Übersichtsarbeiten - OUP 11/2014

Traumarehabilitation der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung
Besondere Heilverfahren in den BG-UnfallklinikenSpecial rehabilitation measures in the BG-trauma centers

S. Simmel1, R. Beickert1, V. Bühren1

Zusammenfassung: Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat vom Gesetzgeber den Auftrag, „mit allen geeigneten Mitteln“ den durch Arbeits- und Wegeunfälle verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zumindest zu verbessern. Von der DGUV wurden hierfür in den letzten Jahrzehnten besondere Verfahren entwickelt, z.B. die Berufsgenossenschaftliche Stationäre Weiterbehandlung (BGSW) oder die Erweiterte Ambulante Physiotherapie (EAP). Im Jahr 2012 wurden diese Komplexbehandlungen um die Arbeitsplatz-Bezogene Muskuloskelettale Rehabilitation (ABMR) ergänzt. Bei komplexen Verletzungen und verzögerten Heilverläufen stoßen diese Verfahren jedoch an ihre Grenzen. Deshalb haben die BG-Unfallkliniken eigene, auf die Bedürfnisse von Unfallverletzten zugeschnittene Rehabilitationsverfahren entwickelt.

Neben der komplexen stationären Rehabilitation (KSR) stellen integrierte besondere Reha-Verfahren, z.B. die Neuro-Rehabilitation bei schwer Schädel-Hirnverletzten oder die Rehabilitation nach Querschnittverletzung und weitere spezielle Reha-Verfahren, wie die Tätigkeitsorientierte Rehabilitation (TOR) und die Schmerzrehabilitation, sicher, dass der gesetzliche Auftrag umgesetzt wird.

Schlüsselwörter: Traumarehabilitation, DGUV, BGSW, EAP, ABMR, KSR, TOR

Zitierweise

Simmel S, Beickert R, Bühren V: Traumarehabilitation der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Besondere Heilverfahren in den BG-Unfallkliniken.
OUP 2014; 11: 524–529 DOI 10.3238/oup.2014.0524–0529

Summary: The German Social Accident Insurance (DGUV) has to eliminate or at least to improve by law to „all appropriate means“ accident consequences caused by occupational and commuting accidents. The DGUV developed in recent decades special procedures, such as the „Berufsgenossenschaftliche Stationäre Weiterbehandlung“ (BGSW) or the „Erweiterte Ambulante Physiotherapie“ (EAP). In 2012, the „Arbeitsplatz-Bezogene Muskuloskelettale Rehabilitation“ (ABMR) has been added to this complex treatments. But in complex injuries and delayed healing these methods are reaching their limits. Therefore, the BG-trauma centers have developed their own rehabilitation measures, tailored to the needs of accident victims.

Besides, the „Komplexe stationäre Rehabilitation“ (KSR)
ensures integrated special rehabilitation measures such as neuro-rehabilitation in severely traumatic brain injured
patients or rehabilitation after spinal cord injury, and other special rehabilitation measures such as „Tätigkeitsorientierte Rehabilitation“ (TOR) and the Pain Rehabilitation ensure, that the legal order is implemented.

Keywords: Trauma rehabilitation, DGUV, BGSW, EAP, ABMR, KSR, TOR

Citation

Simmel S, Beickert R, Bühren V: Trauma rehabilitation of the German Social Accident Insurance. Special rehabilitation measures in the BG-trauma centers.
OUP 2014; 11: 524–529 DOI 10.3238/oup.2014.0524–0529

Hintergrund

Die DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) hat die Aufgabe, durch Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation mit allen geeigneten Mitteln den durch einen Arbeits- oder Wegeunfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern. Sie ist für den Patienten von der medizinischen Versorgung bis zur beruflichen Reintegration zuständig. Insbesondere dies ist der große Vorteil des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens: Nur ein Versicherungsträger übernimmt die Kosten der kompletten Behandlung und Rehabilitation. Die gesetzliche Grundlage ist das Sozialgesetzbuch VII. Es gilt der Grundsatz: „Rehabilitation vor Rente“. Um diesen Auftrag umsetzen zu können, sieht der § 34 SGB VII vor, dass die Unfallversicherungsträger „nach Art und Schwere des Gesundheitsschadens besondere Verfahren für die Heilbehandlung vorsehen“ können.

Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat aus diesem Grund differenzierte Heilverfahren entwickelt. Neben dem ambulanten und stationären Durchgangsarztverfahren, dem Verletzungsartenverfahren (VAV) und Schwerstverletzungsartenverfahren (SAV) werden auch Verfahren der Übungsbehandlung beschrieben (EAP, BGSW, ABMR). Neben diesen „offiziellen“ Verfahren der Übungsbehandlung wurden im Laufe der letzten Jahre besondere Rehabilitationsmaßnahmen vom Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung e.V. (KUV) entwickelt. Der KUV besteht aus 9 berufsgenossenschaftlichen Unfallkliniken (BGU), 2 Kliniken für Berufskrankheiten und 2 Unfallbehandlungsstellen. Mitglieder des KUV sind die Rechtsträger dieser Kliniken, 19 Unfallkassen und die gewerblichen Berufsgenossenschaften in Deutschland.

Die Rehabilitationsverfahren der DGUV und das spezielle Angebot der BG-Unfallkliniken werden im Folgenden dargestellt.

Heilverfahren nach
schweren Unfällen

Die medizinische Rehabilitation Schwerverletzter gliedert sich in 3 Phasen [1]:

  • 1. Frührehabilitation während der akutmedizinischen Behandlungsphase,
  • 2. Postakutrehabilitation z.B. Komplexe stationäre Rehabilitation (KSR), berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung (BGSW) etc.,
  • 3. Weiterführende Rehabilitation und Nachsorge z.B. erweiterte ambulante Physiotherapie (EAP), multimodale Schmerztherapie, Rehabilitation nach Psychotrauma, tätigkeitsorientierte Rehabilitation (TOR) etc.

Die Indikation für eine Rehabilitation besteht immer dann, wenn eine entsprechende Schwere der Verletzung vorliegt und langfristige Beeinträchtigungen der Aktivität und Teilhabe drohen. Schon während der Akutbehandlung im Traumazentrum wird deshalb im Rahmen der Frührehabilitation rehabilitationsmedizinische Diagnostik und Therapie so früh als möglich eingesetzt. Konsequenterweise wurde mit der Neustrukturierung der stationären Heilverfahren der gesetzlichen Unfallversicherung zum 01.01.2013 geregelt, dass Unfallverletzte mit schwersten Verletzungen eine sofortige besondere unfallmedizinische Behandlung in speziellen SAV-Krankenhäusern erhalten. Die Zuweisung richtet sich dabei nach dem Verletzungsartenverzeichnis, in dem geregelt ist, welche Fälle dem Schwerstverletzungsartenverfahren zuzuordnen sind. Die SAV-Kliniken müssen im Hinblick auf die Schwere der Verletzungen spezielle personelle, apparative und räumliche Anforderungen erfüllen und zur Übernahme bestimmter Pflichten bereit sein.

Im Hinblick auf die Schwere und die hohe Rehabilitationsrelevanz der SAV-Verletzungen werden nun eine bereits in der Akutphase einsetzende Frührehabilitation sowie eine enge Kooperation mit dem verantwortlichen Unfallversicherungsträger bei der Steuerung des Rehabilitationsprozesses gefordert [2]. Die SAV-Klinik muss sofort einsetzende und bereits die Akutphase begleitende Maßnahmen der Physiotherapie, der physikalischen Therapie und der Ergotherapie gewährleisten. Dies setzt den Einsatz von Akut-Rehabilitationsteams unter fachärztlicher Leitung voraus. Der Durchgangsarzt ist neben der Planung, Veranlassung und Überwachung der therapeutischen Maßnahmen auch verantwortlich für die idealerweise nahtlos anschließenden Behandlungen (insbesondere Physio- und Ergotherapie, EAP und BGSW, KSR).

