Übersichtsarbeiten - OUP 04/2024

Physikalische Therapie in konservativer Orthopädie und Rehabilitation
Eine Übersicht

Als Qualitätsmerkmal wurde zudem in den vergangenen Jahren von Seiten der DRV die Erstellung von Rehatherapiestandards (RTS) gefördert, um eine wissenschaftliche, evidenzbasierte Grundlage für die Durchführung zu schaffen. Der aktuelle Therapiestandard zum chronischen Rückenschmerz, auch als evidenzbasiertes Therapiemodul bezeichnet, berücksichtigt hier aus dem Bereich der physikalischen Therapie Massage als Behandlungsform, die bei 30 % der Rehabilitanden zu erbringen sei, mind. 40 min/Woche. Unter Berücksichtigung des KTL-Schlüssels sind als Therapieformen hinterlegt: klassische Massage, Bindegewebsmassage, Unterwasserdruckstrahlmassage, Akupunkturmassage, Reflexzonenmassage. Der RTS für die Behandlung nach Implantation einer Hüft- und Kniegelenktotalendoprothese führt explizit physikalische Therapie auf, zu erbringen bei mind. 50 % der Rehabilitanden, mind. 80 min pro Woche. Hier weisen die KTL-orientiert aufgeführten Inhalte ein breites Spektrum auf, von Elektrostimulation, Ganzkörper- und lokaler Kälte und Wärmebehandlung bis zu verschiedenen Verfahren der Elektrotherapie (niederfrequenter Reizstrom, Mittel- und Hochfrequenz) und Massage (klassisch, Bindegewebe, Reflexzone, Unterwasserdruckstrahl, Lymphdrainage, manuell und apparativ, gerätegestützte Kompressionstherapie).

Die aktuelle Handlungsanleitung der Deutschen Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) beschreibt die strukturqualitätsbezogenen Inhalte für die klassischen Behandlungsformen im rehabilitativen Setting, monomodale Heilmittelverordnungen, erweiterte ambulante Rehabilitation (EAP), berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung (BGSW) und arbeitsplatzbezogene muskuloskelettale Rehabilitation (ABMR). Monomodal können neben Physiotherapie und Ergotherapie auch Leistungen aus dem Bereich physikalische Therapie verordnet werden, hier die ganze Bandbreite – Wärme-, Kälte-, Elektrotherapie, Ultraschall, verschiedene Bäder und Massageformen, hydroelektrische Bäder, gashaltige Bäder und Elektrogymnastik. Die EAP definiert Verfahren der physikalischen Therapie als essenziellen Kern der Behandlung. Aufgeführt werden Elektrotherapie, Hydrotherapie, Thermotherapie und Mechanotherapie (manuelle Lymphdrainage und Massage). Als orientierende zeitliche Richtwerte für diese Verfahren werden 30 min/Tag angegeben. Die BGSW führt die gleichen Verfahren auf. Als orientierende zeitlicher Richtwerte für diese Verfahren werden hier 60 min/Tag angegeben. Die ABMR hat ihren Schwerpunkt bei arbeitsplatzrelevanten Aktivitäten, die Strukturanforderungen beinhalten hier allerdings daneben auch die bereits aufgeführten Therapieverfahren der physikalischen Therapie aus EAP und BGSW.

Anforderungen an die Strukturqualität erbrachter rehabilitativer Leistungen werden im Sektor der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) über die Systematik des QS-Reha-Verfahrens abgeprüft. Therapeutische Inhalte werden dabei durch die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) beschrieben. Für den Bereich der ambulanten Rehabilitation bei muskuloskelettalen Erkrankungen wird physikalische Therapie mit Massagen, Hydro-, Wärme-, Kälte- und Elektrotherapie aufgeführt, als Berufsgruppen hier Masseurinnen/Masseure und med. Bademeisterinnen/-meister. Bewegungsbad ist vorzuhalten, ggf. in Kooperation. Für den stationären Bereich wird physikalische Therapie als Behandlungselement aufgeführt, ohne Differenzierung.

Zusammenfassung

Viele Pfeile im Köcher ermöglichen eine patientenzentrierte und individualisierte Behandlung, so, wie sich unsere Patientinnen und Patienten sich dies ja auch, oft als ganzheitlich bezeichnet, wünschen. Physikalische Therapie stellt hier eine wirksame und meist kostengünstig zu erbringende Behandlungsart dar, bei zu vernachlässigenden Behandlungsrisiken und hoher Akzeptanz bei Patientinnen und Patienten.

Natürlich gab es in der Geschichte der Medizin vieles, was wir heute als wirkungslos, im besten Fall nicht patientenschädigend, ansehen würden. Im Bereich der physikalischen Therapie wäre hier, als eine der vielen Irrwege, der Mesmerismus zu nennen. Bei dem von Franz Anton Mesmer (1734–1815) propagierte Verfahren sollte der animalische Magnetismus, auch als „tierischer Magnetismus“ bezeichnet, als Heilmethode Wirkung erzielen. Es wurden zur Behandlung Stahlmagneten am Körper bzw. einer am Körper getragenen Weste befestigt. Hypnoseartige Therapieanteile traten hinzu, in diesem Zusammenhang wird für den 28.07.1774 die Behandlung der seinerzeit 29-jährigen „Jungfer Oesterlin“ beschrieben, deren Krampfleiden behandelt werden sollte – leider erfolglos. Das Verfahren, dass zwischenzeitlich im 18. Jhd. große öffentliche Beachtung genoss, verschwand im Weiteren aber dann, wie so vieles andere, in der Mottenkiste der Medizingeschichte. Wir sind hier also tief im Bereich der Esoterik und sog. Glaubensmedizin, d.h. Ärztin/Arzt und Patientin/Patient glauben fest an das Verfahren. Wirkung erzielt im besten Fall der unspezifische Placeboeffekt.

Dabei trifft es in der Tat zu, dass insbesondere auch in der internationalen Literatur Metaanalysen zu den eingesetzten Verfahren fehlen. Dies hängt zum einen daran, dass die entsprechenden Verfahren schwerpunktmäßig in Deutschland erbracht werden und hier eine lange Tradition haben, zudem entziehen sich die Verfahren meist einer Verblindung, die Erbringung ist heterogen (Intensität/Frequenz/Lokalisation) und meist im Zusammenhang mit anderen Therapieformen im Rahmen eines Konzeptes. Somit entzieht sich in aller Regel die Bewertung eines einzelnen Verfahrens einer dezidierten Betrachtung, ohne dass sich hieraus jedoch der Schluss ziehen ließe, dass keine Wirksamkeit bestünde. Da die Verfahren häufig auch im Bereich von Medical Wellness und in der früher häufig verwendeten und in der Bevölkerung durchaus noch gängigen Begrifflichkeit „Kur“ zur Anwendung kamen, signalisiert offensichtlich zu dem für manche Kreise eine fehlende Wirksamkeit im Bereich von effektiver und effizienter Medizin.

Die Strukturdiagnose begründet die therapeutische Intervention mit physikalischer Therapie und grenzt so auch ab von Behandlungen, die eher dem Medical Wellness zuzuordnen sind. Dabei sollten die Verfahren nicht auf dem Altar der vermeintlich metaanalysenorientierten Leitliniengläubigkeit, die wenig oder schwer untersuchbare Verfahren ausspart oder nicht berücksichtigt, geopfert werden. Good medical practice im Kontext und als Teil von Behandlungsprogrammen, streng orientiert an dezidiert ermittelten topischen Strukturdiagnosen indiziert und erbracht, sind sie ohne Zweifel.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
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www.online-oup.de.

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