Übersichtsarbeiten - OUP 06/2018
Vergleich des humeralen Offsets von drei verschiedenen inversen Schulterprothesen-Designs
Jörg Jerosch1, Mathias Herwig1
Zusammenfassung: In Deutschland werden etwa 25.000 Schulterendoprothesen pro Jahr implantiert; bei guten Ergebnissen auch zunehmend inverse Prothesenmodelle. Diese zeigen im Vergleich zu anatomischen Varianten erhöhte Luxationsraten. In unserem Patientengut zeigten sich in den letzten Jahren keine Luxationen von Tess-invers-Prothesen und auch nicht von Comprehensive-Prothesen. Delta-Xtend-Prothesen zeigten hingegen Luxationsereignisse.
Fragestellung: Unsere Fragestellung verfolgte das Ziel,
herauszufinden, inwiefern sich das humerale Offset zwischen den Prothesentypen unterscheidet und ob ein Zusammenhang mit der Luxationstendenz besteht.
Methode: Es wurden 3 unterschiedliche inverse Prothesenmodelle anhand der postoperativen Röntgenbilder ausgewertet. Hierbei wurden jeweils 21 Tess-invers-, 19 Delta-Xtend- sowie 12 Comprehensive-Prothesen untersucht. Dabei wurde insbesondere das humerale Offset bestimmt.
Ergebnisse: Hier zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen der Tess invers (Offset MW: 40,33 mm) zur Delta Xtend (MW: 35,21 mm) und von der Comprehensive (MW: 41,75 mm) zur Delta Xtend. Die Tess-invers- und die Comprehensive-Prothese zeigten keinen signifikanten Unterschied im humeralen Offset.
Schlussfolgerung: Im Vergleich zu der Delta-Xtend-Prothese fällt bei den Röntgenparametern ein signifikant geringeres humerales Offset auf. Dies kann ein Hinweis auf die Relevanz dieses Parameters in der Stabilität einer inversen Prothese sein, sodass bei der Implantation nicht nur auf die Distalisierung und Medialisierung des Rotationszentrums geachtet werden sollte, sondern auch auf das humerale Offset.
Schlüsselwörter: inverse Schulterprothese, Instabilität, humerales Offset
Zitierweise
Jerosch J, Herwig M: Vergleich des humeralen Offsets von 3 verschiedenen inversen Schulter Prothesendesigns.
OUP 2018; 7: 330–337 DOI 10.3238/oup.2018. 0330–0337
Summary: In Germany about 25.000 shoulder replacements are performed each year. The number of reverse designs is also increasing, however, the design have a higher dislocation rate. Our patients do not show any instability with Tess invers or Comprehensive replacements. However, we had dislocations with Delta Xtend shoulder replacement
Purpose: The purpose of the study was to document the humeral offset in the different shoulder designs
Method: In 3 different reverse shoulder replacement designs the humeral offset was documented on the postoperative x-rays. There were 21 Tess invers, 19 Delta Xtend and 12 Comprehensive replacements
Results: There were significant differences between the Tess invers (Offset MW: 40.33 mm) compared to the Delta Xtend (Mean: 35.21 mm) and the Comprehensive (Mean: 41.75 mm) compared to the Delta Xtend. The Tess invers and the Comprehensive showed no differences in the offset.
Conclusion: The Delta Xtend design has a significant smaller humeral offset compared to the other designs. This may be one possible reason for higher dislocation rate.
Keywords: reverse shoulder replacement, instability, humeral
offset
Citation
Jerosch J, Herwig M: Comparison of the humeral offset in 3 different reverse shoulder replacement designs.
OUP 2018; 7: 330–337 DOI 10.3238/oup.2018. 0330–0337
1 Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Neuss
Einleitung
Je nachdem, wie man das Scapula-Notching klassifiziert, ist die Dislokation die Komplikation mit der höchsten Inzidenz nach inverser Prothese; die Dislokationsrate wird zwischen 2,4 und 31 % angegeben [3, 4, 11, 15, 29].
