Übersichtsarbeiten - OUP 01/2025

Verletzungen des Acromioclaviculargelenkes
Wie kommen wir mit der konservativen und/oder operativen Therapie zu optimalen Ergebnissen?

Freya M. Reeh, Jan N. Riesselmann, Helmut Lill, Alexander Ellwein

Zusammenfassung:
Mit einem Anteil von 12 % an allen Verletzungen des Schultergürtels machen Instabilitäten des Acromioclaviculargelenkes (ACG) einen wichtigen Stellenwert im klinischen Alltag jeder Kollegin/jedes Kollegen aus. Betroffen sind vor allem junge sportlich aktive Männer mit einem Altersgipfel von 20–40 Jahren, prädestinierte Sportarten sind hierbei insbesondere der Rad- und Bergsport. Neben einer Einteilung in akute und chronische Instabilitäten hat sich die Klassifikation nach Rockwood durchgesetzt, die je nach Grad der Dislokation 6 Typen unterscheidet. Auf Grundlage dieser zeitlichen und anatomischen Einteilungen wird auch das Therapiekonzept erarbeitet. Während bei fehlender oder nur geringer Dislokation im ACG ohne das Vorhandensein einer horizontalen Instabilität (Rockwood Typ 1–3A) das konservative Vorgehen empfohlen wird, ist die operative Stabilisierung ab einem gewissen Dislokationsgrad mit horizontaler Instabilität (Rockwood Typ 3B–6) das Therapieverfahren der Wahl. Die minimalinvasive arthroskopische vertikale ACG-Stabilisierung mittels TightRope und zusätzlicher horizontaler Cerclage hat die Hakenplattenosteosynthese aufgrund sehr guter und zufriedenstellender postoperativer Ergebnisse im klinischen Alltag nahezu komplett abgelöst. Glenohumerale Begleitpathologien können zudem erkannt und therapiert werden. Im Falle einer chronischen Instabilität erfolgt darüber hinaus eine additive autologe Sehnenanlage.

Schlüsselwörter:
Acromioclaviculargelenk (ACG), ACG-Sprengung, Rockwood-Klassifikation, TightRope

Zitierweise:
Reeh FM, Riesselmann JN, Lill H, Ellwein A: Verletzungen des Acromioclaviculargelenkes. Wie kommen wir mit der konservativen und/oder operativen Therapie zu optimalen Ergebnissen?
OUP 2025; 14: 18?24
DOI 10.53180/oup.2025.0018-0024

Summary: Accounting for 12 % of all shoulder girdle injuries, instabilities of the acromioclavicular joint (ACJ) play an important role in the daily clinical routine of every colleague. Young, athletically active men with an age peak of 20–40 years are mainly affected, with cycling and mountain sports being predominantly affected sports. In addition to a classification into acute and chronic instabilities, the Rockwood classification has become established, differentiating between 6 types depending on the degree of dislocation. The treatment concept is also developed based on these temporal and anatomical classifications. While a non-operative approach is recommended in the absence of dislocation or only slight dislocation in the ACJ without the presence of horizontal instability (Rockwood type 1–3A), surgical stabilization is the treatment of choice from a certain degree of dislocation with horizontal instability (Rockwood type 3B–6). Minimally invasive arthroscopic vertical ACJ stabilization using a TightRope and additional horizontal cerclage has almost completely replaced hook plate osteosynthesis in everyday clinical practice due to very good and satisfactory postoperative results. Glenohumeral concomitant pathologies can also be recognized and treated. In the case of chronic instability, an additional autologous tendon graft is also performed.

Keywords: Acromioclavicular joint (ACJ), ACJ-Instability, Rockwood-Classification, TightRope

Citation: Reeh FM, Riesselmann JN, Lill H, Ellwein A: Injuries to the acromioclavicular joint. How do we achieve optimal results with non-operative and/or surgical treatment? OUP 2025; 14: 18?24
DOI 10.53180/oup.2025.0018-0024

F. M. Reeh, J.N. Riesselmann, H. Lill: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, DIAKOVERE Friederikenstift, Hannover

A. Ellwein: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, DIAKOVERE Friederikenstift, Hannover & Klinik für Unfallchirurgie, Medizinische Hochschule Hannover

Epidemiologie und Ätiologie

Im Bereich des Schultergürtels zählen Verletzungen des Acromioclaviculargelenkes (ACG) mit einem Anteil von bis zu 12 % und einer Inzidenz von 3– 4 Fällen pro 100.000 Einwohner im Jahr zu den häufigsten Verletzungen, was sie zu einem sehr wichtigen Aspekt im klinischen Alltag jeder/jedes orthopädisch unfallchirurgischen Kollegin/Kollegen macht [1, 2]. Der Altersgipfel kann zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr lokalisiert werden, wobei sich die Patientinnen und Patienten meist als sportlich aktive junge Erwachsene darstellen [3, 4]. Epidemiologische Untersuchungen zeigen einen deutlich erhöhten Anteil an Verletzten mit männlichem Geschlecht, die Verteilung von Männern und Frauen wird von Chillemi et al. mit 8,5 zu 1 angegeben [3, 5, 6]. Die Betroffenen erleiden am häufigsten ein direktes Trauma auf die posterosuperiore Schulter bei abduziertem Arm, seltener entsteht eine ACG-Sprengung nach einem indirekten Trauma infolge eines Sturzes auf den abduzierten Arm. Hierbei bringen insbesondere der Radsport sowie alpine Sportarten ein erhöhtes Verletzungsrisiko mit sich, im Bergsport macht der Anteil der ACG-Verletzungen an allen Pathologien der Schulter immerhin 20 % aus [7–9].

Symptome und Diagnostik

Die klinische Untersuchung der akut verunfallten Patientinnen und Patienten nimmt einen relevanten und aufschlussreichen Stellenwert in der Diagnostik von Pathologien im Bereich des ACG ein, denn neben einer Schonhaltung des betroffenen Armes mit schmerzbedingter Bewegungseinschränkung lässt sich bei der/beim entkleideten Patientin/Patienten oftmals bereits auf den ersten Blick ein Claviculahochstand mit Asymmetrie im Vergleich zur gesunden Seite erkennen. Die Betroffenen berichten meist von einem isolierten Schmerz über dem ACG mit ebenfalls vorhandenem Druckschmerz. Die vertikale (Klaviertastenphänomen) und horizontale (anterior-posterior) Translation der Clavicula gegenüber dem Acromion gibt weitere Aufschlüsse über das Ausmaß der Verletzung. Im Falle einer bereits vorliegenden chronischen Instabilität des ACG ist die Bewegung der Schulter meist kaum eingeschränkt. Hier gehören chronische Schmerzen im Bereich des ACG sowie eine Schulterdyskinesie eher zu den führenden Symptomen [10]. Zu einem chronischen Prozess kann es unter anderem nach fehlgeschlagener konservativer oder operativer Therapie sowie nach übersehener akuter Pathologie kommen, weswegen eine genaue initiale Diagnostik von großem Stellenwert ist.

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