Übersichtsarbeiten - OUP 01/2025

Verletzungen des Acromioclaviculargelenkes
Wie kommen wir mit der konservativen und/oder operativen Therapie zu optimalen Ergebnissen?

Freya M. Reeh, Jan N. Riesselmann, Helmut Lill, Alexander Ellwein

Zusammenfassung:
Mit einem Anteil von 12 % an allen Verletzungen des Schultergürtels machen Instabilitäten des Acromioclaviculargelenkes (ACG) einen wichtigen Stellenwert im klinischen Alltag jeder Kollegin/jedes Kollegen aus. Betroffen sind vor allem junge sportlich aktive Männer mit einem Altersgipfel von 20–40 Jahren, prädestinierte Sportarten sind hierbei insbesondere der Rad- und Bergsport. Neben einer Einteilung in akute und chronische Instabilitäten hat sich die Klassifikation nach Rockwood durchgesetzt, die je nach Grad der Dislokation 6 Typen unterscheidet. Auf Grundlage dieser zeitlichen und anatomischen Einteilungen wird auch das Therapiekonzept erarbeitet. Während bei fehlender oder nur geringer Dislokation im ACG ohne das Vorhandensein einer horizontalen Instabilität (Rockwood Typ 1–3A) das konservative Vorgehen empfohlen wird, ist die operative Stabilisierung ab einem gewissen Dislokationsgrad mit horizontaler Instabilität (Rockwood Typ 3B–6) das Therapieverfahren der Wahl. Die minimalinvasive arthroskopische vertikale ACG-Stabilisierung mittels TightRope und zusätzlicher horizontaler Cerclage hat die Hakenplattenosteosynthese aufgrund sehr guter und zufriedenstellender postoperativer Ergebnisse im klinischen Alltag nahezu komplett abgelöst. Glenohumerale Begleitpathologien können zudem erkannt und therapiert werden. Im Falle einer chronischen Instabilität erfolgt darüber hinaus eine additive autologe Sehnenanlage.

Schlüsselwörter:
Acromioclaviculargelenk (ACG), ACG-Sprengung, Rockwood-Klassifikation, TightRope

Zitierweise:
Reeh FM, Riesselmann JN, Lill H, Ellwein A: Verletzungen des Acromioclaviculargelenkes. Wie kommen wir mit der konservativen und/oder operativen Therapie zu optimalen Ergebnissen?
OUP 2025; 14: 18?24
DOI 10.53180/oup.2025.0018-0024

Summary: Accounting for 12 % of all shoulder girdle injuries, instabilities of the acromioclavicular joint (ACJ) play an important role in the daily clinical routine of every colleague. Young, athletically active men with an age peak of 20–40 years are mainly affected, with cycling and mountain sports being predominantly affected sports. In addition to a classification into acute and chronic instabilities, the Rockwood classification has become established, differentiating between 6 types depending on the degree of dislocation. The treatment concept is also developed based on these temporal and anatomical classifications. While a non-operative approach is recommended in the absence of dislocation or only slight dislocation in the ACJ without the presence of horizontal instability (Rockwood type 1–3A), surgical stabilization is the treatment of choice from a certain degree of dislocation with horizontal instability (Rockwood type 3B–6). Minimally invasive arthroscopic vertical ACJ stabilization using a TightRope and additional horizontal cerclage has almost completely replaced hook plate osteosynthesis in everyday clinical practice due to very good and satisfactory postoperative results. Glenohumeral concomitant pathologies can also be recognized and treated. In the case of chronic instability, an additional autologous tendon graft is also performed.

