Übersichtsarbeiten - OUP 03/2019
Rekonstruktion der originären Beinachse und Gelenklinie in der Knietotalendoprothetik
Heutzutage können Operateure zwar unter einer großen Spannbreite von Komponenten wählen, inklusive Standardbreiten und schmaleren Versionen, in manchen Systemen auch asymmetrische Tibiakomponenten. Allerdings sind die anatomischen Variationen nicht nur auf die Breiten beschränkt, sondern umfassen zahlreiche andere Faktoren wie die Trapezoidität des distalen Femurs [7], die Radien der beiden femoralen Condylen [14], die Schrägheit der Gelenkfläche [3] und der Form von Trochlea und Tibiaplateaus [8]. Die beschriebene Variabilität der Morphotypen spiegelt die Worte von John Insall wider, der davor warnte, dass man vorsichtig sein sollte zu beschreiben, was normal ist, da eine signifikante individuelle Variation bestehe, ebenso die von Werner Müller, der darauf hinwies, dass nichts so konstant sei wie die Variabilität der Anatomie. Daher können die Größen und Formvarianten der konventionellen Knieprothesen kaum die Variabilität des menschlichen Kniegelenks abdecken, und eine Überdimensionierung wurde in bis zu 76 % am Femur und bis zu 90 % an der Tibia beschrieben. Ebenso wurde gezeigt, dass ein Überhang der Implantate das Risiko von residuellem Schmerz und Steifigkeit erhöht und die funktionellen Ergebnisse negativ beeinflusst [9, 10, 18].
Da das periartikuläre Weichteilgewebe nicht elastisch ist, erzeugt die Implantation einer mechanisch ausgerichteten Prothese eine ligamentäre Imbalance, einen veränderten Patellalauf und Steifigkeit. Diese Nachteile werden adressiert durch technisch-operative Tricks wie Band-Release [24, 25], zusätzliche Außenrotation der femoralen Komponente [5, 4] und z.B. kinematisches Alignment [15], welche alle eine „palliative“ Lösung für die nicht anatomische Form der Prothesen und die Veränderung des nativen Alignments darstellen. Es ist daher wichtig zu verstehen, dass Ausrichtung und Implantatdesign eng miteinander verknüpft sind und nicht einzeln betrachtet werden können.
Achsausrichtung in der
Knietotalendoprothetik
In den frühen Tagen der Knieendoprothetik wurde die sog. mechanische Achsausrichtung bevorzugt (mechanical alignment, MA), welche auf eine gerade Beinachse von 180° abzielt (neutral alignment), erreicht durch orthogonal Knochenschnitte in Beugung und Streckung. Ein perfekt gerades Bein von 180° spiegelt nicht die durchschnittliche natürliche Beinachse wider, wurde aber aus den Gründen der Reproduzierbarkeit und der Lastverteilung gewählt, um Polyethylenabrieb und Lockerungen zu minimieren [21]. Die durchschnittliche natürliche Schrägheit der Gelenkfläche (joint line obliquity, JLO) beträgt 3°, allerdings verbunden mit großen interindividuellen Variationen, ausgedrückt durch den mechanischen medialen distalen Femurwinkel (mMDFA), den mechanischen medialen proximalen Tibiawinkel (mMPTA) und die Gelenkflächenkonvergenz.
Die native Schrägheit der Gelenkfläche kann mit klassischen, orthogonalen Knochenschnitten fast nie wiederhergestellt werden. Daher resultieren asymmetrische Knochenresektionen und eine iatrogene Instabilität. Das anatomische Alignment (AA) zielt zwar immer noch auf eine gerade Beinachse (180°), versucht aber durch leicht schräge Knochenschnitte (3°) die durchschnittliche Schrägheit der Gelenklinie wiederherzustellen.
