Übersichtsarbeiten - OUP 01/2025
Verletzungen des AcromioclaviculargelenkesWie kommen wir mit der konservativen und/oder operativen Therapie zu optimalen Ergebnissen?
Mit zunehmender Zeitspanne nach dem zur Verletzung führenden traumatischen Ereignis nimmt das biologische Regenerationspotential der ligamentären Strukturen ab. Durch eine steigende Fibroblasten-Proliferation kommt es zu einem Gewebeumbau, wodurch die Heilung erschwert wird, die notwendige Stabilität im ACG kann also nicht gewährleistet werden [35]. Auf Grundlage dieser biologischen Prozesse unterscheidet sich auch das operative Vorgehen hinsichtlich der Versorgung akuter und chronischer ACG-Instabilitäten. Zu den möglichen Behandlungsoptionen zählen extraanatomische Verfahren sowie die biologische Augmentation. Die sog. Weaver-Dunn-Technik ist in die erstgenannte Gruppe einzuordnen. Es erfolgt eine Transposition des Ligamentum coracoacromiale auf die laterale Clavicula, wobei dieses Verfahren keine klinische Relevanz mehr hat. Im Rahmen der biologischen Augmentation wird eine körpereigene Sehne entnommen und zur zusätzlichen Stabilisierung genutzt. Meist verwendet werden hierbei die Hamstring-Sehnen (Musculus gracilis und Musculus semitendinosus). Insbesondere die gemeinsame Verwendung der Hamstring-Sehnenplastik in Kombination mit einem TightRope-System konnte in bisherigen Studien sehr zufriedenstellende Ergebnisse zeigen, vor allem auch in Bezug auf die extraanatomischen Verfahren, weswegen es als Therapie der Wahl bei der chronischen ACG-Instabilität gilt [36– 38]. In der operativen Versorgung werden, wie in der Therapie akuter Verletzungen, zunächst eine arthroskopische Diagnostik sowie die bereits beschriebene vertikale Stabilisierung mittels TightRope vorgenommen (siehe Akute ACG-Verletzungen). Im nächsten Schritt erfolgt nun am steril abgewaschenen, meist ipsilateralen Bein die Entnahme der Semitendinosus-Sehne am Pes anserinus und Präparation dieser auf einen Durchmesser von 4 mm und eine minimale Länge von 24 cm. Unter Zuhilfenahme eines Shuttle-Fadens wird die Sehne durch zuvor präparierte Weichteilpassagen posteromedial der Clavicula bis subacromial medial am Coracoid sowie ventrolateral der Clavicula kranial auslaufend um das Coracoid gelegt. Durch diese Loop-Technik mit einer in Bezug zur Clavicula ventralen und dorsalen Passage der Sehne wird eine anterior-posteriore Stabilisierung erzielt. Die Sehnenenden werden anschließend miteinander verknotet und vernäht. Das lang belassene Ende der Sehne wird durch die transacromiale Bohrung (siehe Akute ACG-Verletzungen) nach lateral ausgezogen und anschließend subcutan zurückgeführt, wo ein Vernähen der beiden Sehnenenden stattfindet [34] (Abb. 3).
Nachbehandlung nach
operativer Versorgung
Direkt postoperativ wird der/dem noch auf dem Operationstisch liegenden Patientin/Patienten eine Schulterorthese (Gilchrist-Verband) angelegt, welche für den Zeitraum der ersten 6 Wochen getragen werden sollte, insbesondere zur Verhinderung eines Zugs an der Schulter durch den herunterhängenden Arm. Eine physiotherapeutische Mitbehandlung erfolgt frühfunktionell mit einer maximalen aktiven und passiven Abduktion und Anteversion von 60° sowie einer Innenrotation von 80° der betroffenen Schulter in den ersten 2 Wochen postoperativ. Ab der 3. Woche erfolgt eine Steigerung der Abduktion und Anteversion auf bis zu 90°, nach Ablauf der 6. Woche besteht keine Bewegungslimitierung mehr, ab diesem Zeitraum erfolgt dann auch der allmähliche Belastungsaufbau.