Die Richtung der Luxation ist üblicherweise nach vorne und erfolgt durch Extension, Adduktion und Innenrotation. Faktoren, die zu einer postoperativen Instabilität beitragen, sind die Weichteilspannung, der Glenosphärendurchmesser, mechanisches Impingement, knöcherne Defizite, falsche Versionen oder Torsionen von Schaft oder Glenoid, N.-axillaris-Schäden, Deltadysfunktion sowie die Konformität der humeralen Konvexität.
Die adäquate Weichteilspannung ist ein entscheidender Punkt, um eine Instabilität zu vermeiden. Erhöhung der Kompressionskräfte im Bereich der Prothesenartikulation ist der wichtigste Parameter, um eine adäquate Stabilität zu erreichen [16]. Die Funktion kann verbessert werden durch die Rekonstruktion der Spannung der Weichteile und der Rekonstruktion der Länge der verbleibenden Rotatorenmanschetten-Muskeln. Die Rekonstruktion der anatomischen Position des Humerus bezüglich des lateralen Offsets der Tuberositas-Glenoid-Distanz und des vertikalen Offsets hinsichtlich der Acromion-Tuberculus-majus-Distanz scheint effektiv zur Rekonstruktion der anatomischen Weichteilspannung zu sein. Bei Patienten mit humeralem Knochenverlust ist eine Rekonstruktion im Bereich des Humerus mit einem Knochentransplantat eine adäquate Technik [21].
Verschiedene Faktoren hinsichtlich des Prothesendesigns und der Operationstechnik haben einen Einfluss auf die Weichteilspannung; hierzu zählen insbesondere die Glenosphären-Offsets und die Glenosphären-Größe, der Humerusschaft-Hals-Winkel (Varus- oder Valgus- Einbringung der Komponente) und die Dicke des humeralen Inlays [16].
Variationen im Bereich der Operationstechnik bieten sich durch die Höhe der humeralen Osteotomie, der Offset-Gestaltung der humeralen Komponente und durch die Positionsänderung der Glenosphäre.
Beim Grammont-Typ mit inferiorer Platzierung der Glenosphäre, einer großen Glenosphäre und einem valgischen Schaft-Hals-Winkel kommt es zu einer adäquaten Spannung der Weichteile. Bei Prothesendesigns mit lateralem Offset der Glenosphäre, erhöhter Weichteilspannung in horizontaler Richtung (medial/lateral) benötigt man nicht eine so große Spannung der Weichteile in vertikaler Richtung (superior/inferior), was eine mehr anatomische Zugrichtung der verbleibenden Subscapularis und Außenrotatoren ermöglicht. Die Größe der Glenosphäre bestimmt auch die Weichteilspannung. Patienten mit laxen Weichteilen sollte man eine größere Glenosphäre implantieren, um eine entsprechende Weichteilspannung zu erreichen. Eine kleine Weichteilspannung kann bei weiblichen Patienten nötig werden. Bei Patienten mit großem humeralen Knochenverlust ist wiederum eine größere Glenosphäre indiziert, um den Todraum entsprechend auszufüllen [21].
Die Auswahl der Dicke der humeralen Komponente hängt ebenso von der Weichteilspannung ab. Eine dickere humerale Komponente kann zu einer erhöhten Weichteilspannung führen und so das Luxationsrisiko reduzieren. Eine Zunahme der Konformität zeigt bei biomechanischer Untersuchung eine Erhöhung der Stabilität, führt jedoch gleichfalls zu einer Reduktion des Impingement freien Bewegungsausmaßes [16].
In unserem Patientengut zeigten sich in den letzten Jahren keine Luxationen von Tess-invers-Prothesen (Zimmer Biomet) und auch nicht von Comprehensive-Prothesen (Zimmer Biomet). Delta-Xtend-Prothesen zeigten hingegen Luxationsereignisse (DePuy Johnson).
Die Frage des humeralen Offsets ist in diesem Zusammenhang bisher wenig Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen gewesen. In der vorliegenden Arbeit haben wir unterschiedliche Prothesendesigns, die wir im klinischen Alltag verwenden, diesbezüglich verglichen.
Material und Methode
Es wurden 3 unterschiedliche inverse Prothesenmodelle, die in den letzten Jahren von uns implantiert wurden, anhand der postoperativen Röntgenbilder ausgewertet. Es handelte sich jeweils um 21 Tess-invers- (Abb. 1), um 19 Delta-Xtend- (Abb. 2) sowie um 12 Comprehensive-Prothesen (Abb. 3). Dabei wurde das humerale Offset bestimmt.