Keywords: Acromioclavicular joint (ACJ), ACJ-Instability, Rockwood-Classification, TightRope

Citation: Reeh FM, Riesselmann JN, Lill H, Ellwein A: Injuries to the acromioclavicular joint. How do we achieve optimal results with non-operative and/or surgical treatment? OUP 2025; 14: 18?24
DOI 10.53180/oup.2025.0018-0024

F. M. Reeh, J.N. Riesselmann, H. Lill: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, DIAKOVERE Friederikenstift, Hannover

A. Ellwein: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, DIAKOVERE Friederikenstift, Hannover & Klinik für Unfallchirurgie, Medizinische Hochschule Hannover

Epidemiologie und Ätiologie

Im Bereich des Schultergürtels zählen Verletzungen des Acromioclaviculargelenkes (ACG) mit einem Anteil von bis zu 12 % und einer Inzidenz von 3– 4 Fällen pro 100.000 Einwohner im Jahr zu den häufigsten Verletzungen, was sie zu einem sehr wichtigen Aspekt im klinischen Alltag jeder/jedes orthopädisch unfallchirurgischen Kollegin/Kollegen macht [1, 2]. Der Altersgipfel kann zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr lokalisiert werden, wobei sich die Patientinnen und Patienten meist als sportlich aktive junge Erwachsene darstellen [3, 4]. Epidemiologische Untersuchungen zeigen einen deutlich erhöhten Anteil an Verletzten mit männlichem Geschlecht, die Verteilung von Männern und Frauen wird von Chillemi et al. mit 8,5 zu 1 angegeben [3, 5, 6]. Die Betroffenen erleiden am häufigsten ein direktes Trauma auf die posterosuperiore Schulter bei abduziertem Arm, seltener entsteht eine ACG-Sprengung nach einem indirekten Trauma infolge eines Sturzes auf den abduzierten Arm. Hierbei bringen insbesondere der Radsport sowie alpine Sportarten ein erhöhtes Verletzungsrisiko mit sich, im Bergsport macht der Anteil der ACG-Verletzungen an allen Pathologien der Schulter immerhin 20 % aus [7–9].

Symptome und Diagnostik

Die klinische Untersuchung der akut verunfallten Patientinnen und Patienten nimmt einen relevanten und aufschlussreichen Stellenwert in der Diagnostik von Pathologien im Bereich des ACG ein, denn neben einer Schonhaltung des betroffenen Armes mit schmerzbedingter Bewegungseinschränkung lässt sich bei der/beim entkleideten Patientin/Patienten oftmals bereits auf den ersten Blick ein Claviculahochstand mit Asymmetrie im Vergleich zur gesunden Seite erkennen. Die Betroffenen berichten meist von einem isolierten Schmerz über dem ACG mit ebenfalls vorhandenem Druckschmerz. Die vertikale (Klaviertastenphänomen) und horizontale (anterior-posterior) Translation der Clavicula gegenüber dem Acromion gibt weitere Aufschlüsse über das Ausmaß der Verletzung. Im Falle einer bereits vorliegenden chronischen Instabilität des ACG ist die Bewegung der Schulter meist kaum eingeschränkt. Hier gehören chronische Schmerzen im Bereich des ACG sowie eine Schulterdyskinesie eher zu den führenden Symptomen [10]. Zu einem chronischen Prozess kann es unter anderem nach fehlgeschlagener konservativer oder operativer Therapie sowie nach übersehener akuter Pathologie kommen, weswegen eine genaue initiale Diagnostik von großem Stellenwert ist.

In der radiologischen Diagnostik wurde die Panoramaaufnahme der oberen Thoraxapertur aufgrund der hohen Strahlenexposition von einem aktuelleren und gut etablierten Untersuchungsstandard abgelöst, der eine axiale Röntgenaufnahme der betroffenen Schulter beinhaltet. Darüber hinaus erfolgen beidseits Röntgenaufnahmen nach Alexander zur Beurteilung einer möglichen horizontalen Instabilität sowie die beidseitige ACG-Aufnahme mit axialem Zug von 10 kg-Gewichten, die Aufschluss über den Grad der vertikalen Instabilität geben [7, 8, 11]. Da es ab einem erhöhten Patientenalter zu einem vermehrten Aufkommen von glenohumeralen Begleitpathologien kommt, sollte die präoperative MRT-Diagnostik bei dieser Patientenklientel erwogen werden, auch wenn sie nicht zum Goldstandard gehört [6]. Die CT-Diagnostik bleibt speziellen Fällen vorbehalten, bspw. im Rahmen einer begleitenden Coracoidfraktur.

