Übersichtsarbeiten - OUP 11/2016
Prospektive Untersuchung zur Therapiebedürftigkeit von Osteoporosepatienten im Hinblick auf die DVO-Leitlinie 2014
In einem 9-monatigen Zeitraum vom 01.05.2015 bis zum 31.01.2016 wurden bei insgesamt 215 Patienten detaillierte osteologische Befunde erhoben. Hierbei handelte es sich um Patienten der Fachkliniken Hohenurach in Bad Urach, die während dieser Zeitspanne zu einer rehabilitativen Maßnahme, vorwiegend zu einer Anschlussheilbehandlung, stationär betreut wurden. Einschlusskriterium für alle Patienten war die Empfehlung zur osteologischen Basisdiagnostik nach der DVO-Leitlinie 2014, somit alle Patienten, bei denen das geschätzte 10-Jahres-Risiko für Wirbelkörper- und proximale Femurfrakturen bei > 20 % vorlag. In diesen Fällen erfolgte eine eingehende klinische Aufnahmeuntersuchung mit Erhebung eines körperlichen Untersuchungsbefunds, eine Laboruntersuchung, eine exakte Erfassung von Risikofaktoren mit Hilfe eines Fragebogens und letztlich eine DXA-Messung (Pencilbeam-DXA-Scanner, GE Lunar DPX IQ, Madison, WI, USA).
Die Bearbeitung der jeweiligen Messergebnisse wurde von einem Osteologen vorgenommen. Die ermittelten Befunde wurden 2 voneinander unabhängigen Untersuchern mit osteologischen Kenntnissen vorgelegt. Diesen waren die Patienten nicht persönlich bekannt. Die Aufgabenstellung an beide untersuchende Ärzte war es, die Risikofaktoren zu benennen, eine Therapieempfehlung abzugeben mit klarer Festlegung bezüglich der Indikation einer spezifischen Therapie sowie die Benennung der Präparateempfehlung. Erst nach Befundung aller 215 Datensätze erfolgten dann die statistische Erfassung und Auswertung.
Kasuistik
Der Altersmittelwert der 215 Patienten betrug 71,7 Jahre bei einer Standardabweichung von ± 9,82 Jahren. Das Patientengut umfasste 43 Männer nach dem 60. Lebensjahr sowie 172 postmenopausale Frauen, was einer Geschlechterverteilung von 1:4 (m:f) entspricht.
Bei 20 der untersuchten Patienten (9,3 %) ließen sich durch Anamnese und den klinischen Befund keine Risikofaktoren bis auf das höhere Lebensalter finden. Bei den restlichen 195 Patienten (90,7 %) lagen ein bis mehrere Risikofaktoren vor. Hier wurden nur solche berücksichtigt, die Einfluss auf die Therapieindikation nach der DVO-Leitlinie 2014 nahmen.
Bei der Erhebung der Messwerte ergab der Mittelwert aller 215 Einzelwerte einen T-Score von –1,95 bei einer Standardabweichung von ± 1,28. Als bester Wert wurde ein T-Score von +1,3; als schlechtester Wert ein T-Score von –4,2 ermittelt. Als für die Therapieentscheidung relevanter Messwert wurde der schlechteste T-Score-Wert der Regionen Gesamt-LWS, Hüftgelenk gesamt und Schenkelhals gewertet.
Die Verteilung der T-Score-Werte stellte sich wie in Tabelle 1 gezeigt dar. Somit wurde bei 35 Patienten ein Normalbefund, bei 100 Patienten eine Osteopenie und bei 80 Patienten eine Osteoporose festgehalten (Tab.1 und Abb. 5)
Ergebnisse
Therapieempfehlung für eine
spezifische Therapie
Insgesamt wurde durch Untersucher A in 115 von 215 Fällen eine Indikation für eine spezifische medikamentöse Therapie gestellt. Von diesen 115 Fällen hatten 42 Fälle eine diagnostizierte Osteopenie, 73 Patienten eine Osteoporose. Nur in 5 Fällen war der T-Score > –2,0. Diese 5 Fälle wären nach der DVO-Leitlinie 2009 nicht als therapiebedürftig eingestuft worden.
