Übersichtsarbeiten - OUP 05/2022
Pathophysiologie von Knorpelschaden, Früharthrose und fortgeschrittener Arthrose
Die initiale Degeneration des hyalinen Gelenkknorpels ist das essentielle Element der Früharthrose. Die strukturellen Veränderungen, welche das gesamte Gelenk betreffen, werden von umfassenden zellulären, molekularbiologischen und biochemischen katabolen Veränderungen im Knorpel und im subchondralen Knochen begleitet. Der größte Teil unseres Wissens über Früharthrose stammt von Maus- und anderen Kleintiermodellen. Veränderungen der Genexpression im gesamten Mausgelenk nach Destabilisierung des Innenmeniskus treten bereits nach 6 Stunden auf [18]. Initial findet sich eine hypertrophische Phase mit Zunahme der Knorpeldicke. Diesem Phänomen liegt eine initial gesteigerte Produktion der wasserbindenden Proteoglykanen durch die Chondrozyten zugrunde, die zu einem Wassereinstrom in den extrazellulären Raum mit konsekutiver Gewebeschwellung führt. Nach dieser Phase setzt jedoch ein progressiver Verlust der Knorpelstruktur ein. Synovitis und Anstiege von entzündungsfördernden Zytokinen und Matrix-abbauenden Enzymen werden nach 3 Tagen offensichtlich, was den Abbau der wichtigsten Komponenten der extrazellulären Knorpelmatrix wie Typ-II-Kollagen und Proteoglykane initiiert und dem mikrostrukturellen Knorpelabbau vorausgeht, der nach 2 Wochen auftritt [19]. Der von der Oberfläche her parallel stattfindende zunehmende Verlust der Proteoglykane führt zu einer Reduktion der Wasserbindungskapazität, welche dadurch die biomechanischen Eigenschaften des hyalinen Gelenkknorpels herabsetzt. Die biomechanischen Parameter des Gelenkknorpels sind im Tiermodell nach etwa 4 Wochen reduziert [19, 20].
Morphologisch zeigt sich zunächst eine progressive Aufrauhung und Auffaserung der Knorpeloberfläche, die von größer werdenden Rissen bis hin zu einem von gelenkwärts fortschreitendem schichtweisen Verlust der Knorpelmatrix mit progredient verminderter Widerstandsfähigkeit gekennzeichnet ist. Erosionen erreichten die kalzifizierte Zone nach 10 Wochen [21]. Veränderungen des subchondralen Knochens betreffen sowohl die subchondrale Knochenplatte als auch die subartikuläre Spongiosa. Er reagiert auf die veränderten Druckverhältnisse mit zunehmender Mineralisierung und Verengung der intertrabekulären Räume. Frühe subchondrale Knochenveränderungen nach Destabilisierung des Innenmeniskus wie Osteophyten traten nach 2 Wochen auf, mit erhöhter Osteoklastenaktivität und höherem Knochenumsatz [21] und subchondralen Knochenplattenperforationen [20]. Im frühen Stadium der Arthrose findet ein erhöhter Knochenumbau mit einhergehendem Knochenverlust statt [22]. Mikrofrakturen im subchondralen Knochen initiieren eine osteoklastäre Resorption zur Aktivierung von sekundären Ossifikationszentren mit osteoblastärer Knochenbildung [22].
Pathophysiologie der Veränderungen der Synovialmembran
Auch die Synovialmembran ist maßgeblich an der Früharthrose beteiligt. Es besteht ein Zusammenhang zwischen histologischer Synovitis und klinischen Symptomen. Hierbei variiert das Muster der synovialen Reaktion mit der Krankheitsdauer und den damit verbundenen metabolischen und strukturellen Veränderungen in anderen Gelenkgeweben [23]. Frühe arthroskopische Studien an Patienten mit Früharthrose und nach Implantation einer Knie-TEP zeigten, dass bei der Früharthrose eine alleinige Synovitis im Vordergrund steht [24]. Die Synovialis kann signifikante Veränderungen zeigen, noch bevor eine sichtbare Knorpeldegeneration aufgetreten ist, mit Infiltration mononukleärer Zellen, Verdickung der synovialen Auskleidungsschicht und Produktion von entzündlichen Zytokinen [25].