Begleitpathologien
Im Rahmen der operativen arthroskopischen Therapie von ACG-Verletzungen können laut aktuellen Forschungsergebnissen in 15– 53 % glenohumerale Begleitpathologien beschrieben werden [5, 12, 39]. Die zu diesem Thema publizierten Studien sprechen von einem signifikanten Anstieg der (rekonstruktionspflichtigen) Begleitverletzungen mit zunehmendem Alter, wobei das Überschreiten des 45. Lebensjahres als relevante Grenze genannt wird [5, 39]. Gerade in Bezug auf diese Tatsache, sollte die präoperative MRT-Diagnostik unbedingt individuell in Betracht gezogen werden. Darüber hinaus erweist sich die arthroskopische Operationstechnik mit vorangehender diagnostischer Spiegelung, zur Erkennung möglicher Begleitverletzungen, im Gegensatz zum offenen Vorgehen als Goldstandard. Bezüglich der Validität der diagnostischen Aussagekraft von MRT und Arthroskopie liegen keine nennenswerten Unterschiede vor [40]. Jensen et al. [6] haben in einem Zeitraum der Jahre 2007– 2015 insgesamt 376 arthroskopisch operierte Patientenfälle mit Rockwood 3– und 5-Verletzungen untersucht, wobei in etwas mehr als der Hälfte der Fälle (53 %) glenohumerale Begleitpathologien vorlagen. Besonders vulnerable Strukturen ist hierbei vor allem der Bizepssehnenkomplex, gefolgt von der anterosuperioren Rotatorenmanschette (Supraspinatus- und Subscapularis-Sehne). Die aktuelle Literatur beschreibt zudem ein erhöhtes Aufkommen der Begleitverletzungen mit erhöhtem Interventionsbedarf bei Patientinnen und Patienten mit einer chronischen ACG-Instabilität im Gegensatz zur akuten ACG-Sprengung [6, 39]. In wie weit im Falle einer chronischen Verletzung jedoch degenerative Veränderungen einen beeinflussenden Faktor spielen und nicht das traumatische Ereignis selbst, ist hierbei nicht ausreichend geklärt.
Schlussfolgerung
Von Verletzungen im Bereich des ACG sind insbesondere junge und sportlich aktive Männer betroffen. Prädestinierte Sportarten sind hierbei der Rad- und Bergsport.
Verletzungen des ACG werden in akute (< 3 Wochen) und chronische (> 3 Wochen) Instabilitäten unterteilt. Mit zunehmender Zeitspanne nach dem Trauma nimmt das biologische Regenerationspotential der ligamentären Strukturen ab.
Die Klassifikation nach Rockwood unterscheidet 6 Typen, diese Einteilung ist relevant für die Frage hinsichtlich konservativer oder operativer Therapie. Rockwood Typ 3-Verletzungen werden je nach dem Vorliegen einer horizontalen Instabilität in Typ 3A (ohne horizontale Instabilität) und Typ 3B (mit horizontaler Instabilität) unterteilt.
Für den operativen Therapieerfolg ist nicht nur die vertikale, sondern auch die horizontale Stabilisierung maßgeblich.
In der operativen Therapie akuter ACG-Verletzungen gilt die minimalinvasive arthroskopische vertikale Stabilisierung mittels TightRope-System mit additiver horizontaler Cerclage als Goldstandard. Bei chronischen Instabilitäten erfolgt zusätzlich eine autologe Sehnenanlage (meist Hamstring-Sehne) in Loop-Technik.
Aktuelle Studien befassen sich mit der Frage, ob die operative Therapie von Rockwood Typ 3 B- und 5-Verletzungen definitiv Vorteile gegenüber der konservativen Therapie mit sich bringt. Diese Diskussion muss zukünftig weitergeführt werden.