Übersichtsarbeiten - OUP 10/2016

Operative Methoden zur Entlastung des Kniegelenks

Im Rahmen der Deformitätenanalyse zeigen sich regelhaft Kombinationsdeformitäten mit Beteiligung des distalen Femur und der proximalen Tibia (Abb. 4). Ziel einer Korrektur ist es, nicht nur eine Korrektur der Beinachse zu erreichen, sondern auch eine Harmonisierung der Gelenkwinkel ohne neue grobe Deformitäten. Daher hat sich im eigenen Vorgehen sowohl die valgisierenden wie auch die varisierende Doppelosteotomie als Standardverfahren etabliert (Abb. 5).

Das operative Vorgehen ist eine Kombination aus den zuvor dargestellten Techniken. Bei einer Varus-Fehlstellung erfolgt die Korrektur ebenfalls als Closed-wedge-DFO am distalen Femur (von lateral). Bei einer Valgusfehlstellung erfolgt an der Tibia keine Open- sondern eine Closed-wedge-HTO von medial. Bei der beginnenden Aufarbeitung der eigenen Fälle zeigen sich seit der Einführung des Vorgehens 2011 vielversprechende Resultate. Langzeitergebnisse bleiben abzuwarten.

Ergebnisse nach valgisierender HTO

Die Anzahl der Arbeiten, die über Langzeitergebnisse nach valgisierender HTO berichten, beziehen sich in der Mehrzahl auf die Closed-wedge-HTO. In Tabelle 1 sind die Überlebensraten nach Closed-wedge-HTO und in Tabelle 2 sind die Ergebnisse nach Open-wedge-HTO dargestellt.

Bei der Closed-wedge-HTO zeigt sich eine Verteilung der Überlebensrate nach 5 Jahren zwischen 85 % und 99,3 % (13 von 14 Publikationen) mit einem Ausreißer nach unten mit 73 % [33]. Nach 10 Jahren wird die Streuung größer und reicht von 51–97,6 %. Zwölf (15) Arbeiten berichten über eine Überlebensrate von mehr als 75 % und nur in 3 (15) Arbeiten wird über weniger als 75 % berichtet. Nach 15 Jahren beträgt die Spannweite 39–93,2 %. Aus den 11 verfügbaren Publikationen berichten 4 über eine Überlebensrate von weniger als 65 % und 7 von mehr als 65 %. Nach 18 Jahren und 20 Jahren sind nur noch einzelne Arbeiten mit wenig Patienten in den Gruppen verfügbar (3 nach 18 Jahren und 3 nach 20 Jahren). Für diese Langzeitergebnisse liegen sehr unterschiedliche Angaben vor. Diese reichen von 30–85 %.

Bei der Open-wedge-HTO werden nach 5 Jahren durchgehend gute Ergebnisse mit einer Überlebensrate von 88,8–100 % berichtet (9 Arbeiten). Nach 10 Jahren sinkt die Überlebensrate auf 74–92 % (4 Arbeiten) und nach 15 Jahren auf 68–71 %. Insgesamt präsentieren sich die Ergebnisse etwas harmonischer als nach der Closed-wedge-HTO, obgleich die Anzahl der Arbeiten geringer ist.

Vergleichende Studien zwischen Closed- und Open-wedge beschreiben unterschiedliche Ergebnisse. Während Schalleberger et al. [40] gleiche Ergebnisse und Überlebensraten für die Open sowie für die Closed-wedge-HTO berichteten, konnte Duivenvoorden et al. [29] eine höhere Überlebensrate für die Open-wedge-HTO nach 10 Jahren beobachten. Inwieweit sich diese Beobachtungen in der Zukunft für die modernen Plattenfixateure bestätigen, bleibt abzuwarten und muss bei entsprechender Datenlage neu beurteilt werden. Zusammenfassend kann für beide Verfahren festgehalten werden, dass sehr gute Langzeitergebnisse bestehen.

Operative Entlastung ohne Knochenkorrektur

Gelenkdistraktion

Die Gelenkdistraktion wurde mittlerweile als Therapie bei Arthrose für unterschiedliche Gelenke mit Erfolg beschrieben, unter anderem für das Kniegelenk [49–51]. Das Prinzip beruht auf der Anlage eines Fixateur externe, mit dem eine Distraktion auf das Kniegelenk mit unterschiedlicher Dauer ausgeübt wird. Je nach Arbeitsgruppe wurden Systeme verwendet, mit denen das Kniegelenk weiter beweglich war [51] bzw. starre Fixateur-Systeme [49]. In einer aktuellen Arbeit aus einer niederländischen Arbeitsgruppe [49] konnten im Vergleich der valgisierenden Open-wedge-HTO zur Kniegelenkdistraktion ähnliche Ergebnisse erzielt werden (Abb. 6). Während die klinischen Ergebnisse nach 12 Monaten einen leichten Vorteil für die valgisierende Open-wedge-HTO zeigte, resultierte ein signifikanter Unterschied zugunsten der Kniegelenkdistraktion in Bezug auf den Gelenkspalt. Eigene Erfahrungen zu diesen Methoden fehlen. Nichtsdestotrotz scheinen die Ergebnisse vielversprechend zu sein und könnten insbesondere bei jüngeren Patienten mit gerader Beinachse zum Einsatz kommen, um ein Fortschreiten der Arthrose zu verzögern.

Feder-System

Auf dem Markt ist momentan ein implantierbares Federsystem zur Entlastung des medialen Kompartiments verfügbar. In der Vergangenheit war es unter dem Namen KineSpring-System (MOXIMED) bekannt. Mittlerweile wurden einige Modifikationen am System vorgenommen und es ist jetzt unter dem Namen ATLAS Knee-System (MOXIMED) erhältlich. Das Prinzip basiert auf dem physiologischen Gang. In der Phase des Bodenkontrakts entstehen 2 Druckspitzen („toe-off“ und „heel-down“) im Knie [8, 52]. Bei Varus-Fehlstellung sind die Druckspitzen medial erhöht [8]. Das Federsystem hat die Möglichkeit, die Druckspitzen um 13 kg zu reduzieren [53]. Im Rahmen von Pilotstudien wurde über erste gute Ergebnisse berichtet [54] mit einer Komplikationsrate von 9,4 % (eine Infektion, 2 Fälle mit persistierenden Schmerzen und 2 Fälle mit erforderlicher Arthrolyse). Andere Berichte über mechanische Komplikationen mit Federbruch [55] sowie Perforation der Feder durch die Kapsel [56] sind bekannt. Das neue ATLAS Knee-System hat veränderte Materialen im Federbereich und ist weniger voluminös (Abb. 7). Dadurch wird eine geringere Weichteilirritation erwartet. Klinische Ergebnisse bleiben abzuwarten.

Klinische Relevanz

Operative Entlastungsmethoden haben in den letzten Jahren eine zunehmende Verbreitung gefunden. Die Bereitschaft und der Trend nehmen zu, Patienten im aktiven Lebensabschnitt gelenkerhaltend zu operieren. Den größten Stellenwert nehmen die kniegelenknahen Osteotomien ein, und sie stellen das Standardverfahren der operativen Entlastung dar. Forschungsaktivitäten mit einer temporären Kniedistraktion bzw. Implantation einer extraartikulären Feder scheinen ebenfalls vielversprechende Ergebnisse zu erzielen. Breite Ergebnisse auf einem hohen Evidenzlevel stehen allerdings noch aus.

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