Die Röntgenparameter der verschiedenen Prothesenmodelle wurden miteinander verglichen. Die Auswertung erfolgte mittels SPSS anhand von Mittelwertvergleichen/Anovas.
Ergebnisse
Hier zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen der Tess invers (Offset MW: 40,33 mm) zur Delta Xtend (MW: 35,21 mm) und von der Comprehensive (MW: 41,75 mm) zur Delta Xtend. Die Tess-invers- und die Comprehensive-Prothese zeigten keinen signifikanten Unterschied im humeralen Offset (Tab. 1).
Diskussion
Die inverse Schulterprothetik führte zu einer guten Rekonstruktion der Funktionalität bei Patienten mit Defekten im Bereich der Rotatorenmanschette [14]. Durch die Umkehrung von Konvexität am Glenoid und Konkavität am Humerus wird das Drehzentrum distalisiert und medialisiert, was zu einer Reduktion des Drehmoments und zu einem zusätzlichen Recruitment von Deltafasern führte (Abb. 4) [13].
1. Distalisierung
Vorteil: Verbesserung des Momentarms für den M.deltoideus um 25 %
2. Medialisierung
Vorteil: Rotationszentrum in Projektion auf den glenoidalen Knochen reduziert die Implantat-Knochen Belastung
Nachteile:
Skapula-Notching
Verlust der Deltoidkontur
reduziert den Momentarm für den M. infraspinatus.
Die Verwendung von inversen Systemen hat im letzten Jahrzehnt erhebliche Popularität gewonnen. Gleichzeitig musste man jedoch erkennen, dass zusätzliche Komplikationen wie Instabilitäten mit Luxation (Abb. 5), Scapula-Notching (Abb. 6), akromiale Frakturen (Abb. 7) sowie Lockerungen glenoidaler und humeraler Komponenten entstehen, die in dieser Art bei den bisherigen Prothesen nicht bekannt waren.
Day et al. [9] untersuchten die inverse Schulterprothese in einer Medicare-Population in den USA im Zeitraum des Jahres 2011. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 31.002 Schulterprothesen implantiert. 37 % waren inverse Prothesen, 42 % totale Prothesen und 21 % Hemiprothesen. Low-volume-Operateure (< 10 Prothesen pro Jahr) führten die meisten Alloarthroplastiken durch (57 % der inversen Prothesen, 65 % der Total-Prothesen und 97 % der Hemiprothesen). 70 % der inversen Prothesen wurden von Operateuren implantiert, die mehr inverse Prothesen als Hemiprothesen und Totalprothesen zusammen durchführen.
Villacis et al. [30] untersuchten die Komplikationsraten nach Totalprothesen im Vergleich zur reversen Prothese. Die Autoren hatten Zugriff auf die Daten eines gesamten US-Staats. Zwischen 2011 und 2013 wurden insgesamt 10.844 Prothesen implantiert. 6648 waren totale Schulterprothesen, und 4186 waren inverse Prothesen. Die Komplikationsrate bezüglich Infektion und Dislokation war unterschiedlich zuungunsten der inversen Prothesen.
Inzidenz von Luxationen nach inversen Schulter-
prothesen
Die Luxation ist eine der häufigsten Komplikationen der inversen Prothetik. Zumstein und Mitarbeiter berichteten über eine Inzidenz von 4,7 % (37 von 782 Prothesen) im Rahmen eines systematischen Reviews. Andere Autoren berichteten über eine Luxationsrate von 2,4–31 % [3, 4, 6, 15, 33].
Klassifikation der Instabilitäten von inversen Prothesen
Generell werden die Instabilitäten als Frühinstabilität (innerhalb der ersten 3 Monate nach der Erstimplantation) sowie als Spätinstabilität (später als 3 Monate nach der Erstimplantation) klassifiziert [22]. Abdelfattah et al. [1] stellen eine Klassifikation der Instabilität nach inversen Prothesen dar.