Klassifikation

Zunächst werden Verletzungen des ACG auf Grundlage des zeitlichen Abstandes zum Trauma in akute und chronische Instabilitäten eingeteilt. Von einer akuten ACG-Sprengung spricht man innerhalb eines Zeitraumes von maximal 3 Wochen nach dem traumatischen Ereignis. Ist die Zeitspanne von 3 Wochen allerdings überschritten, handelt es sich per Definition um eine chronische Instabilität des ACG. Da das biologische Regenerationspotential der ligamentären Strukturen mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Trauma abnimmt, ist diese Einteilung insbesondere für die Wahl eines geeigneten Therapiekonzeptes von großer Bedeutung [5, 7, 8,12–14].

Eine anatomische Klassifikation auf Grundlage des Ausmaßes der Dislokation wurde im Jahr 1984 von Rockwood [15] veröffentlicht, hierbei wird zwischen 6 Schweregraden unterschieden (Tab. 1). Mit in die Rockwood-Einteilung einbezogen werden die acromioclaviculären (AC) und coracoclaviculären (CC) Bänder, die deltoideopectorale Faszie sowie das Ausmaß des Claviculahochstandes. Die Rockwood-Klassifikation ist aktuell Grundlage für die Entscheidungsfindung zwischen operativer und konservativer Therapie. Insbesondere Typ Rockwood 3-Verletzungen waren lange Zeit hinsichtlich der Therapiefrage umstritten, weswegen von der International Society of Arthroscopy, Knee Surgery and Orthopaedic Sports Medicine (ISAKOS) eine weitere Unterteilung in Typ 3A- und 3B-Verletzungen vorgenommen wurde. Ziel dieser Subgruppenbildung ist die Filterung von Patientinnen und Patienten, die von einer operativen Therapie profitieren würden. Je nach Vorhandensein einer horizontalen Instabilität, also der anterior-posterioren Translation der Clavicula gegenüber dem Acromion, liegt eine Typ 3A- (ohne horizontale Instabilität) oder eine Typ 3B- (mit horizontaler Instabilität) Verletzung vor [16, 17].

Therapieziele

Sowohl in der konservativen als auch in der operativen Therapie liegen die Haupttherapieziele in der Wiederherstellung einer guten Funktionalität der Schulter bei zugleich bestehender Schmerzfreiheit. Darüber hinaus ist der Ansatz jeder Therapie, eine chronische Instabilität zu verhindern. Im Rahmen der operativen Therapie ist der Erfolg maßgeblich von der vorhandenen Stabilität, also dem Fehlen einer horizontalen oder vertikalen Instabilität im ACG abhängig, denn das klinische und funktionelle Ergebnis korreliert direkt mit der korrekten anatomischen Reposition. Für den klinischen Alltag bedeutet dies, dass eine Adressierung sowohl der AC- als auch der CC-Bänder zur Verhinderung eines Korrekturverlustes mit daraus resultierenden Langzeitfolgen von großer Bedeutung und für den Behandlungserfolg maßgeblich ist [18].

Konservative Therapie

Bei ACG-Instabilitäten der Typen Rockwood 1 und 2 zeigt sich die aktuelle Literatur bezüglich der Empfehlung zur konservativen Therapie einig, denn die Ergebnisse zeigen eine hohe Patientenzufriedenheit mit einem guten klinischen Outcome. Das Therapieschema besteht neben der schmerzadaptierten Analgesie in einer vorübergehenden Ruhigstellung der Schulter im Gilchrist-Verband für maximal 2 Wochen. Im Rahmen der Nachbehandlung führt eine frühfunktionelle physiotherapeutische Mitbehandlung mit aktiven und passiven Bewegungsübungen ohne Belastung des betroffenen Armes für 6 Wochen zu sehr guten Resultaten. Nach Ablauf des 6-wöchigen Zeitraumes wird der Belastungsaufbau begonnen, die Heilung sollte im komplikationslosen Verlauf nach etwa 12 Wochen abgeschlossen sein [16, 19, 20]. Dennoch kann es auch im Bereich der Rockwood Typ 1 und 2-Verletzungen zu Komplikationen im Therapieverlauf mit der Langzeitfolge einer chronischen Instabilität kommen [10, 21]. Nach einer langbestehenden Periode der Unstimmigkeit bezüglich der operativen Versorgung von Rockwood Typ 3-Verletzungen besteht seit dem durch die ISAKOS veröffentlichten Konsensus – mit der vorgenommenen Subklassifizierung in Typ 3A und 3B-Verletzungen – eine wissenschaftlich basierte Einigkeit: Das Fehlen einer horizontalen Instabilität (Rockwood Typ 3A) bringt die Indikation zur konservativen Therapie mit sich. Es zeigen sich gute klinische Ergebnisse mit einer zu vernachlässigen Komplikationsrate [16, 17].

Operative Therapie

Im Rahmen der operativen Versorgung stellen sich im Allgemeinen 2 grundlegende Fragen: Wann ist der optimale Zeitpunkt der Versorgung, und welches operative Verfahren bewährt sich am meisten? Aktuelle Studien belegen, dass der Operationszeitpunkt maßgeblich mit dem postoperativen langfristigen Ergebnis korreliert: Wird die Operation im Akutstadium, d.h. in einem Zeitraum von maximal 3 Wochen nach dem Trauma, durchgeführt, präsentieren sich die betroffenen Patientinnen und Patienten mit einem deutlich besseren klinischen Outcome [22–24]. Beispielsweise wurden in einer Studie von Dey Hazra et al. [23] die im Akutstadium versorgten Patientinnen und Patienten mit denjenigen verglichen, die zeitverzögert aufgrund einer chronischen Instabilität operiert wurden. Hinsichtlich der klinischen Scores sowie der Visuellen Analog-Skala (VAS) präsentiert sich die erstgenannte Gruppe mit einem statistisch signifikant besseren Ergebnis. Auch der Einstieg in das Arbeitsleben und die Ausführung der präferierten sportlichen Aktivität stehen deutlich zugunsten der akut verletzten und versorgten Patientinnen und Patienten. Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Faktor ist die in der aktuellen Studienlage nachgewiesene erhöhte postoperative Komplikations- und Revisionsrate nach operativer Versorgung einer chronischen ACG-Instabilität [23]. All diese hier erwähnten Punkte plädieren für eine im klinischen Alltag genaue Diagnostik mit schnellstmöglicher Diagnosestellung und einer frühzeitigen Erarbeitung eines definitiven Behandlungskonzeptes, um die Entstehung eines chronischen Prozesses zu verhindern.

Die Frage nach dem optimalen Operationsverfahren hat lange Zeit viele Kontroversen hervorgerufen. Grundlegend wird zwischen einem offenen Vorgehen sowie der arthroskopischen Versorgung unterschieden. Eine an Schulterchirurginnen und -chirurgen gerichtete Umfrage von Balke et al. [25] hat diesbezüglich eine deutliche Dominanz der arthroskopischen Versorgung gegenüber dem offenen Vorgehen gezeigt.

Im Bereich der offenen Operation ist maßgeblich die Hakenplatten-Osteosynthese zu erwähnen, die lange Zeit als Therapie der Wahl galt, heutzutage in der klinischen Versorgung jedoch lediglich einen sehr niedrigen Stellenwert hat. Vorteilhaft ist eine chirurgisch einfache Operationstechnik zur Stabilisierung des ACG. Jedoch müssen durch die Art der Osteosynthese auch einige mögliche Komplikationen in Kauf genommen werden: Durch eine störende und reizende Wirkung der Platte auf umliegende Weichteilgewebe und den Knochen kann es nicht selten zur Ausbildung von Osteolysen und Frakturen des Acromions sowie zur Schädigung der Rotatorenmanschette kommen. Durch die aufladende Platzierung der Platte ist die Ausbildung eines subacromialen Impingement-Syndroms ebenfalls keine Seltenheit. Eine Materialentfernung der Platte ist zur Verhinderung weiterer Langzeitschäden nach 3 Monaten obligat, was für die betroffenen Patientinnen und Patienten mit der Notwendigkeit einer erneuten Operation und den operationsassoziierten Komplikationen einhergeht [7, 8, 12, 26, 27].

In den letzten Jahren wurden zunehmend arthroskopisch gestützte Implantate entwickelt, die durch ein TightRope-System eine vertikale Stabilisierung und durch eine additive transacromiale Fadencerclage eine zusätzliche horizontale Stabilität erzielen, was maßgeblich und obligat für den Therapieerfolg ist [11, 28]. Die bisher zu diesem Therapiekonzept veröffentlichten Studien zeigen sehr gute klinische und funktionelle Ergebnisse, weswegen sich die minimalinvasive arthroskopisch gestützte Technik in den letzten Jahren zur Therapie der Wahl etabliert hat. Die Ergebnisse sind im Gegensatz zum offenen Vorgehen statistisch signifikant besser [29, 30]. Vorteilhaft ist hier insbesondere die minimalinvasive und weichteilschonende Operationstechnik, was auch für das Implantatdesign selbst gilt [12]. Eine Re-Operation zur Materialentfernung ist nicht vorgesehen. Durch das arthroskopische Vorgehen können mit einer standardmäßig vorangehenden diagnostischen Arthroskopie mögliche glenohumerale Begleitpathologien detektiert und, falls nötig, direkt adressiert werden – die Anzahl therapiebedürftiger Begleitverletzungen ist nicht zu unterschätzen [6]. Bereits mehrere Studien haben eine extrem hohe Patientenzufriedenheit und Akzeptanz dieses Therapieverfahrens gezeigt, unter anderem eine Arbeit von Jensen et al. [12, 29, 31]. In 97 % der Fälle waren die operierten Patientinnen und Patienten langfristig sehr zufrieden, eine Bewegungseinschränkung blieb bei keinem der Betroffenen zurück, auch eine Materialdislokation im Sinne einer Migration des claviculären coracoidalen Buttons wurde nicht beschrieben [31]. Allerdings bringt das arthroskopische Verfahren für die Operateurin/den Operateur einige Herausforderungen mit sich, der technische Aufwand ist anspruchsvoll. Nachteile bzw. Komplikationen liegen in einer möglichen Weichteilirritation des claviculären Buttons und der Gefahr einer iatrogenen intraoperativen Clavicula- oder Coracoidfraktur während der Platzierung der Bohrkanäle, letztere wird in der Literatur mit bis zu 20 % angegeben [7]. Eine Minimierung des Frakturrisikos kann durch eine Minimierung des Bohrkanaldurchmessers erzielt werden. An diese Gegebenheiten passen sich auch die aktuellen TightRope-Systeme an, denn hier werden lediglich das Fadenmaterial und nicht die Buttons durch die Bohrkanäle gezogen. Die Komplikation eines postoperativen Repositionsverlustes ist im Vergleich zur osteosynthetischen Versorgung mittels Hakenplatte zwar deutlich zurückgegangen, jedoch kann es auch nach arthroskopisch gestützter vertikaler und horizontaler Stabilisierung durch ein Materialversagen zu einer erneuten Dislokation im ACG kommen [29, 30].

Hinsichtlich der operativen Therapie von ACG-Verletzungen wird nach aktuellem Stand der Forschungsergebnisse die Versorgung ab einem Dislokationsgrad von Rockwood Typ 3B empfohlen. Aktuelle Diskussionen beschäftigen sich allerdings mit der Frage, ob die operative Therapie von Rockwood Typ 3B und 5 Verletzungen definitiv Vorteile gegenüber dem konservativen Vorgehen mit sich bringt. Eine kürzlich veröffentlichte Arbeit von Tauber et al. [32] zeigt zumindest bei Rockwood 3B-Verletzungen keinen Benefit der operativen Behandlung. Da zu diesem Thema allerdings nur vereinzelte Studienergebnisse vorliegen, muss diese Diskussion zukünftig weitergeführt werden.

Akute ACG-Verletzungen

Der klinische Goldstandard zur Versorgung akuter ACG-Sprengungen liegt in der minimalinvasiven arthroskopischen Technik mit Implantation eines TightRope-Systems (Abb. 1, 2). Zur operativen Versorgung wird die/der vollnarkotisierte Patientin/Patient in Beach-Chair-Position mit Kopfschale gelagert. Ein montierter pneumatischer Armhalter gewährleistet, dass der betroffene Arm frei beweglich bleibt. Am Kopfende wird ein steril überzogener Bildwandler positioniert, um die korrekte Platzierung der Bohrkanäle zu überprüfen. Zunächst wird eine diagnostische Arthroskopie durchgeführt, wobei mögliche glenohumerale Begleitpathologien erkannt werden können. Hierzu sind die 3 arthroskopischen Standardportale (posterior, anteroinferior, anterolateral) zu setzen, die diagnostische Spiegelung erfolgt über den posterioren Zugang. Der transtendinöse laterale arthroskopische Zugang dient zur Platzierung der Optik und Darstellung des Coracoidbogens. Über den anteroinferioren Zugang wird im nächsten Schritt eine subacromiale Präparation vorgenommen. Anschließend wird die laterale Clavicula ebenfalls präpariert. Hierzu wird in Längsrichtung oberhalb der lateralen Clavicula ein etwa 2– 3 cm langer Hautschnitt platziert. Vor der Bohrung ist die Reposition über eine kaudoventrale Druckausübung bei kranialisiertem Arm durchzuführen, welche über einen K-Draht temporär gehalten wird. Eine korrekte anatomische Reposition des ACG ist für den Therapieerfolg ausschlaggebend – eine leichte Überkorrektur wird in der bisherigen Literatur sogar als prädiktiver Faktor zur Vorbeugung eines postoperativen Korrekturverlustes gewertet. Im Vergleich dazu zeigen Bohrungen ohne vorherige Reposition einen höheren Repositionsverlust und mehr Tunnel-Widening [33]. Zur Gewährleistung der vertikalen Stabilität wird nun die transclaviculäre-transcoracoidale Bohrung mit unterhalb des Coracoidbogens platziertem Zielbügel vorgenommen. Die Bohrung wird hierbei sowohl arthroskopisch als auch radiologisch mittels Bildwandler geprüft. Als anatomischer Eintrittspunkt für die optimale Bohrung gilt der Zwischenraum zwischen den beiden CC-Bändern, der Austrittspunkt liegt in der Coracoidbasis. Nach erfolgreich platziertem Bohrkanal kommt nun ein Shuttle-Faden zum Einsatz, um das TightRope-System (knotless AC-TightRope, Fa. Arthrex, Naples, FL, USA) zu platzieren, wobei die beiden Buttons über der Clavicula und inferior des Coracoids gesetzt werden. Das knotless TightRope-System verblockt sich aufgrund des Mädchenfängersystems selbständig, sodass auf ein Knoten der Fäden über dem claviculären Button verzichtet werden kann. Mögliche Weichteilirritationen sollen hierdurch vermindert werden. Die Fäden am claviculären Button werden für eine additive horizontale Stabilisierung belassen. Hierfür erfolgt über eine minimalinvasive laterale Stichinzision eine radiologisch kontrollierte transacromiale Bohrung mit anschließender Überbohrung durch einen kanülierten Bohrer (2,7 mm). Ein Schenkel wird nun nach lateral durch den Bohrkanal unter Zuhilfenahme eines Shuttledrahtes ausgeführt. Der zweite Schenkel wird subcutan nach lateral ausgeführt. Zuletzt werden die beiden Fäden unter lateralem Druck auf das Acromion straff miteinander lateral unter dem Delta verknotet. Das Resultat der operativen Versorgung liegt nun in einer vertikalen und horizontalen Stabilisierung, der Gelenkspalt sollte wieder anatomisch reponiert sein. Nach dem Verschluss der deltotrapezoidalen Faszie und der Wundnaht wird die Patientin/der Patient entlagert [34] (Abb. 2).

Chronische ACG-Verletzungen

Mit zunehmender Zeitspanne nach dem zur Verletzung führenden traumatischen Ereignis nimmt das biologische Regenerationspotential der ligamentären Strukturen ab. Durch eine steigende Fibroblasten-Proliferation kommt es zu einem Gewebeumbau, wodurch die Heilung erschwert wird, die notwendige Stabilität im ACG kann also nicht gewährleistet werden [35]. Auf Grundlage dieser biologischen Prozesse unterscheidet sich auch das operative Vorgehen hinsichtlich der Versorgung akuter und chronischer ACG-Instabilitäten. Zu den möglichen Behandlungsoptionen zählen extraanatomische Verfahren sowie die biologische Augmentation. Die sog. Weaver-Dunn-Technik ist in die erstgenannte Gruppe einzuordnen. Es erfolgt eine Transposition des Ligamentum coracoacromiale auf die laterale Clavicula, wobei dieses Verfahren keine klinische Relevanz mehr hat. Im Rahmen der biologischen Augmentation wird eine körpereigene Sehne entnommen und zur zusätzlichen Stabilisierung genutzt. Meist verwendet werden hierbei die Hamstring-Sehnen (Musculus gracilis und Musculus semitendinosus). Insbesondere die gemeinsame Verwendung der Hamstring-Sehnenplastik in Kombination mit einem TightRope-System konnte in bisherigen Studien sehr zufriedenstellende Ergebnisse zeigen, vor allem auch in Bezug auf die extraanatomischen Verfahren, weswegen es als Therapie der Wahl bei der chronischen ACG-Instabilität gilt [36– 38]. In der operativen Versorgung werden, wie in der Therapie akuter Verletzungen, zunächst eine arthroskopische Diagnostik sowie die bereits beschriebene vertikale Stabilisierung mittels TightRope vorgenommen (siehe Akute ACG-Verletzungen). Im nächsten Schritt erfolgt nun am steril abgewaschenen, meist ipsilateralen Bein die Entnahme der Semitendinosus-Sehne am Pes anserinus und Präparation dieser auf einen Durchmesser von 4 mm und eine minimale Länge von 24 cm. Unter Zuhilfenahme eines Shuttle-Fadens wird die Sehne durch zuvor präparierte Weichteilpassagen posteromedial der Clavicula bis subacromial medial am Coracoid sowie ventrolateral der Clavicula kranial auslaufend um das Coracoid gelegt. Durch diese Loop-Technik mit einer in Bezug zur Clavicula ventralen und dorsalen Passage der Sehne wird eine anterior-posteriore Stabilisierung erzielt. Die Sehnenenden werden anschließend miteinander verknotet und vernäht. Das lang belassene Ende der Sehne wird durch die transacromiale Bohrung (siehe Akute ACG-Verletzungen) nach lateral ausgezogen und anschließend subcutan zurückgeführt, wo ein Vernähen der beiden Sehnenenden stattfindet [34] (Abb. 3).

Nachbehandlung nach
operativer Versorgung

Direkt postoperativ wird der/dem noch auf dem Operationstisch liegenden Patientin/Patienten eine Schulterorthese (Gilchrist-Verband) angelegt, welche für den Zeitraum der ersten 6 Wochen getragen werden sollte, insbesondere zur Verhinderung eines Zugs an der Schulter durch den herunterhängenden Arm. Eine physiotherapeutische Mitbehandlung erfolgt frühfunktionell mit einer maximalen aktiven und passiven Abduktion und Anteversion von 60° sowie einer Innenrotation von 80° der betroffenen Schulter in den ersten 2 Wochen postoperativ. Ab der 3. Woche erfolgt eine Steigerung der Abduktion und Anteversion auf bis zu 90°, nach Ablauf der 6. Woche besteht keine Bewegungslimitierung mehr, ab diesem Zeitraum erfolgt dann auch der allmähliche Belastungsaufbau.

