Übersichtsarbeiten - OUP 06/2018

Posteromediale Rotationsinstabilität nach Coronoidfrakturen der anteromedialen Facette

Felix Zimmermann1, Marco M. Schneider1, Rainer Nietschke1, Boris Hollinger1, Klaus J. Burkhart1

Zusammenfassung: Coronoidfrakturen sind seltene und klinisch nur schwer zu diagnostizierende Frakturen. Betreffen sie die anteromediale Facette des Coronoids, kommt es in der Mehrzahl der Fälle zu einem Ausriss des anterioren Bündels des MCLs. Aufgrund des Unfallmechanismus kommt es weiterhin fast obligat zu einer LCL-Ruptur. Als Folge dessen kann sich eine posteromediale Rotationsinstabilität entwickeln. Neben der klinischen Untersuchung ist die radiologische Bildgebung das entscheidende Diagnostikum. Dabei muss äußerst sorgfältig nach den meist nur kleinen Frakturfragmenten gefahndet werden und es sollte ein besonderes Augenmerk auf Verletzungen der Kollateralbänder gelegt werden. Die konservative Therapie spielt nur bei sehr kleinen, nicht bzw. minimal dislozierten Frakturen bei Patienten mit geringem funktionellen Anspruch eine Rolle.

Therapeutisch im Vordergrund steht die operative Frakturretention. Dabei muss in der Mehrzahl der Fälle eine Rekonstruktion der Kollateralbänder erfolgen. Übersehene oder nicht korrekt refixierte Coronoidfrakturen können zu einer Gelenkinstabilität und frühzeitig auch zur Entwicklung einer posttraumatischen Arthrose führen.

Schlüsselwörter: Ellenbogen, Coronoid, Coronoidfraktur,
posteromediale Rotationsinstabilität, Diagnostik, Therapie

Zitierweise
Zimmermann F, Schneider MM, Nietschke R, Hollinger B, Burkhart KJ: Posteromediale Rotationsinstabilität nach Coronoidfrakturen der
anteromedialen Facette.
OUP 2018; 7: 319–324 DOI 10.3238/oup.2018.0319–0324

Summary: Coronoid fractures are rare and clinically difficult to diagnose. Concerning the anteromedial facet of coronoid, in the majority of cases the anterior bundle of the MCL is torn out. Due to the accident mechanism, rupture of LCL is still almost obligatory. As a result, posteromedial rotational instability may develop. In addition to clinical examination, radiological imaging is the decisive diagnostic agent. The search for fracture fragments, which are usually only small, must be carried out extremely carefully and special attention should be paid to injuries to the collateral ligaments. Conservative therapy only plays a role in very small, non-dislocated or minimal fractures in patients with low functional demands. Therapeutically, surgical fracture retention is in the foreground. In the majority of cases, the collateral ligaments have to be reconstructed. Overlooked or incorrectly refixed, coronoid fractures can lead to joint instability and early
development of post-traumatic arthrosis.

Keywords: elbow, coronoid, coronoid fracture, posteromedial
rotational instability, diagnostics, therapy

Citation
Zimmermann F, Schneider MM, Nietschke R, Hollinger B, Burkhart KJ: Posteromedial rotational instability after coronoid fractures of the
anteromedial facet.
OUP 2018; 7: 319–324 DOI 10.3238/oup.2018.0319–0324

1 Ellenbogen- und Schulterchirurgie, ARCUS Sportklinik, Pforzheim

Einleitung

Traumatische Ellenbogenverletzungen mit Verletzung von Weichteilstrukturen oder knöchernen Strukturen können zu einer Instabilität des Ellenbogengelenks führen. Eine der betroffenen – in diesem Fall knöchernen – Strukturen kann der Processus coronoideus ulnae (Coronoid) sein. Dieser nimmt eine wichtige Rolle in der knöchernen Stabilisierung des Ellenbogengelenks ein. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass das Coronoid einer dorsalen Subluxation, einer posterolateralen Rotationsinstabilität (PLRI) und vor allem einer posteromedialen Rotationsinstabilität (PMRI) des Ellenbogens entgegenwirkt [5, 19, 1, 7].

