Übersichtsarbeiten - OUP 04/2024
Schmerz, ein Symptom in unserer Kulturgeschichte
In Indien gab es die Vorstellung von bösen Dämonen, die von zornigen Göttern gesandt wurden, als Verursacher verschiedener Krankheiten und Schmerzen. Der eigentlichen Behandlung gingen daher immer Fürbittgebete voraus, um die bösen Geister und die „Besessenheit des Körpers“ zu vertreiben. Im Ayurveda werden 4 Arten von Ärzten genannt – Ärzte für die Wundversorgung, Ärzte für innere Krankheiten, Ärzte gegen Gifte und Beschwörer der bösen Geister [5]. Die buddhistischen Lehren glaubten an die Allgegenwärtigkeit und Universalität des Schmerzes im menschlichen Leben [8].
Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass aus dem überlieferten Wissen der frühen Hochkulturen, wie die im alten Ägypten, Griechenland, Indien und den von jüdischen Völkern bewohnten Gebieten, dass das Vorhandensein von Krankheit und Schmerz als Werk einer höheren Macht angesehen wurde, die den Menschen für Übertretungen bestraft, für die Verletzung von „heiligen Regeln”.
Antike Philosophen spekulierten oft aber auch in eine andere Richtung: Nach Demokrit von Abdera (Hälfte des 5. Jh. v. Chr.) muss der Schmerz das Ergebnis einer Störung der harmonischen Beziehungen zwischen den Atomen des Körpers sein.
Obwohl der Schmerz also gewöhnlich als göttliche Strafe angesehen wurde, wurde er jedoch bereits frühzeitig behandelt. Schmerztherapeutische Bemühungen durch die Verwendung des Opiums können bis zu den Assyrern, Sumerern und alten Ägyptern zurückverfolgt werden [4, 8]. Opium gilt als eines der ersten Schmerzmittel – eine gummiartige Masse aus getrocknetem Saft von unreifem Mohn, insbesondere der weißen Variante des Mohns (Papaver somniferum album). Es unterschied sich von anderen Substanzen durch seinen unerträglichen Geruch, seine helle Flamme beim Verbrennen und seine Löslichkeit in Wasser. Der Saft wurde äußerlich auf schmerzende Gelenke aufgetragen, bei Ohrenschmerzen verwendet, und in Milch gelöstes Opium sollte zur Verbesserung der Schlafqualität dienen [12]. Die Wiege des Mohns ist wahrscheinlich Mesopotamien. Es gibt Hinweise auf die erste schriftliche Erwähnung dieser Pflanze auf sumerischen Tafeln. Der Mohn wurde „hul-gil“ oder „Freudenpflanze“ genannt [13]. Die Verwendung von Opium breitete sich von Ägypten rasch im gesamten Mittelmeerraum aus, hier durch die Griechen und ihren Handel mit den Ägyptern. Im 13. Jh. v. Chr. tauchen im antiken Kreta Figuren der „Mohngöttin und Mohnblumen“ auf, die ein indirekter Beweis für die Verbreitung von Opium sind [5]. Aus der Literatur der antiken Autoren geht hervor, dass Opium in Form von Pillen, Zäpfchen, Einläufen und Umschlägen verwendet wurde, und auch an den Wänden der sog. „Opiumhäuser“ wurden Spuren von Opium gefunden. Ebenso wurden Opiumkrüge – kleine, mohnförmige Gefäße, in denen Opium erhitzt wurde – in der Literatur erwähnt [6]. Die berühmteste Opiumzubereitung der Antike war das sog. thebanische Opium, das von Oberägypten aus in den gesamten Mittelmeerraum exportiert wurde [9].
Ebenso war die Verwendung von Elektrizität zur Schmerzlinderung bei rheumatischen Beschwerden bereits im alten Ägypten und später auch bei den Griechen und Römern bekannt. So gibt es Beschreibungen von Patientinnen und Patienten, die ihre schmerzenden Glieder in ein Gefäß mit elektrisierendem Fisch aus dem Nil oder aus dem Meer (Malopterus electricus, Torpedo mamorata, Gymnotus electric) halten mussten [10, 11], und der Arzt Scribonius Largus beschreibt in seinem Werk „Compositiones medicae“ (ca. 50 n. Chr.) die Verwendung von elektrisierenden Fischen auch zur Behandlung von chronischen Kopfschmerzen. Im Übrigen ist die Verwendung von vergleichbaren Fischen als Teil der Elektrotherapie in der Medizin bis ins 19. Jh. nachweisbar [11].
Erst Hippokrates brachte um 400 v. Chr. eine rationale Sichtweise der Therapie, und ersetzte die religiösen und übernatürlichen Ansichten. Nach Hippokrates Ansicht wurde der Schmerz verursacht durch eine schlechte Mischung (Dyskrasie) der 4 Körpersäfte Blut, Lymphe, gelbe und schwarze Galle. Im Corpus Hippocraticum, geschrieben zwischen 430 und 350 v. Chr., wurde der Behandlung von Schmerzen ein großer Platz eingeräumt: „Divinum opus sedare dolorem“ [3].
Daneben wurde auch die physikalische Medizin zur schmerzlindernden Behandlung eingesetzt, meist in Form von Wärme und Kälte und verschiedenen Bädern [10]. Aristoteles (384–322 v. Chr.) betrachtete das Herz als ein „sensorium commune“, das Zentrum der Sinneswahrnehmung und des Schmerzempfindens. Für ihn bestand die Funktion des Gehirns in erster Linie in der Kühlung der Wärme, die aus dem Herzen kommt [14].
Erst der römische Arzt Galen von Pergamon (130–201 v. Chr.) lokalisierte das sensorische Zentrum des Gehirns als Ausgangspunkt der Nerven und unterschied verschiedene Arten von Schmerzen je nach Ursache [10]. Galen war auch der bekannteste Vertreter der Schule der Dyskrasie, die auf der Erkenntnis beruhte, dass Krankheiten durch ein Ungleichgewicht von Körperflüssigkeiten verursacht werden. Um die Körperflüssigkeiten wieder ins Gleichgewicht zu bringen, empfahl er Reinigung, Spannungsabbau sowie Relaxation. Die Vorstellung einer gestörten Körperharmonie als Ursache von Schmerzen herrschte in vielen Variationen unter Ärzten bis in die frühe Neuzeit vor. Eine plausible (aber unwirksame) Therapie als Folge dieser Ideen war die Verwendung des Aderlasses, um die Mischung der Körpersäfte zu regulieren.
Etwas anders als heute war die weit verbreitete Aufforderung, das Leiden des Schmerzes zu ertragen. Aristoteles (4. Jh. v. Chr.) postulierte: wer Schmerzen klaglos erträgt, zeigt Mut. Der frühe Kirchenvater Augustinus aus dem 5. Jh. pries den Glauben als einzigen Trost bei Schmerzen, eine Position, die wahrscheinlich aus der Verehrung der Tradition der christlichen Märtyrer herrührte.