Begleitpathologien

Im Rahmen der operativen arthroskopischen Therapie von ACG-Verletzungen können laut aktuellen Forschungsergebnissen in 15– 53 % glenohumerale Begleitpathologien beschrieben werden [5, 12, 39]. Die zu diesem Thema publizierten Studien sprechen von einem signifikanten Anstieg der (rekonstruktionspflichtigen) Begleitverletzungen mit zunehmendem Alter, wobei das Überschreiten des 45. Lebensjahres als relevante Grenze genannt wird [5, 39]. Gerade in Bezug auf diese Tatsache, sollte die präoperative MRT-Diagnostik unbedingt individuell in Betracht gezogen werden. Darüber hinaus erweist sich die arthroskopische Operationstechnik mit vorangehender diagnostischer Spiegelung, zur Erkennung möglicher Begleitverletzungen, im Gegensatz zum offenen Vorgehen als Goldstandard. Bezüglich der Validität der diagnostischen Aussagekraft von MRT und Arthroskopie liegen keine nennenswerten Unterschiede vor [40]. Jensen et al. [6] haben in einem Zeitraum der Jahre 2007– 2015 insgesamt 376 arthroskopisch operierte Patientenfälle mit Rockwood 3– und 5-Verletzungen untersucht, wobei in etwas mehr als der Hälfte der Fälle (53 %) glenohumerale Begleitpathologien vorlagen. Besonders vulnerable Strukturen ist hierbei vor allem der Bizepssehnenkomplex, gefolgt von der anterosuperioren Rotatorenmanschette (Supraspinatus- und Subscapularis-Sehne). Die aktuelle Literatur beschreibt zudem ein erhöhtes Aufkommen der Begleitverletzungen mit erhöhtem Interventionsbedarf bei Patientinnen und Patienten mit einer chronischen ACG-Instabilität im Gegensatz zur akuten ACG-Sprengung [6, 39]. In wie weit im Falle einer chronischen Verletzung jedoch degenerative Veränderungen einen beeinflussenden Faktor spielen und nicht das traumatische Ereignis selbst, ist hierbei nicht ausreichend geklärt.

Schlussfolgerung

Von Verletzungen im Bereich des ACG sind insbesondere junge und sportlich aktive Männer betroffen. Prädestinierte Sportarten sind hierbei der Rad- und Bergsport.

Verletzungen des ACG werden in akute (< 3 Wochen) und chronische (> 3 Wochen) Instabilitäten unterteilt. Mit zunehmender Zeitspanne nach dem Trauma nimmt das biologische Regenerationspotential der ligamentären Strukturen ab.

Die Klassifikation nach Rockwood unterscheidet 6 Typen, diese Einteilung ist relevant für die Frage hinsichtlich konservativer oder operativer Therapie. Rockwood Typ 3-Verletzungen werden je nach dem Vorliegen einer horizontalen Instabilität in Typ 3A (ohne horizontale Instabilität) und Typ 3B (mit horizontaler Instabilität) unterteilt.

Für den operativen Therapieerfolg ist nicht nur die vertikale, sondern auch die horizontale Stabilisierung maßgeblich.

In der operativen Therapie akuter ACG-Verletzungen gilt die minimalinvasive arthroskopische vertikale Stabilisierung mittels TightRope-System mit additiver horizontaler Cerclage als Goldstandard. Bei chronischen Instabilitäten erfolgt zusätzlich eine autologe Sehnenanlage (meist Hamstring-Sehne) in Loop-Technik.

Aktuelle Studien befassen sich mit der Frage, ob die operative Therapie von Rockwood Typ 3 B- und 5-Verletzungen definitiv Vorteile gegenüber der konservativen Therapie mit sich bringt. Diese Diskussion muss zukünftig weitergeführt werden.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Freya M. Reeh

DIAKOVERE Friederikenstift Hannover

Humboldtstraße 5

30169 Hannover

freya.reeh@diakovere.de

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