Im Gegensatz zu der am häufigsten auftretenden Instabilität des Ellenbogens – der posterolateralen Rotationsinstabilität (PLRI) – handelt es sich bei der PMRI um eine wesentlich seltener auftretende und weniger häufig beschriebene Instabilität des Ellenbogens. Auch die klinischen Symptome der PMRI sind weniger markant [6]. Ursache für eine posteromediale Rotationsinstabilität des Ellenbogens ist eine Typ-2-Coronoidfraktur (Klassifikation nach O’Driscoll), welche die anteromediale Facette betrifft, bei häufig gleichzeitigem Vorliegen einer MCL-Ruptur. Aufgrund des Unfallmechanismus liegt fast immer auch eine relevante LCL-Verletzung vor.

Coronoidfrakturen werden aufgrund ihrer Größe häufig übersehen oder unterschätzt. Sie können aber mittel- bis langfristig zur vollständigen Destruktion des Ellenbogengelenks führen – vor allem durch die rasche Entwicklung einer posttraumatischen Arthrose. Auch dadurch stellen sie eine besondere Herausforderung an die diagnostischen und therapeutischen Fähigkeiten des behandelnden Chirurgen dar. Ziel des folgenden Artikels soll es sein, die aktuellen Empfehlungen in der Diagnostik und der Therapie von Coronoidfrakturen der anteromedialen Facette und einer damit häufig einhergehenden PMRI darzulegen.

Ätiologie/Anatomie

Das Humeroulnargelenk als Scharniergelenk ermöglicht Flexions- und Extensionsbewegungen des Ellenbogens. Die Gelenkpartner werden gebildet durch die Trochlea humeri und die – sie C-förmig umfassende – Incisura trochlearis ulnae. Den ventralen Anteil der Incisura trochlearis humeri stellt das Coronoid dar. Das Coronoid wird wiederum von medial nach lateral unterteilt in das Tuberculum subliminus, die anteromediale Facette und den Apex.

Die Stabilität des Ellenbogens wird neben der knöchernen Gelenkführung über passive und aktive weichteilige Stabilisatoren gewährleistet. Das Coronoid ist vor allem in Extensionsstellung bei Varusstress ein wichtiger knöcherner Stabilisator des Ellenbogengelenks und dient als knöcherner Stützpfeiler gegen eine dorsale Dislokation der Ulna im Humeroulnargelenk [5, 8]. Zu den passiven weichteiligen Stabilisatoren des Ellenbogens zählt unter anderem das mediale Kollateralband (MCL), welches zusammen mit den Flexoren den wichtigsten Stabilisator bei Valgusstress darstellt. Das MCL ist aus 3 Anteilen aufgebaut: dem anterioren Bündel (AML), dem posterioren Bündel (PML) sowie transversen Fasern. Das anteriore und das posteriore Bündel haben gemeinsam am Epicondylus ulnaris ihren Ursprung. Das PML zieht von dort zum Olecranon. Das AML setzt hingegen am Tuberculum subliminus des Coronoids an. Dies ist das biomechanisch wichtigere Bündel. Durch diese unterschiedlichen Verläufe zeigen die beiden Bündel ein gegensätzliches Anspannungsverhalten. Das PML ist bei Flexion maximal angespannt und bei Extension eher locker. Das AML dagegen ist in Extensionsstellungen angespannt und in Flexionsstellungen entspannt. Hervorzuheben ist, dass neben dem MCL auch die Flexoren einen wichtigen Anteil an der Ellenbogenstabilisation bei Valgusstress haben, wie sich in biomechanischen Untersuchungen gezeigt hat. Das anteriore Bündel des MCL alleine kann maximale Belastungen von etwa 33 Nm bewältigen. Bei sportlichen Belastungen, wie z.B. bei Tennisaufschlägen, wirken allerdings Valguskräfte von bis zu 60 Nm auf den Ellenbogen [2, 3]. Dies hebt die Wichtigkeit der Flexoren als dynamischer Stabilisator des Ellenbogens, die diese Differenz kompensieren müssen, hervor.

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