Übersichtsarbeiten - OUP 02/2025

Altersgerechte Verfahren an Wirbelsäule und Becken

Chantal Beatrice Zimmermann, Götz Schäfer, Thomas Roger Blattert

Zusammenfassung:
Die Altersmedizin ist bei steigender Lebenserwartung ein zentrales Thema der alltäglichen medizinischen Versorgung. Mit zunehmendem Alter erhöht sich allerdings die Sturzneigung und dementsprechend auch die Frakturrate. Es handelt sich in der Mehrheit der Fälle entweder um Fragilitätsfrakturen oder niederenergetische Traumata (z.B. Stolpersturz). Der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Funktion sind bei alterstraumatologischen Patientinnen und Patienten entscheidend.
Während die Prävalenz osteoporotischer Wirbelkörperfrakturen in der EU im Jahr 2000 noch bei 23,7 Mio. lag, wird für das Jahr 2050 eine Steigerung auf 37,3 Mio. prognostiziert. Die Inzidenz von Beckenringfrakturen liegt derzeit bei 22,4 bezogen auf 10.000 Einwohner. Betroffen sind häufig ältere Patientinnen mit vorbekannter Osteoporose. Bei steigender Inzidenz aufgrund der demografischen Entwicklung bedarf es altersgerechter Verfahren an Wirbelsäule und Becken.
Ziel dieser Arbeit ist es, nach adäquater Diagnostik und unter Würdigung der aktuellen Klassifikationen sowohl die konservativen, als auch die operativen Maßnahmen zu erläutern, um so die bestmögliche Therapiestrategie bei älteren Patientinnen und Patienten anwenden zu können.

Schlüsselwörter:
Alterstraumatologie, Wirbelsäule, Beckenring, Sakrum, Osteoporose, OF-Klassifikation, Kyphoplastie, dorsale Stabilisierung, Sakroiliakale Schrauben, Sakroiliakaler Stab

Zitierweise:
Zimmermann CB, Schäfer G, Blattert TR: Altersgerechte Verfahren an Wirbelsäule und Becken
OUP 2025; 14: 67–73
DOI 10.53180/oup.2025.0067-0073

Summary: As life expectancy increases, geriatric medicine is a central topic in everyday medical care. With increasing age, however, the tendency to fall increases and, accordingly, so does the fracture rate. In the majority of cases, these are either fragility fractures or low-energy trauma (e.g. tripping and falling). Maintaining or restoring function is crucial in age-related traumatology patients.
While the prevalence of osteoporotic vertebral fractures in the EU was 23.7 Mio in the year 2000, an increase to 37.3 Mio is predicted for the year 2050. The incidence of pelvic ring fractures is currently 22.4 per 10,000 inhabitants. The majority of patients affected are older women with known osteoporosis. Given the increasing incidence due to demographic trends, age-appropriate spinal and pelvic procedures are required.
The aim of this paper is to explain both conservative and surgical measures following adequate diagnosis and considering the current classifications, in order to be able to apply the best possible treatment strategy for older patients.

Keywords: Geriatric traumatology, spine, pelvic ring, sacrum, osteoporosis, OF classification, kyphoplasty, posterior stabilization, sacroiliac screws, sacroiliac rod

Citation: Zimmermann CB, Schäfer G, Blattert TR: Age-appropriate procedures for spine and pelvis
OUP 2025; 14: 67–73. DOI 10.53180/oup.2025.0067-0073

C. B. Zimmermann: Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum Ingolstadt

G. Schäfer: Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum Ingolstadt, & Interdisziplinäres Wirbelsäulenzentrum, Klinikum Ingolstadt GmbH

T. R. Blattert: Interdisziplinäres Wirbelsäulenzentrum, Klinikum Ingolstadt GmbH

Altersgerechte Verfahren an der Wirbelsäule

Einleitung

Osteoporotische Frakturen der Wirbelsäule sind angesichts unserer überalternden Gesellschaft ein wichtiges medizinisches und wirtschaftliches Problem, da diese Frakturen zu erheblicher Morbidität und potenziell Mortalität führen können. Die Inzidenz der Osteoporose ist stetig steigend [1]. Grob geschätzt kann man davon ausgehen, dass 30 % aller Frauen und 10 % der Männer nach dem 50. Lebensjahr eine symptomatische Osteoporose erleiden [2]. Hierbei kann die Osteoporose die Ursache für eine Fraktur (atraumatische Fraktur) sein oder die Behandlung einer traumatischen Fraktur beeinflussen. Epidemiologische Daten zur Häufigkeit von osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen liegen nur spärlich vor. In einer Multicenter Studie der Arbeitsgemeinschaft Osteoporotische Frakturen (AG OF) der Sektion Wirbelsäule der DGOU war bei 707 eingeschlossenen Patientinnen und Patienten ein Trauma nur in 49 % erinnerlich bei einem Frauenanteil von 73 %. Am häufigsten waren die Wirbelkörper BWK 12 und LWK 1 betroffen [3].

Diagnostik

Die Anamnese geriatrischer Patientinnen und Patienten ist nicht selten leer. Häufig kann kein Sturz berichtet werden, auch der Beginn der Beschwerden ist oft schleichend und nicht an einem Zeitpunkt fest zu machen.

Ebenso ist die klinische Diagnostik bei osteoporotischen Frakturen meist wenig hilfreich. Die Patientinnen und Patienten klagen über Schmerzen am Rücken oder tief lumbal, vor allem bei Bewegung. In Ruhe bestehen meist keine Beschwerden. Häufig berichten die Patientinnen und Patienten über einen typischen Schmerz beim Lagewechsel vom Liegen zum Sitzen/Stehen, der sich dann nach einiger Zeit wieder gibt. Eine radikuläre Symptomatik ist selten, kann aber insbesondere bei Grundplattenfrakturen durch die relative Verkleinerung der Neuroforamina auftreten. Ebenso sind Querschnittssyndrome eher selten und dann mit eher schleichendem Beginn.

Bezüglich bildgebender Diagnostik steht das konventionelle Röntgen in 2 Ebenen im Stehen in Vordergrund. Allerdings wird hierbei vor allem aufgrund degenerativer Veränderungen nur eine Sensitivität von 51,3 % und eine Spezifität von 75,0 % erreicht [4, 5]. Die CT-Diagnostik ist notwendig, um Frakturen bezüglich ihrer Morphologie und Stabilität einzuschätzen [6], scheitert aber häufig in der Einschätzung des Alters von Frakturen und übersieht okkulte Frakturen. Dementsprechend wird bei Frakturverdacht eine MRT mit „short-tau inversion recovery“- (STIR) Sequenz von BWS und LWS angeraten, um eine therapeutische Unterversorgung zu vermeiden [7].

Klassifikation

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