Insgesamt führten die Autoren bei 34 Patienten mit einer instabilen Frankle-Prothese eine Revision durch. Selbst nach der Revision verblieben noch 5 Patienten instabil. Die persistierende Instabilität war in der Regel vergesellschaftet mit einer persistierenden Dysfunktion des M. deltoideus oder mit postoperativen Frakturen des Akromions.
In einer Gruppe von inversen Prothesen nach Rotatorenmanschettendefektarthropathien berichteten Cuff und Mitarbeiter [8] nur bei einer von 96 Schultern eine chronische Instabilität nach 8 Jahren.
Ursachen für Instabilitäten
Es gibt verschiedene Faktoren, die für eine Instabilität nach inverser Schulterprothese verantwortlich sein können. Hierzu zählt insbesondere eine nicht ausreichende Weichteilspannung; daneben ein mechanisches Impingement, Missmatch zwischen Glenosphäre und humeralem Inlay, falsche Version der glenoidalen Komponente oder falsche Torsion der humeralen Prothesenkomponente.
Die Ursachen für die Instabilität nach inversen Schulterprothesen werden von verschiedenen Autoren als immer noch nicht sicher verstanden angegeben [22]. Kohan und Mitarbeiter [22] untersuchten 19 Patienten mit einer instabilen inversen Prothese. 14 von diesen hatten eine Frühinstabilität und 5 eine Spätinstabilität.
68 % der Patienten zeigten eine ungenügende Weichteilspannung; 10 % eine Schädigung am N. axillaris. Viele Patienten hatten einen asymmetrischen Abrieb im Bereich des Polyethylens. Ein weiterer Aspekt war ein Impingement aufgrund von heterotopen Ossifikationen. Ein asymmetrischer Polyethylenabrieb war für 60 % der Spätdislokationen verantwortlich. Eine erneute Instabilität konnten die Autoren bei 29 % der Frühluxation und bei 40 % der Spätluxationen finden.
Rolle des Geschlechts und des BMI
Chalmers et al. [5] analysierten ihre inversen Prothesen mit Frühdislokation. Innerhalb der ersten 3 Monate fanden sie eine Inzidenz von 2,9 %. Der mittlere Zeitraum bis zur Dislokation betrug 3,4 Wochen. Als Risikogruppen fanden sie insbesondere die Patienten, die bereits voroperiert wurden. 64 % waren männliche Patienten, 82 % waren Patienten mit einem Übergewicht von 32,2 BMI. Eine geschlossene Reposition war in 4 von 9 Fällen (44 %) erfolgreich. Fünf der 11 inversen Prothesen (45 %) benötigten einen Wechsel des Polyethyleninlays.
Padegimas et al. [25] analysierten ihre inversen Prothesen, die sie zwischen September 2010 und Dezember 2013 implantieren. Insgesamt wurden 510 inverse Prothesen implantiert; 393 primäre und 117 Revisionen. Die Autoren fanden 15 Luxationen (5 bei primären Prothesen und 10 nach Revisionsoperationen). Die mittlere Zeit zwischen Operation und Luxation betrug 58,2 Tage. Patienten mit einer primären Rotatorenmanschettendefektarthropathie zeigten eine geringere Wahrscheinlichkeit der Dislokation. Die Autoren wiesen auf das erhöhte Risiko einer Dislokation bei Patienten mit hohem BMI hin.
Keine Dislokation konnte durch einfache Reposition in der Ambulanz behandelt werden. Alle Dislokationen wurden operativ behandelt.
Chalmers et al. [5] gaben eine erhöhte Luxationsrate bei Patienten mit einem BMI von über 30 an. Hattrup et al. [17] fanden unter 26 Patienten, die eine inverse Prothese nach Versagen einer Frakturversorgung des proximalen Humerus erlitten, 2 Patienten mit einer Dislokation.
Die Rolle der humeralen Inklination
Erickson et al. [12] untersuchten den Einfluss der humeralen Inklination bei inversen Prothesen auf das Ergebnis anhand eines systemischen Literatur-Reviews. Insgesamt wurden 38 Studien mit 2222 Schultern inkludiert. Von diesen hatten 1762 (79,3 %) eine Inklination von 155° und 406 (20,7 %) von 135°. Die Inzidenz des Skapula-Notchings war 2,83 % in der 135°-Gruppe und 16,8 % in 155°-Gruppe. Die Rate der Dislokation betrug 1,74 % in der 135°-Gruppe und 2,33 % in der 155°-Gruppe. Die Autoren schlussfolgerten, dass das Skapula-Notching signifikant häufiger ist bei Prothesen mit 155°-Inklination im Vergleich zu Prothesen mit 135°-Inklination und dass die Dislokationsrate nicht signifikant unterschiedlich ist.
