operation bis zu einem 7-Jahres-Follow-up [52–54]. Verbleibende Defizite sind darüber hinaus mit der subjektiven Patientenzufriedenheit und dem Ergebnis in PROMs korreliert [1].
Am Hüftgelenk ist das muskuläre Defizit insb. bei Patientinnen und Patienten mit einem femuroazetabulären Impingement bestimmt worden. Die Daten diverser Autoren zeigen ein variables Defizit in allen Ebenen der das Hüftgelenk betreffenden Muskulatur (sowohl prä- als auch postoperativ) [55–58]. Analog zum Kniegelenk bestehen Korrelationen zwischen der Suffizienz der Stabilisatoren und dem Schmerz, der Funktion, der Lebensqualität und dem Ergebnis in Scores (HAGOS, [56]).
Für den Fuß und die Sprunggelenke stehen am wenigsten Daten zur Verfügung. Sicher ist allerdings, dass das Alignment (Fußgewölbe und Rückfußstellung) einen großen Einfluss auf den Erfolg einer knorpelregenerativen Operation hat [59]. Dementsprechend können der kurzen Fußmuskulatur („foot core“) und dem M. tibialis posterior ein großer Stellenwert eingeräumt werden [60–63].
Die Defizite in genannten Muskeln liegen häufig nicht als einfache Kraftreduktion oder banale Schmerzhemmung vor. Vielmehr sind sie als zentrale Hemmungen mit manifesten neuroplastischen Veränderungen zu interpretieren. Einen großen Anteil an diesen zentralen Veränderungen scheint die traumatisch oder degenerativ bedingte Deafferentation durch Sensorenverlust und die daraus resultierende Neuorganisation im zentralen Nervensystem zu haben. Der Reaktivierungsprozess gestaltet sich dementsprechend komplex und langwierig [64, 65].
Evidenzbasierte Maßnahmen für die Aktivierung der Schlüsselmuskeln sind [66, 67]:
Mentales Training: Die mentale Vorstellung von aktiven Übungen, sowie deren visuelle Darstellung in Bildern oder Videos führt zu einer relevanten Aktivierung und Kraftsteigerung.
Cross-over Training: Ein intensives Training über die nicht betroffene Seite beeinflusst über zentrale Mechanismen die Aktivierung der Stabilisatoren auf der betroffenen Seite.
Isolierte Aktivierungsübungen: Defizitäre bzw. gehemmte Muskelgruppen sollten so isoliert wie möglich, mit hoher Aufmerksamkeit und großem Trainingsvolumen beübt werden. Bei einer suffizienten Aktivierung kann der Übertrag in funktionelle Übungen erfolgen.
Elektrostimulation (EMS): Die funktionelle EMS erhöht die Aktivierung gehemmter Muskeln, erhält die Kontraktilität der Muskelfasern und beugt einer postoperativen Atrophie vor.
Übergangsmethoden: Zu den Übergangsmethoden zählen das Blood Flow Restriction Training (Training unter reduzierter vaskulärer Versorgung) und niederintensive Kraftausdauermethoden. In beiden Fällen verbleibt die mechanische Belastung auf das Gelenk auf einem geringen Niveau bei guter Adaption (Hypertrophie und Kraftsteigerung). Neben den klassischen Anwendungsbereichen des Knie- und Oberen Sprunggelenkes werden auch an den Muskeln proximal der den Blutfluss reduzierenden Manschette positive Effekte beobachtet (z.B. Hüftgelenk).
Posturale Kontrolle/
ökonomisches Gangbild
Betroffene zeigen nach muskuloskelettalen Verletzungen an den Gelenken der unteren Extremität häufig kinematische und kinetische Veränderungen bei alltäglichen Leistungen auf [68–70]. Die meisten Untersuchungen beschäftigen sich dabei mit dem Gangbild. Die Ergebnisse zeigen ein variables Kompensationsmuster, das über Monate bis Jahre anhalten kann. Die Abweichungen sind mit einem schlechteren klinischen Ergebnis (Werte in Patient Reported Outcome Measures) und einer beschleunigten Degeneration des Gelenkknorpels assoziiert und haben daher eine hohe Relevanz [68, 71]. Identische Resultate können für die posturale Kontrolle (statisch und dynamisch) konstatiert werden. Einschränkungen stellen darüber hinaus einen potenten Risikofaktor für ein primäres oder sekundäres Trauma dar und sollten daher innerhalb der Rehabilitation adressiert werden [72, 73].
Evidenzbasierte Maßnahmen für die Verbesserung der posturalen Kontrolle und dem Gangbild sind [66, 67, 74]: