Übersichtsarbeiten - OUP 04/2020

Multimodale Therapie bei chronischer Lumbago
Gemeinsam sind wir stärker!

Generell bestehen unterschiedliche Verfahren der Infiltrationen, die je nach Zielort und beabsichtigter Wirkung ausgewählt werden. Ziel einer paravertebralen Umflutung ist die temporäre Ausschaltung sämtlicher Afferenzen und Efferenzen einschließlich des Sympathikus (R. albus et griseus). Sie ist bzgl. der erreichten Zielstruktur unspezifisch. Etwas spezifischer ist die dorsale epidurale Infiltration, die bei Spinalkanalstenosen oder polyradikulären Schmerzen eingesetzt werden kann. Bei einer selektiven Facettengelenkinfiltration erfolgt die Ausschaltung der Noziafferenzen im Bereich der dorsalen Kapsel. Hiermit lässt sich selektiv eine schmerzauslösende Struktur passager ausschalten [31, 33], sodass auch ein diagnostischer Nutzen erzielt werden kann [57]. Sollte eine solche Behandlung zu einem guten, jedoch nur passageren Erfolg führen, so kann eine Ablation der Schmerzfasern an gleicher Stelle mittels thermischen Reizes (z.B. Radiofrequenztherapie/Thermokoagulation oder Kryotherapie) erfolgen. Hierdurch wird auf einen längerfristigen Effekt abgezielt.

Bei einer periradikulären Infiltration wird eine Umflutung einer bestimmten Nervenwurzel durchgeführt. Vorteil ist die Eingrenzung der Therapie auf eine umschriebene Struktur mit entsprechender hoher Aussagekraft, sodass der Therapieeffekt auch eine diagnostische Aussage hat [57]. Eine Nervenwurzel kann auch mittels einer gepulsten Radiofrequenztherapie behandelt werden, mit teilweise längerem Effekt als eine periradikuläre Infiltration, wobei der Effekt bei einer relevanten Beteiligung nervaler Strukturen (z.B. Radikulopathie) recht gut ist [6]; bei chronischer Lumbago mit geringem neuropathischen Schmerzanteil stellen wir die Indikation in der Regel nur sehr zurückhaltend. Es handelt sich hierbei um ein nicht-destruktives Verfahren, da es nur zu einer geringen Erwärmung des Gewebes kommt, wobei der genaue Wirkmechanismus unklar ist. Als Erklärungsmodell wurden Zellmembranveränderungen der Schmerzfasern (insbesondere der dünnen und langsam leitenden Ad und C Fasern) [17] und Veränderungen der deszendierenden Schmerzhemmung auf spinaler Ebene gezeigt [25].

Besondere Verfahren für umschriebene Indikationen sind die Sympathikolyse und Kaudalanästhesie [18]; Schmerzkatheter peridural/epidural dienen vornehmlich der Akutschmerztherapie z.B. postoperativ.

Als Ultima ratio kommen Schmerzpumpen zum Einsatz, die ein Medikament epidural applizieren. Anwendungsgebiete sind spastische Syndrome z.B. nach Querschnittverletzungen (Verwendung von Baclofen), aber auch z.B. ausgeprägte Vernarbungen nach mehrfachen Operationen (Failed-back-surgery-Syndrom, Verwendung von z.B. Morphin). Vorteil ist die geringe Rate an Nebenwirkungen, Nachteil die Notwendigkeit der regelmäßigen Befüllung.