Die Handlungsanleitungen der DGUV

Die Übungsbehandlungen sind integrale Bestandteile der Heilbehandlung, die gemäß dem gesetzlichen Auftrag „mit allen geeigneten Mitteln“ durchzuführen ist. In der gesetzlichen Unfallversicherung können diese Behandlungen abgestuft als Standard- oder Basistherapie bzw. als ambulante oder stationäre Komplextherapie verordnet werden. Da auch die Unfallversicherungsträger zu wirtschaftlichem Handeln verpflichtet sind, ist bei jeder Verordnung abzuwägen, ob aufwendigere und kostenintensive Therapien im Einzelfall erforderlich sind oder ob das angestrebte Rehabilitationsziel nicht auch durch „einfachere“ Maßnahmen erreicht werden kann.

Vorgaben für die Übungsbehandlungen und Rehabilitationsmaßnahmen sind von der DGUV in sogenannten Handlungsanleitungen beschrieben. Die aktuelle Version für die Verordnung, Durchführung und Qualitätssicherung der Physiotherapie/Krankengymnastik und Physikalischen Therapie, der EAP und der BGSW stammt aus dem Jahr 2008 [3]. Auf diese Verfahren soll im Weiteren näher eingegangen werden. Darüber hinaus werden in der Handlungsanleitung kurz die „sonstigen stationären Maßnahmen“ erwähnt, zu denen auch die komplexen stationären Rehabilitationsmaßnahmen zählen, für die in erster Linie die BG-Unfallkliniken in Betracht kommen. Diese werden im nächsten Kapitel dargestellt. Die ABMR ist ein relativ neues Verfahren, das in einer eigenen Handlungsanleitung 2012 erstmals beschrieben wurde [4].

Physiotherapie/Kranken-gymnastik und
Physikalische Therapie

Zur physiotherapeutischen Behandlung gehören neben den klassischen Techniken auch Gang- und Gebrauchsschulungen, die Verbesserung des Koordinations- und Gleichgewichtsvermögens sowie Stabilisationstraining. Unterstützt werden diese Behandlungen durch physikalische Maßnahmen, welche die Durchblutung sowohl lokal als auch allgemein verbessern und Schmerzen lindern. Solange ein erkennbarer, messbarer Funktionsgewinn zur völligen oder weitestgehenden Wiederherstellung zu verzeichnen ist oder einer kurzfristig drohenden Verschlimmerung vorgebeugt wird, können krankengymnastische und physikalische Maßnahmen verordnet werden. Der reine Erhalt des Status quo stellt jedoch in der Regel keinen Grund für eine langfristige (Dauer-)Therapie dar. Vielmehr wird die Eigenverantwortung des Patienten dadurch gestärkt, dass er Eigenübungen durchführt oder sich einer Rehabilitationssportgruppe anschließt [5].

Eine Verordnung von Leistungen zur Krankengymnastik/Physikalischen Therapie (Formtext F2400) umfasst immer nur 2 Wochen. Danach hat eine Kontrolluntersuchung beim verordnenden Arzt zu erfolgen. Sind die Therapieziele noch nicht erreicht und eine weitere Verbesserung absehbar, ist ggf. eine weitere Verordnung auszustellen. Bereits nach 4 Wochen ist eine Begründung des verordnenden Arztes für die weitere Verordnung erforderlich. Ist kein Funktionsgewinn feststellbar, ist festzulegen, ob die Behandlung abzuschließen ist oder eine Komplextherapie bzw. andere medizinische Maßnahme indiziert ist.

Ergotherapie

2010 wurde die Verordnung und Erbringung von ergotherapeutischen Leistungen für Versicherte der gesetzlichen Unfallversicherung neu geregelt. Grundlage hierfür bildet eine Vereinbarung zwischen dem Verband der Ergotherapeuten und der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Verordnung „Ergotherapie“ (F2402) orientiert sich an der Systematik der Verordnung „Krankengymnastik/Physikalische Therapie“.

