Übersichtsarbeiten - OUP 06/2018
Posteromediale Rotationsinstabilität nach Coronoidfrakturen der anteromedialen Facette
Aufgrund dessen spielt die konservative Therapie eigentlich nur bei Patienten mit niedrigem funktionellem Anspruch oder sehr kleinen Frakturfragmenten mit geringer bzw. ohne Dislokation eine Rolle. Unklar bleibt allerdings weiterhin, bis zu welcher Fragmentgröße ein konservativer Therapieversuch empfohlen werden kann. In einer biomechanischen Untersuchung von Beingessner et al. zeigte sich eine erhöhte Gelenkinstabilität nach Frakturen, die mehr als 50 % der Coronoidhöhe betreffen, sodass die Autoren in diesen Fällen eine operative Therapie empfehlen [1]. Für Typ-2-Frakturen nach O’Driscoll ist diese Frage weiterhin nicht abschließend geklärt.
Vor allem bei jungen Patienten mit hohem funktionellen Anspruch an den Ellenbogen im Sport oder im Beruf ist allerdings unserer Erfahrung nach die Indikation zur operativen Therapie vor allem auch aus prognostischer Sicht sehr großzügig zu stellen.
Die operative Therapie im Sinne einer Refixation der Fragmente sollte dann innerhalb weniger Tage nach Trauma erfolgen. Danach erschweren schnell einsetzende Vernarbungen häufig eine klare Abgrenzung der Fragmente und beeinträchtigen damit eine anatomisch korrekte Refixation. Aber auch in der posttraumatischen Akutphase sind die Weichteile aufgrund der starken Einblutung nur schwer zu differenzieren und damit zu operieren. Für den Erfolg der operativen Versorgung muss allerdings eine anatomisch korrekte Refixation der Fragmente am Ursprungsort sowie eine Wiederherstellung der Bandkontinuität gewährleistet sein.
Von uns und anderen Autoren wird zur Versorgung von Coronoidfrakturen (Abb. 4) ein medialer Zugang mit Flexorensplit [6] angewandt und empfohlen, sofern nicht schon eine Abrissverletzung der Flexoren den Zugang vorgibt. Gegebenenfalls kann auch ein Hotch-kiss-Zugang („over the top“) in bestimmten Fraktursituationen sinnvoll sein. Optional können auch arthroskopische Techniken zur operativen Versorgung angewandt werden, die eine große Erfahrung des Chirurgen voraussetzen. Generell sollte bei allen offenen Operationen zur Frakturversorgung auf eine sichere Darstellung des Nervus ulnaris zur Verhinderung einer Ulnarisschädigung geachtet werden. Die Frakturretention kann bei sehr kleinen Fragmenten über transossäre Nähte, Fadenankersysteme, Drähte oder (kanülierte) Schrauben erfolgen. Bei größeren Fragmenten ist die Frakturretention mittels Schrauben- oder Plattenosteosynthese zu empfehlen [6]. Häufig wird im Rahmen von Typ-2-Frakturen eine Ruptur des MCLs beobachtet. In aller Regel kommt es dabei zu einem humeralen Ausriss des MCLs. Neben dem biomechanisch wichtigeren AML ist häufig auch das PML rupturiert. Bei Typ-2.3-Frakturen nach O’Driscoll stellt die Fraktur des Tuberculum subliminus den knöchernen Ausriss des AML dar. Zum Erhalt einer medialen postoperativen Ellenbogenstabilität muss vor allem das anteriore Bündel des medialen Kollateralbands intraoperativ unbedingt evaluiert und gegebenenfalls rekonstruiert werden. Im eigenen Vorgehen wird auch das PML rekonstruiert, da dieses gerade bei der posteromedialen Instabilität eine wichtige Rolle spielt. Die Reinsertion kann transossär oder mittels Fadenankersystemen erfolgen. Nicht selten zeigen sich komplexe Rupturen des AML. In diesen Fällen kann ein additives Internal Bracing hilfreich sein. Eine Verletzung des direkt benachbarten N. ulnaris muss unbedingt vermieden werden.
