Übersichtsarbeiten - OUP 11/2017
Schaftlose inverse Schulterendoprothetik zur Behandlung der DefektarthropathieKlinische und radiologische ErgebnisseClinical and radiological results
Bei einem Patienten kam es zu einer Fehllage der humeralen Komponente, welche am 1. postoperativen Tag diagnostiziert wurde. Der Patient wurde mit einer Schaftimplantation versorgt (Abb. 8).
Ein Patient wurde aufgrund eines Low-grade-Infekts zweizeitig auf ein anderes inverses Prothesendesign gewechselt. Ein Patient zeigte einen postoperativen Nervenschaden mit führender Medianusstörung. In einem Fall wurde ein symptomatisches Os acromiale mittels Osteosynthese versorgt.
Bei einem Patienten kam es zu einer Luxation in der 6. Woche postoperativ (Abb. 9). Es erfolgte ein Inlaywechsel und Kapselrelease. Eine erneute 2. Luxation ereignete sich 3 weitere Wochen postoperativ, welche erneut mittels Kapselrelease und nun Anlage eines Thoraxabduktionsgipses für 6 Wochen behandelt wurde.
Scapular Notching wurde in 6 Fällen beobachtet (12 %), darunter 4-mal Grad 1 und 2-mal Grad 2.
Diskussion
Das funktionelle klinische Outcome, erfasst durch die Scores mit einer prä- zu postoperativen Differenz im alters- und geschlechtsadaptierten CM-Score von 69 % und im DASH-Score von 42 Punkten, liegt im Bereich anderer inverser Kurz- [3, 29] oder Standardschaft-Prothesendesigns [8, 12, 13, 34]. Auch die bisherigen veröffentlichten inversen TESS-Studien konnten ähnliche Ergebnisse berichten: Moroder et al. [31] verglichen 24 Patienten mit einer schaftlosen inversen TESS-Prothese mit 24 Patienten, die mit einer konventionellen inversen Schaftprothese versorgt wurden. Indikation war in allen Fällen die Defektarthropathie. Nach einem Follow-up von 35 Monaten zeigte sich im Constant-Murley- und ASES-Score kein signifikanter Unterschied bezüglich des klinischen Outcomes. Teissier et al. [41] konnten bei 91 inversen TESS-Prothesen bei einem Follow-up von 41 Monaten einen Anstieg des Constant-Score von präoperativ 40 auf postoperativ 68 beobachten. Kadum et al. [21] konnten bei 37 Patienten mit inversen TESS-Prothesen, wovon jedoch nur 16 schaftlos implantiert wurden, im Quick-DASH-Score und im EQ-5D-Score ebenfalls signifikante Verbesserungen beobachten. Ballas et al. [4] beschrieben bei 56 Patienten einen Anstieg des CM-Scores von 29 auf 62 nach durchschnittlich 58 Monaten.
Die Rate der in der Studie beobachteten Komplikationen liegt ebenfalls im Bereich der Literatur [47]. Wurde vor einigen Jahren noch der Fokus mehr auf die Komplikationen der glenoidalen Komponente hinsichtlich Scapular Notching und Lockerungen gelegt [10, 22, 28], so sind diese zwar immer noch präsent, jedoch wird zunehmend von Komplikationen im Bereich der humeralen Komponente berichtet. Regelmäßig beschriebene Komplikationen sind Stress Shielding, intraoperative periprothetische Frakturen oder komplizierte traumatische periprothetische Frakturen [24, 36, 38, 46]. Pascal Boileau berichtet 2016 [9] von Erfahrungen mit 825 inversen Grammont-Prothesen bzgl. Komplikationen und Revisionen. Insgesamt waren 84 Reinterventionen nötig. Nach Instabilität mit 38 % und Infektionen mit 22 % waren humerale Komplikationen mit 21 % der dritthäufigste Grund für einen erneuten operativen Eingriff. Bzgl. der Instabilität zeigten Patienten mit einer vorherigen Operation, wie z.B. eine endoprothetische Versorgung mit Knochenverlust am proximalen Humerus, ein bis zu 3-fach erhöhtes Luxationsrisiko. In diesem Kontext scheint also ebenfalls eine knochensparende Alternative in der Schulterendoprothetik von Interesse.
In der vorliegenden Fallserie war eine frühe Revision einer humeralen Komponente nötig, diese sollte als Implantationsfehler angesehen werden. Kadum et al. [21] mussten am 3. und 4. postoperativen Tag jeweils eine humerale Komponente aufgrund von Fehllage revidieren und Ballas et al. [4] revidierten aufgrund einer Lockerung am 3. postoperativen Tag eine schaftlose inverse Prothese mittels Schaftverlängerung.
Holschen et al. [17] untersuchten 44 Revisionsfälle, die von einer anatomischen auf eine inverse Schulterprothese gewechselt wurden, und konnten zeigen, dass Patienten, welche zuvor eine schaftlose Prothese implantiert bekamen, ein signifikant besseren Constant-Score postoperativ nach Revision erreichten (82 % vs. 61 %).
Studien, die Revisionen humeraler Komponenten von inversen schaftlosen gegen inverse geschaftete Prothesen im Outcome vergleichen, sind uns zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht bekannt.
Voraussetzung für ein akzeptables funktionelles Ergebnis in der inversen Schulterendoprothetik ist eine adäquate Änderung der Anatomie. Dies beinhaltet vor allem eine Medialisierung des Rotationszentrums sowie eine Distalisierung des Humerus.
Die Medialisierung des Rotationszentrums verschafft dem Deltamuskel einen vergrößerten Hebelarm und ermöglicht die Kompensation der meist stark degenerierten Rotatorenmanschette. Einige Autoren konnten eine Medialisierung von 8–22 mm [1, 7, 20, 37] beschreiben, hier handelt es sich jedoch um verschiedene Messmethoden und auch verschiedene inverse Designs. Eine eine adäquate Medialisierung scheint im Bereich von 15–20 mm zu liegen. Werden die beiden Parameter des HO und LGHO verrechnet, so erhält man in der vorliegenden Studie eine Medialisierung von 19,9 mm.
Die Distalisierung des Humerus wird in den vorliegenden Messungen durch die AHD beschrieben und vergrößerte sich im Schnitt von prä- zu postoperativ um ca. 15 mm. Lädermann et al. [26] beschreiben in einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2014 eine durchschnittliche Armverlängerung von 15–27 mm. Die Autoren empfehlen eine Armverlängerung von 0–2 cm, welche zu einer erhöhten Spannung des Deltamuskels führt. Dies bewirkt sowohl eine verbesserte Funktion als auch Schutz vor Luxationen der Endoprothese. Lädermann et al. [26] beschreiben eine Reihe von Einflussfaktoren, welche die AHD und somit auch die Deltaspannung beeinflussen: 1. Position der Glenosphäre in der Frontalebene, 2. Status des Akromions, 3. Größe der Glenosphäre, 4. exzentrische oder nach inferior getiltete Glenosphäre, 5. Verwendung von Augmenten oder Spacer, 6. Dicke des Polyethyleninlays, 7. Schafttyp. Vergleichende Studien, welche die AHD von schaftlosen und Schaftprothesen vergleichen und nach Möglichkeit die anderen genannten Parameter konstant halten, sind uns bisher nicht bekannt. Die Armverlängerung sollte jedoch mit Sorgfalt angegangen werden, da es bei zu exzessiver Verlängerung zu peripheren neurologischen Läsionen kommen kann [25].