Die ergotherapeutische Behandlung dient insbesondere dem Erhalt oder der Wiederherstellung der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL), auch unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Hilfsmittel, und im berufsgenossenschaftlichen Kontext speziell der Wiedereingliederung ins Erwerbsleben. Indiziert ist die Ergotherapie daher insbesondere nach Handverletzungen, Schädel-Hirn-Trauma (z.B. Hirnleistungstraining), chronischen Schmerzen (z.B. Spiegeltherapie) oder bei Problemen mit der Wiedereingliederung an den Arbeitsplatz (z.B. Arbeitstherapie).

EAP

Hierunter versteht man eine zeitliche und inhaltliche Intensivierung ambulanter Rehabilitationsmaßnahmen. Im Rahmen der EAP werden die in den Standardtherapien vorwiegend isoliert zur Anwendung kommenden Behandlungsmaßnahmen – Physiotherapie (Krankengymnastik), Mechanotherapie (z.B. manuelle Lymphdrainage und Massage), Hydro- und Thermotherapie, Elektrotherapie – um die Medizinische Trainingstherapie (MTT) ergänzt. Gemäß der aktuellen Handlungsanleitung ist die Ergotherapie nicht Bestandteil der EAP. Deshalb muss bei entsprechender Indikation neben der EAP-Verordnung (F2410) zusätzlich ein Rezept für die Ergotherapie ausgestellt werden. Die 2014 veröffentlichten neuen Anforderungen für die Beteiligung von Einrichtungen an der Erweiterten Ambulanten Physiotherapie (EAP) führen die Ergotherapie dessen ungeachtet als Behandlungselement auf. Diese soll nach Möglichkeit in den Räumen der EAP-Einrichtung durchgeführt werden, kann jedoch auch in Kooperation erfolgen.

Eine EAP muss dann in Betracht gezogen werden, wenn erkennbar wird, dass mit „herkömmlicher“ Therapie kein Fortschritt erzielt wird. Die EAP als Komplextherapie soll je nach Indikationen und/oder Leistungszustand des Versicherten in möglichst engen Zeitabständen grundsätzlich werktäglich durchgeführt werden und einen Therapieumfang von 2 Stunden täglich nicht unterschreiten. Wie bei der Standardtherapie wird die EAP für 2 Wochen durchgeführt, anschließend erfolgt eine Kontrolluntersuchung und ggf. die neue Verordnung für weitere 14 Tage. Die Behandlung wird fortgesetzt, solange ein erkennbarer und messbarer Funktionsgewinn zu verzeichnen ist. Ist nach einem Behandlungszeitraum von 4 Wochen kein Funktionsgewinn feststellbar, ist vom D-Arzt zu entscheiden, ob die EAP abzuschließen ist oder die nächste Stufe der Komplextherapie indiziert ist. Sollte die EAP über 4 Wochen hinaus erforderlich sein, ist zusätzlich zur Verordnung eine ärztliche Begründung notwendig.

BGSW

Liegt eine schwere Verletzung des Stütz- und Bewegungsapparats oder des zentralen und peripheren Nervensystems vor und wird darüber hinaus festgestellt, dass eine weitere ambulante Behandlung (noch) nicht möglich oder unzureichend ist, sollte eine BGSW veranlasst werden. Sie umfasst die nach Abschluss der Akutbehandlung in zeitlichem Zusammenhang stehenden, medizinisch indizierten stationären Leistungen zur Rehabilitation, insbesondere die intensive Übungsbehandlung.

Die Genehmigung einer BGSW bleibt dem Unfallversicherungsträger vorbehalten, der mittels einer „Verordnung zur Durchführung einer BGSW“ (F2150) informiert werden muss. Bereits innerhalb von 24 Stunden erfolgt die Genehmigung oder Ablehnung durch den Kostenträger, die erst nach erfolgter Kostenzusage beginnen darf. Allerdings gilt die BGSW auch dann als genehmigt, wenn der Unfallversicherungsträger nicht innerhalb der 24-Stunden-Frist (Wochenenden und Feiertage verlängern diese) antwortet.

Die Handlungsanleitung nennt diverse Indikationen für die Durchführung einer BGSW (Tab. 1). Seit 2008 hat sich das rehabilitative Spektrum jedoch weiterentwickelt und es gibt derzeit zahlreiche spezialisierte Verfahren, die diagnosebezogen und angepasst an die Bedürfnisse des Versicherten die Rehabilitation optimieren. Insbesondere die BG-Unfallkliniken haben entsprechende Rehabilitationsangebote entwickelt, die weiter unten ausführlicher dargestellt werden. Vom D-Arzt wird erwartet, dass er diese Angebote kennt und differenziert die geeignetste Maßnahme veranlasst. Beispielsweise sollten Patienten mit Schädel-Hirnverletzungen nahtlos einer neurologischen Rehabilitation zugeführt werden, schwere Handverletzungen einer speziellen handtherapeutischen Rehabilitation oder Polytrauma-Patienten einer komplexen stationären Rehabilitation.

ABMR

Eine wesentliche Weiterentwicklung der Rehabilitationsverfahren der DGUV stellt die Einführung der ABMR im Jahr 2012 dar. Mit ihr soll die medizinische Rehabilitation noch mehr auf den spezifischen Bedarf der Versicherten zugeschnitten werden mit dem konkreten Ziel einer raschen Wiedereingliederung an den bisherigen Arbeitsplatz. Die ABMR orientiert sich am individuell ausgeübten Beruf des Versicherten, der körperlich arbeitet und in seinem Beruf spezifischen körperlichen Arbeitsbelastungen ausgesetzt ist. Von besonderer Bedeutung für die Durchführung einer ABMR ist daher der Abgleich der konkreten Arbeitsplatzanforderungen mit den Fähigkeiten des Betroffenen. Dieser ermöglicht es, den tatsächlichen Rehabilitationsbedarf zu ermitteln und darauf die individuelle Therapieplanung aufzubauen, insbesondere auch arbeitsplatzorientierte Therapiemaßnahmen zu erbringen.

Eine wichtige Voraussetzung für die ABMR ist daher eine ausreichende medizinische Grundbelastbarkeit, die eine mindestens 3 Stunden tägliche arbeitsplatzbezogene Therapie zulässt. Diese wird in der Regel in der zugelassenen ABMR-Einrichtung festgestellt und führt dazu, dass der Rehabilitand aus den herkömmlichen therapeutischen Maßnahmen in die ABMR übergeleitet wird. Wie bei der BGSW ist auch hier die Zustimmung des Unfallversicherungsträgers erforderlich, der diese ggf. auf Antrag innerhalb von 24 Stunden erteilt. Der genehmigte ABMR-Zeitraum beträgt grundsätzlich 2 Wochen und kann vom qualifizierten Arzt der ABMR um 2 Wochen verlängert werden. Darüber hinausgehende Verlängerungen werden von der UV nur auf der Grundlage eines erneuten Abgleichs zwischen der Tätigkeitsanalyse mit dem aktuellen Fähigkeitsprofil entschieden.

Die ABMR kann sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt werden. Sie ist stark auf die körperlichen Defizite des Patienten hin ausgerichtet. Unfallverletzte, die beispielsweise aufgrund psychischer Unfallfolgen, komplexer Verletzungsmuster oder wegen chronischer Schmerzen, Probleme mit der Rückkehr ins Erwerbsleben haben, bedürfen häufig einer multimodalen Behandlung, wie sie eher in der Tätigkeitsorientierten Rehabilitation (TOR) angeboten wird.

Die besonderen
Rehabilitationsverfahren
der BG-Unfallkliniken

Die BG-Unfallkliniken erbringen umfassende, direkt nach dem Versicherungsfall einsetzende Leistungen zur Rehabilitation in unmittelbarer Zusammenarbeit mit dem Reha-Management der UV-Träger und entsprechend dem Handlungsleitfaden Reha-Management der DGUV. Sämtliche oben genannten Rehabilitationsverfahren der DGUV werden an allen Standorten angeboten. Darüber hinaus werden im Sinne der integrierten Versorgung nach dem SGB VII weitere hochwertige Angebote im Bereich der traumatologischen Rehabilitation von den BG-Kliniken vorgehalten.

KSR

Für komplexe Verletzungsmuster und verzögerte Heilverläufe ist das Leistungsspektrum der BGSW oft nicht ausreichend. Die Prüfung möglicher konservativer oder chirurgischer Therapieoptionen erfordert den schnellen Zugang zu verschiedenen akutmedizinischen Fachbereichen und umfangreichen diagnostischen Methoden. Schwerverletzte haben gerade zu Beginn der Rehabilitation häufig einen höheren Pflegeaufwand. Dies ist in einer herkömmlichen Rehabilitationseinrichtung kaum zu leisten und erfordert letztendlich die Infrastruktur eines Traumazentrums.

Aus dieser Verknüpfung von Akutmedizin und Rehabilitation entstand vor einigen Jahren die komplexe stationäre Rehabilitation (KSR) in den berufsgenossenschaftlichen Unfallkliniken. Bei der KSR stehen die umfangreichen diagnostischen, therapeutischen und pflegerischen Leistungen im Vordergrund. Die KSR bleibt den berufsgenossenschaftlichen Kliniken und Sonderstationen als Behandlungsoption vorbehalten.

Die Notwendigkeit solcher intensiver medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen kann sich ergeben, wenn bestimmte Merkmale erfüllt sind (Tab. 2). Insbesondere Polytrauma-Patienten profitieren von der interdisziplinären Zusammenarbeit, der Expertise eines Traumazentrums und dem Erfahrungsschatz des Rehabilitationsteams. Für Fälle posttraumatischer Belastungsstörungen oder bei Fehlverarbeitungen, aber auch zur Schmerzrehabilitation, ist die KSR ebenfalls eine therapeutische Option.

Gemäß der BGSW-Handlungsanleitung kommt eine KSR auch immer dann in Betracht, wenn eine Unverhältnismäßigkeit zwischen Art und Schwere der Verletzung und Dauer des Heilverfahrens bzw. der zu erwartenden Arbeitsunfähigkeit festgestellt wird und demzufolge weitere verstärkte diagnostische und therapeutische Maßnahmen notwendig sind, um eine Teilhabe am Arbeitsleben wieder zu ermöglichen. Ziel ist es, Ursachen der Verzögerungen zu analysieren oder Fehlverläufe der Rehabilitation bzw. bisher unbekannt gebliebene Verletzungsmuster erkennen zu können.

Weitere besondere
Reha-Verfahren

Für besonders komplexe Verletzungen, die einer sehr aufwendigen Rehabilitation bedürfen, wurden integrierte besondere Rehaverfahren etabliert, wie die Komplexbehandlung nach Rückenmarkverletzung, die Neuro-Rehabilitation nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma oder die spezielle Handrehabilitation. Die Besonderheit dieser Verfahren liegt im nahtlosen Übergang von der Akutbehandlung in die Rehabilitation und der engen Abstimmung mit dem Reha-Management des Leistungsträgers.

Im späteren Heilverlauf können spezielle ambulante oder stationäre weiterführende Rehabilitationsmaßnahmen erforderlich werden, beispielsweise bei chronischen Schmerzen oder zur Wiedereingliederung an den Arbeitsplatz.

Schmerzrehabilitation

Wer ein Polytrauma überlebt, leidet oft nicht nur unter erheblichen körperlichen Funktionseinschränkungen, bemerkenswert ist auch, dass viele Patienten noch nach vielen Jahren über mäßige oder extreme chronische Schmerzen klagen. Damit verbunden sind häufig Einschränkungen der Aktivitäten des täglichen Lebens, der Berufstätigkeit und sozialen Partizipation mit allen damit verbundenen psychologischen Folgen. Schmerz ist damit eines der wichtigsten spezifischen Symptome nach Mehrfachverletzung. Abhängig von der Methode berichten 46–85 % der Patienten, die ein Polytrauma überlebt haben, über langfristig bestehende Schmerzen [6, 7].

Die Rehabilitationsabteilungen der BG-Unfallkliniken bieten in Kooperation mit Schmerztherapeuten die Schmerzrehabilitation im Rahmen einer BGSW oder KSR an. Entscheidend ist die Rehabilitationsfähigkeit und die Möglichkeit ein funktions- und teilhabeorientiertes Therapieprogramm durchführen zu können. Steht der Schmerz im Vordergrund ohne greifbare Strukturveränderungen bzw. behandelbare Funktionslimitierung, so wird der Unfallverletzte zunächst einer spezialisierten Schmerztherapie zugeführt, bis er in der Lage ist, die Schmerzrehabilitation aufzunehmen. Übergeordnetes Ziel der berufsgenossenschaftlichen Schmerzrehabilitation ist es, die Teilhabe wiederherzustellen, im speziellen eine erfolgreiche Wiedereingliederung ins Erwerbsleben zu erreichen.

TOR (Tätigkeitsorientierte
Rehabilitation)

Neben physischen und psychischen Auswirkungen zählen auch soziale Folgen zu den Auswirkungen eines Polytraumas. Dies betrifft vor allem Probleme in den Lebensbereichen Familie und Partnerschaft, Freizeit und Beruf. Häufig ist die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit zwar möglich, aber es sind in einem nicht unerheblichen Ausmaß berufliche Rehabilitationsmaßnahmen wie Umschulungen mit Berufswechsel, innerbetriebliche Umsetzungen, Fortbildungen etc. notwendig. Es findet sich eine überdurchschnittliche Rate an Frühberentungen und Minderungen der Erwerbsfähigkeit, während die Arbeitslosenrate nicht signifikant steigt [8].

Das langfristige berufliche Rehabilitationsergebnis gemessen an der „Return-to-work-Rate“ ist jedoch noch optimierbar. Im Schnitt werden etwa zwei Drittel der Schwerverletzten wieder arbeitsfähig [9, 10].Um die berufliche Wiedereingliederung nach einem schweren Unfall zu verbessern, wurde die Tätigkeitsorientierte Rehabilitation (TOR) entwickelt.

Die TOR ist ein spezielles stationäres Reha-Angebot, das sich durch ein deutlich erweitertes Leistungsangebot von der ABMR unterscheidet. Zielgruppe sind ehemals schwer verletzte Patienten, bei denen die individuelle Leistungsfähigkeit auch nach den üblichen Standardmaßnahmen nicht den beruflichen Leistungsanforderungen entspricht und bei denen besondere berufliche Anforderungen bestehen. Häufig ist eine ABE nicht möglich oder bereits gescheitert. Im Unterschied zur ABMR liegt der Behandlungsfokus nicht nur auf den körperlichen Defiziten, sondern es werden auch besondere psychosoziale Kontextfaktoren berücksichtigt. Dem multiprofessionellen Team gehören dementsprechend nicht nur Reha-Mediziner und Therapeuten an, sondern auch Unfallchirurgen, Schmerztherapeuten, Psychologen, Sozialdienst und der Reha-Manager der Unfallversicherung.