Von den 215 untersuchten Patienten wurde von Untersucher B bei insgesamt 113 Patienten die Notwendigkeit einer spezifischen medikamentösen Therapie gesehen. 40 Fälle davon hatten die Diagnose Osteopenie und 5 Fälle einen T-Score von > –2,0, diese Fälle hätten ebenfalls nach der DVO-Leitlinie 2009 noch keine Therapieempfehlung erhalten. Insgesamt wurde von Untersucher A 115-mal und von Untersucher B 113-mal eine medikamentöse Therapieempfehlung ausgesprochen. Ein statistisch signifikanter Unterschied konnte hier nicht ermittelt werden. Eine Übereinstimmung bezüglich der Therapieindikation ergab sich in 198 Fällen. In 105 der übereinstimmenden Fälle wurde die Einleitung einer Therapie empfohlen. Unterschiedliche Empfehlungen gab es in 17 Fällen, was einer Übereinstimmung von 92 % entspricht.
Bei der genaueren Betrachtung waren die 5 Patienten, bei denen beide Untersucher bei einem T-Score von besser als –2,0 eine Therapieindikation sahen, die gleichen Patienten. Es herrschte somit Übereinstimmung bei der Inanspruchnahme der neuen individuellen Möglichkeiten durch die neue DVO-Leitlinie 2014. Dies betraf aber nur einen kleinen Anteil der Patienten von insgesamt 2,3 %.
Präparatewahl
Von den 115 Fällen, bei denen von Untersucher A die Indikation zu einer spezifischen Therapie gestellt wurde, verteilten sich die Häufigkeiten für die empfohlenen Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen folgendermaßen:
50 Patienten erhielten eine Empfehlung für Denosumab, 50 Patienten für ein orales Bisphosphonat, 7 für ein parenterales Bisphosphonat, 5 für einen SERM (selektiver Estrogenrezeptormodulator) und 3 für Teriparatid.
In den 113 Fällen, bei denen die Indikation für eine spezifische Therapie von Untersucher B gestellt wurde, verteilten sich die Häufigkeiten für die empfohlenen Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen anders: 95 Patienten erhielten eine Empfehlung für ein Bisphosphonat, davon 86 Patienten für ein orales Präparat, 9 für ein parenterales. Des weiteren erhielten 18 Patienten eine Therapieempfehlung für Denosumab, kein Patient für andere Präparate wie SERM, Teriparatid oder Strontiumranelat.
Eine Übereinstimmung bezüglich der Präparatewahl bestand bei 67 von 105 Fällen, was einem Wert von 63,8 % entspricht (Abb. 6).
Einzelbetrachtung der unterschiedlich beurteilten Fälle
Die Betrachtung der 17 Einzelfälle, bei denen keine Übereinstimmung bezüglich einer notwendigen Therapie zwischen den Untersuchern herrschte, zeigte, dass es bei 5 Patienten zu einem „Übersehen“ eines niedrigeren T-Scores oder eines Risikofaktors durch einen der beiden Untersucher kam, was somit als unbeabsichtigte Fehlbeurteilung eingeschätzt werden kann. Bei den restlichen 12 Einzelfällen handelte es sich 7-mal um Grenzfallentscheidungen, die bei Untersucher A in 5 Fällen, bei Untersucher B in 2 Fällen zu einer positiven Therapieempfehlung führten. Insgesamt 3 mal wurde der Risikofaktor Aromatasehemmer-Therapie von Untersucher B stärker gewertet, als in der Leitlinie vorgesehen. In 2 Fällen entschied einer der Untersucher außerhalb der Leitlinienvorgaben.