Wenn sich Knorpelfragmente progressiv vom geschädigten Knorpel ablösen, gelangen sie in die Synovialflüssigkeit, zirkulieren frei im Gelenk und können sich an die Synovialmembran anheften. Dort initiieren diese Knorpelfragmente als Fremdkörper eine oftmals niedriggradige chronische Entzündung der Synovialmembran, welche klinisch stumm verlaufen kann. Von der niedriggradigen chronischen Entzündung der Synovialis sind die hochgradigen und schmerzhaften, von Ergüssen begleitenden Perioden der aktivierten, schmerzhaften Arthrose anzugrenzen, die sich zumeist im fortgeschrittenen Verlauf einstellen. Histologisch ist die Detritussynovialitis durch eine Hyperplasie mit Infiltration von Lymphozyten und Bildung von perivaskulären lymphatischen Aggregaten und synovialer Zottenbildung mit Gefäßeinsprossungen gekennzeichnet. Hierbei sind 4 Muster beschrieben; einschließlich hyperplastischer, entzündlicher, fibrotischer und detritusreichee Synoviopathie [26]. Im Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis findet keine Infiltration von Zellen der Synovialschleimhaut in den Knorpel statt. Die Detritussynovialitis greift auch auf die Gelenkkapsel und periartikuläre Muskeln über und kann so zu schmerzhaften Bewegungseinschränkungen des betroffenen Gelenks führen. Eine vermehrte Zytokinproduktion der Synovialmembran kann wiederum die Matrixsynthese der Chondrozyten hemmen.
Pathophysiologie von
fortgeschrittener Arthrose
Die fortgeschrittene Arthrose zeigt neben den typischen Knorpelveränderungen auch charakteristische knöcherne Veränderungen [27]. Unterhalb einer verdickten Schicht von kalzifiziertem Knorpel findet sich einer Verbreiterung der subchondralen Platte, Mikrofrakturen, eine Sklerose der Trabekel und eine Knochenzystenbildung. Solche Zysten besitzen nicht die typischen Zystenkriterien: Sie haben keine Auskleidung und sind mit fibrösem Bindegewebe gefüllt und inhomogen mit Flüssigkeit. Zur Ätiogenese gibt es nach wie vor nur Thesen: Eine These geht von einem Eindringen von Synovialflüssigkeit aus (extrinsisch), die andere von nekrotischem Knochen aufgrund von Überbelastung mit Mikrobrüchen, Ödembildung und lokaler Knochenresoprtion (intrinsische Entzündung). Neben den sog. Geröllzysten finden sich auch regelhaft Osteophyten, die insbesondere an den Gelenkrändern zu finden sind [28]. Diese Osteophyten vergrößern zwar die Auflagefläche, sie können jedoch, je nach Lokalisation, zu knöchernen Bewegungseinschränkungen führen. Als Auslöser von Osteophyten werden mechanische Reize als auch chronische Entzündungsreaktionen diskutiert, die die Zellen im Bereich des osteochondralen Übergangs zur Chondrogenese und schließlich enchondraler Ossifikation stimulieren.
Sowohl mechanische Schädigungen oder auch ein stoffwechselbedingtes Ungleichgewicht zwischen anabolem und katabolem Stoffwechsel des Chondrozyten führen zu einer zunehmenden Reduktion der Knorpelmatrix. In beiden Fällen kommt es über eine Knorpelerweichung zu Knorpeleinrissen und schließlich zu einem kompletten Verlust der Knorpelschicht, die den subchondralen Knochen exponiert. Gleichzeitig schreiten die Veränderungen im subchondalen Knochen mit Sklerosierung und subchondaler Zystenbildung fort, sowie der Vergrößerung der Osteophyten in peripheren Gelenkanteilen. In fortgeschrittenen Arthrosestadien ist eine Abnahme des Knochenumbaus zu beobachten. Die subchondrale Knochenplatte wird dicker und skerosierter, die Dicke des kalzifizierten Knorpels nimmt zu bei gleichzeitiger Abnahme der Knochenmineralisierung und dem Verlust des Gelenkknorpels [22]. Diese subchondrale Sklerosierung ist ein klassisches röntgenologisches Kriterium der Arthrose. Die erhöhte Dichte des subchondralen Knochens kann die Stoßdämpferfunktion des Knochens negativ mechanisch beeinflussen und so die Schädigung des darüberliegenden Knorpels weiter beschleunigen.