Die Rolle des Offsets
Die Implantat-Typen von inversen Prothesen können erheblich die Weichteilsituation beeinflussen. Verschiedene Implantate erreichen die Weichteilspannung durch eine Kombination von inferiorer Glenoid-Platzierung, großer Glenosphäre und valgischem Hals-Schaft-Winkel. Bei den in Nordamerika üblichen Prothesen (Frankle-Typ) wird die Weichteilspannung durch ein erhöhtes laterales Offset erreicht [6].
Die adäquate Weichteilspannung ist ganz essenziell für die Stabilität der inversen Prothese. Hierzu zählen das vertikale Offset als Relation zwischen Acromion und Tuberculum majus sowie das laterale Offset als Distanz zwischen Tuberculum majus und Glenoid [6]. Hierbei sind das Offset des Rotationszentrums sowie das humerale Offset zu differenzieren.
Unsere eigenen klinischen Erfahrungen zeigen eine deutlich geringere Instabilitätsrate von Tess-invers- oder der Comprehensive-Prothese im Vergleich zu der Delta-Xtend-Prothese. Unsere Untersuchung zeigt bei der Delta-Xtend-Prothese ein signifikant geringeres humerales Offset auf. Dies kann ein Hinweis auf die Relevanz dieses Parameters in der Stabilität einer inversen Prothese sein, sodass bei der Implantation nicht nur auf die Distalisierung und Medialisierung des Rotationszentrums geachtet werden sollte, sondern auch auf das humerale Offset.
Clouthier et al. [7] untersuchten in einer biomechanischen Untersuchung die Stabilität von inversen Prothesen. Sie schlussfolgerten, dass eine Zunahme der glenohumeralen Abduktion und Verwendung eines erhöhten Offsets zur Stabilität beiträgt. Zusätzlich erhöhten retentive Inlays die Stabilität.
Henninger et al. [18] untersuchten im Rahmen einer biomechanischen Studie im Labor den Effekt eines lateralisierten Rotationszentrums (COR) nach verschiedenen Parametern. Sie schlussfolgerten, dass eine Lateralisation des Rotationszentrums die Stabilität der inversen Prothesen erhöht, dies jedoch durch eine Zunahme der deltoidalen Abduktionskraft erkauft wird.
Lädermann et al. [23] untersuchten beim Literaturreview die Länge des Humerus bei inversen Prothesen. Sie fanden eine Änderung der humeralen Länge in ihrem Literaturreview von –5 bis +5 mm und einen Unterschied in der Gesamtlänge des Arms zwischen 5 und 27 mm. Die acromio-humerale Distanz betrug 22 mm. Eine humerale Verkürzung erhöhte das Risiko der Dislokation und führte zu einer deutlichen Verschlechterung der anterioren aktiven Elevation. Die Autoren schlussfolgerten, dass eine Rekonstruktion der humeralen Länge entscheidend ist für die postoperative Funktion, um eine Dislokation zu verhindern (Abb. 8).
Es kann eine Verlängerung von 0–2 cm erfolgen, darüber hinaus ist mit neurologischen Komplikationen zu rechnen.
Die Rolle des M. subscapularis
Bezüglich der Subscapularis-Rekonstruktion gibt es in der Literatur unterschiedliche Auffassungen. Es fehlt eine Evidenz, um eine Subscapularis-Rekonstruktion zur besseren Stabilität zu belegen. Dennoch gibt es einige Autoren, die den Subscapularis als Adduktor wichtig ansehen, obwohl er hierbei dann die Bewegungsausmaße reduziert [15]. Edwards et al. [10] empfehlen die Subscapularisrekonstruktion, weil sie hier einen Vorteil zur Luxationsprophylaxe sehen. Andererseits ergibt der superolaterale Zugang mit Schutz des Subscapularis eine erhöhte Luxationsrate [32]. Als Nachteil der Subscapularisrekonstruktion wird u.a. das Risiko der Nervus-axillaris-Schädigung, eine Zunahme des Scapula-Notchings und die schwierigere Exposition bis hin zur Deltoid-Schädigung angesehen [27].
Ackland et al. [2] und Jarrett et al. [20] sehen den oberen Anteil des Muskels als Abduktor und den unteren Anteil als Adduktor an, der zu einer erhöhten Stabilität beiträgt. Edwards und Mitarbeiter [10] untersuchten 138 Patienten mit inverser Schulterprothetik und ohne Subscapularis-Rekonstruktion. Alle postoperativen Luxationen waren bei Patienten mit nicht wiederherstellbarem Subscapularis eingetreten.
Auch Chalmers et al. [5] sahen als Risikofaktor einen Subscapularis-Defekt und eine Revisionsoperation an.
Die Rolle der glenoidalen
Inklination
Randelli et al. [26] untersuchten die glenoidale Inklination hinsichtlich der Frage der Stabilität von inversen Prothesen. Sie fanden einen inferioren glenoidalen Tilt von 10,2° bei ihren stabilen Prothesen. Instabile inverse Prothesen hingegen haben einen negativen Tilt von 6,9° (superiorer Tilt) aufgewiesen. Ein superiorer Tilt ist somit unbedingt zu meiden (Abb. 9).
Ein inferiorer glenoidaler Tilt hilft, auch bei ansonsten schwierigen Situationen die Stabilität zu erhalten (Abb. 10).
Erfahrung des Operateurs
Walch et al. [31] untersuchten die Erfahrung des Operateurs bezüglich der inversen Prothetik. Die Autoren verglichen hier 240 konsekutive inverse Prothesen, die von identischen Operateuren zwischen Mai 1995 und Juni 2003 sowie im Zeitraum zwischen Juli 2003 und März 2007 implantiert wurden. Die postoperative Komplikationsrate fiel von 19 % auf 10,8 %. Bei Instabilitäten zeigte sich eine Reduktion von 7 % auf 3,2 % und bei Infekten von 4 % auf 0,9 %.
Therapie der instabilen
inversen Schulterprothese
Allgemein wird empfohlen, nach einer Dislokation mit geschlossener Revision zunächst eine Immobilisation in einer Schlinge mit Vermeidung von Extension, Adduktion und Innenrotation durchzuführen [6]. Besser ist die Versorgung der Patienten mit einer Abduktionsschiene für 6 Wochen.
Kam die Luxation in Zusammenhang mit einem signifikanten Trauma zustande oder ist die Reposition nicht zu halten, müssen die Prothesenpositionierung sowie die Weichteilspannung und auch die Operationstechnik überprüft werden. Die gesamten Weichteile am inferioren Glenoid (180°) müssen entfernt werden, um eine neuerliche Luxation zu vermeiden. Das inferiore Weichteil-Impingement ist am häufigsten die Ursache für eine Instabilität. Die Entfernung in diesem Bereich kann schwierig sein, ganz besonders im Rahmen der Revisionsoperation mit Narben und heterotrophen Knochenanteilen; dennoch ist es wichtig, gerade hier das gesamte Gewebe (Weichteile und Knochen) sorgfältig zu entfernen.
Nach einer Luxation sollten mögliche Ursachen, die beeinflussbar sind, evaluiert werden. Hierzu zählen Armlänge, Weichteilspannung, Version der glenoidalen Komponente, Torsion der humeralen Komponente und das laterale glenohumerale Offset. Nach einer operativen Reposition wird ein Abduktionskissen für 6 Wochen zur Reduktion der Redislokation empfohlen [5].
Teusink et al. [28] analysierten ihre Fälle mit akuter Dislokation bei inversen Prothesen. Zwischen Mai 2002 und September 2011 identifizierten sie in einer retrospektiven Untersuchung einzelne Patienten mit einer Instabilität nach inverser Prothese. Fast 50 % (10 von 21) hatten bereits vorhergehende Operationen; 80 % (8 von 10) waren bereits zuvor mit einer Endoprothese versorgt.