Neuromodulation

Eine andere invasive Möglichkeit ist die Neuromodulation (z.B. Spinal-cord-Stimulation, SCS). In den letzten Jahren gab es hier zahlreiche Entwicklungen, sodass neben der konventionellen SCS inzwischen zahlreiche Stimulatoren, Wellenformen, Frequenzen (z.B. Hochfrequenz, Burst, dorsal-root Stimulation) angewendet werden. Allen Stimulationsformen gemein ist ein elektrisches Feld, das an epiduralen Elektrode(n) erzeugt wird und die darunter liegenden nervalen Strukturen direkt stimuliert. Durch die SCS kommt es unter anderem zur Beeinflussung lokaler Transmittersysteme und Auslösung von Aktionspotentialen (orthodrom und antidrom, d.h. nach peripher und nach zentral) mit supraspinalen und segmentalen schmerzhemmenden Effekten. Es bleibt aber weiterhin unklar, welche spezifischen Fasern auf welchem Stimulationsweg für eine gute Schmerzlinderung aktiviert werden müssen [59]. Ein hoch positiver Effekt auf Schmerz, Alltagsfunktion und Lebensqualität wurde in verschiedenen Studien gesehen [36] und auch ein günstiger Effekt einer SCS versus wiederholten Wirbelsäulenoperationen wurde gezeigt [45]. Die Indikation für SCS sind insbesondere Schmerzbilder mit einem relevanten neuropathischen Anteil. Infrage kommen Radikulopathien bei Wurzelläsionen z.B. bei Arachnopathie, epiduraler Fibrose, dem „Failed-back-surgery-Syndrom“, aber auch bei degenerativen Veränderungen und nach Ausschöpfen aller anderen zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten bei hohem Leidensdruck [11, 35].

Physiotherapie

Die Auswahl der genauen Form der aktiven Bewegungstherapie sollte sich nach den Präferenzen der Betroffenen, deren Fitness und der Qualifizierung des Therapeuten richten, eine eindeutige Empfehlung für eine Therapieform kann aktuell nicht gegeben werden [55]. Vor allem die aktive Bewegungstherapie (mit Koordinations-, Ausdauer- und Krafttraining) erwies sich bei der Verringerung des Schmerzlevels bei chronischen Rückenschmerzen als wirksam. Es konnte gezeigt werden, dass eine aktive Bewegungstherapie („motor control exercise“) in der Behandlung von chronischen Rückenschmerzen im Vergleich zum Fehlen von Bewegungstherapie, die Schmerzen besser linderte sowie die Funktionalität verbesserte. Auch konnte langfristig eine geringere Häufigkeit von Arbeitsunfähigkeit nach Bewegungstherapie gezeigt werden [9].

Das Konzept der „graded activity“ reduzierte hierbei insbesondere die beruflichen Fehlzeiten der Betroffenen [28]. Die nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz empfiehlt bei anhaltenden alltagsrelevanten Aktivitätseinschränkungen oder der Gefährdung der beruflichen Wiedereingliederung außerdem die Teilnahme an Rehabilitationssport- bzw. Funktionstrainingsgruppen [7].

Eine zentrale Rolle bei chronischer Lumbago sollte im physiotherapeutischen Kontext außerdem Patientenaufklärung und Schulung einnehmen. Hierbei geht es insbesondere um den Abbau von Ängstlichkeit und Vermeidungsverhalten mittels aktiven Schmerzbewältigungsstrategien, Ermutigung einer frühzeitigen Wiederaufnahme normaler Aktivitäten, auch wenn noch Schmerzen vorhanden sind und Vermittlung der elementaren Bedeutung der Verbesserung des Aktivitätsniveaus, nicht nur der Schmerzlinderung [12].

In einer systematischen Übersichtsarbeit konnten in 4 von 5 Studien keine nennenswerten Unterschiede des Schmerzlevels im Vergleich von passiven Maßnahmen wie Massagen zur Standardbehandlung bei chronischem nichtspezifischem Kreuzschmerz gefunden werden [9].

Schmerzpsychotherapie

Entsprechend einem biopsychosozialen Schmerzverständnis sind Schmerzen nicht entweder organisch oder psychisch, sondern an der Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerzen sind stets biologische, psychologische und soziale Faktoren beteiligt [34]. Psychosoziale Faktoren spielen eine entscheidende Rolle für den Krankheitsverlauf und bei der Chronifizierung von Rückenschmerzen [26]. Sie werden deshalb als Warnsignale („yellow flags“, Tab. 1) verstanden und sollten früh im Behandlungsverlauf erfasst werden [53]. Es geht dabei nicht um spezielle psychologische Interventionen, sondern um ein besseres Kennenlernen des individuellen Beschwerdekontextes des Patienten [53]. Im Kern dreht sich das Gespräch weiter um die körperlichen Beschwerden, die psychosozialen Faktoren werden nur beiläufig („tangential“) mit Alltagsbegriffen wie z.B. Stress, Überlastung, Überforderung thematisiert [54].

Beispiele für typische
„yellow flags“

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