Übersichtsarbeiten - OUP 05/2022

Pathophysiologie von Knorpelschaden, Früharthrose und fortgeschrittener Arthrose

Obwohl der spontane Verlauf eines unbehandelten fokalen Knorpeldefekts schwer vorherzusagen ist, belegen tierexperimentelle Daten im Schafmodell, dass fokale großflächige Knorpeldefekte am Femurkondylus auch degenerative Veränderungen des periläsionalen und gleichseitigen tibialen Gelenkknorpels induzieren [4]. Klinisch kann die Defektgröße sowohl bei symptomatischen [5] als auch bei asymptomatischen Patienten [6] zunehmen und schlussendlich Arthrose induzieren [7, 8]. Somit zielt die Therapie symptomatischer umschriebener nichtarthrotischer Knorpeldefekte zwar primär auf die Defektauffüllung mit einem funktionellen Reparaturgewebe ab, sie soll jedoch auch die Entstehung einer perifokalen und kompartimentalen Arthrose verhindern [9]. Auch wenn das Arthroserisiko nicht komplett eliminiert werden kann, so zeigen aktuelle Studien, dass eine rechtzeitige rekonstruktiv-chirurgische Behandlung diese Gefahr zumindest reduzieren kann [8, 9].

Pathophysiologie von
Früharthrose

Grundlegende Betrachtungen

Die Arthrose ist eine multifaktoriell bedingte, degenerative Erkrankung, für die eine einfache und einheitliche Beschreibung der pathogenetischen Vorgänge nicht möglich ist. Vorrangig zeigen sich ein fortschreitender Umbau der Gelenkstrukturen und ein weitgehender Funktionsverlust des Gelenks.

Physiologisch werden die Integrität und damit die Gewebeeigenschaften der extrazellulären Matrix, durch die anabolen und katabolen Stoffwechselvorgänge gewährleistet. Bei der Arthrose findet sich biochemisch eine Destabilisierung der interterritorialen und der perizellulären Knorpelmatrix. Es kommt zu einem Verlust von Proteoglykanen und zu einer Lockerung des kollagenen Netzwerkes. Es ist jedoch bis heute unklar, welcher Prozess zuerst erfolgt. Denn ein Proteoglykanverlust kann zu einer Destabilisierung des kollagenen Netzwerkes führen und umgekehrt. Die Destruktion der Matrix führt weiterhin zu einer Destabilisierung des typischen Phänotyps der Chondozyten. Die phänotypischen Reaktionen reichen von der hypertrophen Proliferation/Differenzierung bis zum Tod der Knorpelzelle. Die Zellen exprimieren neben den typischen Knorpelproteinen wie Typ-II, -IX und -XI-Kollagen, auch Typ-X-Kollagen. Weiterhin werden auch knochenspezifische Proteine wie z.B. Osteocalcin und Osteopontin exprimiert. Bestimmte Wachstumsfaktoren, aber auch Chemokine können den Phänotyp stabilisieren [10].

Biochemische Veränderungen

Durch knorpelabbauende Faktoren kommt es zu einer reduzierten Produktion physiologischer Matrixkomponenten (Proteoglykane, Typ-II-Kollagen) und zur vermehrten Produktion matrixabbauender Enzyme wie Matrixmetalloproteasen (MMPs) oder Adamalysinen. Zu den MMPs, eine Familie Zink-abhängiger Enzyme gehören verschiedene Proteasen: Collagenasen, Gelatinasen, Stromelysin, Metalloelastase, Matrilysin und Membran-Typ-MMPs. Neben den MMPs gelten die Aggrekanasen als besonders wichtiger Metabolit im Rahmen der Arthrose [11]. Sie blockieren Aggrekan, das Hauptproteoglykan im Knorpel. Der Verlust von Aggrekan in der extrazellulären Matrix ist ein frühes Zeichen der Arthrose. Die Aggrekanasen, die zu den „A Disintegrin and Metalloproteinase with Thrombospondin motifs“ (ADAMTS) gehören, werden als potentielle Ziele für den Einsatz von sogenannten „Disease modifying drugs“ (DMOADS) diskutiert [12]. Dieses Ungleichgewicht zwischen anabolen und katabolen Prozessen führt zur Schädigung der Homöostase der Chondrozyten. Das strukturelle Korrelat sind Brutnester von proliferierenden und später apoptotischen oder absterbenden Zellverbänden der Chondrozyten („Cluster“) [13].