Nach erfolgreicher Retention der Fraktur der anteromedialen Facette empfehlen wir grundsätzlich, den lateralen Bandapparat sowie den gemeinsamen Extensorenursprung zu prüfen und gegebenenfalls auch zu rekonstruieren. Dies ist von elementarer Bedeutung. Auch wenn die oberflächlichen Fasern intakt scheinen, sind meist Verletzungen der tieferliegenden Muskel- und Sehnenansätze vorhanden. Durch eine Rekonstruktion des lateralen Bandapparats wird die Gelenkstabilität erhöht, was zu einer Verringerung der Varuslast auf den Ellenbogen führt. Letztlich führt dies zu einer Reduktion der Belastung des rekonstruierten Coronoids [11, 6, 20].
In der aktuell vorhandenen Literatur zeigen sich gute postoperative Ergebnisse der operativen Versorgung. In der oben genannten Studie von Ring und Dornberg zeigten die 12 Patienten, die eine stabile Fixation der anteromedialen Facette hatten, gute bis exzellente Funktionen sowie eine gute ROM des Ellenbogens [17]. Auch die 15 von Lee et al. nachuntersuchten Patienten mit plattenosteosynthetisch versorgten Typ-2- und -3-Coronoidfrakturen hatten gute klinische Ergebnisse im MEPS und eine mittlere ROM von 116° [9]. In der retrospektiven Studie von Park et al. hatten 11 Patienten mit anteromedialer Facettenfraktur einen durchschnittlichen MEPS von 89 Punkten und eine mittlere ROM von 128°. Kleine Typ-2.1-Coronoidfrakturen versorgten sie mit Fadenankersystemen, größere Typ-2.2- und -2.3-Frakturen wurden auch von ihnen plattenosteosynthetisch versorgt [13].
Komplikationen
Aufgrund der diagnostischen Schwierigkeiten in der konventionellen Röntgendiagnostik bei oft nur kleinen Frakturfragmenten, werden Coronoidfrakturen häufig übersehen bzw. als nicht interventionsbedürftig gewertet. Als Folge dessen entwickeln die Patienten kurz- bis mittelfristig häufig Ellenbogenschmerzen und eine eingeschränkte Funktionalität bis hin zur posttraumatischen Arthrose. Eine beobachtete Komplikation der operativen Therapie von Coronoidfrakturen ist eine Neuropathie im Bereich des Nervus ulnaris. Zur Verletzung des Nervs kann es vor allem durch auftragende Materialen und iatrogen im Rahmen der osteosynthetischen Versorgung kommen.
Bei anatomisch nicht korrekter Refixation oder nicht therapierter Coronoidfraktur kann aufgrund der Kombination von bestehender Inkongruenz des humeroulnaren Gelenks durch den knöchernen Defekt sowie der Gelenkinstabilität eine schnelle Entwicklung einer posttraumatischen Arthrose drohen [11, 14].
Weiterhin kann es durch einen chronischen Coronoiddefekt mit einer posteromedialen Instabilität nach Coronoidfrakturen zum Aufreiten der Trochlea auf dem Coronoiddefekt und damit zur Entstehung von trochleären Knorpelschäden kommen. Zur Wiederherstellung des Coronoids kann deshalb eine Coronoidaufbauplastik (Abb. 5) notwendig sein. Wir empfehlen, hierzu einen autologen Beckenkammspan zu verwenden. Dadurch kann die ursprüngliche Höhe der Incisura trochlearis wiederhergestellt werden. Allerdings handelt es sich dabei um eine nicht anatomische Rekonstruktion des Coronoids ohne Knorpelüberzug mit den bekannten potenziellen negativen Folgen. Ist im gleichen Eingriff eine Radiuskopfresektion erforderlich, kann ggf. ein Teil des Radiuskopfs für den Coronoidaufbau verwendet werden. Dies würde den Vorteil bieten, dass auch der Span hyalinen Knorpel trägt. Einige Autoren empfehlen auch die Verwendung der Olecranonspitze als knorpeltragendes Graft. Der mit der Olecranonspitze erreichbare Höhenaufbau ist jedoch deutlich limitiert. Eine gute Fixation des Grafts wird über eine Platten- oder Schraubenosteosynthese erreicht. Im gleichen Eingriff empfehlen wir zusätzlich die Durchführung einer medialen Seitenbandplastik mit einem Gracilistransplantat. Wie in der Akutsitutation verbleibt in aller Regel auch eine laterale Instabilität, die mittels LUCL-Plastik therapiert werden sollte. Dies erfolgt in unserem Vorgehen meist zweitzeitig.