Reha-Abklärung

Bei komplexen und verzögerten Heilverläufen und/oder Problemen der beruflichen Wiedereingliederung besteht mitunter ein umfangreicher Klärungsbedarf, der den Rahmen einer ambulanten Heilverfahrenskontrolle (HVK) übersteigt. Die BG-Kliniken bieten für derartige Fälle eine in der Regel 3-tägige „Reha-Abklärung“ an, mit dem Ziel, eine sachliche und kompetente Aussage darüber zu treffen, ob aus medizinischer Sicht weitere Rehabilitationsbemühungen Sinn machen, oder ob ein Behandlungsende festzustellen ist, womit dann auch Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben eingeleitet werden könnten. Neben umfangreichen diagnostischen Möglichkeiten sind in diese Reha-Abklärung auch Chirurgen, Rehabilitationsmediziner, Psychologen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und ggf. weitere Fachbereiche, wie Psychosomatik oder Schmerztherapie eingebunden, wobei jede Berufsgruppe zu der spezifischen Fragestellung „Besteht aus medizinischer Sicht noch Rehabilitationspotenzial?“ abschließend Stellung nimmt. Für den Auftraggeber und den Unfallverletzten wird ein individuelles und zielgerichtetes Reha-Konzept erstellt mit Empfehlungen zur weiterführenden medizinischen, medizinisch-beruflichen bzw. beruflichen Rehabilitation. Damit soll eine effizientere Steuerung des Heilverfahrens und eine raschere Reintegration des Versicherten ermöglicht werden.

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Korrespondenzadresse

Dr. Stefan Simmel

Abteilung für BG-Rehabilitation

BG-Unfallklinik Murnau

Professor-Küntscher-Str. 8
82418 Murnau

stefan.simmel@bgu-murnau.de

Literatur

1. Weißbuch Schwerverletztenversorgung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, 2. Auflage (Stand 07/2013) www.dgu-online.de/qualitaet-sicherheit/ schwerverletzte/weissbuch-schwerverletztenversorgung.html

2. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung und Spitzenverband der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Anforderungen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger nach § 34 SGB VII an Krankenhäuser zur Beteiligung am Schwerstverletzungsartenverfahren (SAV) in der Fassung vom 1. Januar 2013. http://www.dguv.de/medien/landesverbaende/de/med_reha/documents/sav1. pdf

3. Handlungsanleitung zur Verordnung, Durchführung und Qualitätssicherung der Physiotherapie/ Krankengymnastik – Physikalischen Therapie, Erweiterten Ambulanten Physiotherapie (EAP), Berufsgenossenschaftlichen Stationären Weiterbehandlung (BGSW), Sonstigen stationären Maßnahmen (Stand 01.Januar 2008). http://www.dguv.de/medien/landesverbaende/de/med_reha/documents/hand.pdf

4. Handlungsanleitung der ABMR für Versicherte der gesetzlichen Unfallversicherung (in der Fassung vom 02.02.2012). http://www.dguv.de/medien/landesverbaende/de/med_reha/documents/abmr2.pdf

5. Tiling T, Tjardes T. Der beratende Arzt zwischen Therapiefreiheit und Evidenzzwang. Trauma Berufskrankheit 2007; 9 (Suppl 3): 370–379

6. Gross T, Amsler F. (2011) Prevalence and incidence of longer term pain in survivors of polytrauma. Surgery 2011; 150: 985–995

7. Simmel S, Drisch S, Haag S, Bühren V. (2013) Langzeitergebnisse nach Polytrauma mit ISS ? 25. Chirurg 2013; 84: 771–779

8. Simmel S, Bühren V. Polytrauma überlebt – und was kommt dann? Die Rehabilitation Schwerstverletzter. Unfallchirurg 2009; 112: 965–974

9. Post RB, van der Sluis CK, Ten Duis HJ. Return to work and quality of life in severely injured patients. Disability and Rehabilitation 2006; 22: 1399–1404

10. Vles WJ, Steyerberg EW, Essink-Bot M-L, van Beeck EF, Meeuwis JD, Leenen LPH. Prevalence and Determinants of Disabilities and Return to Work after Major Trauma. J Trauma 2005; 58: 126–135

Fussnoten

1 Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau

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