Das später eingeführte kinematische Alignment (KA) adaptiert die Position der Implantate in der Frontalebene an die Weichteile und erhölt dadurch das native Alignment der unteren Extremität. Hierbei unterscheidet sich die Orientierung der Komponenten (Varus-Valgus und Schrägheit der Gelenklinie) zwischen verschiedenen Patienten (patientenspezifische Positionierung), was bei Standardimplantaten eine Diskrepanz zwischen Knochen und Implantat hervorruft. Dieses Konzept muss daher in irgendeiner Weise mit der patientenspezifischen Anpassung der Implantate verknüpft werden.
Patientenzufriedenheit mit der Standard-Knieprothese
Entgegen der zunehmenden Standzeit von Knieendoprothesen aufgrund von Innovationen im Material, Design und Operationstechniken verbleibt die Zufriedenheit der Patienten nach einer Knieprothese bei ca. 75–89 %, mit den 3 Haupteinflussfaktoren: residueller Schmerz, funktionelles Ergebnis und präoperative Erwartungen [1, 6, 11, 20]. In einer multizentrischen Analyse nicht selektierter Patienten mit verschiedenen Implantaten waren nur 62 % komplett schmerzfrei während des Gehens, nur 35 % während des Treppengehens, und 40 % hatten Schmerzen beim Laufen. Nur 48 % der Patienten waren „sehr zufrieden“ mit dem Eingriff, und 68 % empfanden ihr Knie als „normal für ihr Alter“.
Entwicklung einer patientens
pezifischen Prothese
Die patientenspezifische Origin-Knieendoprothese (Symbios, Yverdon-les-Bains, Schweiz) wurde zwischen 2012 und 2017 entwickelt und ist seit 2018 CE-zertifiziert (Abb. 1). Dieses System wurde designt, um die native, präarthrotische Anatomie des Kniegelenks wiederherzustellen, unter Verwendung einer patientenspezifischen Einmalinstrumentation. Die Hauptziele sind:
- 1. Optimierung der Passform, um Unter- oder Überhänge zu vermeiden
- 2. Verbesserung der Gelenkstabilität durch Vermeidung von iatrogenen Instabilitäten durch asymmetrische Knochenschnitte
- 3. Verbesserung der Mid-Flexion-Stabilität und Kinematik durch Erhalt der nativen Kurvaturen beider Femurcondylen
- 4. Verbesserung des Patellalaufs durch Wiederherstellung der nativen femoralen Rotation und einer patientenspezifischen Trochleaform
- 5. Erhalt der individuellen, präarthrotischen Beinachse.
Design des
Origin-Implantats
Die Origin-Knieprothese ist ein posterior-stabilisierter Oberflächenersatz mit einem proportionalen Cam-post-Mechanismus, welcher ab einer Flexion von 60° greift (Abb. 1). Der intercondyläre Kasten ist ebenfalls größenproportional, um den Knochenverlust zu minimieren. Zwischen 0° und 60° Beugung wird die antero-posteriore Stabilität durch die Form des Polyethyleninlays mit einer spezifischen anterioren Ultrakongruenz gewährleistet. Die meisten der vorhandenen Prothesendesigns, egal ob das hintere Kreuzband erhaltend (CR) oder ersetzend (PS oder UCOR), stabilisieren die femorale Komponente nicht ausreichend während der zunehmenden Flexion und erlauben dadurch ein paradoxes, femorales Vorwärtsgleiten, welches den patellofemoralen Druck erhöht und den Hebelarm des M. quadriceps verringert.
Die femorale Komponente reproduziert die Form des nativen Femurs, in Bezug auf die Konturen, die Radien der Kurvatur und die Schräge der Gelenklinie. Da das femorale Implantat und die Instrumentation die natürliche Form des Femurs wiederherstellen, benötigt man keine zusätzliche femorale Rotation und das Design ist mit der Ausrichtung direkt verbunden. Daher werden keine intraoperativen Anpassungen von distalem Femurschnitt oder femoraler Rotation notwendig.