Hinsichtlich der Bedeutung der Entzündung ist nach wie vor unklar, ob die Entzündung eine Progression fördert oder die entzündlichen Veränderungen nur eine Folge der Arthrose sind [14]. In jedem Fall unterscheiden sich die entzündlichen Reaktionen der Arthrose von denen der primär entzündlichen Arthritiden. Bei Arthrose erkennt man eine stadienabhängige zunehmende niedriggradige Entzündung mit einer Infiltration von der Synovialis. Auch die Synovia enthält eine Reihe von Entzündungsmediatoren. Sie führen zu einer Induktion von Metalloproteinasen und hydrolytischen Enzymen, die schließlich in eine Destruktion der kollagenen Netzwerkstruktur und Verlust der Proteoglykane führen.

Klinische Aspekte

Der klinisch relevante Arthroseschmerz kann aufgrund der Aneuralität des Gelenkknorpels nicht vom alleinigen Knorpelverlust herrühren. Theoretisch kann der Arthroseschmerz von allen innervierten Geweben des Gelenks verursacht werden [15]. Eine wesentliche Rolle spielen hierbei der subchondrale Knochen, u.a. durch seine Innervierung und pathologische Knochenmarködeme sowie die Synovialmembran. Zudem sind auch die Gelenkkapsel, die intrakapsulären Ligamente, die gelenkübergreifende Muskulatur mit ihren Faszien und Sehnen sowie das umgebende Weichteilgewebe und Periost Ursachen des Arthroseschmerzes.

Das Verständnis der Arthrose wächst nicht nur durch die Beschreibung der biochemischen Vorgänge sondern in zunehmender Weise auch durch die Beschreibung von unterschiedlichen Arthrose-Phänotypen [16]. Zur Charakterisierung werden dazu Bildgebung, biochemische Daten und klinische Befunde zusammengeführt. Es wird diskutiert, dass Entzündungsreaktion, Ko-Morbidität, Schmerzempfinden, BMI, röntgenologischer Schweregrad, Muskelkraft und psychologischer Stress eine wesentliche Rolle in der Beschreibung eines klinischen Phänotyps spielen. Hingegen spielen Geschlecht, Übergewicht, Entzündung, weitere metabolische Pathologien und charakteristische Knorpelschädigungen eine wesentliche Rolle für die Beschreibung eines strukturellen Phänotyps.

Definition der Arthrose

Die Arthrose folgt auf mechanische und biologische Ereignisse, die die zuvor physiologische Balance zwischen dem Knorpelaufbau und dem Knorpelabbau stören und entkoppeln. Die primäre Arthrose wird aufgrund einer genetischen Prädisposition verursacht. Hierbei scheinen jedoch mehrere Gendefekte eine Rolle zu spielen, welche in das gemeinsame Endstadium der Arthrose münden. Eine genetische Prädisposition, bspw. auf Basis einer gestörten Synthese von Komponenten der extrazellulären Matrix scheint zudem den Unterschied zwischen einem Patienten auszumachen, der eine Knorpelverletzung erleidet und sich davon erholt und zwischen dem Patienten, der anschließend eine Früharthrose entwickelt. Arthrose ist zudem kein schicksalhafter „Abnutzungsprozess“. Eine sekundäre Arthrose kann auf Basis einer intra- oder extraartikulären präarthrotischen Deformität entstehen [17]. Derartige präarthrotische Deformitäten sind definiert als angeborene oder erworbene Störung der Gelenkstruktur, die die Gelenkfunktion beeinträchtigen. Zu den intraartikulären präarthrotischen Deformitäten zählen im Kniegelenk der Verlust von Meniskusgewebe oder -stabilität, Instabilitäten auf Basis von Kreuzbandrupturen, großflächige fokale Knorpeldefekte und osteochondrale Gelenkfrakturen. Zudem kann eine unbehandelte bakterielle Gonitis auch durch die freigesetzten bakteriellen Kollagenasen die extrazelluläre Knorpelmatrix schädigen und so eine Früharthrose induzieren. Extraartikuläre Ursachen stellen bspw. angeborene bzw. posttraumatische Abweichungen der Beinachse dar. Für das Patellofemoralgelenks spielt die patellofemorale Instabilität mit bspw. erhöhter lateraler Verkippung und/oder Verschiebung der Patella in der axialen Ebene eine Rolle. Diese Ätiologien können in die gleiche morphologische, pathophysiologische und klinische Endstrecke der Arthrose münden.

Pathophysiologie der osteochondralen Veränderungen

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