Die durchschnittliche Zeit bis zur ersten Luxation betrug 200 Tage. 62 % (13 von 21) waren Frühdislokationen innerhalb der ersten 90 Tage. Nach einer durchschnittlichen Nachuntersuchungszeit von 28 Monaten waren 62 % der Prothesen (13 von 21) stabil, 29 % (6 von 21) brauchten eine weitere Operation, und 9 % (2 von 21) verblieben instabil.
Die Autoren schlussfolgerten, dass bei einer ersten Luxation bei inverser Prothese eine geschlossene Reposition in etwas mehr als 50 % der Fälle mit einer anschließenden Immobilisationsphase erfolgreich sein kann.
Hernandez und Mitarbeiter [19] berichteten über eine Serie von Patienten, die nach instabiler Schulterprothese eine inverse Prothese erhielten. Zwischen Januar 2004 und Juli 2017 wurden von den Autoren 82 Revisionen bei instabilen Schulterprothesen durchgeführt. Hiervon waren 62 totale Schulterprothesen, 13 Hemiprothesen und 7 inverse Endoprothesen. Die luxationsfreie Überlebensrate betrug nach 2 Jahren 87 % und nach 5 Jahren 79 %. 10 der 65 Patienten (15 %) hatten eine Luxationsepisode nach der Revisionsoperation. Eine persistierende Instabilität lag insbesondere bei Patienten vor mit hohem BMI (> 35 kg pro m2) und bei vorheriger Hemiprothese.
Die Autoren schlussfolgerten, dass eine inverse Prothese eine gute Indikation darstellt bei Protheseninstabilitäten. Etwa einer von 7 Patienten wird voraussichtlich eine neue Instabilität erleiden. Bei Patienten mit persistierenden Instabilitäten empfehlen die Autoren eine große Glenosphäre und eine Erhöhung des lateralen Offsets.
Für den Fall, dass nach adäquater Diagnostik keine Ursache für die Instabilität gefunden werden kann, kann in Einzelfällen mithilfe eines Anbindungsschlauchs eine Stabilität erreicht werden [24] (Abb. 11).
Klinische Relevanz
Die Instabilität einer inversen Schulterprothese stellt eine klinisch-relevante Komplikation dar. Auf Grundlage der Literatur kann diese Komplikation bei 3 % bis mehr als 10 % der Fälle auftreten. Ein Risikofaktor ist insbesondere die fehlende Weichteilspannung. Diese kann u.a. verursacht sein durch eine Verkürzung des Humerus zum Zeitpunkt der Prothesenimplantation der humeralen Komponente. Sie kann jedoch auch bedingt sein durch ein reduziertes glenoidales oder humerales Offset.
Weitere Ursachen können die problematische Einstellung des Glenoids hinsichtlich Ante- und Retroversion bzw. kranialer und kaudaler Inklination sein. Ebenso kann eine problematische humerale Ante- oder Retrotorsion zur Instabilität führen. Auch Lähmungen des N. axillaris oder Frakturen im Bereich des Acromions können zu Instabilitäten bei inversen Prothesen führen.
Bei einer Instabilität gilt es zunächst, die oben dargestellten Faktoren zu reevaluieren; eventuell mit Rotations-CTs und Arm-Ganzaufnahmen im Vergleich zur Gegenseite zur Längenmessung des Humerus. Finden sich hier Auffälligkeiten, sollte keine geschlossene Reposition, sondern eine operative Revision erfolgen.
Finden sich keine Auffälligkeiten, kann eine geschlossene Reposition in etwa 50 % der Fälle erfolgreich sein. Hieran sollte sich eine Immobilisation, idealerweise in einem Abduktions-Brace, für 6 Wochen anschließen.
Finden sich keine biomechanischen Auffälligkeiten im Bereich der Prothesengeometrie, kann in Einzelfällen mit einem Anbindungsschlauch eine Stabilisierung versucht werden.
Interessenkonflikte: keine angegeben.
Korrespondenzanschrift
Prof. Dr. med Dr. h.c. Jörg Jerosch
Johanna-Etienne-Krankenhaus
Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin
Am Hasenberg 46
41462 Neuss
J.Jerosch@ak-neuss.de
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