Übersichtsarbeiten - OUP 11/2016

Prospektive Untersuchung zur Therapiebedürftigkeit von Osteoporosepatienten im Hinblick auf die DVO-Leitlinie 2014

Die Doppelbefundung von insgesamt 215 Aktenlagen zur Überprüfung der Validität der neuen DVO-Leitlinie 2014 erbrachte im Wesentlichen 2 verschiedene Aussagen:

Zum einen lag eine Übereinstimmung bezüglich einer generellen Therapieindikation in 92 % vor, was darauf hindeutet, dass die neue DVO-Leitlinie für die grundsätzliche Entscheidung einer spezifischen Behandlung durchaus allgemeingültige Aussagen macht.

An verschiedenen Stellen wurden in der Neufassung 2014 dem behandelnden Arzt individuelle Freiheiten geschaffen; diese zeigten sich im Kapitel für die generelle Indikation einer medikamentösen Osteoporosetherapie. Hier wurde die Möglichkeit eingeräumt, bei radiologisch typischer Wirbelkörperfraktur oder proximaler Oberschenkelfraktur ganz ohne weitere Diagnostik eine medikamentöse Behandlung einzuleiten. Zusätzlich wurde für die oben genannten Fälle und auch bei einer hochdosierten Glukokortikoid-Therapie die Möglichkeit geschaffen, bei einem T-Score von > –2,0 eine Behandlungsindikation zu stellen.

In unserer prospektiven Studie zeigten 5 Fälle die Inanspruchnahme dieser neuen Entscheidungsfreiheit bei beiden Untersuchern gleichermaßen.

Die zweite entscheidende Kernaussage dieser Studie zeigt das Verordnungsverhalten bezüglich der Präparatewahl. Hier ergaben sich mit nur 63,8 % weniger Übereinstimmungen der beiden Untersucher als bei der grundsätzlichen Frage einer Therapie.

Nach der BEST-Studie (Bone evaluation Study) von Hadji et al. [7, 8], die 2013 veröffentlicht wurde, jedoch Datensätze von 2009 beinhaltet, wurde von allen verordnenden Ärzten bei TK-Versicherten mit Osteoporose in 15,2 % der Fälle Bisphosphonate verschrieben. Nur in 3,1 % wurden andere Medikamente verordnet. Denosumab wurde dabei noch nicht berücksichtigt. Vermuten lässt sich, dass hier der Kostendruck durch die gesetzlichen Krankenkassen im Vordergrund stand, was auch aktuell bei Untersucher B die vorwiegende Wahl oraler Bisphosphonate erklären mag. Ob das Verordnungsverhalten in dieser Form sinnvoll ist, lässt sich anhand der Studienlage (BEST-Studie 2013) bezweifeln. Denn bei insgesamt schlechter Patientencompliance zeigten die oralen Bisphosphonate im Vergleich zu anderen Medikamenten mit 72 % Therapieabbrechern nach einem Jahr die schlechtesten Ergebnisse.

Betrachtet man die Präparatewahl von Untersucher A in unserer Studie, so ergibt sich ein anderes, etwas vielseitigeres Bild. Bei annährend 50 % der therapiebedürftigen Patienten wurde ein gegenüber dem Goldstandard Bisphosphonat alternatives Medikament empfohlen. Bei dieser Präparatewahl befürchtet einerseits ein verordnender Allgemeinmediziner Regress-Forderungen durch die gesetzliche Krankenversicherung, andererseits stellt sich bei jüngeren Patienten, die das 60. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, auch die Frage nach dem sinnvollen Langzeitmanagement der Erkrankung. Muss in solchen Fällen eine Lebensspanne von 30 Jahren oder noch länger überbrückt werden, so ist das Behandlungsregime zu überdenken. Gegebenenfalls sollte dann in jüngeren Jahren noch die Möglichkeit einer hormonähnlichen Therapie, z-B. mit einem Medikament der Gruppe SERM genutzt werden, damit im fortgeschritteneren Lebensalter noch Bisphosphonate und Denosumab als Reserve eingesetzt werden können. Eine weitere Frage bei der Wahl des Präparats ist die Wirkweise der verschiedenen antiresorptiven Medikamente. Da der RANK-Ligand-Inhibitor Denosumab auf Grund seines Wirkmechanismus eine Verbesserung der Knochenqualität auch am kortikalen Knochen erwarten lässt [10], kann eine bessere Effizienz bei Betonung der Osteoporose im Bereich der proximalen Femora vermutet werden. Befragt man zu diesem Thema die neue DVO-Leitlinie 2014, so fehlt auf Grund der schlechten Studienlage jegliche Wertung der Wirkstoffgruppen. Es werden weder Präferenzen noch Therapiedauer der einzelnen Medikamentengruppen benannt. Als einziger Hinweis wird die Überlegenheit von Teriparatid gegenüber anderen Osteoporosetherapeutika bezüglich der Reduktion von Wirbelkörperfrakturen bei schweren Fällen angegeben. Für die oben genannten alternativen Verordnungsgedanken liefert die Leitlinie dem Arzt auch keine Argumentationshilfe gegenüber der Bewilligung teurerer Antiosteoporotika bei den Krankenkassen.

Schlussfolgerung

Als Fazit lässt sich sagen, dass die DVO-Leitlinie 2014 ein valides Instrument ist, die Therapienotwendigkeit von Osteoporosepatienten festzustellen. Sie lässt gleichzeitig in gewissem Umfang individuelle Entscheidungen zu. Für die Wahl des Therapeutikums ist die Leitlinie allerdings nur eingeschränkt aussagekräftig.

Interessenkonflikt: Keiner angegeben

Korrespondenzadresse

Katja Reinboth

Fachkliniken Hohenurach

Abteilung Orthopädie und Unfallchirurgie

Immanuel-Kant-Str.31

72574 Bad Urach

Katja.reinboth@

fachkliniken-hohenurach.de

Literatur

1. Bischoff HP, Heisel J, Locher H: Praxis der konservativen Orthopädie. Stuttgart: Thieme Verlag, 2007

2. Bone HG, Chapurlat R: The effect of three or six years of denosumab exposure in women with postmenopausal osteoporosis: results from the FREEDOM extension. The Journal of clinical endocrinology and metabolism 2013; 98: 4483–92

3. Briggs AM, Greig AM, Wark AD, Fazzalari NL, Bennell KL: A review of anatomical and mechanical factors affecting vertebral body integrity. Int. J. Med. Sci. 2004; 1: 170–180

4. DVO-Leitlinie Osteoporose 2014: Kurz- und Langfassung. Dachverband Osteologie e.V. www.dv-osteologie.org/uploads/Leitlinie%202014

5. Hadji P: GRAND: the German retrospective cohort analysis on compliance and persistence and the associated risk of fractures in osteoporotic women treated with oral bisphosphonates. Osteoporos Int. 2012; 23: 223–31

6. Hadji P: Aromatasehemmer-induzierte Osteoporose. Osteologie 2010; XX: 144–148

7. Hadji P, Klein S, Gothe et al.: The epidemiology of osteoporosis – Bone Evaluation Study (BEST): an analysis of routine health insurance data. Dtsch Arztebl Int 2013; 110: 52–7

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